14. Juni 2019

"Wir sind die Diener unserer Songs"

Interview geführt von

Vier Jahre nach ihrem letzten Album "Purple" und der 2015er Grammy-Nominierung in der Kategorie Best Metal Performance für die Single "Shock Me" sind die Progressive-Sludger von Baroness mit einem bärenstarken fünften Album zurück.

Mit "Gold & Grey" haben die Amerikaner den Nachfolger zum 2015er Album "Purple" in die Startlöcher gebracht, auf dem sie den tragischen Busunfall im englischen Bath während der 2012er Tour zu "Yellow & Green" verarbeiteten. 2019 feiern sie das Chaos und gehen neue musikalische Wege. "Gold & Grey" ist das bislang experimentellste Werk der Band. Es ist auch das letzte Album von Baroness' chromatischer Albumreihe.

Derzeit befinden sich Baroness auf großer USA-Tour, um ihr brandneues Album zu supporten. Wenige Tage vor dem Start der Tour sprachen wir mit Sänger und Gitarrist John Baizley über die neue Platte, ihren Titel und ihr Artwork, musikalischen Eklektizismus, Improvisation und Psychedelia.

Da Baizley wegen Promo-Arbeiten gerade auf dem Weg von Pennsylvania nach New York war und im Stau stand, verzögerte sich das Telefoninterview kurzfristig. Dafür hat er sich dann aber ausführlich Zeit genommen. Leider gab der Akku seines Telefones am Ende des Interviews den Geist auf, weswegen unser Gespräch etwas abrupt endete.

Hey John.

Hi Dominik, wie geht es dir?

Hey, mir geht’s gut und dir? Ich hoffe bei dir ist alles klar?

Yeah, Yeah. Mir geht’s gut. Ich musste heute von Pennsylvania nach New York City. Also fuhr ich in die Stadt und versuchte alles so zu planen, dass ich nach Manhatten komme und dort von einem Parkplatz aus das Interview mache. Aber ich blieb im Verkehr stecken. Vielen Dank also für deine Geduld.

Absolut kein Problem. Erst einmal Glückwünsche zu eurem neuen Album …

… Danke!

Wie fühlt es sich an, mit der Platte auf Tour zu sein und die neuen Songs zu spielen?

Es fühlt sich unheimlich gut an. Die Zyklen, innerhalb derer wir Alben veröffentlichen, sind ja recht lange, weil wir in der Vergangenheit öfter das Line-Up ändern mussten oder jemand aus der Band ausstieg. Seit unserem letzten Album sind also ein paar Jahre vergangen. Zwischen "Purple" und dem jetzigen Album spielten wir enorm viele Konzerte. Jetzt die Möglichkeit zu haben, neues Material vorzustellen, ist ein sehr erfrischendes Gefühl.

Das ist gut zu hören. Wie reagiert das Publikum auf die neuen Songs?

Ich würde sagen unglaublich positiv. Absolut. In all der Zeit, in der wir bereits Musik machen, habe ich gelernt, dass es durchaus riskant sein kann, neue Songs vor Erscheinen der Platte zu spielen. Die fehlende Vertrautheit mit den Songs kann im Publikum manchmal dazu führen, dass sich die Leute nicht mit den Stücken verbunden fühlen, wenn sie diese zum ersten Mal in Echtzeit im Konzert hören. Ich denke, dass die neue Platte auf seltsame Art und Weise eine der bizarrsten ist, die wir je gemacht haben. Trotzdem war bei den Songs die wir davon bis jetzt gespielt haben eine Unmittelbarkeit und Direktheit zu spüren. Das coole daran ist, dass die neuen Songs live echt gut kommen und das ist bereits jetzt eine gute Erfahrung.

"Gold & Grey" ist wegen seines Eklektizismus und seiner Komplexität ein sehr unorthodoxes Album geworden. Was reizte euch daran, eine so große Bandbreite musikalischer Elemente von slugdigen Riffs über Progressive Rock, Jazz, Krautrock, Postrock, Black Metal bis hin zum Minimalismus des 20. Jahrhundert im Stile von Terry Riley und Steve Reich zu verarbeiten?

