23. Oktober 2017

"Ich meditiere jeden Tag im Wald"

Interview geführt von

Der Winter kommt, die Wölfe heulen wieder: Nach sechs Jahren Black-Metal-Abstinenz kehren die alternativen Schrammeljünger dem behüteten Farmleben erneut den Rücken und feiern eine fulminante Rückkehr ins Rampenlicht.

Mit Schlagzeuger Aaron Weaver klärten wir, warum "Thrice Woven" so ein starkes Album geworden ist, warum Synthesizer durchaus naturverbunden klingen können und warum sie ihren Kindern gerne Geschichten aus der nordischen Mythologie vorlesen.

Es ist schon ein bisschen verrückt: Wolves In The Throne Room sind als die introvertierte, unantastbare Band bekannt, die zurückgezogen auf einer Farm lebt und sich autark versorgt. Und jetzt sitzen wir hier und unterhalten uns via Skype. Wie sehr nehmt ihr am modernen Leben teil?

Zu hundert Prozent, Mann. Wir leben in dieser Welt. Wir wohnen noch nicht mal im absoluten Nirgendwo, wir wohnen einfach nur am äußersten Ende von Olympia, der Hauptstadt Washingtons. Gleichzeitig leben wir aber direkt am Ende eines wunderschönen, tausende Meter großen Waldes. Die Bäume sind groß, alles ist voll von wildem Leben, voll von Vitalität. Wir sind irgendwo in der Mitte gefangen, so wie jeder andere auch.

Bezieht sich euer autarker Lebensstil denn lediglich auf die eigene Versorgung mit Nahrung? Oder wie kann man sich das Leben in der Mitte vorstellen?

Um ehrlich zu sein, möchte ich über keinerlei Farm-Kram reden.

Dann reden wir doch über die Band: Nach eurem letzten regulären Album 2011 habt ihr eine generelle Tour- und Bandpause eingelegt. War das ein gewisser Revitalisierungsprozess für euch?

Gute Frage. Mir war in erster Linie wichtig, ein neues Black-Metal-Album zu machen. Und dafür brauchte ich einfach eine Auszeit. Jeden Tag im Wald sein, jeden Tag meditieren. Zum Glück hatten wir eine solche Möglichkeit, um uns Inspiration für "Thrice Woven" zu holen.

Wie groß ist die Ehrfurcht, jetzt wieder in dieses Musikerleben einzutauchen?

Es geht. Es ist einfach nötig. Wir haben zwei Seiten, so wie alle Musiker. Studioarbeit und live spielen, das muss sich die Waage halten. Im Studio gehe ich tief in mich hinein, erkunde mein dunkelstes Inneres. Auf der Bühne aber zelebrieren wir die Musik mit dem Publikum. Das ist unsere Form von Ekstase.

Trotzdem war das ja bisher auch eine relativ introvertierte Sache. Wenig Bühnenlicht, keine Ansagen – jetzt lockert ihr das Ganze ein bisschen auf, habt sogar ein Musikvideo gedreht. Fühlt ihr euch wohl mit dem Gedanken, als Protagonisten hinter der Musik gezeigt zu werden?

Es fühlt sich richtig an. Ein Musikvideo zu drehen, fühlt sich an, als würde man auf der Bühne spielen.

"The Old Ones Are With Us" featuret nicht nur Neurosis-Sänger Steve Von Till, sondern erinnert mit seinen Folk-Passagen auch sehr an Agalloch. Habt ihr viele Freundschaften zu anderen amerikanischen Szenebands geschlossen?

Definitiv, das ist einer der größten Vorzüge des Musikerlebens: Zeit mit anderen Musikern zu verbringen und von ihnen zu lernen. Du erwähnst Neurosis. Das ist eine Band, die mein Leben verändert hat. Als ich 17 war, habe ich sie auf der "Through Silver In Blood" in einer Punk-Rock-Venue in Olympia gesehen. Das waren damals die Kassetten, die ausgetauscht wurden, und diese Band hat damals wirklich den Funken in mir entzündet.

Wo wir schon von anderen Bands reden: Am 22. September ist nicht nur euer neues Album, sondern auch das von Godspeed You! Black Emperor erschienen. Die Band hat euch damals für das All Tomorrow's Parties Festival gebucht. Verfolgt ihr ihre Arbeit, oder hat die Band euch sogar beeinflusst?

