laut.de-Kritik

Dunkle Spoken-Word-Poesie im Haifischbecken.

Review von

Genau genommen handelt es sich bei "Tundra" um ein Hörbuch. Denn die sperrige, dunkle und tief im Noise verwurzelte Musik der Enablers steht und fällt mit der lyrischen Ausdruckskraft ihres Dichter-Frontmanns Pete Simonelli. Der charismatische Beat-Poet ist in den Literatur-Zirkeln des Undergrounds längst ein beschriebenes Blatt. Dem Quartett aus San Francisco drückt er mit seiner ausdrucksstarken, hektoliterweise mit Whiskey geölten Stimme einen ausgesprochen lyrisch geprägten Stempel auf.

Doch auch die Herren an den Instrumenten sind gestandene Meister ihres Fachs und haben allenthalben nachhaltige Spuren in der Musiklandschaft hinterlassen. So war Gitarrist Joe Goldring bereits Mitglied der Swans und kollaborierte u.a. mit Doug Scharin (June Of 44) und Steve von Till (Neurosis). Ähnlich schwermütig, existenzialistisch und eigenständig wie jene Bekannten gehen auch die Enablers zu Werke.

Man fühlt sich an das Experiment der hinterbliebenen Doors erinnert, die 1978 einige auf Tonband konservierte Gedichte Jim Morrisons posthum auf "An American Prayer" vertonten. Deren finanzielle Rückversicherung wirkt im Vergleich zu dieser neuzeitlichen Interpretation Brechtschen Theaters jedoch die wie lupenreine Fahrstuhlmusik: zahm, kalkuliert und blutleer.

Denn während sich Morrisons ehemalige Mitstreiter zur bloßen Begleitband degradierten und im Hintergrund verblassten, interagieren die Enablers untrennbar auf einer gemeinsamen Ebene. Dabei erzeugen sie eine explosive Kernfusion aus noisigem Freejazz, vertracktem Postrock und mitreißendem Poetry-Slam.

Sonic Youth-Gitarrren lärmen und schrammeln meist dissonant zu akzentuiertem Drumming. Voller Dynamik winden sich alle Elemente zu einer emotional schürfenden Spirale empor, die bis ins Unterbewusstsein vordringt.

Das spannungsgeladene Wechselspiel aus filigranen Gitarrenmelodien, brachialen Noise-Ausbrüchen und Simonellis zum Teil wutschnaubenden Brüllattacken sorgt dabei für ein Klangerlebnis der enervierenderen Art. Die Spannungskurve bleibt über die gesamte Albumlänge von 32 Minuten konstant am Anschlag und macht "Tundra" nur schwer verdaulich. Trotz improvisierter, ruhigerer Momente fühlt man sich wie ein Taucher im scheinbar sicheren Haikäfig.

Ähnlich den lautlosen Meeresjägern umkreisen die Enablers ihre Beute, um dann urplötzlich aus heiterem Himmel zu attackieren. Der Adrenalinspiegel senkt sich nach diesem dramatischen Nervenkitzel nur sehr zögerlich – selbst Minuten, nachdem das finale Gitarrenfeedback ausklingt, verbleibt man unweigerlich in Lauerstellung. Sympathisanten des Unkonventionellen sollten hier rasch zugreifen, denn "Tundra" erscheint als Bonbon für Sammler in einer handnummerierten Holzbox, die auf 1300 Exemplare limitiert ist.

Trackliste

  1. 1. Blues
  2. 2. The Destruction Most Of All
  3. 3. Carriage
  4. 4. New Moon
  5. 5. Februaries
  6. 6. Tundra
  7. 7. The Achievement
  8. 8. Kosovo
  9. 9. Bells
  10. 10. Four Women

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