Ha, schön (freut sich)! Bereits wenn du es so sagst klingt es interessant. Das ist eine sehr gute Reflexion des Umfangs von Ideen, an denen wir über den Verlauf unserer Geschichte interessiert waren. Gleichermaßen ist es aber auch ein sehr guter Hinweis auf die kreative Ausrichtung des aktuellen Line-Ups der Band. Ich denke viele der Ideen, die Explorationen, Töne und Texturen, die Atmosphären und die stilistischen Entscheidungen, die wir bei der Platte getroffen haben, machten uns erst in letzter Zeit selbstsicher genug und technisch fähig, das Ding so durchzuziehen, dass es sich authentisch anfühlt. Das war immer mein Ziel. In einer Band wie Baroness kann es sehr einschränkend sein, einem Genre immer treu zu bleiben, oder sich zu sehr mit einem Stil und dessen Regelhaftigkeiten zu identifizieren. Gerade für Baroness wäre das ein großer Fehler. Es würde uns lediglich das Werkzeug geben, einen kleinen Prozentsatz dessen auszudrücken, was wir als Musiker fühlen. Die musikalische Vielfalt ist eine Erweiterung unseres Sounds und hoffentlich eine, die es uns auch in der Zukunft erlaubt, weiterhin über den Tellerrand zu blicken.

Wie beeinflussten das stark im Zentrum stehende rhythmische Zusammenspiel von Schlagzeuger Sebastian Thomson und Bassist Nick Jost sowie der Input der neuen Gitarristin Gina Gleason deine Herangehensweise an das Songwriting? Wie habt ihr als Team zusammen gearbeitet?

Das Endergebnis dieses Albums ist der kollaborativste Ausdruck von Baroness, den wir auf einer Platte je hatten. Das hängt mit der Zeit zusammen, die wir zu viert hinein investiert haben. Alle diese Erfahrungen, alle Texte, alle Konzepte gehen darauf zurück. Zwar schreibe ich die Texte, erschaffe das Artwork und letztlich ist auch meine Stimme zu hören. Aber ich will nicht, dass Baroness als das Projekt von John Baizley abgestempelt werden, bei dem andere Musiker nur die Statisten sind. Die Erfahrung, die Gina als Musikerin in die Band mitbrachte, erlaubte uns, die Dinge in neue Bereiche zu schieben. Sie ist eine fantastische Gitarristin und hat eine unglaubliche Technik. Gina und ich entwickelten unseren jetzigen Stil zusammen und klingen dadurch gemeinsam noch verschrobener als jeder von uns alleine.

Das klingt nach einem spannenden Entwicklungsprozess.

Unser Ziel ist es, etwas Anderes und Einzigartiges zu machen. Nicht um der Einzigartigkeit willen, nicht um der Andersartigkeit willen, sondern wegen des Entdeckens dessen, was wir als Band sind und wie wir das individualistisch ausdrücken können. Um das tun zu können, brauchen wir Technik, Erfahrung und eine gute Chemie zwischen uns vier. Dazu braucht es viel an gegenseitigem Vertrauen. Wir konnten diese Platte nicht schreiben, bevor ich ein tiefgreifendes Vertrauen in die anderen drei Musiker hatte, mit denen ich spiele. Zum ersten Mal in der Geschichte der Band habe ich nicht in aller Gesamtheit verstanden, was Sebastian, Nick oder Gina machen und umgekehrt ging es ihnen mit mir so. Wir agieren alle unabhängig voneinander, aber in einer Art, die das Kollaborative, das intuitive Moment und die Improvisation fördert und unterstützt. Das erlaubt uns auch zu sehen, wie wir Bandmitglieder als Diener unserer Songs und unserer Platte handeln. Unsere Songs sind wichtiger als jemand von uns vier und die Platte ist noch wichtiger. Wir wachsen seit Jahren an der Demut gegenüber unserer Musik und diese Fähigkeit ist auf "Gold & Grey" zu neuer Blüte gelangt.

"Gold & Grey" ist also die klarste künstlerische Vision von Baroness, die ihr bisher erarbeitet habt?

