7. Oktober 2016

"Ich dachte damals, Ozzy sei alt"

Interview geführt von

35 Jahre und kein bisschen weise. So lange treiben sich die Suicidal Tendencies inzwischen im Musikgeschäft herum und denken nicht ans Aufhören. Ein neues Album mit Dave Lombardo am Schlagzeug erscheint in diesen Tagen, die Zeichen stehen auf Zukunft. Grund genug, die Bandana um den Kopf zu wickeln und zum Telefonhörer zu greifen.

Morgens um neun ist die Welt noch in Ordnung. Das denkt sich auch Mike Muir, seines Zeichens Sänger und Songschreiber der kalifornischen Hardcore-/Crossover-Legende - und lädt zum frühen Interviewtermin. Entspannt und gut gelaunt gibt der mittlerweile 53-jährige Shouter Einblicke in den Aufnahmeprozess der neuen Platte und erzählt von der Vergangenheit unter anderem mit Ozzy Osbourne.

Guten Morgen, Mike. Lass uns direkt anfangen. Eure neue Platte "World Gone Mad" steht in den Startlöchern. Bist du mit dem Album zufrieden?>

Absolut und auf allen Ebenen. Das Album ist noch besser geworden, als ich gehofft habe. Wenn ich in der Zeit zurückreisen könnte und jetzt noch mal 15 wäre, die Platte würde mir sicher gefallen. Ja, das lief alles super.

Mir gefällt das Album sehr gut, die Leute müssten eigentlich zufrieden sein.

Ach, die Leute sind doch nie zufrieden. Suicidal wird nie für das bewertet, was wir sind, sondern für das, was wir nach Meinung einiger sein sollten. Als unser Debüt erschien, fanden es alle Pop- und Metalmagazine scheiße. Jahre später wurde es dann dieser Punkklassiker. Wenn man die Dinge etwas anders angeht als normalerweise, dann gefällt das nicht allen. Wir haben uns nie eingeschleimt oder Sachen gemacht, nur weil man die eben so tut. Oft nervt das die Leute. Wir passen in keine Szene richtig rein. Gerade im Musikbereich, wo viele Menschen wirklich rigide sind, wenn es um Genregrenzen geht, eckst du damit an. Aber im Leben fährst du damit besser. Und ich glaube, das wird dann irgendwann auch respektiert.

Könnte das auch ein Grund sein, warum ihr die letzten Alben selbst produziert habt, ohne einen externen Produzenten?

Naja, wir haben immer Paul (Northfield, Anm. d. Red.) dabei, der uns etwas hilft. Aber ich wusste, was ich wollte und was nicht. Ich war in der Situation, alle Songs geschrieben zu haben. Dann hab ich mit allen Gespräche geführt darüber, wie das Album klingen könnte - und alle waren damit einverstanden und mochten die eingeschlagene Richtung.

Ist es für ein Vorteil, alleine zu produzieren?

Ich glaube, ich habe vom letzten Album eine Menge gelernt. Wir haben da so viel aufgenommen, so viele verschiedene Songs mit so unterschiedlichen Leuten, wir waren am Ende selbst verwirrt und wussten nicht mehr, was ein Album ist und welche Stücke wir wählen sollten. Das neue ist viel direkter, weil die Songs direkt für die Platte geschrieben wurden. Wir haben glücklicherweise ein eigenes Studio und können da reingehen, wann wir wollen und was aufs Band bringen. Mir macht das einfach Spaß. Und in diesem Moment nimmst du die Songs nur für dich auf, für sonst keinen. Dieser Moment ist sehr wichtig. Was "World Gone Mad" angeht: Das könnte unser letztes Album sein, und wenn es das ist, dann wollten wir zufrieden sein mit dem, was wir abliefern.

Warum glaubst du, es könnte die letzte Platte sein?

