laut.de-Kritik
Bereit für die Winterdepression.
Review von Josephine Maria BayerDie Tage werden dunkler, eisig weht der Wind durch die Straßen, und auch die Winterdepression klopft wieder an die Tür. Glen Hansard öffnet und heißt diesen grimmigen Gast freundlich willkommen. Mit einem Album, dessen Titel sich so schwer merken lässt wie eine fremde Telefonnummer, sorgt der Ire für den Emo-Soundtrack des Winters: stürmisch, melancholisch und düster. Das Albumcover ziert Hansards Porträt im Stil einer Sokrates-Büste.
Den Auftakt zu "All That Was East Is West Of Me Now" macht "The Feast Of St. John", eine Ballade, deren Text ein wenig nach einer Dylan-Protesthymne klingt: "See the low fires burning at the Feast of St John. See the heroes returning, all but one and I'll be with you brother if good fortune allows 'cause all that was east is west of me now." Im Verlauf des launischen Country-Walzers kämpfen schmutzig verzerrte E-Gitarrenklänge gegen Hansards Gesang an. Die energiegeladene Mischung schwillt gegen Ende zu einem Klanglevel an, das sich nur als Krach bezeichnen lässt.
Der nächste Song "Down On Our Knees" wirkt ebenfalls unruhig und düster. Hansard singt von politischen Desastern, der verdorbenen Gesellschaft und den vier apokalyptischen Reitern, während die E-Gitarren vor Verzweiflung mitheulen. Da hilft nur noch beten: "Throw your arms to heaven."
Nach so viel chaotischer Energie folgt der ruhige Folk-Track "There's No Mountain". Geige, Mandoline und Klavier geben ihm eine freundliche Note. Doch auch hier kommt Hansard nicht ohne eine extra Portion Drama aus: "Right as I thought I was soaring the thunder came roaring in", singt er inbrünstig. Den Mumford & Sons-artigen Refrain gibt Hansard mit jeder Wiederholung etwas quäkiger und lauter zum Besten.
"Sure As The Rain" sorgt mit sanft gebürstetem Schlagzeug, einem langsamen Bass und Klavier für etwas Ruhe, doch nicht für Entspannung. Denn Hansard singt dabei so nah am Mikrofon, dass eine unheimliche Stimmung entsteht. Zwischendurch wirft er französische Phrasen ein.
Dem gegenüber steht der "Wenn-Das-Leben-Dir-Zitronen-Gibt"-Song "Bearing Witness", mit dem Glen ein wenig Optimismus in die sonst recht pessimistische Weltschmerz-Suppe streut: "And it's not what you're given but what you do with it and it's not the road less travelled but how you choose to live."
Mit "Short Life" erinnert Hansard an die Endlichkeit des Lebens. Manchmal fühle es sich so an, als ob die Zeit still stehe, singt Hansard und warnt davor, sich gehen zu lassen. Gedämpfte Drums und sanfte E-Gitarrenklänge unterstreichen die nachdenkliche Memento Mori-Stimmung. Ein wortloses Summen lässt das melancholische Album ausklingen ("Reprise").
Die launischen Tracks eignen sich als Hintergrundmusik für einen Tag, an dem man hüstelnd auf dem Sofa sitzt, während sich draußen die ersten Schneewolken aufziehen. "All That Was East Is West Of Me Now" umfasst zwar insgesamt nur neun Tracks, doch diese machen das Album mit einer Spiellänge von durchschnittlich sechs Minuten zu einem recht langatmigen Hörerlebnis.
3 Kommentare mit 4 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 5 Monaten durch den Autor entfernt.
Ich liebe sie, die emotionalen Flacherde Vertreter. Wenn man bei einer Platte, die auf der nach oben offenen Depri-Scala im untersten, kaum messbaren Bereich rum tümpelt, von Winterdepression schwafelt, dann ist man entweder schwer suizidgefährdet oder ist nur zu zwei Zuständen fähig ohne feine Abstufungen dazwischen. Also emotionaler Flacherde Vertreter.
Zum Thema „Krach“. Krach ist, wenn Sigur Rós in einem sehr kleinen Konzertsaal untitled #8 (popplagio / the pop song) spielt und zum Finale ansetzt. Das entspricht ungefähr einem Vulkanausbruch auf Island. Dagegen ist das Geschrammel von Hansard weniger anstrengend als das Geräusch eines billigen Handmixers auf mittlerer Stufe.
Spiellänge von 6min … also wirklich, hat die Rezi eines der jungen Dingern geschrieben, die es nie gelernt haben, sich länger mit etwas zu beschäftigen, als mit einem TikTok Video? 6min … Kicher … da fängt es erst an, ich habe Songs in der Sammlung, die nutzen die volle Kapazität einer CD aus. Empfinde ich jetzt nicht wirklich als langatmig …
"Empfinde ich jetzt nicht wirklich als langatmig …"
Zur Verteidung der Rezi, auch sehr kurze Songs können langatmig empfunden werden und sehr lange Songs können abwechslungsreich und spannend sein.
wie ich mir den durchschnittlichen Sigur Rós hörer vorstelle...
Das mit der emotionalen Flacherde verstehe ich nicht. Weil eine Scheibe nur zwei Dimensionen hat? Keine Ahnung...
Wenn man die ganzen Emotionen, die eine Kugel ausfüllen, auf eine Scheibe reduziert, hat man ungefähr die emotionale Bandbreite, die notwendig ist, um so eine Rezi zu schreiben. Die emotionale Intelligenz ist anscheinend so wenig weit entwickelt, wie die Intelligenz jener, die an eine flache Erde glauben. Is eigentlich ziemlich klar.
Hallo, Josephine Maria Bayer, du hast anscheinend erst dieses Jahr mit der Veröffentlichung von Musik-Rezensionen begonnen. Zur Klärung: Ich schreibe selbst keine.
Als langjähriger Leser von Musikzeitschriften und Online-Rezensions-Plattformen erwarte ich, dass eine Rezension nicht nur auf der Basis des Anhörens des vorliegenden Albums entsteht. Glen Hansard hat nicht nur seit 1990 schon einige Alben veröffentlicht, sondern auch seit über 15 Jahren für den Soundtrack von "Once" eine gewisse Berühmtheit – da möchte ich schon in irgendeiner Form einen Bezug zum bisherige Schaffen lesen. Bezüge zu anderen Künstler*innen können auch nicht schaden.
Auch würde ich gern etwas über die Band-Besetzung erfahren, evtl. gar Namen von Mitwirkenden, insbesondere Gästen, oder über die Produktionsbedingungen.
Vielleicht hat ja auch der Künstler etwas über sein aktuelles Werk geäußert, evtl. gibt es Interviews anlässlich des Release – daraus könntest du zitieren und damit Nähe zur Musik und ihren Interpret*innen herstellen.
Das alles erfordert tatsächlich Recherche über das Anhören der Tracks und die Beschreibung der dabei entstehenden Eindrücke und Stimmungen hinaus. Wie das aussehen kann, zeigt in diesem Fall die Konkurrenz sehr gut – und kommt auch zu einem ganz anderen Ergebnis (https://www.plattentests.de/rezi.php?show=…).
Deine Rezension finde ich demgegenüber nichtssagend und uninformativ. Das muss doch besser gehen!