Das ist es. Genau das ist es. Jedes unserer Alben ist eine Verbesserung gegenüber seinem Vorgänger. Wir versuchen uns mit jedem Album zu erweitern, zu entwickeln und zu wachsen, um größer und besser zu werden. Für jedes Album haben wir ein loses Konzept, damit wir uns das leichter von der Hand geht. Bei "Gold & Grey" fühlt es sich an, als wäre die Verbesserung ein selbstbewusster Sprung zu etwas, das mir immer noch rätselhaft erscheint. Der Schlüssel liegt darin, dass wir uns in dem, was wir taten, gut fühlten, ohne dabei jedoch eine Idee davon zu haben, wie es am Ende klingen würde. In jedem Song liegt ein Element der Überraschung, des Geheimnisvollen und ebenso viel Chaos, Verwirrung und Leidenschaft. Wir hörten bei allen Liedern auf unser Bauchgefühl und unseren Instinkt. Am Ende stellten wir sie so zusammen, dass dabei ein Album herauskam, das größer ist als seine einzelnen Teile.

War es eine kathartische Erfahrung für dich, dieses Album zu schreiben und aufzunehmen?

Das ist es immer. Aber mit "Gold & Grey" fühlte sich das Ausmaß dieser Katharsis und ihr Ausdruck wesentlich, wesentlich tiefer an. "Purple" war eher ein scharfkantiges Album mit kürzeren Songs und eingängigen Elementen. Für mich war es ein Album der Rehabilitation, um meine Kreativität wieder zurückzuerobern und meine Lebensrealität wieder in den Griff zu bekommen nach all den chronischen Schmerzen, den Frustrationen und der Depression. Auf "Gold & Grey" ist diese Perspektive viel breiter, dort steht dieses Konzept allumfassend für die Gesamtheit an Erfahrungen des menschlichen Lebens.

Verstehst du "Gold & Grey" somit, metaphysisch gesehen, als dein eigenes Höhlengleichnis im platonischen Sinn, in dem ein neues Verständnis der Dinge aus Schmerz und einem Sprung in das Unbekannte entstehen?

… (Überlegt und antwortet betont) ja! Ich gehe alle unsere Alben mit diesem Ansatz an. Für mich ist der Umfang an Klarheit und Verstehen, den ich durch "Gold & Grey" entwickelt habe, von enorm hohem Ausmaß. Die Intensität der Negativität und des Schmerzes ist in einer Eigentümlichkeit tiefer geworden, die für mich gut funktioniert. Aber das Resultat meines introspektiven Blickes auf meinem Gebrauch von Musik, bildender Kunst und Texten, um diese Dinge zu umhüllen, hat auch die Positivität verstärkt. Mein Gespür für Perspektive und Realität wurde auf seltsame Art und Weise schärfer. Ich denke, das ist ein doppelschneidiges Schwert. Es ist gut und schlecht. Es erlaubt mir, ehrlicher meinem Songwriting gegenüber zu werden. Aber die Ehrlichkeit kommt manchmal mit einem Preis daher, und in meinem Falle heißt das, dass ich Dinge in unsere Musik integriere, an die ich mich vor fünf Jahren nicht getraut hätte.

"Gold & Grey" ist nach dem Unfall in Bath 2012 also so viel wie ein neues Dasein-in-der-Welt und ein neuer Status Quo. Ihr habt erneut mit Producer David Fridmann gearbeitet und zum ersten Mal essentielle Gitarren- und Gesangsparts bei dir im Homestudio aufgenommen. In welchem Ausmaß trug diese Entscheidung der Findung des neuen Sounds bei?

