laut.de-Kritik

Die betagten Kindsköpfe verstehen die Welt nicht mehr.

Review von

"Wie? Schon wieder Kärbholz? Kam nicht gerade erst 'Kapitel 11: Barrikaden'?" Kärbholz müssen ihre Anhänger für ausgesprochen einfältig halten. In einem ellenlangen Pressetext erklären die Punkrocker, wie "der kreative Funke" im ersten Lockdown "einen Flächenbrand ausgelöst" habe. "Kapitel 10: Wilde Augen" sei zuerst entstanden, das spätere Kapitel aber das "perfekte erste Album". Also zählen die Rheinländer rückwärts. "Rudimentärer und ungestümer" falle ihr zweites Werk innerhalb eines Jahres aus. Einfacher ausgedrückt handelt es sich schlicht und ergreifend um unreflektierten Krach.

Kärbholz verzichten in ihren Songs auf jede Form der Dramaturgie. "Willkommen In Der Zehnten Episode" hält über drei Minuten durchweg dasselbe Energielevel. Der Refrain unterscheidet sich gegenüber den Strophen nur darin, dass Tobias Höffgen etwas schneller gegen den Sound anbrüllt. In "Seele Auf Der Haut" schwelgen sie in Tattoo-Träumen, ohne die surrende Tätowiernadel musikalisch sinnvoll zu integrieren. Zumeist vermittelt die Band einen kindischen Eindruck, wenn sie ihre Instrumente behandelt, als sei sie mit ihnen in eine Schlägerei verwickelt.

Zu dieser ungestümen Form gesellen sich Texte, deren Urheber unmöglich bereits die Volljährigkeit erreicht haben können. In "Wilde Augen" spielen sie nervige Partygäste, die sich selbst zu fortgeschrittener Stunde weigern, nach Hause zu gehen. Vom Suff benebelt erfreut sich das Quartett an Szenarien wie aus Teenie-Komödien: "Deine Nachbarn werden schon verstehen, dass das Auto im Wohnzimmer wirklich keine Absicht war." Stolz prahlen sie mit der Trinkerei und verklären das verursachte "Chaos" zur Freiheitsliebe: "Niemals erwachsen - für immer frei! Es ist Zeit für Chaos!"

Kärbholz sind "Die Letzten Punks In Der Stadt", denen der Kamm schwillt, weil "man als Punker nicht mehr machen kann, was man als Punker macht". Wer ihnen nun welches kindsköpfige Verhalten verbietet, bleibt mal wieder nebulös, aber fest steht, "dass die Jugend hier frustriert ist, ey, das ist ja wohl logo." Es klingt nach unausgegorenen Weisheiten von Berufsjugendlichen, denen jeglicher Kontakt zu Menschen unter 40 Jahren fehlt. "Ich laufe nur gegen die Mauer, um zu sehen, ob sie fällt", hört sich in "Vagabund" wie die Art unreflektierter Nörgelei an, die auch Hubert Aiwanger gefiele.

Kurz pausiert der infantile Rummel in "Halte Fest". "Was würde ich geben für einen Moment mit mir selbst vor 20 Jahren, um mir zu sagen, geh' woanders lang'?", deutet sich kurz eine gereifte Perspektive an, bevor sich das dringende Bedürfnis, Fehler zu korrigieren, in platter Selbstbestätigung auflöst: "Ich würd' mir sagen, halt' nicht an." Zwischendurch klagen sie noch über fehlende Kampfbereitschaft und "das System" - was auch immer das bedeuten soll. Gesellschaftskritik à la Kärbholz beruht weniger auf einer wohl überlegten Analyse, als vielmehr auf ungesundem Bauchgefühl.

"Schwarz Und Weiss" wagt sich diesbezüglich am weitesten vor. "Du kannst deine Reden schwingen vor Leuten, die dich eh verstehen, die ohne wenn und aber deiner Meinung sind", grunzt Torben Höffgen mit Blick auf die gesellschaftliche Polarisierung. Kärbholz selbst wähnt sich wie jüngst GrenzenLos auf "AntiXtrem" in der radikalen Mitte: "Ihr sagt, ich steh' am Rand, doch am Rand da steh' ich nicht." Zugegeben, wenn sie ihren Mitmenschen die Hand reichen, wirkt es entwaffnend arglos und umgänglich: "Hass mich, wenn du willst. Ich wär' viel lieber dein Freund", "wenn du mich lässt."

