laut.de-Kritik

Theatralisches Punk-Konzert mit Puppen-Musikantenstadl.

Review von

"Sängerin und Pianistin Amanda Palmer und Trommler Brian Viglione sind absolut außergewöhnliche Künstler. Perfekt wäre die Musik jedoch im Rahmen ihres Bühnenauftritts." So urteilte Kollege Andreas Bättig vergangenes Jahr über das zweite Album der Dresden Dolls. Und in der Tat sind die Wahlbostoner recht freigiebig mit ihren Live-Auftritten und gönnen dem geneigten Hörer und Zuschauer bereits die zweite Live-DVD, diesmal aus dem Londoner Roundhouse.

Mehr als eineinhalb Stunden bespielt die Band, die für ihre teilweise recht anspruchsvolle musikalische Konzeption bekannt ist, am 3. und 4. November 2006 eine überraschend schlichte Kulisse. Das DVD-Cover verheißt in seiner Aufmachung ein glitzerndes Cabaret-Punk-Konzert mit Showeinlagen, wie sie ein Madonna-Konzert nicht glamouröser bringen könnte. Palmer und Viglione sitzen jedoch lediglich an ihren Instrumenten und verlassen diese nur für ein paar Nummern, in denen Brian zur Gitarre greift.

Amanda erfüllt dabei nicht einmal die Klischeevorstellung eines Flügels, der imposant gläsern den Geist von Udo Jürgens atmet. Sie platziert sich hinter einem einfachen Keyboard. Die Lichtshow ist entsprechend simpel gehalten. Auch die Schnitte sind angenehm entspannt, es gibt keine überflüssigen Split-Screen-Spielereien, wie sie bei Live-DVDs zuletzt um sich greifen.

Hier steckt nun bereits das ganze Konzept des Konzert: die Konzentration auf die Musik. Obwohl lan Instrumente gebunden, gehen die beiden Dolls (übrigens beide geschminkt) zu ihrer Musik ab, wie man es sich von einem ordentlichen Punk-Konzert wünscht. Amanda bringt mit ihrem Klavierspiel das Cabaret, Brian mit den Drums den Rock. Es entstehen schön dramatische Musikstücke, die obwohl oder wegen ihrer pittoresken Klavierläufe mitgemosht werden wollen.

"This is a rock-show!", betont man immer wieder. Dem fast durchweg teeniehaft wirkenden Publikum ist aber nicht nach Punk: Es zeigt seine Stimmung eher wie auf einem Popkonzert mit mit Klatschen und Kreischen. Wo sonst Prinz Pogo regiert, betanzt hier das australische Ballettensemble Zen Zen Zo den Song "Slide". Leider erweist sich diese Performance eher als durchschnittliches, trancig-verzücktes Bewegen zur Musik denn als mitreißende Choreographie.

Und hier zeigt sich auch die Schwäche des Konzertes. Es lässt sich nur anhand der auf der DVD mitgelieferten Dokumentation und des Booklets erahnen, dass bereits vor dem eigentlichen Konzert eine ganze Reihe von Cabaret-Veranstaltungen stattgefunden hat. Ein paar davon tröpfeln schließlich auch ins Dresden Dolls-Konzert.

So betreten bei "Gravity" drei Damen die Bühne, von denen nur eine wirklich etwas kann – nämlich an einer langen Stoffbahn hinaufklettern und dort wahrlich artistische Verrenkungen abliefern. Die anderen von der Tanzgruppe namens Ladybird tragen Amandas Püppchen-Makeup samt passendem 30er Jahre-Cabaret-Outfit und leisten sonst eigentlich nichts Außergewöhnliches. Sie hüpfen über die Bühne und blicken mit offenem Mund verzückt wie Püppchen ins Publikum.

Man wolle die zusätzlichen Performances nicht zu professionell gestalten, damit die Leute sich nicht ausgeschlossen fühlen, heißt es in der Doku. Leider werden jene dadurch überflüssig. Weil sie durch ihre Tanzkünste weder Musik noch Optik bereichern, wirken sie wie nervige Hupfdohlen. Beim "Jeep Song" holt sich die Band junge Engländer als Background-Sänger, die sich entrückt im Hintergrund wiegen und so schließlich wenigstens wie ein bunter Puppen-Musikantenstadl wirken.

Doch selbst abzüglich des oftmals penetranten Theater-Charakters, den auch Amanda und Brian oft in ihren Bewegungen tragen, bleibt immer noch die wunderbare Musik der Band. Sechzehn reguläre Songs umfasst das Konzert, zwei Bonustracks mit zwei Ikonen der Art-Punk-Rock-Szene (Edward Ka-Spel von den Legendary Pink Dots und Lene Lovich) und eben jene knapp halbstündige Dokumentation. Dort berichten ganz normale Fans verwundert über aufwändig gestylte Fans und vollziehen so genau das erstaunt bespaßte Gefühl nach, das diese DVD hinterlässt.

Trackliste

  1. 1. Sex Changes
  2. 2. Gravity
  3. 3. Modern Moonlight
  4. 4. Mrs. O
  5. 5. Backstabber
  6. 6. Coin-Operated Boy
  7. 7. Two-Headed Boy
  8. 8. Mandy Goes to Med School
  9. 9. Lonesome Organist Rapes Page Turner
  10. 10. Slide
  11. 11. The Jeep Song
  12. 12. Dirty Business
  13. 13. Shores of California
  14. 14. Sing
  15. 15. Mein Herr
  16. 16. Mad Worls
  17. 17. Girl Anachronism
  18. 18. Missed Me with Edward Ka-Spel (Bonus)
  19. 19. Delilah with Lene Lovich (Bonus)
  20. 20. Documentary Footage and Interviews

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