6. Juni 2002

"Das Schreien liegt mir einfach im Blut!"

Interview geführt von

Hi Rob, ich hab gehört, du hast einen verdammt stressigen Terminplan.

Kannst du laut sagen. Ich bin heut Morgen aus Japan gelandet und heut Abend geht's direkt weiter nach Mailand. Von da aus nach Paris, wo es noch eine Fotosession geben wird und dann steht London auf dem Programm, bevor es in die Staaten weiter geht.

Na dann, viel Spaß. Ich habe bisher nur diese 4-Track Promo CD bekommen, was ist mit dem Album?

Das war so geplant, dass es erst mal diesen Appetitanreger in Form einer 4-Track Promo gibt, bevor es zum Hauptgericht geht. Da es nur ein Appetithäppchen ist, weißt du auch noch nicht, wie das Hauptgericht sein wird. Ich denke es ist schon mal ein guter Vorgeschmack auf das, was wir mit "The Crucible" vorhaben.

Werden also noch weitere Überraschungen auf uns warten?

Worauf du dich verlassen kannst. Es wird eine großartige Scheibe, "Fugitive" von der Promo wird es nicht mal auf das eigentliche Album schaffen. Es wird vielleicht so etwas wie ein Bonus Track, aber wir haben stärkeres Material, das unbedingt auf die Platte musste. Die übrigen 12 Tracks sind einfach zu stark. Wir sind noch einen Schritt weiter gegangen als auf "Resurrection". Wir haben mit derselben Energie und Herangehensweise gearbeitet. Die Songs sind ausgeprägter, intelligenter, einfach mehr auf den Punkt gebracht.

Würdest du sagen, dass die Scheibe moderner ist als "Resurrection"?

In punkto Erfahrungen, was den Schreibprozess angeht, auf jeden Fall. Mike und Patrick kommen aus einer ganz anderen Generation und haben einen anderen Background wie ich. Sie bringen ihren Gitarrenstil mit und ich meine eher klassischen Metal Einflüsse und Erfahrungen. Schon allein mit der Art und Weise, wie ich an den Gesang heran gehe. Der Rest der Jungs bringt dann seinen etwas moderneren Einfluss mit, was sich hervorragend ergänzt. Für mich ist "Crucible" ein tolles, klassisches Metal-Album in einem modernen Zeitalter.

Ihr habt euch in einem Hotelzimmer verbarrikadiert um die Songs zu schreiben. Gab es einen bestimmten Grund für?

Wenn man Musik schreibt, kann man das in der Regel überall tun, im Schlafzimmer, im Studio, am Strand. Aber ich lebe in San Diego und da gibt es dieses wundervolle alte Hotel, das über hundert Jahre alt ist und bei mir gleich um die Ecke steht. Wenn mich Freunde oder meine Familie besucht haben, hab ich sie da immer untergebracht und ich dachte eines Tages einfach darüber nach, dort mal etwas Equipment hin zu schaffen und Songs in dieser Umgebung zu schreiben. Es begann zunächst als ein Experiment und da es so toll funktionierte und produktiv war, sagten wir uns einfach, lass uns so weiter machen.

Gibt es irgendwas besonderes über die Zimmernummer 303 zu sagen? Sie wurde extra mit erwähnt.

Keine Ahnung, vielleicht (lacht). Es hätte ja auch 666 sein können, aber wohl eher nicht. Jeder dieser Räume ist sehr traditionell und altmodisch eingerichtet. Amerikanischer Kolonialstil eben und man bekommt von jedem Raum einen unterschiedlichen Vibe. Ich hab mich da einfach wohl gefühlt und Pat und Mike den Vorschlag gemacht. Sie sagten: "Hm, San Diego, das ist am Strand. Wann geht's los?" Sie kamen also vorbei und wir fingen an zu schreiben. Der Raum war einfach inspirierend und das Beste war, ich konnte jeden Abend einfach zu mir nach Hause laufen und abschalten.

