21. März 2014

"Verachtung hält jung"

Interview geführt von

Seit der Frankfurter Schule hat es sich niemand mehr im "Grandhotel Abgrund" so gemütlich gemacht wie sie. In ihrem allerersten Interview erzählen die Kamikaze-Brüder, warum einem ein Zimmer in dieser Absteige manchmal den Arsch retten kann.

An der Tür zu besagtem Zimmer hängt ein Schild mit der Aufschrift "Ein Herz für Rap". Der kann reinkommen. Der Rest sollte draußen bleiben. Drinnen machen die Kamikazes gemeinsam mit ihren Homies Musik, damit sich die Welt, zumindest eine Zeit lang, um ein paar BPM langsamer dreht.

Ob es den Untergrund zu Zeiten des Internets überhaupt noch gibt, darüber kann man sich streiten. Gäbe es ihn noch, wären die Kamikazes aber definitiv ein Teil davon. Nicht aufgrund ihrer noch recht überschaubaren Fanbase, sondern weil die Wupperclass eine Liebe zur Ursprünglichkeit in sich trägt, die manch gefeiertem Superstar bereits vor langer Zeit abhanden gekommen ist. Bei manchem war sie vielleicht gar nie vorhanden. Im Kampf um das Aufrechterhalten der "Deutschrapblase" - sei es durch geifernde Industriegiganten, die kategorisierende Deutschrapjournaille oder die nach Aufmerksamkeit hechelnden Rapsternchen selbst - verliert mancher da draußen das Bewusstsein dafür, wofür Musik eigentlich da ist: dafür, sich innere Freiräume zu schaffen, sich von Unterdrückung zu befreien, Luft zu holen und das Leben einfach einmal auf ein paar Beats und Bars herunterzufahren.

Fangen wir mit eurem Namen an: "Kamikazes" hat etwas sehr Zerstörerisches. Richtet sich das vorrangig gegen euch oder gegen die anderen?

Antagonist: Ich würde sagen, es ist eine Mischung aus beidem. Zum einen geht es in unserer Musik um selbstzerstörerische Tendenzen, die aber, wenn es zum Beispiel um das Thema Drogen nehmen geht, eher Ausdruck einer allgemeinen Unmöglichkeit sind, Lücken auszufüllen. Auf der anderen Seite spiegelt der Name auch einfach Wut auf Lebensumstände, die menschliche Umgebung oder generell den sozialen Bezugsrahmen wieder. Ich habe angefangen zu rappen, indem ich in meiner Klasse gesessen, im Kopf gefreestylt und die einzelnen Leute beleidigt habe. Aber es deutet auch immer auf einen selbst zurück, wenn man andere beleidigt, deswegen: in alle Richtungen Kamikaze.

Mythos: Das ist auf jeden Fall eine gute Frage. Ich hab' darüber noch nicht so richtig nachgedacht. Das stimmt schon, was du sagst: Es geht genau in diese beiden Richtungen. Was wir machen, ist im Prinzip ja schon Battlerap. Wir machen keine großartigen Themensongs über spezielle Dinge, die wir abarbeiten, sondern es ist immer diese Battlerap-Komponente dabei, indem wir sagen: 'Wir sind schon cooler als der Rest.' Lacht. Insofern schon mal Kamikaze. Aber auf jeden Fall auch in die andere Richtung, denn es ist nicht der sture Battlerap, den wir machen, mit Punchlines, in denen wir uns besonders toll darstellen, sondern da kreisen wir schon immer um uns selbst. Insofern geht das immer in beide Richtungen.

Für unser Porträt habt ihr mir schon ein bisschen erzählt, wie das angefangen hat mit der Musik, wie ihr zu Prezident und dem Whiskeyrap-Umfeld kamt. Vielleicht wollt ihr das aber auch noch um ein paar Aspekte erweitern, die noch nicht zur Sprache kamen?