Ich denke es gab uns die Freiheit, mehr Zeit zu investieren. Es erlaubte uns, mehr Energie für Kernstrukturen der Songs, die rhythmischen Elemente und die kleinen Details aufzubringen. Es erlaubte uns auch, mehr Zeit in tontechnische Aspekte und das Mixing zu investieren. Mir als Sänger nahm es den Druck, in einem eng getakteten Zeitrahmen zu performen und abzuliefern. Den anderen ging es da nicht anders. Bei "Purple" empfanden wir es als einschränkend, mit einem Mikrophon in einem isolierten Raum zu sein und von irgendjemandem, der die Aufnahme betreut, ab und zu Feedback zu erhalten. Zwischen "Purple" und "Gold & Grey" beschäftigte ich mich intensiv mit meinem Homestudio. Während der aktuellen Sessions wussten wir, dass wir die mit Dave entwickelten Ideen auch zuhause fertig machen konnten, um sie genau so auszuarbeiten wie wir sie haben wollten. Diese Sicherheit erlaubte es uns, in allem was wir machten viel tiefer zu gehen und mehr zu experimentieren. Teil dieses Prozesses ist das Verschönern von Ideen und das Aufeinanderschichten mehrerer Gesangs-, Gitarren-, Schlagzeug-, Streicherspuren und Geräusche. Daraus etwas Überzeugendes zu machen gab uns als Band ein tieferes Verständnis dessen, was wir tun. Meine Idee für diese Platte war: kein Kompromiss! Auf dieser Scheibe gibt es nichts Simples, sie ist verdichtet, komplex, manchmal schwer zu verstehen. "Gold & Grey" muss mehrmals gehört werden. Die Komplexität der neuen Songs wird sich nicht durch einmaliges Hören erschließen.

"Das ist Orange, aber ich hasse Orange, schon das Wort bedeutet mir nichts."

Lass uns über den Albumtitel und das von dir gemalte Artwork sprechen. Als Farbe stand Gold schon immer für Kostbares, aber auch für Weisheit, Klarheit und Lebenskraft. Grau hingegen kann als chromatisches Symbol der Regeneration oder als Synthese zwischen den dunklen und lichten Pfeilern des Lebens verstanden werden. Kannst du für uns ein bisschen auf den künstlerischen Zusammenhang zwischen dem chromatischen Leitmotiv des Albumtitels und dem Artwork eingehen?

Unser erster Drummer Allen Blickle und ich hatten 2006 eine Diskussion über Albumtitel. Ich wollte keine Titel, ich wollte Nummern. Allen fragte mich, warum wir nicht statt etwas Numerischem die Farben nehmen. In der traditionellen Farbenlehre haben wir sechs Farben. Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Violett. Bis jetzt haben wir alles außer Orange verwendet. Das ist Orange, aber ich hasse Orange, schon das Wort bedeutet mir nichts …

… Orange kann eine strenge Farbe sein…

… Ja, wir suchten also nach einer poetischeren Version von Orange. Schon vor dem Schreibprozess konnte ich mich mit der Idee, ein gutaussehendes, orangenes Cover zu gestalten, nicht anfreunden. Irgendwann hatte ich eine orangene Packung Kaugummi in der Jackentasche, die ich zuhause im Bad herausnahm. Vor dem neutral-warmen Grau der Wand meines Bades ergab das einen interessanten Effekt. Rein ästhetisch, vom Standpunkt der Farbenlehre her gesehen, liebe ich die Kombination von Orange und Grau. Ich wusste immer, dass das Cover diese zwei Farben zu großen Teilen beinhalten würde. Als ich die Texte durchging, dachte ich mir: Gold ist eine wesentlich fantastischere Art, Orange zu sagen. Das ist zwar irgendwie ein kleiner Sprung, aber ich mag ihn. Ein wichtiger Punkt für mich war die Bedeutung die den Farben Gold und Grau innewohnt, die ja eigentlich widersprüchlich zu sein scheinen.

Nämlich?

Für mich unterstützen die beiden Farben die auf dem Album behandelten Thematiken. Die Platte beginnt energisch und episch mit lauten Gitarren, metallisch klingenden Drums und sehr eingängigen Melodien. Das mittlere Drittel wollte ich melancholisch gestalten, um die Dynamik etwas herunterzufahren. Dieses Moment kam auf "Purple" zu kurz. Jetzt passt es gut, da wir viele Songs auf akustischen Gitarren schrieben. Im letzten Drittel geht es wieder mehr zur Sache, vor allem beim letzten Song "Pale Sun", der einer der brutalsten ist, den wir je geschrieben haben. Ich kann den Albumtitel vor dem Kontext der Lieder sehr gut rechtfertigen. Das Artwork soll die beiden ausbalancierten Grundideen des Albums visuell widerspiegeln. Gleichzeitig siehst du auch all die Farben, die wir auf den vorherigen Covern hatten …

… das neue Cover vereint also in gewisser Weise die Stationen eures derzeitigen Gewordenseins …

Ja. Auch die Vorstellung, dass Gold und Grau zwei verschiedene Dinge sind, die ausbalanciert werden müssen. So chaotisch wie das ist, so ist auch das neue Album. Für mich ist es daher unser bester Albumtitel. Gleichzeitig ist es auch das letzte Album, das wir nach Farben benennen.

