laut.de-Kritik

Indie-Pop ohne jegliche White-Man-Weinerlichkeit.

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Seitdem so viele Thees Uhlmanns im deutschsprachigen Indie-Pop herumflöten, hat das Genre offensichtliche Probleme: Es nimmt sich selbst zu ernst, möchte unbedingt als Popmusik in irgendwelchen internationalen Vergleichen bestehen. Glücklicherweise ging das bislang mit einem gleichzeitigen Relevanzverlust einher. Das Spannende findet man inzwischen eh im Cloud Rap.

Dort haben sich Fiffy Blizz, Die Katze, Jelly del Monaco und Super Luci vermutlich einiges abgeschaut. Zumindest wenden sie mit ihrer Band Die Kerzen die Cloud Rap-Logik des Unmittelbaren und Assoziativen auf Pop-Musik an. Die Debüt-EP "Erotik International" kommt ohne jegliche White-Man-Weinerlichkeit aus: Diese eine Frau oder dieser eine Moment, alles ultratraurig, aber am Ende wird schon wieder alles gut. Da war das Schlechte, aber es hat mich stark gemacht.

Warum in aller Welt klingt nun die Musik dieser vier Menschen dagegen so herzlich verschroben, so liebevoll verquer? Schlummert da eine neue, ungekannte Pop-Schule im mecklenburgischen Ludwigslust? Den Ort kennt man sonst ja eher gar nicht, nicht einmal dafür, dass ihn etwas mit einem der größeren Musikverbrechen der letzten fünfzig Jahre verbindet. In den Vierzigern ist dort Bernd Spier geboren, ein windiger Mann, der als Schlagersänger in Erscheinung trat und beispielsweise Scott McKenzies "San Francisco" einer deutschsprachigen Neuinterpretation unterzog. Muss man vermutlich nicht weiter drüber reden. Oder doch?

Die Kerzen haben diese absonderlichen Energien, diese unbewussten, maximalen Seltsamkeiten Spiers ins grenzenlos Schöne verkehrt. Natürlich mühen sie sich – der EP-Titel lässt es vermuten – auf musikalischer Ebene an einem durchaus prototypischen Pop-Entwurf ab. In jedem Song ist Paddy McAloon präsent, zeigt den Kerzen, wie man am besten lange Synth-Teppiche formt oder genau diesen einen Gitarrenakkord findet, aus dem magisch-funkige Pop-Ekstase gebaut ist. Wer will, der findet hier die gebündelte Intelligenz: Prefab Sprout, ABC, Tears For Fears und so weiter.

Spätestens zum zweiten Song, dem Hit "True Love", hat man sich dann wärmstens einhüllen lassen. Kein Wunder, das sind irgendwo alles Love-Songs – aber eigentlich eben auch gar nicht: "Sprite Moskovskaya / Mit der Straßenbahn werd' ich zu dir fahren." Sänger Felix Keller hangelt sich so assoziativ von einem Bruch zum Nächsten, es klingt alles so herrlich leer und ergreifend deprimierend, so augenblicklich und dabei bis ins Letzte verschwommen. Man erkennt darin eine Welt, die durch und durch Anti-Uhlmann ist. Lasst die Kerzen mal machen und sie werden uns das Aufrechte und Belehrende dieser anderen Menschen mit Gitarre um den Hals sehr bald vergessen lassen.

Trackliste

  1. 1. Baby Motorride
  2. 2. True Love
  3. 3. Du & Misa
  4. 4. Karamba
  5. 5. Teleskop

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