Die Texte auf "Resurrection" waren ja sehr persönlicher Natur. Warum hast du das auf "Crucible" wieder geändert?

Das war schon okay, aber es geht mir jetzt wieder eher darum, über das was ich in dieser Welt sehe und erfahre und in welcher Form ich mir darüber Gedanken mache. Sei es jetzt ein Konflikt im Mittleren Osten, oder einfach nur Verwirrung über die allgemeinen Zustände, oder einfach nur Beziehungsgeschichten. Ich beobachte die Menschen und meine Umwelt sehr genau und muss feststellen, dass sich die meisten Dinge wiederholen. Sie verbessern sich nicht wirklich und es kommt auch kaum was Neues hinzu. Sie sind also immer noch persönlich, aber jetzt ist es eher so, dass ich von mir aus nach außen sehe und nicht von mir aus nach innen. Ich hab mich auf den 21 CDs, die ich jetzt gemacht habe, zu so vielen Sachen geäußert, was gibt es noch zu sagen? Ich könnte über Tee singen (hebt eine Tasse vom Tisch vor sich hoch). Wie wäre es mit einem Text über Earl Gray, Fine Quality Tea in Metal? Wäre doch mal eine Herausforderung. Ich habe auch Roy, meinen Produzenten gefragt, über was zur Hölle ich singen soll und er meinte nur: "Hmmmm, egal, was immer du machst, erzähl es von deinem Standpunkt aus. Deine Perspektive, deine Gefühle dabei." Viele Leute sind daran interessiert, wie ich ticke, über was ich in der Musik nachdenke usw. Ich bin somit nicht in irgendwelche Bereiche vorgestoßen, die nicht schon von anderen Musikern behandelt worden wären, ich habe nur meine persönlichen Statements dazu abgelassen.

Wie groß war Roys Einfluss auf die Scheibe?

Enorm! Er kam bei der Pre-Production mit ins Spiel und hat eine enorme Arbeit geleistet. Er hat sich buchstäblich die Eier an dieser Scheibe abgearbeitet. Er war von Anfang an dabei und hat Tausende Stunden Arbeit hinein gesteckt. Ich konnte ab und zu Pause machen und mal nach Hause gehen und wenn ich wieder ins Studio kam, waren die Gitarren fertig gemixt und Roy hing immer noch über dem Mischpult. Zwischen 12 und 16 Stunden am Tag war er da. Sechs Tage die Woche. Er war einfach unglaublich und hat der Platte eine fantastische Produktion und Mix gegeben.

Wirst du auf der nächsten Platte dann wieder mit ihm arbeiten?

Ich wüsste nicht, warum ich mit irgendjemand sonst arbeiten sollte. Es gibt einfach zu viele Produzenten, die nur nach Schema F vorgehen. Sie haben ihre Vorstellung davon, wie eine Gitarre klingen soll, sie machen einfach keinen Unterschied zwischen den einzelnen Gitarristen. Ein guter Produzent sollte die Individualität und Einzigartigkeit des jeweiligen Gitarristen fühlen und absorbieren und das dann auf Band festhalten. Genau diese Fähigkeit hat Roy.

Die Gesangslinie beim Track "Sun" ist für deine Verhältnisse eher ungewöhnlich. Wie kam es dazu?

Frag mich nicht, keine Ahnung (lacht). Ich warte immer ab, bis der Song so weit fertig ist, ehe ich mir Gedanken über den Gesang mache. Ich setz mich also hin und höre zu und höre zu und höre zu und warte auf den Moment, wo es Klick macht und die Melodie da ist. "Betrayal" war ein Song, den ich einmal gehört habe und mir die Gesangslinie beinahe schon in den Arsch gebissen hat. Es gibt aber auch den absolut beschissenen Albtraum, wenn man gerade mal eine Melodie für die Strophe im Kopf hat und sie die einzige ist, die man für den Rest der Woche hinbekommt. Das macht mich wahnsinnig und ich würde am liebsten den Kopf gegen die Wand schlagen, aber so läuft’s halt ab und zu. Einen Metal Song zu schreiben ist für mich eine dermaßen einfache Sache, wie morgens aufzustehen. Aber etwas mit Substanz und Qualität zu schreiben, etwas worauf du Stolz sein kannst, das benötigt eine verdammte Menge an Arbeit. Deswegen bin ich am Ende von den Aufnahmen auch jedes Mal richtig ausgebrannt und brauche einige Zeit, um den Akku wieder aufzuladen. Aber es hat sich definitiv wieder gelohnt, die Aufnahmen haben auch jede Menge Spaß gemacht.