Vergleichsweise sympathisch schließt auch "Unsere Bar" das Album ab. In ihrer Liebeserklärung an die Stammkneipe skizzieren sie selbige als Miniaturversion der Gesellschaft, wo sich alle Berufe und Schichten auf Augenhöhe begegnen. Irgendwo liebenswürdig, aber erneut bleiben sie wahnsinnig naiv und gestrig. Im Grunde verstehen Kärbholz die Welt nicht mehr, halten sich aber für kritische Begleiter des Zeitgeistes. Sie spielen Jugendlichkeit vor und wirken dabei um so betagter. Und ihre gleichförmigen Punkrock-Konzepte trauen sich keinerlei Abweichung, womit sie im Kern furchtbar konservativ sind.

Trackliste

  1. 1. Willkommen In Der Zehnten Episode
  2. 2. Wilde Augen
  3. 3. Schwarz Und Weiss
  4. 4. Seele Auf Der Haut
  5. 5. Halte Fest
  6. 6. Die Letzten Punks In Der Stadt
  7. 7. Leben In Monochrom
  8. 8. Der Himmel Soll Brennen
  9. 9. Chaos
  10. 10. Vagabund
  11. 11. Unsere Bar

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7 Kommentare mit 35 Antworten

  • Vor 10 Monaten

    Mit Midlife-Crisis-Core hat man in Deutschland ein gutes Auskommen.

    • Vor 10 Monaten

      Beste Genrebezeichnung ♥

    • Vor 10 Monaten

      Rockmusik in Deutschland dürfte inzwischen ein Genre für Menschen zwischen 45 und 65 sein, deren Musikgeschmack sich seit 35 Jahren auf ca. vier Bands beschränkt, und die denken, sie seien die krassen Rebellen, weil sie sich auf Facebook über Hip-Hop lustig machen.

    • Vor 10 Monaten

      Diese generische Deutschrock-Ausschussware repräsentiert die eigentliche deutsche Rockszene kaum bis garnicht

    • Vor 10 Monaten

      @Horst71
      aha..woher hat du deine Weisheiten ?
      Ich bin 65 und höre alles mögliche.. und das ist nicht auf vier Bands beschränkt. Ich entdecke ständig neue Bands, Musiker:innen und Sänger:innen aus der ganzen Welt.
      Bei KastFm habe ich inzwischen gehört :
      Songs : 1,002,081 von 48.374 Künstler (in 15 Jahren)

    • Vor 10 Monaten

      Alles gut, ich bin auch nicht mehr ganz taufrisch, aber der Eindruck drängt sich bei Altersgenossen oftmals auf, besonders wenn man die Kommentare auf den Social-Media-Seiten einschlägiger Spartensender wie "Radio BOB" oder "Rockland Radio" durchliest.

    • Vor 10 Monaten

      "Kärbholz sind hip und cool!"- YuiKato, 65

    • Vor 10 Monaten

      Ja YuiKato, aber du hast Probleme mit Logik. Horst sagt: Menschen der Gruppe A haben die Eigenschaften X, Y und Z. Selbst unter der Annahme, dass er damit alle Menschen der Gruppe A meint (was natürlich irl Quatsch ist), heißt das nicht, dass alle Menschen, die Eigenschaften X, Y und Z haben, zur Gruppe A gehören. Und in deinem speziellen Fall heißt es natürlich auch keineswegs, dass du, weil du Eigenschaft X hast, auch die Eigenschaften Y und Z haben musst geschweige denn, dass du zu Gruppe A gehörst.

    • Vor 10 Monaten

      Sehe ich anders. Er hat die Gruppe doch selbst so definiert "deren Musikgescgmack...". Ist aber eigentlich auch egal, weil beide das ja friedlich gelöst haben, und nur du wieder in deinem Konkurrenzdenken dazwischen pöbelst. Vielleicht hatte Yuikato nicht so viel Glück wie du?

    • Vor 10 Monaten

      Wie viel spannender ist doch die Frage, warum Horst71 überhaupt diesen Kommentar verfasst. Was in seinem psychischem System sorgt dafür, dass er diese völlig belanglose Kategorisierung vornimmt. Welche Reaktionen hofft er vielleicht zu bekommen?

    • Vor 10 Monaten

      65 Jahre alt zu sein ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, um Rockmusik in dem Sinne zu hören, wie Horst71 es meint. Mit anderen Worten: Horst71 meint nicht Dich, YuiKato!

    • Vor 10 Monaten

      Vielleicht geht es ja gar nicht darum, die Musik scheiße zu finden, was ohne Frage legitim ist. Es geht vielleicht viel mehr darum seinen eigenen Selbstwert zu steigern, in den man eine (vermeintliche) Gruppe an Menschen, die man mit dieser Musik assoziiert, abwertet.

