laut.de-Kritik

Flers zweiter Frühling geht in die Sommerpause.

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"Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann", sagte ein gescheiter Mann einmal. "Vibe", das dreizehnte und aktuelle Solo-Album von Fler, kam diesem Prinzip zuletzt sehr nah und stellt damit nach Meinung vieler sein vorläufiges Opus Magnum dar. Der Kollabo-Nachfolger "Epic" zusammen mit Jalil ändert daran nichts. Die hohe Kunst des Weglassens wurde hier musikalisch leider überstrapaziert.

Dabei ließ ein guter Teil der Vorab-Singles durchaus Episches erhoffen: Allen voran "Predigt", diese sakral wabernde Großtat einer deutschen Trap-Interpretation. Was auf "Epic" als (allein der Premium-Edition vorbehaltenes) Outro herhalten muss, hätte die Blaupause liefern können für den endgültigen Rapgame-Takeover in 2017. Es hatte doch alles:

Fler mit inbrünstig-ignorantem Schlagwort-Dropping ohne belastend roten Faden, Jalil mit feinster Angeber-Semantik und unschlagbarer Stimmlage im Subbass-Bereich plus ein bisschen maximal eingängiger Singsang in der Hook. Das Ganze umrahmt von zwei, drei irrlichternden Piano-Akkorden, üppig eingebettet in einen erhaben drückenden Basslauf und akzentuiert von wenigen, perfekt eingestreuten full-stops. Wahnsinn.

Nicht weniger Hoffnung machte die Auskopplung "Paradies": Im Kern dieselbe melancholisch-herablassende Sound- und Flow-Konstruktion wie bei "Predigt", diesmal allerdings mit ein paar Umdrehungen mehr auf dem Tacho. Sprich: Man erwartete ein "Vibe" im Quadrat.

An dieses Erfolgsrezept knüpft von den Albumtiteln nun am ehesten das Loyalitäts-Dramolett "Gang Für Immer" an: Im exakt richtigen Maße autogetunet klagen Fler und Feature-Gast Remoe einem ausgebremst hallenden Klavier auf drückender Bassbasis ihr Leid mit den lieben Mitmenschen: beileibe kein unwesentliches Thema in Flers Werdegang. Nach einem kurzen Savas-Cosign macht ein gekonnt durch die Snare joggender Jalil seinen Standpunkt auch noch einmal klar. (Spoiler-Alert: Er sieht das ähnlich.)

Überraschend ist ferner, wenn die beiden ihren Gewinnertalk auf dem verspult karibischen Beat von "Flex'n" auspacken und dabei unbeschwerte Adlibs im Stile eines Herrn Genz einstreuen. Bei dieser Nummer wird im Übrigen schön klar, was Fler meint, wenn er in seinen Grimme-Preis-verdächtigen Interviews mantraartig wiederholt, es gehe beim Vortrag der Texte ausschließlich um das Wie, keinesfalls um das Was.

Ganz gut reingehen mag nach ein paar Anläufen auch "Lebron": In den ersten drei Vierteln der Nummer spielen sich Jalil und Flizzy auf einer für "Epic"-Verhältnisse recht sportlichen Uptempo-Unterlage die Bälle zu, um dann für den C-Teil, nach einem kurzen Lebron-Interview-Einspieler, den Bugatti fünf Gänge runterzuschalten und den Hit rückwärts seitlich einzuparken.

Spätestens jetzt weist die Epik aber spürbare Defizite auf: Einem Großteil der Songs auf "Epic" mangelt es, wie eingangs schon erwähnt, an akustischer Fülle. Das Prinzip der stark simplifizierten Schlagwort-Lyrics im Morsecode-Flow ist nur solange genial, wie es innerhalb einer erstens breitwandigen und zweitens dramatischen Rahmung vonstatten geht. Fehlt auch letztere, wirds recht schnell banal.

Genau hieran mangelt es vielen der Produktionen von Nico Chiara aber leider. Bestes Beispiel: "Zenit". Ein autistisch vor sich hinklöppelndes Xylophon aus dem Kondensator und eine auffallend egale Baseline hauchen der reduzierten Titelblatt-Poesie dann halt doch noch kein neues, geschweige denn faszinierendes Leben ein.

Natürlich ist nun genau diese Kritik am Soundgewand gemäß dem vorausschauenden Generalauskenner Fler ein unwiderlegbares Indiz dafür, dass man seine direkt aus dem Miami der Zukunft importierte Musik schlichtweg nicht peilt. Nur: Manchmal ist weniger eben nicht mehr, sondern einfach nur weniger.