Würdest du sagen, dass du durch die Erfahrungen mit dem "Two"-Projekt auf neue Ideen gekommen bist, wie du deine Stimme einsetzen kannst?

Worauf du wetten kannst, das gab mir als Sänger ganz neue Möglichkeiten meine Stimme auszuprobieren, Grenzen aus zu reizen. Es stellt für mich kein Problem dar, das Schreien und den ganzen Metal-Kram zu singen, das liegt mir einfach im Blut. Es ist etwas ganz anderes, wenn man die Stimme immer nur in einem minimalen Stimmbereich kontrollieren und variieren muss. Bei den Schreien muss man keine Kontrolle haben, das kommt aus dem Bauch heraus. Das ist in etwas so, wie wenn du deinen Namen ganz, ganz klein schreiben willst. du musst dich sehr konzentrieren, damit es noch leserlich bleibt. Wenn du hingegen ganz groß schreibst, geht das ganz von allein. Es war eine Herausforderung und hat Spaß gemacht. Ich hab einiges dabei gelernt, was mir sonst entgangen wäre.

Du siehst die Phase also nicht als Fehler an?

Nein, ich sehe das einen Teil eines Prozesses den ich durchlaufen musste, um da hin zu kommen, wo ich jetzt bin. Es hat mir geholfen, mich selbst zu finden und mir letztendlich zu zeigen, dass der einzige Platz für mich im Metal ist. Das hat nichts damit zu tun, dass "Two" kommerziell gefloppt ist. Ich merkte einfach recht schnell, dass dies hier nicht meine wirkliche Heimat ist. Wenn ich mir aber einige Bands heute anhöre, muss ich sagen, dass die meine Scheibe wohl doch ein paar Mal gehört haben müssen. Alles was Trent Reznor (Nine Inch Nails d. Verf.) tut, ist so ziemlich allem in der Musikbranche um zwei, drei Jahre voraus. Er ist einfach visionär. Wenn ich mir heute einiges anhöre, denke ich mir nur: "Meine Fresse, das ist doch genau das, was Trent und ich schon gemacht haben." Die Platte ist zwar nie groß eingeschlagen, aber im Underground war der Einfluss enorm.

Hast du noch Kontakt zu Trent?

Nein, bedauerlicherweise nicht mehr. Unsere Wege haben sich wieder getrennt.

Ok, mal was anderes. Ihr werdet zu "Betrayal" ein Video drehen.

Ja, zu "Betrayal" und noch zu einem anderen Track. Das einzige Problem ist, dass ich bisher nur jede Menge bescheuerter Skripts gesehen habe (lacht). Wenn du mal drüber nachdenkst, ist das schon seltsam. Stell dir vor, du bist ein Video Direktor, was wirklich jeder sein kann. Du musst dich doch nur hinsetzten, die Augen schließen, dir die Musik und die Texte anhören und dann solltest du irgendwelche Bilder oder Geschichten vor deinem inneren Auge ablaufen sehen. Ich hab aber so seltsame Sachen schon gelesen, dass ich mich frage, warum ich von diesen Drogen, welche die Typen definitiv nehmen müssen, noch nichts gehört habe. Was auch immer im Endeffekt dabei heraus kommen mag, es sollte etwas mit einer Prise Humor sein und sich selbst nicht zu Ernst nehmen. Wir sind Musiker und keine Schauspieler. Ich könnt mich immer tot lachen, wenn ich diese ganzen frustrierten Musiker in ihren Videos sehe, die versuchen, sich als Schauspieler zu profilieren. "Gebt mir sofort einen Oscar. Schaut, wie toll ich schauspielern kann, haha." Lasst das doch sein. Eigentlich müsste ich ja ganz ruhig sein, schließlich hab ich letztes Jahr auch in einem Film mit Mickey Rourke zusammen gespielt. Die Autoren haben mich angerufen, nachdem das Skript fertig war und sie für diese Rolle unbedingt mich haben wollten. Es gibt schon eine ganze Anzahl Musiker, die auch als Schauspieler was hermachen könnten, da das sowieso Teil von dem ist, was wir auf der Bühne machen.