Antagonist: Wir haben Viktor (Anmerk. d. Red.: Prezident) relativ früh kennengelernt. Das war zufällig in einer Phase, in der wir überhaupt die ersten Berührungen mit Rap im Allgemeinen hatten. Ich würde sagen, dass die Beziehung zwischen Viktor und uns - was mich angeht, zumindest - eine große Rolle in meiner persönlichen sprachlichen Entwicklung spielt. Viktor war für uns immer ein Mensch, der außerordentlich gut mit Sprache umgehen konnte. Er hat uns dementsprechend immer viel eröffnet, was die Möglichkeiten anbelangt, uns überhaupt sprachlich mitzuteilen. Aber eher insofern, was es für Möglichkeiten gibt, die Welt zu sehen und damit umzugehen, und daraus etwas Produktives zu machen. Er hat uns zum einen die technischen Grundschritte gezeigt, wie man überhaupt Rapmusik machen kann. Das war uns damals noch völlig unbekannt. Und zum anderen hat er uns eine sprachliche Weltsicht bereit gestellt. Man kann von außen denken, dass wir im Fahrwasser dieses Stils mitschwimmen, aber das ist auch alles eng verwoben mit unserer persönlichen Entwicklung von früher Jugend an. Früher wurde oft gesagt, wir wären wie Prezi in schlecht. Dazu kann ich gar nicht sagen, dass es völlig falsch ist. Aber eben nicht aus dem Grund heraus, dass wir uns hingesetzt haben und gesagt haben, wir fahren jetzt die gleiche Linie. Sondern indem sich seine Sprache und seine Möglichkeiten in unserer Art, uns auszudrücken und mit Menschen zu reden, fortgesetzt hat.

Mythos: Es gibt ein Zitat von ihm, das heißt: "Schwäche zeigen, ohne sich lächerlich zu machen." Das quasi zu verbinden mit dem, was Rap eigentlich ist: dieses Egofixierte, aber dann eben doch auch Schwächen zugeben zu können. Das war es, was uns sehr geflasht hat an der Musik und was wir auch sonst im Deutschrap so nicht kennen. Wir haben dir ja schon erzählt, dass wir mehr Ami Rap hören. Bei Prezi war es das erste Mal so, dass wir dachten: Das ist der Style, der cool ist, zu fahren. Prezi war mit uns auf einer Schule, wir waren die kleinen Scheißer und er war in der Oberstufe mit unserer Schwester und unserem Cousin. So kam dann der Kontakt zustande. Auch nochmal dicke Props an ihn, denn er fand unsere Mukke scheiße, hat uns aber trotzdem die ganze Zeit bei sich aufnehmen lassen und hat uns Beats von sich gegeben. Das war schon 'ne coole Sache.

Wie findet er inzwischen, was ihr macht?

Antagonist: Ganz gut, so. Da sind ja aber auch Welten dazwischen! Mit dem ersten Album, das wir aufgenommen haben, war er dann überzeugt. Er hat eigentlich auch dafür gesorgt, dass die beiden Alben überhaupt zustande gekommen sind, weil Linus und ich immer ziemlich planlos an allem arbeiten. Wir machen viel Session zusammen, aber haben schon sehr ungeregelte Abläufe. Viktor sorgt dafür, dass das alles einen gewissen Rahmen hat.

Mythos: Er pusht uns halt auch hart! Dass er uns Props gegeben hat zu dem, was wir zu machen, hat uns gepusht, das fertig zu kriegen.

Antagonist: Der Einfluss von Viktor für uns, um das vielleicht nochmal zusammenzufassen, ist zum einen dieser musikalische, zum anderen ein riesiger Teil der Sozialisation, weil er uns auch sprachlich in gewisser Weise großgezogen hat. Er hilft uns nicht nur im Bereich des Musikmachens weiter, sondern das ist etwas, was sich von einer sprachlichen Anschauung der Welt durch jeden Lebensbereich zieht. Er ist einfach ein extrem einflussreicher Mensch für uns.

Ihr bezeichnet ihn (schon seit EMP) als den "lyrisch besten Rapper Deutschlands". Warum, meint ihr, haben das so lange so wenige erkannt? Und warum ist er trotz einstimmig guter Kritiken zum neuen Album immer noch eher "Untergrund" - wie auch ihr?

Mythos: Unsere Mukke ist ja schon ehrlich relativ düster. Es ist nicht so, dass wir die kompletten Außenseiter sind, dass wir uns als ewige Misanthropen fühlen, aber das ist ein bestimmtes Gefühl, das wir mit der Mukke transportieren können. Wenn ich mich auf den ganzen riesen Events im Hip Hop umkucke - dieser ganze Hype ... Unter den bekannten Musikern gibt es auch super Leute, auf jeden Fall, aber dieser ganze Hype, der darum entsteht und die ganzen Fans, die da dazukommen, sind nicht die Menschen, mit denen ich zu tun haben möchte. Das ist keine miesepetrige Einstellung dazu, sondern das ist einfach so. Unsere Mukke ist relativ persönlich. Die Leute, die uns feiern, die feiern uns dann auch wirklich. Für die ist es wichtig, was wir sagen und wie wir das sagen. Aber es ist nicht so, dass ich da großartig traurig bin, dass wir so wenig Beachtung finden. Ein bisschen Beachtung bekommen wir ja inzwischen. Das finde ich auch gut. Kann gern mehr sein.