Nimm den Song "Clap Like Ozzy" und wovon er handelt. Die Zeit schreitet fort, du kannst sie nicht kontrollieren und es gibt keine passenden Momente für schlechte Dinge. Niemand sagt: Mann, heute wäre aber ein geiler Tag für eine Reifenpanne. Die Uhr tickt einfach weiter, ob du dich bewegst oder nicht. Noch mal zu Ozzy: Wir waren mit Infectious Grooves mal mit ihm auf Tour. Das ist 25 Jahre her und sollte seine letzte Tour sein. Ich dachte damals, er sei alt. Viel älter, als er heute wirkt. Und jetzt spielen wir wieder mit Black Sabbath auf dem Ozzfest und es ist deren Abschiedstournee. Du kannst nur jeden Moment so leben, als wäre er bedeutsam oder du wirst eine Menge Bedauern mit dir rumtragen. Wir sind alle viel zu gut darin, Zeit totzuschlagen anstatt sie wertzuschätzen. Ich meine damit nicht dieses "Lebe so, als gäbe es kein Morgen." Mein Vater hat immer gesagt: "Bis jetzt gab es noch immer ein Morgen." Leb lieber so, als gäbe es ein Morgen, tu was dafür und hoff auf das Beste. Das wollen wir mit Suicidal rüberbringen.

"Und dann mache ich einen auf verrückten Dirigenten"

Ihr habt wieder mal ein paar neue Musiker in der Band. Wo findest du die bloß immer?

(Lacht) Einer von den Typen war leicht zu finden, nämlich Dave Lombardo am Schlagzeug. Er ist der erste Musiker, den wir jemals von einer anderen Band bekommen haben. Sonst hatten wir immer nur junge Leute, die wir für extrem talentiert hielten. Josh Freeze war so jemand, und der hat dann später von Sting bis zu Guns N' Roses überall getrommelt. Ihn haben wir damals bei Infectious Grooves mit dem 14-jährigen Brooks Wackerman ersetzt - und der ist jetzt der neue Schlagzeuger bei Avenged Sevenfold. Mit Dave hatte ich aber immer schon Kontakt. Ich hab Slayer zum ersten Mal gesehen, bevor die überhaupt ein Album draußen hatten. Auf der "Clash Of The Titans"-Tour in Europa damals, so um 1990, hab ich ihm jeden Abend begeistert zugeschaut. Durch die Jahre sind wir uns immer mal wieder über den Weg gelaufen und er ist mir im Kopf geblieben. Und dann hab ich mir einfach ein Herz genommen und ihn angerufen. Ich war etwas nervös, ob ich ihm nicht auf die Nerven gehe, aber er hat direkt gesagt: Beruhig dich, Suicidal Tendencies ist eine der Bands, mit der ich gerne mal spielen würde. Also haben wir uns getroffen und es lief super.

Im Song "Living For Life" hat Lombardo all diese netten kleinen Fills zwischen den Riffs. Hast du ihm diesen Teile eingeräumt oder hat er sowas von sich aus vorgeschlagen?

Nein, das hab ich so geschrieben, bevor er überhaupt in der Band war. Ist natürlich super, ihn diese Teile jetzt spielen zu hören. Ich meine, er ist eine Legende. Die Leute kennen ihn meistens nur für Slayer, aber er hat total viele unterschiedliche Sachen gemacht. Er ist extrem vielseitig, das merken wir bei den Proben immer. Einige Leute können nur einen bestimmten Stil spielen und haben Probleme, ihre Komfortzone zu verlassen. Bei Dave ist das anders. Er spielt live bei Suicidal genau so, wie es sein muss. Eigentlich sogar noch besser als das. Die Leute sagen: Genau so muss das klingen, aber es klingt sogar noch besser! (lacht) Er macht die Dinge einfach besser und ich schätze es sehr, mit ihm spielen zu dürfen.

Da du das Songwriting angesprochen hast: Wie schreibst du Songs? Gehst du einfach ins Studio und haust ein paar Riffs raus?

Das klingt jetzt superstereotyp und klischeehaft, aber: Ich nehm die Gitarre wirklich nur in die Hand, wenn ich Songs schreibe. Ich hab Dean (Pleasants, Gitarrist - Anm. d. Red.) angerufen und ihm gesagt, dass ich die Gitarre angefasst und mit dem Songwriting begonnen habe. Und gefragt, ob wir ein Album machen wollen, ansonsten würde ich das Ding jetzt wieder zurück in die Ecke stellen. Am nächsten Tag haben wir uns zum Proben getroffen und alles lief sehr gut. Und dann war auch schon das Studio der nächste Schritt, ein paar Drums aufnehmen und schauen, in welche Richtung das gehen kann. Wir waren alle zufrieden mit dem Prozess.

