laut.de-Kritik

Eines der stärksten Deutschrap-Debüts der vergangenen Jahre.

Review von

"Man muss ganz tief sinken, um an den Punkt zu gelangen. So richtig am Arsch sein, um von vorne anzufangen." Zwar treten Abgesänge auf den Hip Hop in schöner Regelmäßigkeit auf, doch Babsi Tollwut macht auf ihrem Debütalbum nun ernst. Als Trümmerfrau des Rap räumt sie die Überreste eines sich in weiten Teilen der kapitalistischen Logik unterwerfenden Genres aus dem Weg, um es neu erstrahlen zu lassen. Eindringlich vorgetragen, aber musikalisch regelrecht leichtfüßig leitet sie mit dem Titelsong "HipHop Ist Am Arsch" ein inhaltlich vielseitiges wie durchdachtes Album ein.

Die Vorabsingle "Fischfänger" lieferte einen ersten Eindruck von ihren Fähigkeiten. Babsi Tollwut arbeitet sich darin von vermeintlich harmlosen Vorurteilen wie die fehlenden mathematischen und sportlichen Fähigkeiten des weiblichen Geschlechts bis hin zur Selbsthass evozierenden Stigmatisierung der Menstruation am Thema Alltagssexismus ab: "Der Körper, in dem ich wohne, ist ein Defizit. Ich brauch' Hygieneartikel, weil er ekelig ist". Die strukturelle Gewalt spiegelt sich dann auch im Instrumental, das einem musikalischem Boxkampf gleich Hiebe verteilt.

"Alles, was du kannst, muss ich gar nicht erst probieren: Boxen, rappen, Auto fahren, ja, sogar ejakulieren", hält sie in "Pro Popo" Frauenfeinden derart selbstbewusst entgegen, dass sich der eine oder andere durchaus eingeschüchtert fühlen mag und sich in die Vorstellung flüchtet, es mit einer "Langhaarlesbe" zu tun zu haben. Solchen Kategorisierungen verweigert sie sich nicht nur, sondern kanzelt sie kurzerhand als "Wunschfantasie" ab: "Die Cis-Typen da draußen haben sowieso nur Angst vor mir, weil ich doppelt so viel saufen kann und trotzdem ihren Schwanz polier'".

Ihre putzigen Ansagen gegen Homophobie ("Du hast Angst vor Männerärschen und ich küsse deinen Po") hätten sicher auch Rio Reiser gefallen. Bezug nehmend auf "Der Traum ist aus" von Ton Steine Scherben schildert sie in "Rio" herzerwärmend die Diskrepanz zwischen den Kindheitsträumen von einer besseren Welt und der ernüchternden Realität. Mitunter komme sie sich wie ein "Trottel" vor, auf eine gerechtere Zukunft hinzuarbeiten, doch zugleich leitet sie aus der Vorarbeit Reisers eine Verpflichtung ab: "Rio sagte auch, [...] dass wir alles tun sollten, dass er Wirklichkeit wird".

"Ich hab' lange gedacht, ich bin hier der einzige Freak, bis ich gemerkt hab', dass ihr euch alle nur belügt." "Badewasser" zeigt, dass Babsi Tollwut neben Politpunk auch Gangsterrap verinnerlicht hat. Die rohe Atmosphäre des Songs erinnert deutlich an "Carlo, Cokxxx, Nutten" von Bushido und Fler. Selbstredend betreibt sie dabei keinen "Stress ohne Grund", sondern wandelt den Frust über die herrschenden Zustände in eine produktive Aggressivität um: "Wenn das 'ne Phase ist, dass ich empathisch bin mit obdachlosen Pennern, möchte ich diese Phase lebenslang verlängern".

"Bushido In Mir" greift die Vorbildfunktion des Berliners dann gleich auch im Titel auf. Zu melancholischem Boom Bap beschreibt sie ihre emotionale Isolation: "Einsame Zweisamkeit, ich bleibe alleine. Du kommst nicht zu mir durch, nur zwischen meine Beine. Auch ungestellte Fragen werde ich verneinen und wenn ich mal allein bin, vielleicht weinen". Auf ähnliche Weise erhob dieses Jahr schon Spax auf "Diamanten & Pechstein" die Einsamkeit zur tiefsten Wahrheit. Der Bass ähnelt dann auch zunehmend einem Hämmern gegen die eigenen eng gesetzten Grenzen zur Außenwelt.

In ihrer Abkapselung wälzt sich die Rapperin "Schlaflos" im Bett. Dabei mäandert der trappige Song zwischen nervenzerrender Schlaflosigkeit und mit Todessymbolen gespicktem Traum. Die hochfrequenten Hi-Hats dominieren als aufdringliche Ablenkung dann vor allem in den Wachphasen. Auch in "Hütehund" gibt sich Babsi Tollwut orientierungslos. Während im Hintergrund die Wölfe heulen, gibt sie wie zur Selbstberuhigung im Angesicht der Gefahr einen beständigen Lalala-Gesang zum besten. Der dazu vorgetragene Text eröffnet weite Interpretationsspielräume.