Antagonist: Ich glaube, dass in vielen Kreisen, in denen Rap gehört wird, Rap einfach etwas ist, bei dem man sich, im Humor zum Beispiel, einigen kann. Wenn ich an die ganzen Bushido- und Sido-Sachen denke, die ich früher gehört hab', ging es ja immer auch darum, im Freundeskreis so 'ne krasse Provokation zu feiern, die man dann nachlebt. Ich glaube, das ist bei unserer Mukke schwierig. Es ist nichts, wofür man sich in einer großen Gruppe begeistert. Man muss sich reinhören. Man ist manchmal vielleicht am Anfang auch überfordert. Ich glaube, dass viele Leute, die das feiern, das dann eher über Erlebnisse feiern, bei denen sie allein mit dem Kopfhörer unterwegs sind. Das ist nichts, was man seinen fünf Freunden zeigt und über den ersten drei Punchlines ist klar, wie der Hase läuft. Das macht es einfach schwer. Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl - mit dem letzten Prezi-Album - dass es schon generell eine größere Hörerschaft gibt, für sowas. Das sieht man ja auch an den 58Leuten (Anmerk. d. Red.: 58Muzik), die jetzt mehr Erfolg haben.

Ich glaube schon, dass diese Art von Rap und diese Art des Raphörens mehr und mehr Beachtung bekommt. Aber ich glaube nicht, dass es diesen Big Bang gibt, wo das plötzlich ein flächendeckendes Phänomen ist. Aber das ist ja auch Teil unserer Herangehensweise. Wir wollen uns schon von der ganzen Rap-Persona her vom Mainstream abgrenzen. Es gibt viel unterhaltsamen Rap, aber der, der wirklich flächendeckend ist, ist immer der, der diese gewisse Komponente hat, auf die sich alle einigen können. Da braucht man dann vielleicht einen gewissen flachen Humor - der kann mehr oder weniger gut sein - und den haben wir halt nicht. Viele Leute glauben ja auch, wir wären persönlich viel düsterer drauf. Der Spruch von Curse: "Wer Deepes sagt, muss nicht ständig auf Deepes machen", ist aber sicher ganz gut, in diesem Zusammenhang. Wir leben das halt in der Musik aus, sind aber persönlich eigentlich ganz lustige Typen.

Mythos: Dieser ganze Raphype hat ja auch auf jeden Fall super Sachen mit raufgespült. Wir wohnen schon seit einiger Zeit in Frankfurt und feiern die ganzen Frankfurter Gangstarap-Sachen bis zum Gehtnichtmehr. Wir sind nicht anti gegenüber allen anderen, aber sehen es schon so, dass wir einfach was anderes machen. Aber das ist auch okay.

Eine für euch sehr bezeichnende Line: "Ich leiste mir die Außenseite." Warum ist es für euch so wichtig, nicht zugehörig zu sein zu dem, das die breite Masse ausmacht?

Antagonist: Egal, welche Art von Rap man macht, finde ich immer sehr beeindruckend, wenn man das Gefühl hat, das ist eine relativ spontane, ehrliche Äußerung, die dann irgendwas Eigenes hervorbringt. Und entweder wird die dann gefeiert oder nicht. Wenn man sich auf irgendwelchen Jams Rapartists anhört, die so den Bekanntheitsgrad von uns haben, habe ich das Gefühl, da wird so viel nachgebaut. Das finde ich generell traurig. Da wird dann versucht, den Synthiebeat zu bauen, auf dem dann der Partybanger ist, und dann kommt der Pianobeat, um darauf irgendein tiefgründiges Thema aufzuarbeiten. Wenn wir sagen: "Ich leiste mir die Außenseite", ist das auch so gemeint, dass wir machen, worauf wir gerade Bock haben, ohne vorher daran zu denken, wer das womöglich gut finden könnte und wer nicht. Es ist dieses "es sich leisten", dieses völlig zweckungebundene Musikmachen, das ich, egal, in welchem Bekanntheitsgrad das Leute machen, meistens sehr feierbar finde.

"Untergrund? Ist eben auf die Fresse."

Macht das den "Untergrund" so gut?