Also schreibst du die Riffs, bringst die mit zu den anderen Jungs und die legen noch letzte Hand an?

Ja. Und dann mache ich einen auf verrückten Dirigenten. Wenn du da zuschauen könntest, würdest du das für einen schlechten Witz halten, haha. Die Jungs spielen die Musik und ich dirigiere irre vor mich hin. Ich signalisiere was und mache komische Handzeichen. Manchmal verstehen sie, was ich will und manchmal nicht. Sie verändern Kleinigkeiten oder das Tempo und wir lassen einfach das Band mitlaufen. Das nehme ich dann mit und überlege mir Arrangements.

Die Tempowechsel sind ein gutes Stichwort. Auf dem neuen Album noch mehr als zuvor. Ist das reiner Zufall oder habt ihr euch das so überlegt?

Ich wollte, dass die Leute sich wirklich mit den Texten beschäftigen und habe das Gefühl, dass Tempowechsel dabei helfen. Und wir selbst gehen dann auch mehr in der Musik auf. Es passt nicht zu jedem Song, aber zu einigen von den neuen. Ein Tempowechsel muss sich für uns aber natürlich und logisch anfühlen, wir machen das nicht einfach nur, um einen einzubauen. Man kann es auch übertreiben. Du kannst die Lautstärke auf 10 stellen, dann ist sie laut. Und du kannst sie auf 11 stellen, dann ist sie lauter. Wir benutzen die Tempowechsel, um die Songs lebendiger zu halten, so wie eine Achterbahnfahrt.

Das kommt den Live-Auftritten sicher zugute.

Klar, viele unserer Songs sind komplett auf die Gigs zugeschnitten. Einer meine Freunde meinte: Alter, ich kann nicht warten, bis ich das Zeug live hören kann. Darüber freue ich mich besonders, vor allem nach dem ganzen Hickhack der letzten Jahre. Ich hab zum ersten Mal richtig Spaß mit der Band.

Wirklich? Während der ganzen Zeit hattest du keinen?

Ja. Ich bin zwar immer Kämpfer gewesen und wollte etwas beweisen. Wir hatten immer Ziele mit der Band, und die Ziele waren auch eine gute Sache. Aber es ist nicht so, dass ich oft Spaß gehabt hätte, ich konnte es selten genießen. Viele Dinge waren schmerzhaft. Ich möchte mich nicht beschweren, aber so war es. Mit Dave haben wir jetzt 78 Shows gespielt und ich ertappe mich noch jeden Abend dabei, wie ich ein paar Mal zu ihm schaue und denke: Was macht der da wieder Lustiges? Dann lächelt er mir zu. Das Ganze ist eine Riesenfreude für mich. Vor allem, wenn ich dran denke, wie privilegiert ich bin, dass ich Musik machen kann. Ich hätte ja nie gedacht, dass es uns so lange geben würde.

"Viele Dinge waren schmerzhaft."

Ihr habt "This World" neu aufgenommen. Wart ihr mit der alten Fassung unzufrieden?

Ich mag die neue Version total. Viele Leute mögen das Ding, fragen aber natürlich, warum wir es noch mal aufs Album gepackt haben. Ich finde, die Qualitäten des Songs kommen jetzt viel besser raus. Das Stück bewegt mich mehr, auch wenn es viel langsamer geworden ist. Man kann dem Lied und seinem Inhalt besser folgen. Eine bessere Art, die Platte zu beenden, gibt es gar nicht. Wir versuchen mit Suicidal immer, bestimmte Inhalte rüberzubringen. Mal gelingt das, mal nicht. Und hier geht es halt darum, dass die Welt zwar in einem beschissenen Zustand ist, wir aber nur diese eine haben. Man kann nur aufgeben oder eine neue Welt erschaffen. Es ist nicht leicht. Ich weiß nicht, wie ich meinen Kindern erklären soll, was sie in den Nachrichten sehen. Aber es lohnt sich trotzdem, zu kämpfen.

