laut.de-Kritik

Ein Missing Link in Londons Musikgeschichte.

Review von

Dennis Bovell darf sich bereits 'Member Of The British Empire' nennen. Mit vorliegender "Essential Anthology" würdigt er gemeinsam n mit dem Label Trojan einen kleinen Teil seines umfassenden Schaffens in Londons Musikszene. Ihn einzuordnen ist nicht einfach. Zunächst mal verdient er sicher das Attribut 'lieber Kerl', ein Musiker mit sozialem Gespür für witzige Wendungen, Anekdoten und Geschichten und für Talente. Ein gut vernetzter DJ, Radiomacher, Repertoire-Kenner des Reggae, Keyboarder, Gitarrist, Bassist, Teilzeit-Sänger, aber in erster Linie doch ein erfahrener Talent-Scout und einer der besten Dub-Produzenten der Welt.

Darüber hinaus hatte der auf Barbados aufgewachsene Migrant maßgeblichen Anteil daran, Reggae in Europa zu etablieren. Die Stilrichtung Lovers Rock förderte er wie kein anderer, setzte sich wiederholt für Frauen im Musikbiz ein, wollte sie an die "forefront" holen, wie er im Interview erzählt. Er schob die Regler beim Meilenstein-Debüt der Slits und konzipierte deren punkige und doch Genre übergreifende Klangarchitektur. Mit Bananarama und Fela Kuti arbeitete er je einmal, mit Garland Jeffreys oft, mit Edwyn Collins' Band Orange Juice und mit dem Poeten Linton Kwesi Johnson eine Zeitlang regelmäßig. Seine Fühler streckte er gar bis zu argentinischem Post-Punk aus.

Von Bovell nicht zu wissen, entspricht einem Missing Link im Verstehen des Melting Pots, der London durch Migration, Multikulturalismus und seine Rolle als Musikzentrum Ende der 70er nicht nur für die Punk Explosion war. Also: dringend nötiger Sampler! Auf "The Dubmaster: The Essential Anthology" suggeriert das Artwork, dass Bovells Initialen D und B ja schon im Wort Dub stecken. Den Künstler, der auch für TV-Spots Musik macht, auf Dub zu reduzieren, griffe indes zu kurz.

Die elfeinhalb Dub-Tracks stellen auf der Compilation mit 38 CD-Tracks ohnehin nur eine, und zwar eine vergleichsweise blasse Farbe dar, hört man zum Vergleich Dennis' Schaffen auf den Nicht-Dub-Nummern. Nur dreieinhalb Dubs zählt die 24 Tracks-Edition des Samplers auf Doppel-Vinyl. Gedubbt wird in "Half Way To Za-Ion (Za-Lon Dub)" des 4th Street Orchestras: reduziert, perkussiv, gedämpft. Der "Eye Water (Raindrops Dub)" fließt verträumt, der "Silly Dub" fiept betriebsam mit Schnippseln einer Soul-Stimme, der "Jah Man Dub" mit Errol Campbell Computer-lastig, als würde man mit dem Navi einparken.

"Nasty" packt viele analoge Instrumente inklusive Harmonika auf den Dub, der "Blood Ah Go Run + Blood Dem 12" Mix" macht sich allerhand Echo-Effekte zunutze. "Row, Row, Row (Rowing Down The River)" klingt absolut stoned und versunken, "Heights" frickelt so, als würden alle Instrumente unter einer Wolldecke liegen. Die zweite Hälfte von "Marie Pierre - Our Tune" bedient die Sorte tektonischen Dubs mit dicht übereinander liegenden Keyboard-Kaskaden, die sich wie Schlagzeug anhören. "Pebbles - Positive Vibrations" ist klassischer Underwater-Dub nach Art von Joe Gibbs oder Herman Chin Loy aus Jamaika. Und "Take Five" mit der Band The Young Lions variiert den Fußgängerzonen-Klassiker als beschwingten Jazz-Dub, der ein bisschen was von Schlangenbeschwörung hat.

The Young Lions hießen meistens Matumbi, und mit diesem Nontett nahm Dennis Bovell Ende der 70er, Anfang der 80er fünf LPs auf. Für diese Combo steht lediglich das eingängige und peitschende "Raindrops" im Stile von Steel Pulse und Third World, Sänger des wunderbaren Tunes war der längst verstorbene Bagga Fagan. Die Nummer ist super rar und fast nur auf Samplern und zerkratzten sündteuren Forty-Fives von damals zu finden. Der zugehörige Dub lässt das ursprüngliche Lied nicht mehr wieder erkennen.

