laut.de-Kritik

Hörenswerter Nachtrag zum Buena Vista Social Club.

Review von

Ein richtig cooles Latin-Album hat sich schon sehr lange nicht mehr auf dem Pop-Markt durchgesetzt. "Guajiro" hat mit entspannt durcherzählten Geschichten in mittlerem Tempo, eingängigen Melodien, sonnendurchfluteten Arrangements und einem Grand-Seigneur der kubanischen Musikszene absolut das Zeug dazu. Eliades Ochoa mischte Ende der '90er im legendären Buena Vista Social Club mit.

Heute und mit fast 77 Jahren rafft er sich zu einem nicht ganz so pur kubanischen Projekt auf: "'Guajiro' unterscheidet sich von den Alben, die ich bisher gemacht habe, und führt mich aus meiner Komfortzone heraus", kommentiert er selbst. Joan As Police Woman führt den gemütlichen Hutträger (in dessen 45. Bühnenjahr) mit ihrer Geige in Richtung Art Pop ("Creo En La Naturaleza ft. Joan As Police Woman"). Zusammen mit einem weiteren meiner Lieblings-Artists in Sachen Schwermut und Sehnsucht fängt Eliades nun sogar mich ein, der ich nie so der größte Buena Vista-Fan war. Wenn Kollege Rubén Blades aus Panama in der Struktur alter Sklavereigesänge, zu Trompete und zur Tres, der langhalsigen kubanischen Gitarre, ansingt und Spoken Word spricht, steigt wärmster Salsa-Dampf auf.

"Seit vielen Jahren spiele ich traditionellen Son Cubano und wollte an diesem Punkt in meinem Leben etwas anderes machen", ordnet Eliades sein lässig aufspielendes Album ein und resümiert: "Ich habe Kollaborationen schon immer geliebt, wollte offen für andere Rhythmen sein und mit verschiedenen Künstlern zusammenarbeiten."

Die Tres, Eliades' Instrument, klingt federleicht und trägt bisweilen sogar gesangslose Abschnitte mit ihrem luftigen Sound perfekt, zum Beispiel in "Abrazo De Luz" (Umarmung des Lichts), in "Los Ejes De Mi Carreta" (Die Achsen meines Wagens) oder in "Soy Guajiro" (Ich bin Guajira-Musiker, wörtlich: Ich bin Bauer).

Manches klingt definitiv kecker und mehr nach Salsa und Easy Listening, als man es vom Buena Vista Social Club kennt. "Anita Tun Tun Tun" ist so ein auflockerndes Stück im Sinne von Novelty-Pop auf Karibisch. Hier soll sich auch gar kein neues Buena Vista-Album breit machen. Denn alles hat seine Zeit, findet auch der Songautor: "Es ist eine andere Phase in meinem Leben als zu der Zeit, als wir Buena Vista machten. Compay und Ibrahim kamen mit einem immensen Background daher und vielen Geschichten - das Album mit ihnen zu machen, öffnete mit einem Mal Türen zur ganzen Welt. Und jetzt fühlt es sich für mich nach dem richtigen Zeitpunkt an, um meine eigenen Geschichten zu erzählen."

Eliades Ochoa ist ein hervorragender Komponist, wie man schnell merkt. Wer sich in die Platte und ihr Lebensgefühl verliebt, mag vielleicht traurig sein, dass der Künstler bis zu diesem späten Zeitpunkt wartete und es nicht mehr Musik von ihm gibt. So ganz stimmt das aber nicht. 2020 gestaltete er ein Solo-Album mit überwiegend Coverversionen, 2002 nutzte er die Bekanntheit des Social Club für eine ganz gute LP mit eigenen Stücken. Zwischenzeitlich kollaborierte er mit einer Flamenco-Sängerin, mit dem Who's Who der Musik Malis, und zuvor mit "Soul Makossa"-Star Manu Dibango. Er ritt die ganze Bandbreite mittelamerikanischer und kubanischer Musik von Bolero bis Rumba rauf und runter und zeigte sich stets innovativ und neugierig. Rumba klingt auch im angejazzten, schmissigen "Se Soltó Un Leon" mit tollen Bläsersätzen und exzellenten Background-Background-Sängerinnen an.

Die weltoffene Haltung belebt "Guajiro" ganz vortrefflich. Selbst Charlie Musselwhite vom Mississippi trotzt seiner Mundharmonika fabelhaft röchelnde, trötende, sumpfige, partiell unsaubere, teils erstaunlich tiefe Töne ab, und behände eingestreute Trillerfiguren. Blues-urtümlicher geht's wohl kaum.

"Guajiro" legt nebenbei das musikalische Vermächtnis aus einer Zeit vor, die noch vor Fidel Castro, und auch vor der Batista-Diktatur in einem ganz anderen Kuba wurzelt - für das es mittlerweile kaum noch Zeitzeugen gibt. Ochoa spielte immerhin mit einigen von ihnen auf Platten und Bühnen zusammen. Jetzt führt er eindrucksvoll vor, welche Wärme und Herzlichkeit das vielfach wegen 'Aneignung' gescholtene Segment der 'Weltmusik' aufbieten kann. Sehr schnuckelige CD mit einer Reihe richtig guter Tracks!

Trackliste

  1. 1. Vamos A Alegrar El Mundo
  2. 2. Soy Guajiro
  3. 3. Creo En La Naturaleza ft. Joan As Police Woman
  4. 4. Pajarito Voló ft. Rubén Blades
  5. 5. Ando Buscando Una Novia
  6. 6. Abrazo De Luz
  7. 7. Anita Tun Tun Tun
  8. 8. Canto Para Ti Guajira
  9. 9. Se Soltó Un Leon
  10. 10. West ft. Charlie Musselwhite
  11. 11. Los Ejes De Mi Carreta

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