    • Vor 10 Monaten

      @cocaine
      Das habe ich mich in der Tat auch zusätzlich gefragt. Vielleicht sollte man, ob der Logik, bereits hier ansetzen. Yuikato zumindest, hat sich völlig nachvollziehbar gewehrt, und auch wenn Horst nicht im Ernst wirklich alle meinte, muss er sich Antworten diesbezüglich gefallen lassen. Oder wäre es logisch hierauf gar nicht zu Antworten, um Horts Kommentar damit als allein logisch dastehenlassen zu können. Hier verstehe ich capslocks Reaktion wiederum gar nicht. Logisch betrachtet hätte er, wie bereits gesagt, Horts Kommentar als Fundament des Ganzen Absurden angreifen müssen.

    • Vor 10 Monaten

      Das ist ja auch alles Quark. Wir Deutschen sind alle gleich peinlich, egal in welchem nicht originär teutonischen Genre. Und in allem Originaldeutschen sowieso.

    • Vor 10 Monaten

      Wer definiert eigentlich was peinlich ist? Ist das so eine Konsens-Ding?
      Vielleicht haben ja alle Gesellschaften, egal welcher Nation, ihre peinlichen Vertreter in ähnlicher Konzentration und wir haben nur ein verzerrtes Bild, weil die peinlichen Vertreter anderer Gesellschaften es (zurecht) nicht in unseren Wahrnehmungshorizont schaffen?

    • Vor 10 Monaten

      Vielleicht solltest du deinen naiv-relativierenden alle-Menschen-sind-gleich-und-das-überall-lautuser-Gedächtnissermon mal jemandem stecken, den das interessiert, du Lappen.
      Denn viel spannender ist doch die Frage, warum du überhaupt diesen Kommentar verfasst. Was in deinem psychischem System sorgt dafür, dass du diese völlig belanglose Relativierung vornimmst. Welche Reaktionen hoffst du vielleicht zu bekommen?

    • Vor 10 Monaten

      Warum sind plötzlich alle Lappen? Ist das die Hitze?

    • Vor 10 Monaten

      @ MeTOOLica
      Guter Punkt, aber noch interessanter ist wiederum die Frage, warum du wiederholt so aggressiv und beleidigend auf einen legitimen Einwand reagierst. Die Beantwortung dieser Frage könnte vielleicht einen Lösungsansatz dazu liefern, dass es dir in Zukunft besser geht. Eventuell könnte es dich oder Menschen in deiner Umgebung davor schützen, dass diese Aggressivität irgendwann mal in eine negative Handlung mündet. Du musst deinen Gefühlen nicht ausgeliefert sein.

    • Vor 10 Monaten

      Einziger Lösungsansatz für deine Probleme ist ein Löschungsansatz.

    • Vor 10 Monaten

      Hab vorhin mit nem Freund gewettet, dass der Blockwart noch einen Kommentar ablässt. Hab 10€ gewonnen :)

    • Vor 10 Monaten

      Lüge! Du hast keine Freunde...

    • Vor 10 Monaten

      Belegbar falsche Aussage.

    • Vor 10 Monaten

      Aber dein Freund hatte keine 10€, oder?

    • Vor 10 Monaten

      Oder die 10 Euro keinen Freund.

    • Vor 10 Monaten

      Auch wenn "Midlife-Crisis-Core" ziemlich mächtig auf der Achse "Präzision" zu punkten scheint, liegt der Begriff bei "Humor" mehr so im Mittelfeld, imo. Es ist z.B. annähernd genauso zutrffend, die Musik von Blood Brothers oder Dillinger Escape Plan als "Epilepti-Core" zu bezeichnen, gleichzeitig aber in jeder Hinsicht viel lustiger und daher besser als Genrebezeichnung, ma sagen.

    • Vor 10 Monaten

      Gibts denn des Wochenendes eine Einschätzung zum neuestem Output einer von uns einst sehr geschätzten Band @DocSouli?

    • Vor 10 Monaten

      Ja, sehr wahrscheinlich aber frühestens Sonntag Abend, da ich erst Samstag Abend wieder bei mir zu Hause bin und abgesehen davon, dass ich sie hier eh nicht angemessen laut durchhören könnte, klingen mir die Boxen meiner Freundin insgesamt einfach zu gurkig.

    • Vor 10 Monaten

      Kauft Teufel, erwerbt Teufel!

  • Vor 10 Monaten

    Allein schon diese Stimmen, die Maskulinität suggerieren sollen, aber einfach nach Kippensucht, Alkoholismus, Schrei-Pegel in der Bikerkneipe und null Talent klingen. Das Pendant zu der Art von Selfmade - Hip Hop, die dich fremdbeschämt zurücklässt. Auch wenn sie immerhin auf ihren Instrumenten kniedeln können, wenn auch ziemlich generisch.