Eine derart zurückgefahrene Soundkulisse legt außerdem das Rap-Handwerk schonungslos offen. Kein Zweifel, Fler und Jalil beherrschen abseits trickreicher Wortspiele und beeindruckender Skill-Showdowns auf weiten Strecken die Kunst, allein mit wenigen Worten, vielen Wiederholungen und bewusst gesetzten Pausen eine beeindruckend dichte Atmosphäre zu erschaffen. Immer wieder, hier und da, aber hier eben nicht auf Albumlänge.

Nicht selten gerät das gebetsmühlenartige Repetieren von Luxusgütern, Gewaltandrohungen und deren kausalem Zusammenhang nämlich aus der Bahn. Man erwacht dann aus der bassinduzierten Hypnose und findet sich gefangen in einem nicht enden wollenden Acapella-Abzählreim wieder. Dann ist Saure-Gurken-Trap: "Alles VVS" oder "Slowmotion" bieten diesbezüglich plakative Anspielstationen.

Dabei stellt Jalil mit seinem einzigartig sonoren Organ die perfekte Ergänzung zu Flizzys nunmehr 15 Jahre währender Aggro-Intonation. Es sei aber auch nicht verheimlicht, dass er nicht in jeder Gangart und vor allem an den exponierteren Stellen im Beat noch nicht dieselbe Trittsicherheit aufweist wie sein Mentor. Dennoch: Überhits wie "Predigt" wären ohne die tiefste und entspannteste Stimme im Game unvorstellbar.

"Executive Producer" Fler wiederum lässt es sich nicht nehmen und macht fast auf nahezu jedem Song den Denyo: Er kommt rein, und zwar als Erster. Das trägt, wenn auch nur zweitrangig, zusätzlich zur Abwechslungsarmut bei, die man qua Genre ja nun eh schon zelebriert.

Und die zwei Mortel-Features? Mei. Seinen Part und den Chorus auf der sperrigen Designer-Hymne "Coogi" absolviert der NRW-Mann der Stunde passend zum Strickmuster des besungenen Pullovers: eine Frage des Geschmacks. Auch sein zweiter Beitrag, nehme ich an, "Sollte So Sein". Für all zu große Aha-Effekte sorgen die beiden Auftritte nicht.

Ergo: "Epic" ist ein guter, aber durchwachsener Nachfolger zu "Vibe", der in Form einiger weniger, dafür aber überragend guter Songs aufzeigt, wozu das Duo Fler & Jalil auf maßgeschneiderten Produktionen in der Lage ist. In Summe gerät "Epic" aber vor allem klanglich zu dünn und zu wenig kreativ, um den Vorsprung, den sich Fler 2016 überraschend erarbeitet hat, weiter auszubauen. Somit werden die kommenden Solo-Alben der beiden zeigen müssen, ob an der Billy Wilder-Promenade weiterhin die Trends gesetzt werden, die heute noch keiner sieht.

Trackliste

  1. 1. Hype
  2. 2. Standing
  3. 3. Zenit
  4. 4. Slowmotion
  5. 5. Alles VVS
  6. 6. Flex'n
  7. 7. Mir Gehört Die Nacht
  8. 8. Gang Für Immer feat. Remoe
  9. 9. Coogi feat. Mortel
  10. 10. Sollte So Sein feat. Mortel
  11. 11. Makellos
  12. 12. Lebron
  13. 13. On/Off Beziehung
  14. 14. Regen
  15. 15. Paradies
  16. 16. Rudel
  17. 17. Predigt

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33 Kommentare mit 85 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    bin ich irgendwie taub, oder ist das einfach ein dreister "What A Time To Be Alive"-Bite?

  • Vor 6 Jahren

    Ich hab's fast vergessen: ich war Samstag noch im Apple Store, Jalil musste Schicht schieben. Wollte mich aber erst versichern, weil ich meine facts immer straight gette, also kurz Bilder gesucht, und (unge)logen war er es.

    Scheint nicht die fette Kohle abzuwerfen als Patricks Schoßhuendchen.

    • Vor 6 Jahren

      Ist doch 'ne bekannte Tatsache von Berlin bis Mainz. Finde ich aber eigentlich sympathischer als Vollzeitrapper, die einen auf Millionär machem, aber vor dem Leihwagen posieren und nach dem Foto-Shooting ihre Klamotten zurückgeben. :D Und vernünftig ist es eh, da es ja keine Langzeitstudien über Karrieren im Deutschrap gibt, aber durchaus abschreckende Beispiele von Leuten ohne Plan B.

    • Vor 6 Jahren

      Aber du hast wohl recht, auch mit "Epic" wird Flizzy nicht zum Goldrapper.