Mythos: Ich glaube, das Wort "Untergrund" stammt noch aus einer Zeit, in der das Internet noch keine so große Rolle gespielt hat wie jetzt. Natürlich gibt es bestimmte verstärkte Trends, aber den Untergrund noch so scharf abzugrenzen, ist heute nicht mehr möglich, weil theoretisch der Schritt von Untergrundhype zu Internethype zu Bekanntwerden eigentlich in Echtzeit passieren kann. Jeder, der früher potenziell Untergrund war, vermarktet sich heute in der gleichen Weise, wie sich irgendein großer Rapstar vermarkten würde. Daher kann ich mit dem Wort "Untergrund" mittlerweile nicht mehr so viel anfangen. Früher, wo es lokale Jams gab, hat das Wort noch Sinn gemacht, aber mittlerweile sehe ich nicht mehr so genau, was Untergrund sein soll. Aber ja, ich würde sagen, vielleicht trifft es am ehesten das, was Lukas vorhin gesagt hat: dass man seine Musik eben nicht für einen vorher abgesteckten Markt produziert, wo man vorher einplanen muss, wem es gefallen oder wer es kaufen könnte. Sondern dass es eben auf die Fresse ist. Man bringt es raus und muss sich nicht die Selbstbestätigung über einen gewissen Erfolg holen, sondern man hat eine Vorstellung davon, wie es klingen soll und ist damit schon zufrieden, wenn es so wird, wie man es haben wollte. Was damit passiert, wie viele Leute es hören wollen: Das liegt nicht mehr in unserer Hand.

Antagonist: Für mich ist Untergrund auf jeden Fall auch, wenn man noch Mukke mit seinen Homies macht. Für mich ist das einfach noch eine sehr urwüchsige Art, Musik zu machen. Gerade im Hip Hop teilt sich das dann im Freundeskreis so auf, dass gewisse Leute anfangen Beats zu bauen, während andere scratchen oder rappen. Ich glaube, das ist ein sehr fruchtbares Umfeld, um gute Musik zu machen. Gerade, weil es in Bereiche des eigenen Lebens fällt und man sich von bestimmten Sachen befreit, wie zum Beispiel vom Arbeitsleben oder der Notwendigkeit, Geld zu verdienen. In diesem Freiraum entsteht dann mit direkten Homies ziemlich geiler Stuff. Der Moment, in dem man anfängt, kommerziell Musik zu verkaufen, ist eigentlich wieder der Schritt zurück ins Arbeitsleben. Das Arbeitsleben zwingt uns alle dazu, Spießer zu werden. Wenn ich mir Leute anschaue, die Nummer-eins-Alben verkaufen und das zweite Album ist dann voller schmächtiger Tracks, dann liegt das daran, dass diese Leute eigentlich im tiefsten Innern schon immer Spießer waren. Und plötzlich sind sie von Spießern umgeben, die noch mehr fordern, und das sind nicht mehr ihre Homies, das ist nicht mehr ihre Freizeit - obwohl "Freizeit" auch ein schwieriger Begriff ist. Aber ich glaube, das ist genau das, was ich dann an Untergrund feier': Das sind Leute, die sind spontan zusammen, weil sie sich sowieso mögen, weil sie an irgendetwas hängen, weil sie sich damit innerlich irgendwelche Freiräume verschaffen und in dem Moment einfach geile Musik rausbringen. Das find' ich an Untergrund einfach cool.

Euer neues Album "Kleiner Vogel" erscheint am 11. April. Jetzt gehen wir mal von der Hypothese aus, es steigt in die Top Ten der Albumcharts ein: Hättet ihr da das Gefühl, euch selbst zu verraten oder würde dann doch eher das Künstlerego, das Gehör finden möchte, den Idealismus, nichts für die breite Masse machen zu wollen, in den Sack stecken?

Antagonist: Das Ego gibts natürlich! Auch wir checken ab, was wie oft geklickt wird und lesen hechelnd alle Kommentare. Lacht. Klar ist uns das nicht scheißegal. Wir scheißen nicht auf alles. Wenn man denkt, wie das Album entstanden ist, wäre ein solches Szenario völlig super - egal, zu welchem Erfolg es kommt. Wenn man dann aber weiter macht, weiß ich nicht ... Ich kann mir nicht vorstellen, dass da jemand von außen kommt und sagt: Wir wollen das und das sehen und müssen das und das verkaufen. So hab' ich nie gearbeitet. Aber natürlich freuen wir uns über jeden Erfolg, den wir haben - gar keine Frage.

Mythos: Der Spruch "Der Erfolg gibt einem Recht" stimmt ja auch. Die Fans sind kopfmäßig auf der Schiene wie die Leute, die die Musik machen. Wenn es so ein breites Publikum ansprechen würde, wäre ich auf jeden Fall freudig überrascht, weil unsere Musik zum Teil schon sehr eigen ist.