"Das Album enthält Teile, die du einfach nicht wiederholen willst."

Welche Effektgeräte hast du benutzt, um deinen Gitarrensound zu kreieren?

Gina und ich nutzen wahrscheinlich Dutzende von Pedalen auf der Platte. Für mich ist es schwer zu beantworten, wie wir sie verwendet haben. Das kann ich dir gar nicht genau sagen. Gina ist die Pedal-Orgiastin bei uns. Sie weiß immer genau, wie sie Sounds reproduzieren kann. Für mich geht es hauptsächlich um immerwährendes Experimentieren. Meine Einstellung beim Aufnehmen ist: wenn es sich gut anhört und songdienlich ist, dann verarbeite es und mach weiter. Ich will nicht den besten Sound von diesem oder jenem Pedal. Auch wenn ich, was wichtig ist an dieser Stelle, manchmal dabei riskiere, scheiße zu klingen. Wenn du die Platte hörst, dann merkst du, dass sich die Sounds ständig verändern. Wir änderten ständig etwas beim Aufnehmen, sei es die Position der Mikrofone, die Gitarren, die Verstärker, die Effektgeräte oder was auch immer. In jedem Take haben wir etwas verändert. Das ist etwas psychotisch, denn notwendig war es nicht. Ich machte die anderen Bandmitglieder manchmal wahnsinnig damit. Ich denke aber, dass das Endprodukt dieses Mittel rechtfertigt.

Das erinnert mich stark an psychedelische Klangtechniken. Im Pressetext hast du erwähnt, dass du dieses Pink Floyd-Ding durchgezogen hast, indem du verfremdete Audio-Samples von Sprachaufnahmen einiger Deiner Freunde in das Album eingearbeitet hast. Kannst du dazu ein bisschen mehr sagen?

Es passierten einige verrückte Dinge, während wir an der Platte arbeiteten, und die haben wir auch einfließen lassen. "Gold & Grey" ist ein Album der Extreme. Ich erzähle dir eine Geschichte. Als Gina und ich "Tourniquet" mit unseren akustischen Gitarren schrieben, schneite es extrem stark. Unweit meines Hauses stand ein Mast mit einem großen Transformator. Weil aber das Gewicht des Schnees einige Kabel herunterriss, ist er explodiert. Vor meinem Haus war eine violett-blaue elektrische Explosion, die sechs Tage oder so andauerte. Ich nahm es mit einer Kamera auf, weil ich dachte es sieht cool aus. Dabei habe ich auch die Sounds aufgenommen. Das elektrische bzzzzzz und die schreienden Polizisten und Menschen hören sich wahnsinnig und furchterregend an. Diese Sounds haben wir im Song "Borderlines" verarbeitet. Im Text kommt auch das Wort "Nagel" vor, also wir den Sound eines Nagels aufgenommen und eingefügt. "Tourniquet" war der erste Song des Albums, den wir im Studio gemixt haben. Ich war in Daves Studio, als auf einmal die Lichter anfingen zu flackern. Plötzlich explodierte auch dort vor dem Studio ein Transformator. Und dann noch einer. Die großen, weißt du? Super gefährlich! Das ist sonderbar, dachte ich, aber ich bin echt froh darüber, dass wir die Samples im Album haben. Solche Sachen passieren und sie werden zum Teil des Prozesses. Für mich ist das wie lauter kleine Späße in das Album einzubauen. Für "Blankets of Ash" lud ich einige meiner Freunde in das Studio ein, bat sie jeweils ihre schlimmste Geschichte zu erzählen und fügte diese bis zur Unkenntlichkeit manipuliert in den Song ein. Das ergibt ein emotionales und psychologisches Element, das ich anders nicht hätte erschaffen können.