Ich habe seit langem nichts Neues mehr von ihnen gehört, aber diese Band hält die Underground-Kultur hoch wie kaum jemand anders. Jeder kennt sie, jeder respektiert sie, ergo kommt man gar nicht drumherum, von ihnen beeinflusst zu werden.

"Der Spirit ist derselbe wie 2006."

GY!BE legen sehr viel Wert darauf, dass ihre Sounds natürlich, also ohne Synthesizer entstehen. Ihr bindet sie aber schon seit Jahren in eure Musik ein. Widerspricht das dem naturbezogenen Ansatz?

Auf keinen Fall, genau das ist die Musik für mich, der Klang der Natur, das ist, was ich dort höre. Wenn ich die Geräusche raschelnder Blätter, die Geräusche von Tieren nachzeichnen möchte, funktionieren Synthesizer da perfekt. Und selbst wenn: Die Software läuft über einen Laptop. Und wir lieben im Wald. Aber wir leben in dieser Welt.

Und tatsächlich habt ihr auch erstmals Synthesizer mit auf der Bühne, tretet zum ersten Mal in eurer Karriere als Live-Quintett auf. Wollt ihr euren Fans diesmal eine ganzheitlichere Live-Performance bieten?

Ja, im Grunde schon. Darum haben wir jetzt Brittany von Wolvserpent auf der Bühne, die Keyboard spielt. Genauer gesagt spielt sie einen Moog, also einen analogen Synthesizer. Diese tiefen Frequenzen kriegst du nur analog hin, das macht die Live-Erfahrung einfach intensiver.

Auf der letzten Tour warst du allerdings nicht am Start.

Ja, unser Freund Trevor ersetzt mich gelegentlich.

Aber jetzt auf der Release-Tour bist du wieder dabei?

Nein, ich bleibe erst mal zu Hause.

Also bist du jetzt nur Studio-Mitglied?

Ach, es ist mehr als das. Wolves In The Throne Room ist eine Familie. Es ist eine große Gesellschaft. Und die bestmögliche Art und Weise, um dem großen Ganzen zu dienen, ist für mich gerade die Arbeit im Studio und an unserem Label, Artemisia Records. Wir releasen jetzt alles selbst und das geht mit den ganzen Tourneen, den Bühnenbannern etc. Hand in Hand. Welche Synthesizer wir nutzen, wie wir was orchestrieren und so weiter.

Also ist es in erster Linie die Arbeit am Label, die dich vom Touren abhält?

Einerseits, und ... na ja. Es ist eine persönliche Sache. Ich ziehe meine Kraft für die Musik daraus, zuhause zu sein, das heimische Wasser zu trinken und die heimischen Feuer zu entfachen. Ich muss es einfach tun.

Also haben dir die letzten Jahre auf Tour gezeigt, dass du nicht der Typ dafür bist?

Es geht, ich trete ja schon noch gelegentlich mit der Band auf. Ein bisschen Bühnenmagie möchte ich mir schon bewahren.

Aber das wochenlange Reisen vermisst du nicht?

Ich denke schon, dass ich das eines Tages wieder machen werde.

Auf "Thrice Woven" habt ihr Gastgesänge, Akustikgitarren und einen Mundharmonikaspieler. Denkt ihr beim Komponieren überhaupt schon über die Live-Umsetzung nach?

Nein, im Studio tun wir, was immer uns passend erscheint. Wir finden schon einen Weg, das Ganze auf die Bühne zu bringen.

Und trotzdem ist die Erwartungshaltung da draußen eine andere. Oder fühlt sich die Arbeit an einem neuen Album noch genauso ungezwungen an wie 2006?

Es fühlt sich definitiv genauso an, der Spirit ist derselbe. Das setzt ja im Grunde jetzt erst ein, wo wir Synthesizer und Gitarren für die Tour vorbereiten. Wir machen uns bereit, die Segel zu hissen.

"Die Edda vermittelt wichtige alte Werte."

Apropos: Das Album gab es ja schon im Vorabstream, für die digitale Version nehmt ihr selbst nur 9 US-Dollar. Welchen Wert hat Musik heutzutage überhaupt noch?