Antagonist: Aber wir wären auch nicht traurig, wenn das nicht passiert, weil wir eben den Anspruch an Musik haben, dass sie eine gewisse Urwüchsigkeit in sich hat. Ich würde mir ja wünschen, dass alle Leute - unabhängig davon, was es für einen Erfolg geben könnte - einfach das raushauen, was sie gerade am meisten fühlen. Deshalb würde keinen Erfolg zu haben uns in unserer Vorstellung von Musik auch wieder Recht geben.

Ihr habt mir bereits ein paar Hörproben vom neuen Album zukommen lassen. Zur ersten Single "Grandhotel Abgrund" habt ihr vor ein paar Tagen ein Video gedreht.

Antagonist: Genau.

Im Song gibts die Zeile "Kamikaze - denn nur Verachtung hält jung." Verachtung schwingt in euren Tracks immer wieder mit - ein Gefühl, das auf Dauer sehr zehrend sein kann. Inwiefern seid ihr tatsächlich so und inwieweit ist das nur Attitüde bzw. euer Stilmittel?

Antagonist: Ich würde gar nicht sagen, dass ich die ganze Zeit mit so einem riesen Hals durch die Gegend laufe. In dieser Zeile speziell geht es darum, dass die Verachtung einen vor dem Abgrund rettet, in dem wir stecken. Es geht in den Strophen darum, dass ein Drogenfilm gefeiert wird, und die Hook ist die Stimme aus dem Hinterkopf, die dir dann zeigt, was da los ist. Mit der Zeile ist gemeint, dass die einzige Rettung im Prinzip darin liegt, auf alle, die noch tiefer im Abgrund stecken, runterzukucken. Ich glaube, das ist etwas, was einen generell oft rettet. Wenn man im Büro sitzt und angeschrien wird von der Chefin, dann ist die Verachtung, die man für die persönlich empfindet - die man vielleicht gar nicht begründen kann - eine Form, sich vor dieser Unterdrückung zu retten. Diese Verachtung schlägt immer gleichzeitig gegen einen selbst und gegen das, was von außen auf einen einprasselt. Das ist wieder die Mischung aus beidem. Diese Verachtung ist an dem Punkt eher ein Verzweiflungsakt. Sich gedanklich eine Position schaffen, von der man auf andere runterkucken kann, obwohl man eigentlich überhaupt keinen Grund dazu hat und total leidet, unter den anderen. Auch wenn man überhaupt nicht überlegen ist, kann man sich gedanklich oder sprachlich eine neue Position schaffen, in der Verachtung einen rettet, in der Verachtung einen jung hält. Für mich bedeutet "jung halten" nicht völlig aufzugeben, in den Zwängen, sondern sich seinen Freiraum zu halten - und der funktioniert zum größten Teil, glaube ich, nur über Verachtung.

Was sind die schlimmsten, dümmsten und verachtenswertesten Wesensarten der Menschheit, von denen ihr euch distanziert?

Mythos: Es hilft da nicht viel, eine Sache herauszuheben. Natürlich gibt es überall verachtenswerte Sachen. Die verachtenswerteste Sache überhaupt ist die, dass es einfach immer weiter geht, dass es immer, immer weitergeht und immer noch weiter fortschreitet. Das ist die verachtenswerteste Sache. Aber da haben halt alle anderen Sachen ihren Anteil dran, deswegen ist da wenig hervorzuheben, glaube ich.

Antagonist: Was wir wirklich sehr aufrichtig verachten, sind unsere Mitstudenten. Wir studieren beide Psychologie, in der man ein sehr technisches Menschenbild entwickelt hat. Die Psychologie als Wissenschaft übernimmt gewisse Aufgaben der Kategorisierung und Behandlung der Menschen. Was wir da zum Beispiel wirklich verachten, sind Leute, die es schaffen, da wirklich diszipliniert zu arbeiten und gleichzeitig noch so ein Menschenbild von sich selber als Menschenversteher oder Gutmensch aufrecht zu erhalten, als Menschen, die für das Gute einstehen! Und die dabei nicht begreifen, dass alles ein Prozess ist, in dem die gesellschaftlichen Umstände immer wieder reproduziert werden, und der extrem zweckgebunden ist und eine extreme Machtausübung darstellt. Auf solche Menschen blicken wir schon ein bisschen hinab.

