laut.de-Kritik

Opulenz, du bist doch nicht alles im Leben.

Review von

Seit die Gruppe (G)I-DLE 2018 debütiert hat, besitzt sie eines der vielversprechendsten Arsenale der K-Pop-Industrie. Die Ästhetik großer Singles wie "Latata" und "Uh-Oh" überzeugen mit Variantenreichtum und einer unapologetischen Kratzbürstigkeit. Mit Leaderin und Songwriterin Soyeon reiht sich auch eines der beeindruckendsten K-Pop-Idols der aktuellen Szene in die Gruppe ein. Ihr neues Mini-Album "I Trust" gäbe mit überraschend experimentellen Sound-Designs und Unmengen an Opulenz eigentlich Anlass für große Erwartungen. Doch wie so oft in der Laufbahn von (G)I-DLE bleiben die Songs hinter ihren Zutaten zurück.

Das hört man schon den beiden Singles "Lion" und "Oh My God" an. Beide kleckern nicht gerade mit dem Brimborium, liefern zwei Musikvideos ab, die selbst für K-Pop-Standards in ihrer Imposanz überzüchtet wirken. Inhaltlich bedienen sie eine fast theologische Allmachts-Fantasie. An guten Stellen mangelt es dabei mitnichten: Minnie und Soyeon liefern auf "Oh My God" melodisch spannende Verses, deren Falsetto-Rampe am Zeilenende effektiv in den Song zieht. Soyeon zeigt im zweiten Verse dazu, warum sie derzeit der Top-Rapper in Südkorea sein dürfte, ihre Delivery und Flow könnten überall auf Top-Niveau mithalten.

Leider leiten die Verses lediglich in einen soliden, aber vorhersehbaren Pre-Chorus, der in einen nichtssagenden Drop überleitet. Klingt episch wie Dubstep aus 2013 eben episch klang. Beeindruckend, wie vielschichtig und atmosphärisch der Song gestaffelt ist, aber solang der Pay-Off so weit hinter dem Build-Up zurückbleibt, endet der Song frustrierend. ITZY oder Red Velvet zeigten zuletzt, wie Flickenteppich-Pop-Songs mit zehn einander kontrastierenden Passagen Heidenspaß machen kann, aber etwas an der Umsetzung von (G)I-DLE wird dem nicht gerecht.

Das genau gegenteilige Problem hat "Maybe", denn dort serviert die Gruppe den besten EDM-Drop ihrer Karriere, ein absolut unwiderstehlich tanzbares und intrigant komponiertest Stück Electro. Leider tröpfeln hier Chorus und Verses auf einem sehr sumpfigen Beat vor sich hin und führen nicht effektiv genug in den großartigen Drop. Es fühlt sich an, als würde jeder Moment der Brillanz auf "I Trust" von einem Moment der ereignislosen Monotonie ausbalanciert werden.

Die beiden übrigen Songs, "Luv U" und "Lion" bilden großartige Spannung und klingen interessant und atmosphärisch. Ersterer macht damit aber denkbar wenig, Letzterer will nicht so recht platzen. Auch dort spendiert wieder Soyeon die Pointe des Songs mit einem imposanten Rap-Verse. Die Hook um das "Queen like a lion"-Muster fällt aber etwas flach aus und die Vocal-Performances der anderen Member bleiben eher uninteressant. Da ist viel Pömp, viele Pauken und Trompeten, aber richtig geknallt hat es trotzdem nicht.

Mehr als einmal bleibt man auf "I Trust" mit dem Gefühl zurück, dass hier recht viel Rauch um Nichts gemacht wird. Auch wenn es in der K-Pop-Gemeinde zum guten Ton zu gehören scheint, für eine egalitäre Verteilung der Song-Anteile einzustehen, krankt dieses Projekt eher daran, dass teils die falschen Teile der Songs an falsche Member gewandert sind. Statt die tiefe und eigenwillige Stimme von Yuqi oder Miyeons Charisma effektiv zu verbauen, bleiben sie oft mit generischen Portionen der Songs zurück, die das Tempo des ohnehin sehr kurzen Mini-Albums noch weiter drosseln. Allein für die Ästhetik kann man den Musikvideos eine Chance geben, musikalisch wie atmosphärisch bleibt (G)I-DLE im K-Pop einzigartig. "I Trust" schöpft ihr Potential aber noch nicht aus.

Trackliste

  1. 1. Oh My God
  2. 2. Luv U
  3. 3. Maybe
  4. 4. LION
  5. 5. Oh My God - English Version

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1 Kommentar

  • Vor 3 Jahren

    "Statt die tiefe und eigenwillige Stimme von Yuqi oder Miyeons Charisma effektiv zu verbauen, bleiben sie oft mit generischen Portionen der Songs zurück, die das Tempo des ohnehin sehr kurzen Mini-Albums noch weiter drosseln."
    Diese Kritik kann ich nicht ganz nachvollziehen. Beide werden praktisch immer für den Pre-Chorus verwendet, wo die Songs ein starkes Buildup erfahren. Ja, das ist stark genretypisch aber von Tempodrosselung weit entfernt.