204 Tage nach seinem Late Night-Abschied auf SAT.1 feierte Harald Schmidt gestern Abend in Heilbronn eine triumphale Rückkehr auf die Bühne. An der Reaktion des Publikums war unschwer abzulesen, wie sehr dieser Mann mittlerweile vermisst wird.

Heilbronn (mis) - Es kam einem schon beinahe vor wie eine Erscheinung: Gerade hatten knapp 2000 Menschen ihre Plätze in der Heilbronner Harmonie eingenommen, als das Saallicht erlosch und der wieder langmähnigere Harald Schmidt auf Zehenspitzen unter Applauswogen von rechts herein tänzelte. Der Kabarettist musste nicht erst einen Auftakt-Gag über Rehakles loslassen oder Dieter Thomas Heck imitieren, ehe einem bewusst wurde, dass die gespaltene Zunge dieses Mannes über die Absurditäten des Alltags nach wie vor unersetzlich ist.

Heilbronn stellte den Auftakt einer in Sekundenschnelle ausverkauften Tournee dar, die ihn zusammen "mit Überraschungsgast Manuel Andrack" noch in ehrbare Kulturhauptstädte wie Pforzheim und Bielefeld führen wird ("Bei mir ist es wie bei Rehhagel; meine größten Triumphe habe ich in der Provinz gefeiert"). Titel des rund 60 Kilometer von seiner einstigen Heimat Nürtingen entfernten Auftritts: Heimspiel.

Richtiggehend heimisch fühlte man sich denn auch bereits nach wenigen Minuten, in denen Schmidt zum lockeren Aufwärmtraining der Zwerchfell-Muskeln bat. Satirische Rundumschläge erlesenster Qualität ließen den Entertainer-Papst über einen Wettkandidat Hitler bei "Wetten, dass ...?" schwadronieren ("Mein nächster Gast ist nicht unumstritten") oder Querverbindungen von Paul Bremers Führungsproblemen im Irak zum DFB-Präsidenten Mayer-Vorfelder ziehen, der später noch gehörig sein Fett abbekommen sollte ("Wie heißt der Spieler noch mal, Rudi? Makelele? Aha. Muss man den kennen?")

Überhaupt, Fußball: Wer hat während der EM nicht Schmidts gehässigen Kommentar über öffentlich-rechtliche Verirrungen vermisst? Seine Kür des nervigsten EM-Protagonisten fiel jedenfalls auf Paolo, den Vorzeige-Portugiesen des ZDF, der mit fragwürdigen Ratespielen zu Berühmtheit gelangte. Manuel Andrack, der Schmidt nach einer halben Stunde Gesellschaft auf der Bühne leistete, verurteilte die griechische Elf, "nicht der Nationalität wegen, sondern aufgrund ihres Fußballs."

In der Bundestrainer-Frage verblüffte Schmidt mit einem bislang in den Umfragen noch nicht sonderlich in Erscheinung getretenen Kandidaten: Berti Vogts ("Immerhin ein Europameister! Und einer, der garantiert nicht erst seine Frau fragen müsste"). Die anschließende Beckenbauer/Poschmann-Parodie gehörte zu den Highlights des Abends. In musikalischer Hinsicht glänzte Andrack, der extra seine Vinyl-Ausgabe der Ramones-Platte "Rocket To Russia" mitführte, und daraus über die Saal-Anlage der Harmonie "Rockaway Beach" in voller Länge abfeuerte.

Schmidt, der dabei Gerstensaft schlürfte und den Titel unter Metal klassifiziert wissen wollte (Andrack: "Och, Chef ..."), zeigte dafür sein Können am Klavier. Neben einem Song Friedrich Holländers aus dem Ufa-Klassiker "Der blaue Engel" intonierte er Billy Joels "My Life" und, ähnlich erfolgreich wie einst in seiner Show, "Somebody To Love" von Queen. Folgerichtig sieht er einem potenziellen ZDF-Angebot für eine Rockshow-Moderation auch lässig entgegen.

Nur dass ihm kein einziger Zuschauer im Saal eine Inhaltsangabe der Heinrich von Kleist-Erzählung "Käthchen von Heilbronn" liefern konnte, erstaunte den gelernten Schauspieler, der sogar in alter Manier mit Geldscheinen lockte. Die sollte man als Schmidt-Fan übrigens schleunigst zücken, denn jüngst wurden neue Live-Termine für Frühjahr 2005 bekannt. Unnötig zu betonen: Jeder Cent lohnt sich.

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