Das hört sich wirklich nach viel experimenteller Arbeit an.

Ja. Auf diesem Album wussten wir nicht wirklich, was wir tun. Wir wussten nur, was funktioniert und was nicht funktioniert. Wir vertrauten da voll und ganz auf uns und dachten uns bei vielen Ideen: was zur Hölle ist das? Das Album enthält Teile, die du einfach nicht wiederholen willst, weil sie körperlich, emotional und kreativ sehr herausfordernd und aufreibend, aber unglaublich bereichernd waren. Es fühlte sich so an, als wäre der Aspekt des Improvisierens auf eine bizarre Art überall präsent.

Habt ihr während des Songwriting-Prozesses viel improvisiert?

Ich denke, das ist alles worum es wirklich geht. Dazu gehört auch das Scheitern. Bei einigen Ideen verrennst du dich einfach und denkst: Oh, das ist mies. Aber auf dem Album sind drei Songs, die komplett improvisiert sind. Wir jammten viel und nutzten dann die Studiotechnik, um das, was wir bereits hatten ohne Overdubs umzuformen. "Pale Sun" zum Beispiel ist wie eine Jam. Eigentlich dachten wir daran, es instrumental zu belassen, denn Gina und ich brauchten über eine Woche, um herauszufinden, wie wir dazu singen können. Letztlich entstanden viele Momente im Augenblick der Aufnahme aus dem Stegreif. Aber es gibt auch Songs wie "Emmett". Ein akustisches Stück das Nick schrieb. Die zweite Hälfte des Songs wird durch das Klavier und die Glocken traurig. Dieser Part war ein anderer Song, den ich geschrieben hatte. Ich legte ihn über Nicks Song, fadete seinen Teil aus und fadete meinen ein. Vielleicht zerstöre ich mit meiner Erklärung die Hörerfahrung, aber es fühlte sich natürlich an. Wir würfelten zwei verschiedene Dinge zusammen, und es klang einfach schön. Diese Herangehensweise ist ein wichtiger und spezieller Baustein des Albums, da es sehr schwierig ist so zu arbeiten.

Du hast vorhin gesagt, dass ihr drei Songs komplett improvisiert habt. Welches sind die anderen beiden Stücke neben "Pale Sun"?

"Pale Sun", "I’d Do Anything" und "Can Oscura" …

… bei "Can Oscura" musste ich an Can denken, die haben einen Song mit dem Namen … [Obscura Primavera; Anm. des Interviewers]

… genau das ist die Referenz (lacht). Das ist ein kleiner Inside-Joke. Du weißt, was ich meine.

War der experimentelle Krautrock für euch eine wichtige Inspirationsquelle beim Schreiben des Albums?

Oh ja. Wir spielten immer schon etwas Krautrock. Wir nutzen das, um uns aufzuwärmen oder einfach nur um Spaß zu haben. Sebastian ist besonders gut darin. Das ist das, war er mit seiner andere Band Trans Am machte. Er kann für eine lange Zeit einen sehr ähnlichen Rhythmus spielen, was den Songs Raum und Zeit gibt zu wachsen – ohne dabei das rhythmische Fundament wesentlich zu verändern. "Can Oscura" war eine Impro-Jam von Sebastian und Nick. Gina und ich spielten einfach mit drauf los. Das Pianostück "Sevens" ist ebenfalls noch improvisiert. "Assault On East Falls" ist ein Synthesizer-Experiment, bei dem Nick, Seb und ich einfach mit unterschiedlichen Ideen aufeinander reagierten. "I’m Already Gone" besteht aus einem geloopten Drum-Beat. Wir musizierten so dazu, dass Seb seinen Beat einfach immer weiter spielen konnte. Wir haben das auch so genommen, da das Stück dadurch eine Vitalität bekommen hat. Die hätten wir anders nicht hingekriegt. Es passierte einfach.

Ja, das Improvisieren befreit die musikalische Konversation beim Spielen auf jeden Fall. Ich habe noch eine Frage zur Klangästhetik von "Gold & Grey". Es scheint etwas Clipping auf dem Album zu geben. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob der Mix mit diesem hohen Grad an Kompression eher einer künstlerischen Entscheidung geschuldet ist?