Weitere Highlights in der Flut an Tracks: "The 4th Street Orchestra – Za-Ion", das zart georgelte "Come With Me", das Soul-infundierende "African Stone - Choose Me" (1978), der technisch verfremdete Rub-a-Dub "Brain Damage" mit Dennis in einer Stimmlage ähnlich seines Landsmanns Eddy Grant, das bebend intonierte und rare "Joshua Moses - Africa (Is Our Land)" und der lockere Soul-Reggae-Pop "Delroy Wilson - Hooked On You". Delroy war Reggae-Pionier der ersten Stunde und starb 1995 recht jung an einer Leberzirrhose. Am Gesangs-Track klebt die sogenannte "Version", die nur Drum, Bass, Gewabbel und ein bisschen in die Ferne herunter gemischte Stimme enthält. So produzierte man damals in der Regel die B-Seiten der Vinyl-Singles.

Was wahnsinnig zu kurz kommt und nach einem zweiten Teil schreit: Bovells Rolle als Frauenförderer für Londons Teenager-Mädchen Louisa Mark, die hier komplett fehlt, für Janet Kay, Angelique, Brown Sugar und allen voran Marie Pierre. Sie sei die Erste gewesen, bei der er ausprobiert habe, eine Art englisches Gegenstück zu den Supremes im Reggae zu kreieren. Hört man Maries einziges Album, gelang das hervorragend. Ihre enorm berückende und betörende, intim am Ohr des Hörers säuselnde Stimme ist auf der Anthology zwei Mal (und auf Vinyl) zu erleben: in "Our Tune" und einer bislang unveröffentlichten Fassung des angejazzten Lovers Rockers "Can't Go Through With Life" auf Disco-Beats, komischer Weise genannt Dancehall-Version, während Marie Pierre hier zu rappen beginnt.

"Janet Kay - Silly Games", ein Lied über Macht in der Liebe, verfehlte im Sommer '79 nur knapp die Spitze der britischen Charts und erreichte Rang zwei, was Reggae selten widerfuhr. Janet machte sich später neben mehreren schönen Platten als Kämpferin gegen die Apartheid im Protest-Song "No Easy Walk (To Freedom)" einen Namen.

Da Bovells Vermächtnis für die Musikbranche einfach nicht in ein, zwei Scheiben gepresst gehört, veröffentlicht BMG Rights das ganze Jahr über jeden Monat ein Dennis-Album digital nach: zum Beispiel im April "Yuh Learn!" (1977) und im August "Audio Active" (1986), daneben Unveröffentlichtes wie im November "Rootz 4 Raverz". In unserem Gespräch gab er mir noch Folgendes mit auf den Weg: Drum-Machines können niemals so elastisch klingen wie echte Menschen am Schlagzeug, weswegen sich der Trend zu den immergleichen Automat-Hi-Hats mindestens für so ein gefühlvolles Genre wie Lovers Rock kaum eignet.

Trackliste

Roots & Dub

  1. 1. African Stone - Run Rasta Run
  2. 2. The 4th Street Orchestra - Za-Ion
  3. 3. The 4th Street Orchestra - Half Way To Za-Ion (Za-lon Dub)
  4. 4. Come With Me (a.k.a. Dennis Curtis)
  5. 5. The 4th Street Orchestra - Run Dem Out
  6. 6. Raindrops (a.k.a. Dennis Matumbi)
  7. 7. Eye Water (Raindrops Dub)
  8. 8. Blood Ah Go Run + Blood Dem 12" Mix
  9. 9. The 4th Street Orchestra - The Grunwick Affair
  10. 10. African Stone - Choose Me
  11. 11. The 4th Street Orchestra - Row, Row, Row
  12. 12. Brain Damage
  13. 13. Chief Inspector
  14. 14. Dub Master
  15. 15. Pow Wow
  16. 16. Silly Dub
  17. 17. Oh Mama Oh Papa
  18. 18. Pickin' Up The Pieces
  19. 19. Caught You In A Lie
  20. 20. After Tonight (Acoustic Version)

Lovers Rock & Dub

  1. 1. Janet Kay - Silly Games
  2. 2. Errol Dunkley - A Little Way Different / Different (12" Mix)
  3. 3. Errol Campbell - Jah Man
  4. 4. Errol Campbell - Jah Man Dub
  5. 5. Angelique - Cry
  6. 6. Good Breed - Heights
  7. 7. I Roy - Get Up Stand Up
  8. 8. Marie Pierre - Our Tune
  9. 9. Captain Morgan + His Merry Men - Tom Hark
  10. 10. Pebbles - Positive Vibrations
  11. 11. Errol Campbell - African Queen
  12. 12. Joshua Moses - Africa (Is Our Land)
  13. 13. The Young Lions - Take Five
  14. 14. Gladwin Wright - Portrait of You
  15. 15. Delroy Wilson - Hooked On You
  16. 16. Johnny Clarke - Guide Us, Jah
  17. 17. Julio 'Dreadful' Finn - Nasty
  18. 18. Marie Pierre - Can't Go Through (Dancehall Version)

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