Mythos: Vielleicht mal eben noch zum Titel von "Grandhotel Abgrund": Das ist ein Begriff, der aus dem Philosophischen kommt, den Georg Lukács gegen Adorno und die Frankfurter Schule benutzt hat. Der war irgendwann im Sowjetsystem relativ erfolgreich. Das kann man quasi als seine Theorierichtung beschreiben. Und der hat gesagt: Adorno und so weiter, die sitzen alle in ihrem "Grandhotel Abgrund". Das meint genau das: Die kritisieren alles, aber haben keinen Plan wie es weitergehen soll. Das ist so ein bisschen was zum Titel des Tracks. Wir empfinden Verachtung, können aber nicht sagen, wie es besser laufen sollte. Diese Spannung versucht unsere Mukke zum Ausdruck zu bringen.

Antagonist: Ja. Das ist eine völlige Machtlosigkeit. Die Musik gibt uns die Möglichkeit, damit zumindest in irgendeiner Weise umzugehen, etwas zu erschaffen aus dem Nichts. Natürlich machen wir es uns darin bequem, aber dafür gibt uns der Rap auch die nötige Zeit.

"Als wäre Rap so ein Typ, dem es mal gut und mal schlecht geht"

Es gibt eine Line von Euch, die heißt: "Ich habe keine Mitstreiter und weil ich mich weiger', mitzustreiten, komm ich leider keinen Schritt weiter:" Steht ihr euch manchmal selbst im Weg?

Antagonist: Ja. Definitiv. Wir waren nie Leute, die irgendwelche anderen Leute anhauen oder versuchen, groß Kontakte zu knüpfen - zum Teil aus Schüchternheit, zum anderen Teil aber auch, weil wir immer schon einen automatischen Ekel hatten, gegen dieses "Wir ziehen alle gemeinsam an einem Strang".

Mythos: Wir sind nicht so die Hype-Menschen, die kucken müssen, dass sie dem nächsten Bekannten am Arsch hängen, damit sie ein bisschen weiterkommen.

Antagonist: Das hat sich auch mit Viktor sehr natürlich entwickelt. Wir waren über Jahre zusammen unterwegs, haben ziemlich wenig Solozeug und viel mit ihm zusammen gemacht. Da hat sich einfach von alleine was ergeben, ein Strang, an dem man ziehen kann. Aber auch auf so Jams wie heute zum Beispiel: Ich habe gar nichts gegen die anderen Leute hier, aber es würde uns beiden einfach von unserer Natur her sehr schwer fallen, zu Leuten zu gehen und zu sagen: 'Ey, check das doch mal ab!' Viele andere Leute, die es vielleicht weniger verdient haben, haben viel erreicht, indem sie das genau so gemacht haben. Ist vielleicht auch gar nicht verkehrt. Wahrscheinlich stehen wir uns da im Wege, aber so sind wir eben.

Mythos: Mein Begriff von Musik ist halt auch, dass sie nicht unbedingt den Zweck hat, weiterzukommen. Sondern, dass es gerade bedeutet, ein bisschen Tempo rauszunehmen, aus dem, das die Realität einem aufzwingt, indem man sich ständig weiter entwickeln muss, immer an Ansprüchen wachsen muss, bis man irgendwann fertig ist. Bei Musik, die ich schätze, ist immer ein Aspekt, dass sie Zeit rausnimmt, einen komplett raushaut, aus den alltäglichen Zwängen. Und dieses "einen Schritt weiter kommen" bedeutet gerade diesen alltäglichen Zwang. Was kann man jetzt vorweisen, was man mit der Musik gemacht oder geschafft hat? Und all sowas. Unsere Musik ist ja auch relativ langsam. Vielleicht ist das ja abbildend dafür. Sie könnte nicht im Club gespielt werden, weil sie viel zu langsam ist. Das ist unser Ding.

Antagonist: Ich glaube, wir verweigern uns auch einfach so einem Lebensentwurf, der im Endeffekt mit einem Lebenslauf gleichzusetzen ist. Musik ist so ziemlich das Letzte, das wir uns noch erhalten wollen, wo nicht gefragt wird: 'Du hast jetzt so und so viel Zeit damit verbracht, was ist denn jetzt dabei rausgekommen?' Das wird überall gefragt! Wenn du mal 'ne Lücke von ein bis zwei Jahren im Lebenslauf hast, wird dich danach jemand fragen, wie das zustande gekommen ist. Davon befreit uns die Art von Musik, die wir machen. Die Frage, was wir erreichen wollen, stellt sich sehr selten.