Ich muss sagen, dass es mir lieber ist, Musiker schauspielern zu sehen, als Schauspieler singen zu hören.

Da geb ich dir Recht, wobei es da auch Ausnahmen gibt. Russell Crow spielt in ner Band Gitarre und singt, das hab ich aber noch nie gehört. Bruce Willis ist aber nicht schlecht mit seiner Rhythm and Blues Band. Ganz nebenbei, John McEnroe ist ein verdammt guter Gitarrist.

Jetzt wird es etwas unangenehmer. Es gab viele Gerüchte über "Live Insurrection". Wie live war die Scheibe denn nun?

Es wurde einiges im Studio nachbearbeitet, das ist kein Geheimnis und ich habe auch kein Problem damit, wenn die Leute das wissen. So weit ich das beurteilen kann, gibt es kein Live-Album, das nicht nachbearbeitet wurde. Wenn man sich im Studio das Live Material anhört, versucht man einfach, das Ganze zu verbessern, ohne die Live-Essenz zu verlieren. Wenn man alles unverfälscht und mit Fehlern und allem haben will, soll man sich doch ein Bootleg kaufen. Ich wollte das einfach etwas aufpolierter haben, ohne den Spirit zu verfälschen. So läuft das eben, das ist "Live-Studio". Die Fans mochten es.

Ich hab in einem Interview gelesen, dass du immer noch auf "the next big thing" im Metal wartest. Eine Zeit lang sah es ja so aus, als ob das der Nu Metal mit Bands wie Limp Bizkit wäre, (Rob verzieht schon das Gesicht und schüttelt mit dem Kopf). Was denkst du darüber?

Ich bin eher von Bands wie Slipknot oder System Of A Down begeistert. Das ist für mich der Nu Nu Nu Metal, vor allem diese beiden Bands. Als Analogie würde ich sagen: System Of A Down sind Tool in 2002 mit etwas mehr Intensität und Slipknot sind Slayer in 2002. Beides sind sehr extreme Band, wobei die einen etwas intellektueller als die andern sind. Aber ich mag diesen Sound, das ist wirklich was Neues. Niemand ist wie SOAD, niemand klingt wie Slipknot.

Denkst du, man kann überhaupt noch etwas Neues schaffen, oder immer nur die alten Sachen neu aufarbeiten?

Jede Generation hat ihre eigenen Vorstellungen und Werte. Wenn die Fans zu den Shows gehen, sind das immer wieder selber Musiker. Die beobachten dann und hören sich den Sound an und schnappen sich daheim die Gitarre, um das dann zu re-interpretieren. Damit wird dann die nächste Stufe des Metal entwickelt. In fünf bis zehn Jahren wird der Metal schon ganz anders klingen. Es muss sich ja irgendwie entwickeln, aber es werden die selben Zutaten sein, die man zum Kochen verwendet. Das ist doch überall so, nimm nur Autos. Von Anfang an hatten die Dinger vier Reifen und einen Motor. Alles daran hat sich verbessert, Dinge sind hinzu gekommen, andere wieder rausgeflogen. Das Design hat sich immer wieder verändert, aber es ist immer noch ein Auto.

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