Der Mensch braucht Musik. Für mich persönlich birgt Musik Heilung, Stärke und Visionen. Durch Musik lerne ich etwas über das Leben. So etwas kann man nicht an einem Preis festmachen. Auf der anderen Seite leben wir nun mal davon, dass Leute unsere Alben und unsere Shirts kaufen. Ich kann es nur noch mal wiederholen: Wir sind hier, wir leben in der ganz normalen Welt.

Wenn du aber jetzt von deinen frühen Neurosis-Zeiten berichtest: Damals musstest du doch ein Tape oder eine CD kaufen, um überhaupt an die Musik ranzukommen. Und jetzt ist jedes Album der Welt nur einen Klick entfernt.

Es fühlt sich richtig an. Denn ich weiß, die Leute kommen auch zu unseren Konzerten.

Lyrisch widmet ihr euch jetzt erstmals der nordischen Mythologie. Dabei waren es früher gerade eure ökologischen, naturbezogenen Texte, mit denen ihr euch klar von der frühen skandinavischen Szene abgegrenzt habt. Warum der Umschwung?

Schau: Ich hab einen vierjährigen Sohn zu Hause. Ich erzähle im jeden Abend Geschichten. Oft sind das alte Geschichten aus der nordischen oder keltischen Mythologie. Denn das sind die Storys, die ich liebe, mit denen ich selbst aufgewachsen bin. Ich habe sie immer geliebt und ich denke, es steckt viel Weisheit in ihnen. Ich denke, sie zeigen, wie man ein glückliches Leben führen kann. Sie vermitteln wichtige, alte Werte. Freundlichkeit, Respekt, Großzügigkeit, Gemeinschaftssinn.

Musikalisch bezieht ihr euch aber ja schon seit jeher auf die skandinavischen Vorbilder. Schließt sich der Kreis nun?

Unsere Musik ist reiner Black Metal. Das kann uns keiner wegnehmen. Auf der anderen Seite haben wir eben eine ganze andere Intention als diese Bands. Ich ... nein, ich sollte das nicht sagen, das würde es schon zu sehr eingrenzen.

Eure Gastsängerin Anna von Hausswolff singt in ihrer Heimatsprache. Ist das ein Mittel zum Zweck, das euch ins Konzept passt?

Es geht einfach um Heimat. Das macht das ganze Album für mich aus. Wir haben alle ein anderes Zuhause, und genau das wünsche ich auch jedem: Dass er gute Nahrung zum Essen und gutes Wasser zum Trinken hat. Anna singt auf Schwedisch, denn das ist ihre Heimat. Mit dieser Sprache ist sie aufgewachsen.

Trotzdem experimentiert ihr auch musikalisch mit neuen Stilmitteln. In "Angrboda" gibt es einen kurzen Industrial-artigen Part. Wird es davon künftig mehr zu hören geben, wie auch schon bei eurem Nebenprojekt Drow Elixir?

Das sind auf jeden Fall die Momente, wo etwas Drow Elixir überschwappt. Das hat auch viel mit dem Einstieg von Kody [Keyworth; Gitarre und Gesang] zu tun. Wir beide lieben Noise und Industrial. Da kommt auf jeden Fall noch mehr.

Also eine ganze Drow Elixir-Platte?

Jawohl.

"Angrboda" erzählt die Geschichte von der Wiedergeburt des Fenriswolfs – inwiefern haben Wolves In The Throne Room jetzt ihre eigene Wiedergeburt erlebt?

Es geht um den Geist des Wolfs, wieder und wieder verändert er seine Form. Auf dem Cover von "Thrice Woven" legen die Götter den Wolf in Ketten. Aber der Wolf ist auch auf unseren Bannern bei Konzerten gesehen, er ist immer hinter uns, ganz ohne Ketten. Es gibt also viele Facetten.

Habt ihr euch als Band jemals angekettet gefühlt?

Nein. Gerade fühlen wir uns frei und voller Stärke.

Was bedeutet, dass "Thrice Woven" euer bestes Album ist?

Hmm, nein. Ich denke, jedes Album hat seine Stärken und jedes Album hat seine Schwächen. Oder anders gesagt: "Thrice Woven" ist nicht besser und nicht schlechter als der Rest, aber im Moment liegt mir diese Musik einfach mehr als alles andere am Herzen.

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