Nochmal zu eurem kommenden Album "Kleiner Vogel". Was ich bisher hören konnte ist vom Style her auf jeden Fall Kamikazes wie man sie kennt. Was erwartet uns denn?

Mythos: Das ist schon Kamikazes, wie man sie kennt - größtenteils wieder langsame Tracks - aber es ist sehr viel ausgereifter und im Vergleich zu den bisherigen Sachen auf jeden Fall ein komplettes Album. Wir haben sehr lange an den Beats gesessen, die wir diesmal hauptsächlich zu zweit gebaut haben. Vorher war es so: Lukas hat einen Beat gebaut und wir haben gleich was drauf gemacht. Diesmal ist das ein richtiger Prozess, indem wir ganz lange an den Tracks sitzen und eigentlich gleichzeitig Texte schreiben und Beats bauen.

Die Produktionen habt ihr zu allen Tracks selbst gemacht?

Mythos: Ja, fast. Jay Baez hat zwei Beats beigesteuert.

Antagonist: Man kann vielleicht noch allgemein zur Konzeption des Albums sagen: Dadurch, dass wir in den letzten Jahren durch sehr viele Hochs und Tiefs gegangen sind, beide auch sehr dazu neigen, in sehr extreme Zustände zu geraten, haben wir versucht, ein Album zu machen, indem wir diese Zustände aufgreifen und in Tracks verpacken, ohne aber Themensongs daraus zu machen. Das war uns sehr wichtig. Wir haben beide eine Abneigung gegen diese typische Deutschrap-Herangehensweise, bei der man einen Themensong hat, in dem das Thema auf ein Wort runtergebrochen wird. Das ist dann der Titel und wird dreimal in der Hook wiederholt, und am besten hat man noch zwei Rapper, deren Lines alle vier Bars mit diesem Wort wieder anfangen. Wir wollten versuchen, keinen Themensong zu machen, aber mit jedem Song einen bestimmten Zustand zu repräsentieren, der sich in die Produktion reinzieht, ohne dass man diesen Zustand unbedingt in einem Wort nennen muss. Das Album sieht schon nach diesem typischen Kamikaze-Style aus, aber man kann sich, wenn man möchte, ziemlich tief in die einzelnen Songs einfühlen. Was sicher seine Zeit brauchen wird. Und das wollten wir auch erreichen. Wir wollten Songs machen, in die man sich einfühlen muss, um die Themen der einzelnen Songs aufzunehmen. Das muss auch nicht immer klappen. Aber das war die Herangehensweise an das Album. Wir versuchen, einen Zustand möglichst gut abzubilden, ohne ihn zu beschreiben.

Wird eigentlich auch Frankfurter Ali B. mit auf dem Album sein?

Mythos: Nee, leider nicht! Schöne Grüße auch an dieser Stelle an ihn! Wir hoffen, dass es ihm gut geht!

Wieso, was ist los mit ihm?

Antagonist: Er ist gesundheitlich nicht gut dran. Wir hoffen, dass er stark bleibt!

Wenn man eure Geschichte verfolgt und eure Tracks hört, entsteht der Eindruck, dass ihr als Brüder sehr eng miteinander verbunden seid. Wie ist das tatsächlich im Alltag?

Mythos: Wir sind letztes Jahr nach Offenbach gezogen - Offenbach Ost for life! Lacht.

Ah! Habt ihr Hafti schon getroffen?

Mythos: Lacht. Nee, leider nicht! Aber ein paar Jungs aus seinem Video haben wir schon gesehen ... Wir sind jetzt auch zusammengezogen, was für die Mukke auf jeden Fall einen Schritt nach vorne gegeben hat. Wir sind ziemliche Familienmenschen.

Antagonist: Wenn man das mit anderen Brüdern vergleicht: Wir sind schon so aufgewachsen, dass wir miteinander ziemlich extreme Filme gefahren haben, die wir uns dann gegenseitig auch immer erzählt haben. Wir haben uns immer viel darüber mitgeteilt, wie wir die Dinge sehen. Dieser Punkt, der bei Geschwistern oft kommt, an dem man einen Groll gegeneinander aufbaut und glaubt, man muss über den anderen herauswachsen, ist bei uns nie eingetreten. Wir hatten auch mal eine Weile ein bisschen weniger miteinander zu tun, aber haben immer miteinander über Sachen gesprochen, die wir sonst mit niemand anderem besprechen würden.

Mythos: Wir haben es auf jeden Fall gut drauf, uns abzukapseln! Gelächter. So zu zweit von vielen anderen.

