laut.de-Kritik

Gelungene Beatles-Interpretationen mit einem Augenzwinkern.

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"Brad Mehldau ist der wohl größte lebende Jazzpianist. Sicherlich einer der top fünf", schreibt die Zeitschrift New Yorker zur Veröffentlichung dieses Albums. Beides zutreffend - die Einordnung des Künstlers und auch das Augenzwinkern. Egal, wessen Stücke er spielt - ob von Radiohead, Johann Sebastian Bach oder seine eigenen -, ein verschmitztes Lächeln ist bei Mehldau ein steter Begleiter.

Nun also die Beatles. Das Album war schon fast eine Auftragsarbeit. Nachdem Mehldau 2018 in der Philharmonie de Paris ein Solokonzert zu seinem Album "After Bach" gespielt hatte, fragten ihn die Verantwortlichen zwei Jahre später, ob er nicht Lust habe, sich an der Band aus Liverpool zu versuchen. Mehldau war sich zunächst nicht sicher, sagte dann aber zu. Schließlich war die erste Corona-Welle gerade vorbei und Abwechslung willkommen.

Er beschloss, keines der Beatles-Stücke zu spielen, die er bereits interpretiert hatte. Und die ganz großen Klassiker herauszulassen. Dennoch keine ungefährliche Angelegenheit, schließlich ist selbst Paul McCartney dazu übergegangen, die Lieder seiner Über-Ex-Band so originaltreu wie möglich darzubieten, als Dienst an die Fans. Eine Jazz-Interpretation von "Yesterday" oder "Let It Be" hätte vermutlich Shitstorms ausgelöst.

Auch so bleibt genügend herausragendes Material zur Auswahl. Den Anfang macht ein Stück, in dem sich John Lennon über all diejenigen lustig machte, die versuchten, obskure Bedeutungen in Beatles-Songs zu finden. Im Original eine psychedelisches Rockstück mit Verzerrungen und Streicheinlagen, arbeitet Mehldau den schrägen Charakter von "I Am The Walrus" gut heraus.

Nahtlos geht es in den Titeltrack über. Hier war McCartney der Hauptautor und erzeugte am Klavier jenen für ihn typischen Swing, der viele seiner Stücke prägt und der auf spätere Bands einen großen Einfluss hatte, etwa Supertramp. In einem Interview erklärt Mehldau, dass er als Jazzpianist mit dem Begriff Swing vorsichtig sein müsse und dass er im Pop etwas anderes bedeute als in seinem Stammgenre. Vielleicht ist Boogie der bessere Begriff? Jedenfalls, auch diese Interpretation 'swingt', wie der frühe Klassiker "I Saw Her Standing There".

Dennoch ist "Your Mother Should Know" kein Album, das einen beim Zuhören aus dem Sessel reißt. Eher eines, dem man andächtig lauscht, schließlich ist die Grundstimmung nachdenklich bis melancholisch. Da passt es gut, dass die Reaktionen des Publikums - das Album wurde in Paris live mitgeschnitten - klanglich entfremdet wirken.

Mehldau gelingt es, die Stücke nicht zu entfremden. Eher dekonstruiert er sie, um dann einzelne Stränge für Improvisationen zu nutzen. Doch auch hier geht er behutsam vor - "For No One", "She Said, She Said" und "If I Needed Someone" bleiben unter drei Minuten. In "Baby's In Black", "Maxwell's Silver Hammer" und "Golden Slumbers", mit über acht Minuten das längste Stück, lässt er sich dagegen etwas mehr gehen.

Nur eine Interpretation gelingt nicht so recht. "Here, There And Eveywhere" war McCartneys erfolgreicher Versuch, ein Stück im Stil von "God Only Knows" der befreundeten Beach Boys zu schreiben. Mehldau scheitert daran, die wunderbaren Gesangsharmonien umzusetzen.

Nach neun Stücken von Lennon/McCartney und einem von George Harrison endet das Album mit einem "fremden", nämlich David Bowies "Life On Mars" - aus Mehldaus Sicht ein Beispiel, wie sehr die Beatles die folgenden Musikergenerationen beeinflusst haben. Eine Stelle im Refrain spielt er so, dass sie an ein unsägliches Stück von Britney Spears erinnert, "Oops...! I Did It Again". Da ist es wieder, das Augenzwinkern.

Trackliste

  1. 1. I Am The Walrus
  2. 2. Your Mother Should Know
  3. 3. I Saw Her Standing There
  4. 4. For No One
  5. 5. Baby's In Black
  6. 6. She Said, She Said
  7. 7. Here, There and Everywhere
  8. 8. If I Needed Someone
  9. 9. Maxwell's Silver Hammer
  10. 10. Golden Slumbers
  11. 11. Life On Mars?

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