Es gibt auf dem ganzen Album kein einziges Beispiel für Clipping. Es gibt aber einige extreme Produktionstechniken, auf die wir zurückgegriffen haben. Das beinhaltet auch einen sehr unorthodoxen Umgang mit Kompression. Aber ich denke, ein Teil von Daves Genius ist seine Bereitschaft, Dinge manchmal zugunsten eines künstlerischen Effektes bis zu einem sehr extremen Punkt zu pushen. Ich bin mir bewusst, dass es auf Youtube einige Diskussionen hinsichtlich Clippings gibt bei unseren Alben. Einer der wichtigsten Punkte von Produzent Dave Fridmann und unserem Mastering-Ingenieur Greg Calbi ist es aber, Clipping in jedem Fall zu verhindern. Es gibt definitiv kein Clipping. Es gibt allerdings einiges an harmonischer Verzerrung und oft eine extreme Kompression. Ich bin zufrieden und glücklich mit der Platte. Ich glaube die Reaktionen der meisten Leute beziehen sich in ihrer Kritik auf "Throw Me An Anchor". Aber alles auf "Gold & Grey" ist intentional und war somit eine bewusste Entscheidung. "Throw Me An Anchor" ist nur ein Teil des ganzen Albums. Außerhalb dieses Kontextes mag es sicherlich extrem klingen. Viele Fans denken, dass wir unseren Sound klarer und klinischer gestalten, jetzt wo wir größer geworden sind. Aber das ist nicht der Fall. Wir werden mit zunehmendem Alter extremer.

In dieser Hinsicht passt die Entscheidung sicherlich gut zum losen psychotischen Konzept hinter dem Album.

Ja, vieles auf dem Album ist verzerrt und in besonderem Ausmaß eben bei "Throw Me An Anchor". Ich verfremdete die Gesangsspuren zum Teil mit einem Distortion-Pedal. Genau wie die Ambient-Mikrofone des Schlagzeuges. Beim Gesang gibt es zusätzlich zur verzerrten Spur noch eine unverzerrte. Ich denke, die meiste Kritik betrifft den Drum-Sound. Wir jagten die Spuren durch einen von Daves Kompressoren, der bis zum geht nicht mehr aufgedreht war. Für mich klingt das großartig. Wir versuchen neue Wege des Recordings und der Präsentation von Musik für uns zu entdecken, die bisher ungehört sind. Da hast du immer das Risiko, dass es jemandem nicht gefällt. Die herkömmlichen Wege des Hörens gerade mit einem Song wie "Throw Me An Anchor" in Frage zu stellen ist Teil dessen, worum es uns bei Baroness geht. "Gold & Grey" ist eine Erfahrung und eine Herausforderung. Wir haben viele Momente extra so gestaltet, dass sie herausfordernd sind.

Eine letzte Frage. Ist das euer ganz eigenes Verständnis von Psychedelia?

Ja, wir wollten ein Ebene von Psychedelia auf unserem Album haben. Aber ich hoffe, dass sich die Erwartungen unserer Fans dahingehend bewegen, dass wir eine neue Art von Psychedelia finden. Bei uns ist das nicht dazu gedacht, um relaxed und chilled zu sein. Die Schönheit dieser Elemente hat bei uns eine harschere und psychotischere Seite. Das ist unsere Art von Psychedelia.

Das steht ganz im Sinne von Aldous Huxley und Humphrey Osmond, die diesen Begriff aus den griechischen Wörtern "psyche" (Seele) und "delein" (Offenbaren) zusammensetzten.

Genau. Wenn wir als Band danach streben, die menschliche Erfahrung ernsthaft auszudrücken und ebenso ernsthaft versuchen, dabei die äußerlichen Ebenen abzulösen, um die Seele zu enthüllen, so hoffe ich, dass niemand erwartet, dass das etwas Schönes ist. Es ist schön, dunkel, schonungslos, erhaben, es ist alles zusammen. Wir versuchen, dies alles durch unsere Musik auszudrücken. Das kann unangenehm werden, aber das Leben ist eben nicht charmant.

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