laut.de-Kritik

Sie hat einfach keinen Popstar in sich.

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Die Karriere von Girl In Red ist noch nicht einmal sehr lang, aber trotzdem ist die Atmosphäre, in der sie 2018 "We Fell In Love In October" veröffentlicht hat, eine Ewigkeit her. Es war ein ganz anderes Game. Der Song zählt inzwischen fast eine Milliarde Streams, auch ihre anderen Oden an die queere Teenage-Relatability wie "I Wanna Be Your Girlfriend" haben ihren Status nicht verloren. Nur ihr Debütalbum "If I Could Make It Go Quiet" hat das Versprechen nicht eingelöst. Je mehr sie aus dem Schatten trat, je mehr sie ihr eigener Popstar und nicht mehr jedermanns Spotify-Geheimtipp sein wollte, desto weniger Interesse generierte sie. Und das tut ein bisschen weh, denn auch ihr zweites Album "I'm Doing It Again Baby" ist süß mit vereinzelt coolen musikalischen Ideen. Aber man kann es nicht anders diagnostizieren: Sie hat einfach keinen Popstar in sich.

Es gibt eine Stelle auf diesem Album, die das unmissverständlich klar macht. "You Need Me Now?" macht einen relativ großspurig produzierten Pop-Rock-Track auf; kurz nach dem besten Track "Too Much", der überraschend effektiv ihre halligen Bedroom Pop-Wurzeln zurückbringt. "You Need Me Now?" dagegen klingt groß und akut, Girl In Red als Performerin steht gefühlt in Glitteroutfit ganz vorne auf der Bühne. Und dann kommt eine Bridge, in der sie mit ... den Leuten im Studio spricht: "You know who would be real fucking cool on here? Sabrina".

Für die, die's nicht so doll verfolgen: Sabrina Carpenter zählt zu den Freshman-Popstars der Stunde. Sie war 2021 lose in das Hintergrund-Drama involviert, auf dem Olivia Rodrigos "Driver's Liscence" fußt, und hat den Opener auf Taylor Swifts Eras-Tour gemacht. Sie ist ziemlich gut in dem, was sie tut, aber sie ist eben auch so Showbiz, wie man irgendwie nur sein kann.

Auf dem letzten Album hat Girl In Red immerhin noch so getan, als würde sie mit der Gitarre in ihrem Schlafzimmer säuseln. Das hier ist jetzt vielleicht ehrlicher, aber: Die Idee, wie sie in einem großen Studio große Popsongs schreiben will und dann ihren Producern zubrüllt, was für coole Connections sie hat, das ist einfach komisch. Und das alles für eine relativ lieblos ergänzte Hooks, die sehr nach Label-Gefallen riecht. Oder nach einer Transaktion.

Ähnlich läuft es auf dem Titeltrack, auf dem sie mit einer semi-überzeugenden Pop-Punk-Performance darüber singt, wie cool und fashionable sie ist. Klar, das ist (wahrscheinlich) ironisch gemeint, wirkt aber auch wieder so cartoonhaft an ihrem eigentlichen Appeal vorbei, dass es wehtut. Hört ihr auch die himmelschreiende Unsicherheit aus diesen Lyrics triefen? "I'm loving this new self-esteem / Like the one I had at seventeen / So unfazed by the world and it screams
And it screams and I scream
". Es ist ein vorhersehbarer Dreh mit Olivia Rodrigos "Brutal"-Formel; aber der Druck, sehr cool zu sein und viel Geschmack zu haben, mag auf Girl In Red wohl genauso lasten wie auf jede*r anderen Musiker*in, wirkt jedoch etwas entlarvend als Grundthese eines Albums. Das ist schade, weil klanglich wäre das ganz cool, vor allem der out-of-nowhere-Banjo-Breakdown, der direkt darauf folgt.

Diese vereinzelten guten Ideen kommen weiterhin: Die geisterhafte Verzerrung am Ende von "Phantom Pain", wie sie auf "Too Much" ihrem Bedroom-Sound ein Pop-Punk-Pimping gibt und schließlich auf "Ugly Side" und "5 Stars" immerhin wieder ein bisschen Land an Indie-Cred zurückgewinnt. Aber trotzdem muss man sagen: Auch ihr Inspirations-Pool war schon größer.

Spürte man auf ihrem Debütalbum immer noch klare Impulse in Richtung Billie, Lorde oder Phoebe, sind hier nur noch zwei wichtige Achsen zu erkennen: Der Sound kommt nach Olivia, besonders danach, wie sie 90er-Rock auf "Guts" in eine Pop-Form gegossen hat. Und die Lyrics und sogar die Stimme sind zu 100% Taylor Swift. Es gibt Momente auf diesem Album, wo die Parallelen sich quasi aufzwängen. Nur verwechseln würde man es nicht: Girl In Red hat einfach nicht das Charisma.

Und so wird auch dieses Album leider wieder versanden. Denkt man zurück, was ihre ersten EPs so erfolgreich gemacht hat, dann ist da eine Spiegelfunktion. Girl In Red hat mit Naivität, aber Dringlichkeit über universellste Themen gesprochen: Das erste Mal Verliebtsein, der erste Break-Up. Es gab keine Musikvideos, kein Gesicht, irgendwie war sie nur ein Avatar für ihre Hörerinnen. Sie war die finale Logik von Relateability als musikalischer Kategorie: Auch wenn sie gleichzeitig riesengroß war, war sie doch nur der vom Algorithmus in euer Leben gespülte Geheimtipp. Selbst ihr Name schmiegt sich an diese Anonymität an. Sie ist ein Mädchen in Rot. Sie ist nicht das Mädchen in Rot.

Heute geht es aber eindeutig um das Mädchen in Rot, Trademark. Sie singt über ihr Standing in der Musikindustrie und ihre Karriere, ganz offen im Text. Aber wer hat bitte eine parasoziale Beziehung zu seinem eigenen Spiegelbild? Mit all dem Hall und all der Mystik von der Stimme abgezogen, mit ihrem Foto und ihren alltäglichen Gedanken in der Welt, ist Girl In Red zwar weiterhin wirklich authentisch und sicherlich relatable: Sie wirkt wie ein Swiftie, aus der ersten Reihe der Eras-Tour rekrutiert. Das ist mitunter der Grund, dass ihre frühe Musik wunderbar funktioniert hat. Es ist ironischerweise aber auch genau der Grund, dass ihre Alben nicht funktionieren.

Trackliste

  1. 1. I'm Back
  2. 2. Doing It Again Baby
  3. 3. Too Much
  4. 4. Phantom Pain
  5. 5. You Need Me Now? (feat. Sabrina Carpenter)
  6. 6. A Night To Remember
  7. 7. Pick Me
  8. 8. Ugly Side
  9. 9. New Love
  10. 10. 5 Stars

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