Während sie sich in "Blasenprobleme" mit psychosomatischen Erkrankungen auseinandersetzt, kreisen ihre Gedanken in "Kristalle" um die Frage, ob es richtig ist, ein Kind in die Welt zu setzen. Und bevor am Ende im Remix erneut der "Fischfänger" zuschlägt, präsentiert Babsi Tollwut im letzten regulären Song "Ich Lebe" das sensible Gegenprogramm zur harschen Single: "Du nimmst zärtlich mein Herz und wiegst es rhythmisch in den Händen." Wohl dosierter Kitsch und Meeresrauschen untermalen ein Liebeslied, dessen Adressat sie erst zum Schluss als die Musik offenbart.

"Das hier ist kein Lifestyle, das ist 'ne Haltungsfrage." "HipHop Ist Am Arsch" erweist sich als leidenschaftliches und relevantes Werk, das mit einer enormen Themendichte aufwartet. So wie sich ihr Pseudonym aus dem denkbar harmlosesten Kosenamen und dem Zustand unkontrollierter Rage zusammensetzt, schwankt ihre Musik zwischen zart und hart. Dazu schlägt sie sich im Vergleich zu ähnlich engagierten Rapperinnen wie Sookee auch technisch wacker. Babsi Tollwut atmet Hip Hop und bringt damit eines der stärksten Deutschrap-Debüts der letzten Jahre hervor.

Trackliste

  1. 1. HipHop Ist Am Arsch
  2. 2. Fischfänger
  3. 3. Blasenprobleme
  4. 4. Schlaflos
  5. 5. Badewasser (mit Spezial-K)
  6. 6. Bushido In Mir
  7. 7. Pro Popo
  8. 8. Immerhin (mit Torkel T)
  9. 9. Rio
  10. 10. Kristalle
  11. 11. Hütehund
  12. 12. Frühling Wird Es Doch
  13. 13. Ich Lebe
  14. 14. Fischfänger (Stormi-Remix)

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LAUT.DE-PORTRÄT Babsi Tollwut

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25 Kommentare mit 89 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Lena Störfaktor, Pressluft Hanna und jetzt halt die. Nein, sorry, echt nicht. Finde es super, dass laut female MCs supportet, das ist wichtig. Aber 5/5? Stärkstes Deutschrap-Debüt der letzten Jahre? Wer soll das ernst nehmen? 2/5, weil die attitude stimmt. Pumpe derweil den neuen Track von Die P. Die Frau ist on fire! https://www.youtube.com/watch?v=FCL_WTfFTTs

  • Vor 4 Jahren

    Nice Texte, nice Frau aber sowas von schlechte Beats.

  • Vor 4 Jahren

    Supertolle Review zu einem superwichtigen Album, danke Dominik! Babsi legt einfach den Finger in die Wunde des heteronormativen Zeitgeists! Dafür KANN man KEINE Andere Wertung als 5/5 geben! Danke für dieses Meisterwerk Babsi und Keep on Fighting!
    Die Kommentare hier zeigen halt wieder sehr deutlich, was auch im Jahre 2019 (fast 2020) noch im pubertären Gehirn von CiS-Incels so vor sich geht...sehr traurig. :(

    • Vor 4 Jahren

      ...wer hat dich eigentlich raus aus der Küche und ran an die Tastatur gelassen?

    • Vor 4 Jahren

      Ja? Finde Deinen Kommentar sehr verwunderlich. Abgesehen von dem einen Post von Ragism, der sich explizit auf die feministischen Inhalte von Babsi bezieht, lese ich hier ganz überwiegend Kommentare, die schlicht aufgrund der musikalischen Qualität die 5/5 Wertung maßlos übertrieben finden. Was das mit pubertären Gehirnen von CiS-Incels zu tun hat, kann ich nicht nachvollziehen, und finde es auch ne ziemlich miese Unterstellung. Von Little Simz über Yugen Blakrok und Rapsody bis zu Kate Tempest und der von mir oben verlinkten Die P: 3/4 des Raps, den ich 2019 intensiv gehört habe, kam von Frauen. Und die genannten sind alles Artists, die auch in der Community hier ziemlich gefeiert wurden (Ausnahme Tempest). Und Simz und Rapsody legen in ihren Texten auch recht intensiv "den Finger in die Wunde des heteronormativen Zeitgeists". Nur können sie halt was am Mic, Babsi bewegt sich für meine Ohren hingegen eher im unteren Mittelfeld. Und auch wenn ich ihre Themen und Attitüde dope finde, gilt für mich immer noch der alte Evidence Leitsatz: "MC's without a voice should write a book!"

    • Vor 4 Jahren

      Beim Betrachten des Usernamens beschleicht mich gerade das unangenehme Gefühl, irgeneinem Troll-Account der üblichen Knalltüten hier aufgesessen zu sein. Okay, raus damit! Wer wars?