    • Vor 6 Jahren

      Ich mein, Patrick wird doch selbst innerhalb der nächsten paar Jahre wieder zum Pfandsammler. Die Kohle Alles in Stone Island und hässliche Yeezys zu investieren wird er sicherlich nicht lang haben, vor Allem weil er auch einfach ein dummer Mensch ist.

    • Vor 6 Jahren

      Flizzy ist zwar Trendsetter seit Tag 1, plant aber ansonsten keine 4 Monate im Voraus. Der wird wohl kaum riestern. :D

    • Vor 6 Jahren

      Trotzdem sollte doch was fuer Jalil abspringen, halbwegs genug, um nicht noch normal schuften zu muessen - waere Patrick nun mal nicht Patrick und wuerde jeden verarschen, der mit ihm zu tun hat.

    • Vor 6 Jahren

      Geil, dachte bisher immer, das wäre nur ein RU-Klischee wie Penner-Mok und Transensilla :lol:

    • Vor 6 Jahren

      Hey Baude, kannst du mal bitte dieses dumme Off-Topic-Geposte unter den ganzen HipHop-Alben für die Doubletime oder entsprechende News sparen? Hier soll es doch schließlich um die M u s i k gehen.

    • Vor 6 Jahren

      Tja, das hat sich dank Rapupdate halt so eingebürgert. Aber hast schon recht, man kann auch die Portraitseite von iJalil vollspammen

    • Vor 6 Jahren

      Ich muss wirklich sagen, dass ich Reason eigentlich nen ziemlich smypathischen Typen finde und es mir im Herzen wehtut, wenn er sich für einen Hund wie Patrick Decker prostituiert.

    • Vor 6 Jahren

      Aber Apple Store ist doch auch keine Lösung, da ähnlich knechtig, oder?

    • Vor 6 Jahren

      Und jetzt gib dir das: Jalil muss BEIDES machen, bei Patrick blasen fuer einen Hungerlohn und fuer Apple knechten.

    • Vor 6 Jahren

      Macht euch das nicht sehr sad?

    • Vor 6 Jahren

      Finde es wirklich erstaunlich, wie Jalil fast überall die Sympathien auf sich zieht, gerade wenn man an die ganzen Kandidaten vor ihm denkt. Er wirkt - no offense - tatsächlich fast schon wie ein gutmütiger Bernadinerhund, der Fler nicht mehr von der Seite weichen wird. :D

    • Vor 6 Jahren

      Craze: Nein, denn jeder weiss, worauf er sich einlaesst, wenn man eine geschaeftliche Beziehung mit Patrick eingeht. Kein Mitleid dafuer.

      mundi: Ich denke, Jalil wird es noch volle Breitseite zu spueren bekommen, wieso Patrick ein Album 'Keiner kommt klar mit mir' nannte. Vllt. klappt es bisher noch, weil Jalil charakterlich tatsaechlich gutmuetiger ist als Animus oder Godsilla. Aber ich freue mich schon drauf, wenn Patrick bald wieder ganz alleine dasteht.

      Ach so, Django: Ich laufe Samstag mal durch die Hasenheide, falls ich Mok sehe, wie er Haschkruemel vom Boden aufliest, melde ich mich hier. ;) Dann waere das auch verifiziert!

    • Vor 6 Jahren

      Jalil hat sogar das Sentence-Intermezzo ausgehalten ohne zu murren, also hat er offenbar eine enorm hohe Frustrationstoleranz. Einer von beiden hat auf einem gemeinsamen Song auch mal was von 50.000€ Vorschuss für Jalil gerappt und als relativ passionierter Fler-Interview-Gucker weiß ich zufällig, dass Jalil wohl nur noch halbtags dort arbeitet. Ich weiß auch gar nicht, wie die Verträge da sind, aber "Epic" war ja sein erstes erfolgreiches Release, ist erst seit rund 3 Wochen und vielleicht dauert es etwas, bis das Geld erhält. Oder er kennt Fler zu gut, um sich schon jetzt ganz auf dessen Business-Plan zu verlassen, bevor sein Solo kommt und man sieht, wie es damit läuft. ;)

      Wie auch immer, ich will hier nicht in die Rolle des Flizzy-Verstehers geraten, und es kann natürlich sein, dass am Ende doch alles in die Brüche geht. Also hatet ruhig weiter und wir sehen dann mal. :D

    • Vor 6 Jahren

      Argh! Ich ergänze ein "draußen" und ein "er".

  • Vor 6 Jahren

    Das cover hat seltsamerweise eine Gewisse Ähnlichkeit mit diesem hier: http://www.laut.de/helene-fischer/alben/he…