laut.de-Kritik

Ein wahrhaft Aggro-würdiges Kapitel Kommerz-Geschichte.

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"Wir bleiben noch Stars." Einzig das scheint sicher in einer Welt, in der noch nicht einmal über Jahre hingebungsvoll gepflegte Feindschaften Bestand haben. Ebenso öffentlichkeitswirksam zelebrierten Sido und Bushido jüngst, in Szene gesetzt von der Bild-Zeitung und auf Twitter, ihre Versöhnung. Entbrannt in wieder entfachter alter Liebe zeugten "Deutschraps Top zwei" das gemeinsame Baby "23".

Die einzigen, die die neu entdeckte Eintracht irritieren dürfte, finden sich vermutlich versprengt in den entschlossen verfeindeten Fan-Lagern. Trotzdem werden natürlich sowohl Sido-Sektierer als auch Bushido-Jünger das Kollabo-Werk fleißig kaufen. Wir schreiben, ungeachtet der erfolgten Beisetzung des Sägeblatt-Labels, ein weiteres wahrhaft Aggro-würdiges Kapitel Kommerz-Geschichte.

Glückwunsch! So weit also alles richtig gemacht. Wenn Sido in "So Mach Ich Es" feststellt "Mann, das Leben ist schööön!", oder die Ex-Bürgerschrecks gemeinsam in "Haus Aus Gold" oder dem Titeltrack "23" mit dem bisher Erreichten angeben, fällt zwar die Pose protzig aus. Sie haben aber doch Recht, und die Früchte ihrer Arbeit seien beiden von Herzen gegönnt.

"Deswegen ist für mich jetzt Rap einfach reiner Zeitvertreib", so Bushido. Geschenkt! Ob satte Selbstzufriedenheit allerdings einen fruchtbaren Nährboden für ein unterhaltsames Hip Hop-Album abgibt? "23" hinterlässt jedenfalls einen zwiespältigen Eindruck. Dabei lässt sich alles ganz gut an.

Ein angemessen pompöses "Intro" samt Engelschören und Streichorchester sorgt für einen Einstieg, wie er theatralischer schwer hätte ausfallen können. "Mit Nem Lächeln" erklären Sido und Bushido einander und ihrer Zuhörerschar zunächst einmal, wie sinnlos doch Beef, und wie entspannt dagegen ein harmonisches Miteinander ist.

Beatzarre & Djorkaeff untermauern diese ach so überraschende Einsicht, dieses Plädoyer für Verständigung und Versöhnung, mit einem schlichten, aber wirkungsvollen Beat. Die jodelnde E-Gitarre hätte ich zwar im Schrank gelassen, wuchtige Bässe schieben aber trotzdem gut voran. Die Kluft zwischen Sidos heller und Bushidos dunkler Tonlage erzeugt einen guten Kontrast, dessen Reiz über die Jahre schon beinahe in Vergessenheit geraten ist.

Flächiger tönt, was Paul NZA und Marek Pompetzki für "Und Schon Wieder" zimmern. "Na, wo seid ihr jetzt?" - eine Frage, die sich doch etliche Kollegen gefallen lassen müssen. Sidos gewöhnungsbedürftige gesungene Hookline entpuppt sich in der Wiederholung als ekelhaft eingängig.

Die Vorab-Single "So mach Ich Es" verblüffte bereits im Vorfeld: Den Sinn von Bushidos Part versteh' ich zwar auch nach dem zwanzigsten Hören noch nicht. "Es geht nicht um Mitgefühl. Nein, nicht im Ansatz." (Worum gehts denn eigentlich?) Ist aber auch wurscht, die top produzierte Nummer macht genau so, mit Dicke-Hose-Gebaren, Arschlecken-Attitüde und grenzenloser Arroganz, wunderbar Laune.

Leider hält "23" nicht, was dieser höchst brauchbare Einstieg verspricht. "Engel Links, Teufel Rechts" zuzzelt noch ein bisschen weiter an dem ohnehin schon ausgelutschten Bild widerstreitender innerer Stimmen. Dass der Engel eine rettungslos untergebutterte Position zugewiesen bekommt, war abzusehen.

