laut.de-Kritik

Proggiger Schwanzvergleich der Extraklasse.

Review von

Acht Interpreten, vier LPs, acht Songs, wovon keiner unter 16 Minuten, aber jeweils eine Vinylseite in Anspruch nimmt. Das Ziel hieß von Anfang an: Länge um der Länge willen. So etwas kann auch ganz schnell nach hinten losgehen. Künstlich Langgezogenes dient Musik eigentlich nie. Trotz des verrückten Ausgangspunktes umschifft "Side Effects" diese Klippe zum Glück. Stattdessen sprüht die Box geradezu vor Spielfreude.

Fruits de Mer-Labelchef Keith Jones nahm sich allerdings auch gebührend Zeit, um die richtigen Künstler für sein Projekt auszuwählen. 18 Monate dauerte es, bis alles stand. Es begann mit einem Pink Floyd-Cover. Die Amerikaner The Soft Bombs wagten sich an "Echoes". Allein dafür braucht es schon ordentlich Eier. Doch die Truppe um Bandkopf Michael Padilla arrangierte das Teil auch noch um. Ein paar Minuten kürzer, neue Soli, veränderte Parts ... am Ende kommt man ins Grübeln, ob in diesem Fall das Original tatsächlich besser ist.

Das passiert übrigens nicht bloß beim Opener. "Side Effects" besteht ausschließlich aus Covertiteln. Von Donna Summer bis Yes sieht sich jeder einzelne der Ursprungsinterpreten mit bärenstarker Konkurrenz konfrontiert. Allerdings fällt das Ergebnis bisweilen so anders aus, dass ein echter Vergleich gar nicht mehr möglich ist.

John Bassett aka Arcade Messiah zum Beispiel transformiert Aphrodite's Childs "The Four Horsemen" von einem flotten Sechsminüter zu einem neunzehnminütigen Epos. Auf den Gesang pfeift der Engländer weitestgehend und spielt stattdessen seine Instrumentalfertigkeiten voll aus. Elemente des Originals flicht Bassett zwar mit ein, doch dieses "The Four Horsemen" ist klar seine Komposition.

Deutlich mehr an der Vorgabe orientieren sich The Luck Of Eden Hall – abgesehen davon, dass ihr "Starship Trooper" doppelt so lang durchs All cruist wie der Yes-Soldat und einige fiese Fallen überwinden muss. Miles Davis' "Shhh/Peaceful" ist ohnehin ein Impromonster. Julie's Haircut lassen dementsprechend die grobe Basis bestehen, naturgemäß muss man bei dem Ding sowieso seiner Fantasie freien Lauf lassen. Bewaffnet mit Trompete, Saxophon, Jazz-Drums und Stille schaffen sie einen schönen Kontrast zu den übrigen, eher dem Rock verschriebenen Tracks.

Überhaupt hebt sich die letzte der vier Platten stilistisch ab. Julie's Haircut teilen sich ihr Vinyl mit Sendelica, einer experimentellen Combo aus Cardigan in Wales. Diese erteilt Donna Summers "I Feel Love" die volle FX-Behandlung. Wohin man auch hört: Es zirpt, blubbert, piepst und universet, bis nach fast sechs Minuten synthieunterstütztes Schlagzeug einsetzt und den Spielereien eine neue Grundlage bietet. Später stiehlt sich auch hier ein Blechblasinstrument durch den Mix, allerdings hat es dieses merklich schwerer, sich zu behaupten als noch bei Julie's Haircut. Sendelica behalten ihre beachtliche Noisewand nämlich die vollen 21 Minuten lang bei.

Wer sich seine Psychedelik-Dosis lieber in Gitarrenform abholt, ist dagegen bei The Bevis Frond und ihrem Electric Sandwich-Cover "China" genau richtig. Kennt ihr jemanden, der nicht weiß, was eine Jam-Session ist? Zeigt ihm diesen Song. Die Gitarren solieren einfach 24 Minuten vor sich hin (nicht selten zu zweit), und es ist geil. Nick Saloman und seine Mannen erzielen darüber hinaus auch noch eine kontinuierliche Steigerung, so dass Langeweile außen vor bleibt. Ein wenig bedauernswert erscheint dabei Basser Adrian Shaw, der sich weitgehend mit seiner 3-Ton-Line begnügen muss. Aber was tut man nicht alles für seine Band?

Statt wie die LP-Kollegen von The Bevis Frond ein Feuerwerk abzufackeln, machen es sich Wreaths im Anschluss bei Kerzenlicht gemütlich. In entspannter Atmosphäre enteignen sie Gordon Lightfoots "Sundown". Mit 16:37 die kürzeste Nummer der Sammlung, vielleicht aber die beste. Der Soundtrack, um Sinne zu erweitern. Dazu passt auch der folgende LSD-Trip von Superfjord, die The Byrds' Zweiminüter "CTA-102" auswalzen und die bereits im Original vorhandenen Effektspielereien weiter ausreizen.

Mit 40 Pfund beziehungsweise 65 Euro kostet "Side Effects" zwar ein bisschen mehr als normale Alben. Als normales Album geht "Side Effects" aber ohnehin nicht durch. Der gebotene Inhalt rechtfertigt den Preis allemal. Wer auf lange Songs, Experimente, Jams und überbordende Musikalität steht, für den dürfte sich die Investition wirklich lohnen. Mit "Side Effects" haben Fruits de Mer ein Coveralbum der besonderen Art geschaffen. "Coveralbum" trifft es sowieso nur pro forma.

Trackliste

SIDETRACKS

  1. 1. The Soft Bombs - "Echoes" (Pink Foyd)
  2. 2. Arcade Messiah - "The Four Horsemen" (Aphrodite's Child)

SIDEWAYS

  1. 1. The Bevis Frond - "China" (Electric Sandwich)
  2. 2. Wreaths - "Sundown" (Gordon Lightfoot)

SIDESHOWS

  1. 1. Superfjord - "CTA-102" (The Byrds)
  2. 2. The Luck Of Eden Hall - "Starship Trooper" (Yes)

SIDESTEPS

  1. 1. Julie's Haircut - "Shhh/Peaceful" (Miles Davis)
  2. 2. Sendelica - "I Feel Love" (Donna Summer)

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