Antagonist: Ja, das zieht sich durch alle Lebensbereiche.

Ihr habt erzählt, dass Prezident euch damals auch an den US-Rap, damals vorrangig den der 90ern aus New York, herangeführt hat, was euer Interesse für Deutschrap bis heute in den Schatten stellt. Beschäftigt ihr Euch damit, was in der Szene so passiert? Hört ihr euch neue Deutschrapplatten an?

Mythos: Auf jeden Fall! Das ist so ein Bereich, in dem wir ein bisschen nerdig sind. Da hören wir uns schon alles an. Aber gerade im Moment mit dem Hype ... Ich finds super, dass so viele gute Sachen da mit hochgenommen werden. Gerade, was den Gangstarap angeht, finde ich, hat Deutschrap einen extremen Sprung nach vorne gemacht. Aber ich habe auch das Gefühl, dass alles gerade so extrem überladen ist. Bei den ganzen Rapseiten, die man so abcheckt, bringt jeder Spast, jede Woche drei Videoblogs raus! Das ist im Moment einfach ein bisschen zu viel, um das alles abzuchecken. Das ist zumindest mein Eindruck. Aber Deutschrap ist natürlich schon super interessant.

Antagonist: Es gibt, glaube ich, ja auch noch so viel, von dem man gar nichts mitbekommt. Was ich zum Beispiel arg gefeiert hab', sind die Jungs aus Düsseldorf, Disko Degenhardt und so ... auch so in unserem Bekanntheitsgrad. Eine extrem geile Crew! Die haben wir im letzten halben Jahr extrem viel gehört.

Mythos: Hiob feiern wir auch zu Tode!

Antagonist: Ja, oder Jotta ... aber eben auch Celo & Abdi und Hafti, und so weiter..

Na, dann seid ihr ja heute in guter Gesellschaft!

Antagonist: Lacht. Ja! Deswegen ist die Jam heute auf jeden Fall schon mal nicht zu verachten.

Ihr sagt: "Wenn du sagst, du bist Rap, bist du mir schon egal." Warum? Was ist Rap für Euch?

Antagonist: Wenn man sagt: "Ich bin Rap", macht man eine Kategorie auf, die es meiner Meinung nach nicht gibt. Weil uns mit dem Rapper am Nebentisch vielleicht nichts verbindet als die technische Herangehensweise. Auf der anderen Seite glaube ich, dass Rap als Musikrichtung schon was krass Einzigartiges hat, sobald sie in Echtzeit urbane Kultur übersetzen kann. Deswegen ist Rap auch in der Gesamtheit, was man da an verschiedenen Richtungen hören kann, extrem interessant und kann einen, wenn er gut ist, immer extrem flashen. Egal, ob der Lebenstil dessen, der da rappt, auf das eigene Leben übertragbar ist oder nicht. Aber ich finde, im Deutschrap, auch in der Berichterstattung über Deutschrap, geht es immer darum, welchen Status Rap jetzt eigentlich hat. Was hat der erreicht? Wie kann man das jetzt aus der Perspektive 2014 beurteilen? Und da denke ich mir dann immer: Da ist ein völlig künstlicher Begriff aufgemacht worden, an dem jetzt plötzlich alles gemessen werden muss. Dieses zwanghafte Vertreten der Ideologie - man ist Rap oder ist nicht Rap - ist völlig entleert.

Mythos: Die Frage "Was ist Rap?" ist ja meistens auch eine Frage, die Leute von Presseseite her stellen, um dann ihre eigene Existenz durch diese Frage zu begründen und dadurch etwas künstlich konstruieren. Was ich an Rap extrem geil finde ist, dass der, der die Sache ausspricht, auch wirklich dafür steht. Das hat man sonst in keiner anderen Musikrichtung, dass derjenige, der etwas sagt, quasi 100% mit seinem Ego oder seinem Image, das er kreiert hat, dafür einstehen muss. Da passieren im Rap extrem interessante Sachen. Deswegen feier' ich das auch so hart.

Antagonist: Die Zeile bedeutet nicht, dass wir nicht hinter Rap im Allgemeinen stehen. Wir sind echte Rapfans. Wir lieben Rap. Auf der anderen Seite gibt es für mich zuviel Gerede um Rap. Als wäre Rap so ein Typ, dem es mal gut und mal schlecht geht. Man sollte sich einfach allgemein mit dem Phänomen Rap auseinandersetzen, anstatt zuviel an dem Begriff festzuhalten. Oder auch so zu tun, als wären wir alle eins. Weil es halt einfach nicht so ist.

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