Die richtigen Ausfälle folgen aber jetzt erst. "Auch Wenn Es Manchmal Regnet" reitet einen nahezu unerträglich zopfigen Akustikgitarren-Sound, der sich im Chorus zu noch zopfigerem Schlagzeug-Gitarre-Bass-Mumpf aufbläst. Der betuliche Text taugt problemlos als Beitrag für den nächsten Kirchentag.

Noch schlimmer wird es, wenn "Erwachsen Sein" - zu ebenfalls erschütternd unkreativem Mainstream-Sound - für den Refrain die personifizierte Ironieresistenz ausgräbt. Peter Maffay darf - pünktlich zur Veröffentlichung des fünften "Tabaluga"-Teils - noch mal in den Anfängen der Geschichte stochern und seinen ollen Nessaja exhumieren. Wer hat da eigentlich wen bezahlt? Das Resultat: eine dröge, angeschlagerte Popnummer, die der Zielgruppe noch schwungvoller die Socken ausziehen wird, als es Eko Fresh in Komplizenschaft mit Nino De Angelo erledigte.

Nach dieser widerlichen Grenzerfahrung reagiert man fast dankbar auf den von J-Luv ausgegossenen Schmalzeimer in "Bring Mich Heim". Sido und Bushido schildern, gar nicht unspannend, Schlaflosigkeit, Sorgen und Selbstzweifel. Die allzu vertraute Mixtur aus Meeresrauschen, melancholischem Piano und jämmerlich leidender Hookline erstickt allerdings aufkommende Atmosphäre im Keim.

Um die "Schattenseiten" des Lebens im Rampenlicht geht es später. Auch hier erstaunt und enttäuscht der überaus konservative Klangkosmos. Wann kamen eigentlich diese schrecklichen E-Gitarren wieder so in Mode, die auch durch "Verriegel Die Tür" knautschen? Dazu hier noch "Hey"-skandierende Homies ... Jungs, irgendetwas Neues hätte man sich ja schon einfallen lassen können.

Es wäre drin gewesen: "Kopf Kaputt" fährt sehr zugedrogte, indisch anmutende Klänge auf, bestreitet die Hook mit Durchladen und Abdrücken. Dass sich (wieder einmal) der Zusammenhang zwischen Sidos Sich-Suhlen im Elend und Bushidos Banküberfall nicht erschließen will: egal! Der Track hat vieles, das noch nicht an jeder Straßenecke breitgetreten wurde.

Düstere Faszination entspinnt sich auch in "Ein Märchen", wenn sich Bushido und Sido zur Abwechslung einmal nicht als Großkotz und Spaßvogel zur Schau stellen, sondern in die Haut weit weniger beneidenswerter Gestalten schlüpfen. Alle Hoffnung auf ein Happy-End zerbröselt zu Staub, wenn dich das Schicksal wie ein Schlag ins Gesicht trifft. Beeindruckend.

Den umwerfenden kommerziellen Erfolg, den man sich bei Sony von "23" verspricht, fährt die Koproduktion sicher mühelos ein. Mit bahnbrechenden Errungenschaften für den deutschen Hip Hop hat ohnehin niemand gerechnet. Insofern: Sido und Bushido haben ihre Mission erfüllt. Es stimmt wohl: "Wir bleiben noch Stars."

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Mit Nem Lächeln
  3. 3. Und Schon Wieder
  4. 4. So Mach Ich Es
  5. 5. Willy 1 (Skit)
  6. 6. Engel Links, Teufel Rechts
  7. 7. Auch Wenn Es Manchmal Regnet
  8. 8. Erwachsen Sein feat. Peter Maffay
  9. 9. Bring Mich Heim feat. J-Luv
  10. 10. Ein Märchen
  11. 11. Willy 2 (Skit)
  12. 12. Haus Aus Gold
  13. 13. Schattenseiten
  14. 14. 23
  15. 15. Verriegel Deine Tür
  16. 16. Kopf Kaputt
  17. 17. Schöne Neue Welt feat. Kay One

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