    • Vor 4 Jahren

      Das ist halt das Problem: Ihr versteht die Welt in der wir uns als Nicht-Penis-Besitzer bewegen absolut nicht: Schon seit Urzeiten werden wir in eine Welt geboren in der uns Männer erklären, was wir Alles NICHT können und worin wir überall schlecht sind, genau wie es hier die Meisten tun. Dominik hat das verstanden und seine Würdigung ist absolut angebracht, meiner Meinung nach! Aber finde es schonmal sehr positiv, dass hier gute Diskussionen und auch Meinungen toleriert werden ohne das typisch männliche Alpha-Gehabe, das ja leider im Internet fast allgegenwärtig ist! :)

    • Vor 4 Jahren

      Wie hieß nochmal der Account von dem Typen, der diesem Jesus von Deichmohle hinterher gehechelt ist, weil's für keine Frau gereicht hat, und der jeden Morgen mit der von der vom Feminismus dominierten Gesellschaft gehadert hat, weil diese von ihm erwartet, daß er sich beim Morgenstrullerchen für sein Geschlechtsteil schämt? peter.son oder so?
      Gruß
      Skywise

    • Vor 4 Jahren

      @Skywise: Hi, ja "Peter.son" oder so ähnlich hieß dieser DEICHMOHLE-Jünger(Depp).....

    • Vor 4 Jahren

      Sehr holpriger Fake-Versuch. Die von dir persiflierte Person würde niemals "incel" referenzieren, das Wort kommt aus einer ganz anderen Ecke.

    • Vor 4 Jahren

      "Schon seit Urzeiten werden wir in eine Welt geboren in der uns Männer erklären, was wir Alles NICHT können"

      Ich habe meinen Freundinnen und Ehefrauen immer sehr nachdrücklich dargelegt, dass ihre Qualitäten in der Küche herausragend sind. :confused:

    • Vor 4 Jahren

      Capslock, weshalb sprichst du mir das Recht ab, diesen (meiner Meinung nach sehr zutreffenden) Begriff zu verwenden?

    • Vor 4 Jahren

      Eindeutig ein Fake. An anderer Stelle nutzt MannIN den Begriff "Vagina". Wer wirklich unten mit Feminismus ist, verwendet schon seit geraumer Zeit den Begriff "Vulva".

    • Vor 4 Jahren

      Ich nehme an, dass es sich bei Deinem Post um diese vielbesungene Ironie handelt. ;)
      Frage mich trotzdem, was diesen CAPSLOCKFTW dazu veranlasst mich als "Fake" zu bezeichnen weil ich einen - meiner Meinung nach - sehr passenden Begriff benutze. Kann mir das jemand erklären, am Besten er selbst?

    • Vor 4 Jahren

      Wollen wir das wirklich durchkauen?

      Naja, incel ist ja die Selbstbezeichnung dieser Netzgemeinde, die sehr viele frauenfeindliche Ansichten vertritt. Auch die Selbstbezeichnung "involuntary celibacy" enthält schon etwas von dieser Frauenfeindlichkeit, wird doch damit die angebliche Opferrolle und der Gedanke, dass Frauen ihre Partner höchst oberflächlich und mit rein hedonistischen Motiven wählen, und die Incels, die unfreiwillig keine abbekommen, obwohl sie ja eigentlich super intelligente und begabte Typen sind, die halt nur nicht dem Schönheitsideal entsprechen, Opfer der bösen Gleichberechtigung der Frau sind. Außerdem ist halt die Diffrrenzierung cis-Incel totaler Quatsch und wurde von dir nur genutzt um einen Spaß auf Kosten der Phrasenwut mancher sehr überzeugter Sexualitätsliberaler*innen.

    • Vor 4 Jahren

      Und ich habs zu spät gemerkt. Ich schäm mich so. :(

    • Vor 4 Jahren

      Mich dünkt, MannIN ist ein hier sehr beliebtes Manegen-Tier.. ;)

    • Vor 4 Jahren

      oder ein greiser plattenbaubewohner, der in seiner phantasie gern ein weltenbummlender meisteringenieur ist ;-)

    • Vor 4 Jahren

      ...oder halt einfach der 100ste molti-Fake :)

    • Vor 4 Jahren

      ... nothing is real ...

    • Vor 4 Jahren

      Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.

    • Vor 4 Jahren

      Aber um die Ehre des gueldenen_huerensohns zu retten: Ich finde das Album - zu meinem Erschrecken - wirklich nicht so übel. Keine 5/5, aber halt Welten besser als Alles was zB sookee jemals released hat. Ich finde jetzt auch nicht, dass die Babsi total mies rappt, wie hier ja Einige postuliert haben, das kann ich mir schon anhören. Propz natürlich an Sherlock Capslock und auch an vonwelt. ;)

    • Vor 4 Jahren

      "das kann ich mir schon anhören"
      ich habs lieber nicht gemacht...!!!

      meine Gehörgänge sind inzwischen sehr sensibel geworden...

    • Vor 4 Jahren

      Demnächst Collabo Album. Babsi Tollwut x Hubsi Darmkrebs. Hitsingle: m/w/d