laut.de-Kritik

Maximale Beliebigkeit als Konzept.

Review von

Der AMG ist der Russenhocke gewichen. Etwas mehr als ein Jahr nach seinem Erfolgsalbum "Berlin Lebt" hat es Deutschlands erfolgreichster Rapper auf dem Cover des Nachfolgers längst nicht mehr nötig, mit Statussymbolen zu protzen.

Der Berliner bricht Rekord um Rekord und lässt Musikkritiker ratlos, wie sie dem Phänomen Capital Bra begegnen sollen. Dabei hätte uns schon "Berlin Lebt" auf das vorbereiten können, was da auf uns einbricht. Wenn er denn nur wolle, schreibe er fünf Songs in einer Nacht, tönte der Bratan da. Und das er will im Moment, daran lassen die sechzehn Nummer-eins-Hits und das nunmehr vierte Album seit Anfang 2018 überhaupt keinen Zweifel.

Für "Berlin lebt 2" hat er sich Buddy Samra als Kollabo-Partner ins Boot geholt (böse Zungen frotzeln, dass der schlicht der einzige ist, der mit der schier unmenschlichen Produktivität der bratanschen Nächte einigermaßen mithalten kann). Gemeinsam schaffen die beiden das Kunststück, dass man schon beim Lesen des jeweiligen Titels weiß, wie der zugehörige Song klingt. Auch das ist Wiedererkennungswert.

Dabei beginnt das Album mit "Berlin Lebt Wie Nie Zuvor" eigentlich recht vielversprechend. Über einen orientalischen Plastik-Beat präsentieren sich Samra und Capi erfreulich giftig, wenngleich sich schon erahnen lässt, dass in der kommenden Stunde textlich wirklich ganz wenig Innovatives passieren wird. Mit "Weibern", Zigaretten, Alkohol und Designermarken werden schon einmal die alles beherrschenden Elemente des Albums eingeführt. Dazu gibt's eine dem eigenen Ruf angemessen eindringliche bis aufdringliche Hook - und die natürlich gleich zweimal hintereinander.

Wir haben gelernt nicht bei den Bullen zu singen“, fährt Capital Bra auf "Nummer 1" des Hip Hops geliebtesten Allgemeinplatz auf. Für die Songs gilt das leider nicht. Der immer etwas zu klebrige Singsang des Bratans geht schon kurz nach Beginn gehörig auf die Nerven, während Samra, bei dem man tief im Inneren irgendwie noch überzeugt sein möchte, dass er eigentlich doch ein ganz passabler Rapper ist, sich dem innovationslosen Vortrag seines Partners nahtlos anpasst. Hat Samra mit seinem hungrigen Flow und der signifikanten Stimme beim ersten Mal noch ziemlich beeindruckt, galt das beim zweiten Mal nun mal schon deutlich weniger und ist beim zehnten Mal eben so gar nicht mehr der Fall.

Gänzlich auf Verwaltungsmodus schalten auch die beiden Veteranen Beatzarre und Djorkaeff, die alle achtzehn Beats auf "Berlin 2" beisteuern. Was das Produzenten-Duo auffährt, ist dabei durchgehend handwerklich solide und maßgerecht auf das Rapduo geschneidert - aber eben auch denkbar unaufregend. Und genau das soll es auch sein: Maximale Beliebigkeit als Erfolgskonzept.

Zählte Kollege Lechler zum Release von "CB6" vor einem halben Jahr noch entrüstet die "Leleles", ist mein Wille zum Widerstand gegen die Allgegenwärtigkeit des Bratans bereits merklich gebrochen. Wirklich Ärger kommt allenfalls noch über die Selbstgefälligkeit auf, mit der einem diese absolute Lieblosigkeit aufgetischt wird. Dass für Capital und Samra „Marlboro-Gang, Marlbo-Marlboro-Gang. In Gucci, Louis, Louis, Gucci, Louis, Louis. Marlboro-Gang, Marlbo-Marlboro-Gang. In Gucci, Louis, Louis, Gucci, Louis, Louis“ offenbar unironisch eine Hook darstellt, etwa. Oder dass Samra seinen Part danach ohne Schamgefühl mit „hier kommen die Besten aller Zeiten“ beginnt. Sonst fällt es schlicht schwer, ernsthaft Emotionen gegenüber einem Album aufzubringen, in das die beiden Protagonisten augenscheinlich so überhaupt keine gesteckt haben.

Nach besagtem Tiefpunkt "Mr. Miyagi" und dem erschreckend abgedroschenen "110" zeigt die Formkurve zu Beginn der zweiten Albumhälfte immerhin wieder merklich nach oben. "Huracan" und "Satellit" greifen das Energielevel vom Anfang noch einmal auf. Dazu droppt Samra berührende Zeilen direkt aus dem Leben: "Zwanzig Darby Huper in 'nem Huracán. Und der Kafa ist Havanna (Havanna-na-na). Mit Day-Date am Arm in der U-Bahn fahren" - wer kennt es nicht?

Ebenfalls als Besonderheit hervorzuheben ist "Colombiana". Das gilt in diesem Fall nun nicht direkt für die musikalische Ebene, obwohl es dankenswerterweise der gefühlt erste Track seit dem Opener ist, der nicht mit einer (doppelten) Hook beginnt. Vielmehr verpackt Capital die Ansage an den ehemaligen Labelchef Bushido, die er Anfang Februar bereits über Instagram veröffentlicht hatte, nochmal in einen vollständigen Track. Der ist textlich zwar bestenfalls solide, aber doch durchaus ansprechend vorgetragen.

Mit "Lieber Gott" beschließt das Album schließlich der Song, vor dem ich mich beim Durchlesen der Tracklist am meisten gefürchtet habe. Nicht zu Unrecht, wie sich zeigt. Capi und Samra schöpfen aus dem Vollen und präsentieren ein Musterbeispiel des obgliatorischen tiefsinnigen Tracks, der am Ende eines jeden seelenlosen Rapalbums stehen muss. „Tilidin ist Gold, doch ich hasse dieses Zeug. Ich hab's genommen und hab's bereut, lasst die Finger von dem Scheiß sein [sic]“. Alles getreu dem Motto: was interessiert mich mein Geschwätz der siebzehn Lieder zuvor?

Auch Ende 2019 ist die Produktivität des Bratans durch nichts und niemanden zu brechen. Und es wäre doch gelacht, wenn das für dieses Jahr schon alles wäre. Denn noch hat er ja zwei Monate Zeit. Bei optimaler Ausnutzung aller gegebenen Nächte macht das knapp 450 Songs. Da kommt noch was auf uns zu, versprochen ... darauf zur Beruhigung erstmal zwanzig Darby Huper in meinem Huracán.

Trackliste

  1. 1. Berlin Lebt Wie Nie Zuvor
  2. 2. Tilidin
  3. 3. Tranquillo
  4. 4. Nummer 1
  5. 5. Kalt Bruder
  6. 6. Kriminal 2
  7. 7. So Alleine
  8. 8. Safe
  9. 9. Mr. Miyagi
  10. 10. 110
  11. 11. Huracan
  12. 12. Satellit
  13. 13. Milly 9
  14. 14. Purple Rain
  15. 15. Pam Pam Pam
  16. 16. Zombie
  17. 17. Colombiana
  18. 18. Lieber Gott

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