Sprechen wir ein wenig über die Texte. Ihr habt es geschafft, das neue Album hat endlich einen "Parental Advisory"-Sticker, zum ersten Mal. Was denkst du darüber?

(Lacht) Ich muss lachen, denn ich wusste überhaupt nicht, dass die Dinger noch existieren. Ich hab wirklich gedacht, die wollen mich auf den Arm nehmen. Ein bisschen mit Photoshop rumspielen und lustig sein wollen, sowas in der Art. Aber nein, sie sagten mir, diese Sticker gibt es immer noch. Und ich dachte nur: Oh Gott, das kann doch nicht wahr sein. Und ausgerechnet jetzt. Wir haben uns so lange mit dem PMRC (musikalischer Elternbeirat, Anm. d. Red.) rumgestritten und hatten auch Anteil daran, dass es das Gremium heute nicht mehr gibt. Und jetzt kommen sie wieder damit an? Wirklich, es ist zu lustig.

Vielleicht verkauft sich die Platte wenigstens besser dadurch.

Glaub ich nicht. Auf unserem Album "Suicidal For Life" hatten wir viele Schimpfwörter, da kam sogar eins in jedem Song auf der ersten Seite vor. Aber da ging es uns darum, möglichst unzugänglich zu sein und nicht anbiedernd, das fanden wir sehr wichtig. Wir kamen ursprünglich aus dem Punkrock und da ging es noch nie darum, von Leuten gemocht zu werden. Sogar in der kleinen Punkszene Anfang der 80er waren wir schon die Außenseiter. Ich hatte vorhin ja schon gesagt, dass unser Debüt inzwischen als Klassiker gehandelt wird. Aber ich habe die alten Ausschnitte aus den Fanzines noch, wo sie sagen, wie scheiße wir sind und wie mies unsere Platte ist. Wenn man Dinge anders macht, mögen einen halt viele Leute nicht.

Abschließend eine Frage, die mich immer interessiert: Leidet deine Band unter illegalen Downloads und Musikstreaming? Würdet ihr mehr verkaufen, wenn es das nicht gäbe?

Klar, jeder leidet darunter. Aber in unserer bekloppten Art versuchen wir, das als Chance zu begreifen. Es könnte dazu führen, dass die Grenzen wegfallen. Die Grenzen zwischen Menschen, die nur Musik machen, damit andere Leute sie kaufen - und uns. Wünschenswert wäre eine Situation, wo du ein Album machst, das du wirklich liebst, weil du sowieso nichts verkaufen wirst. Aber ich sehe das Gegenteil. Musiker werden immer ängstlicher und produzieren Zeug, das noch genrespezifischer als vorher ist. Ich höre jetzt auch öfter diese Fragen: "Ihr macht ja Punk und Thrash und Speed Metal gleichzeitig, wollt ihr euch nicht besser auf ein Genre beschränken? Wenn ihr ein reines Thrash-Album aufnähmt, würde es sich besser verkaufen lassen."

Aber was heißt das schon, sich besser verkaufen? Ich möchte am Ende stolz auf meine Platte sein können. Und zwar nicht nur für den Moment, sondern zehn Jahre später auch noch. Ich mache das jetzt schon lange und lasse ich weder von diesen Momenten noch von Verkaufszahlen aus der Ruhe bringen. Ich ziehe wesentlich mehr daraus, wenn Leute auf mich zukommen und mir erzählen, dass ihnen unsere Musik zu einem bestimmten Zeitpunkt Kraft gegeben hat. Musik ist nur ein kleiner Teil im Leben, aber es sollte ein wichtiger Teil sein. Ein Teil, der dich motiviert und dir in den Hintern tritt. Suicidal ist nicht die Schulter deines Freundes, an der du dich ausheulen kannst. Wir wollen dir in den Arsch treten, wenn du dich über das Leben beschwerst, und sagen: Verdammt noch mal, dann tu was dagegen.

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