30. April 2003

"Ich muss immer grinsen, wenn ich Lombardo höre"

Interview geführt von

Eigentlich muss man sich wundern, dass der Kerl nicht reingerollt kommt. So wie Paavo sich gerade am Catering vollgefressen hat, könnte ich nicht mehr laufen. Nach einer kurzen Verdauungspause legt er dann aber los.

Ok, wenn ich richtig informiert bin, hast du für "Reflections" keinen einzigen Song geschrieben. Woran liegt das?

Öh, na ja, hat sich irgendwie nicht ergeben, aber am nächsten Album werde ich mich wieder beteiligen.

Ihr habt dieses Mal komplett auf Coverversionen verzichtet. Werdet ihr das auch in Zukunft so handhaben?

Im Augenblick fühlen wir uns ganz gut mit den eigenen Songs. Es war einfach nicht notwendig, auf irgendwelche Coverversionen zurückzugreifen. Das war eigentlich eine ganz natürliche Entscheidung, ohne dass wir uns darüber großartig Gedanken gemacht hätten. Auf "Cult" ist der Anteil an Fremdkompositionen schon deutlich zurück gegangen und auf "Reflections" gibt's eben keine mehr. Die Möglichkeit kam gar nicht erst zur Sprache. Das heißt aber nicht, dass wir nie wieder welche machen werden.

Würdest du sagen, dass ihr beim Schreiben von eigenem Material immer noch stark von Metallica beeinflusst seid? Zumindest was die Riffs und den Anschlag angeht.

Ja, bei den Riffs hast du bestimmt recht, aber Sepultura sind da auch ein gewisser Einfluss. Solche Fragen solltest du wahrscheinlich eher Eicca und Perttu stellen. So weit ich das beurteilen kann, geht keiner von uns mit einer bestimmten Einstellung an den Prozess des Komponierens heran. Es ist immer wieder eine Überraschung, was letztendlich dabei heraus kommt. Musik sollte nicht kalkuliert werden und darf auch nicht kalkulierbar sein, sonst geht die Ehrlichkeit verloren. Es ging uns nie darum, möglichst viele Einheiten von unseren Alben abzusetzen. Du musst einfach alles außenrum abschalten und dich auf deine Musik konzentrieren.

Was spielt ihr live lieber: eigene Songs, das technisch versiertere Zeug von Metallica oder die Riff-betonten Sachen wie Sepultura?

Schwer zu sagen, das kommt ganz auf die Show und das Publikum an. Es ist einfach eine geile Sache, live zu spielen, egal was du gerade zockst. Natürlich ist es fantastisch, wenn du 'ne Metallica-Nummer spielst, das komplette Publikum mitgröhlt und du beinahe zur Karaoke-Band mutierst. Das macht natürlich jede Menge Spaß, aber wenn wir unsere eigenen Songs spielen, entwickeln sich dabei für mich schon beinahe transzendentale Gefühle.

Ihr habt auf "Reflections" ja bei beinahe allen Songs Drums dabei. Wie setzt ihr das live um?

Wir fangen wie immer als Streicher-Quartett an, machen mit ein paar Einspielungen vom Band weiter und schließlich kommt ein Bekannter von uns aus Finnland mit auf die Bühne, um uns auf den Drums zu begleiten. Das ist ein recht junger Kerl namens Mika. Na ja, so jung ist er eigentlich auch nicht, er ist in unserem Alter. Im Vergleich zu Dave Lombardo ist er halt ein Jungfuchs, haha. Das ist für uns eine ganz neue Erfahrung, schließlich sind wir die letzten sieben Jahre immer als Cello-Quartett durch die Lande gezogen. Damit passiert auf der Bühne für uns was ganz Neues, aber es ist toll.

Wann fiel der Entschluss, Drums zu verwenden und wie seid ihr an Dave gekommen?

Die Idee spukte uns schon länger im Kopf herum und auf "Cult" sind ja schon Ansätze zu hören. Dave kennen wir schon seit fünf Jahren und er hat uns das Angebot schon lange von sich aus gemacht. Er meinte einfach, wir sollen ihn anrufen, falls wir je einen Drummer benötigten. Das Angebot lässt man sich natürlich nicht entgehen. Wir haben ihn also angerufen und er war sofort dabei. Das ging ganz einfach. Leider war er aber durch die Slayer-Tour so beschäftigt, dass er nicht zu uns nach Finnland kommen konnte, sondern wir ihm unsere Aufnahmen zuschicken mussten.

Zu diesem Zeitpunkt waren eben die fünf Songs fertig, auf denen er letztendlich zu hören ist, und er hat sie bei sich im Studio eingespielt. Ich denke, man hört es den Songs an, wie viel Spaß ihm die Sache gemacht hat. Ich muss immer grinsen, wenn ich mir die Songs mit ihm anhöre. Ich kann mir richtig vorstellen, wie er sich hinters Schlagzeug pflanzt, die Baseballkappe rumdreht und mit einem feisten Grinsen im Gesicht los legt.

Ihr habt für die Gesangsparts auf "Path Vol. II" und "Hope Vol. II" auf zwei deutsche Sänger, Sandra Nasic von den Guano Apes und Matze Sayer von den Farmer Boys zurück gegriffen. Wie seid ihr gerade auf die gekommen? Schließlich gibt es doch in Finnland genügend großartige Sänger.

Es kam uns in erster Linie darauf an, eine Kooperation mit einem männlichen und einem weiblichen Sänger zu machen. Zuerst lief die Sache mit Sandra, die wir ebenfalls schon geraume Zeit kennen und die uns als die beste Möglichkeit erschien und das auch immer noch tut. Sie hat einen fantastischen Job erledigt. Ihre Einstellung zur Musik ähnelt unserer sehr, weshalb wir gut mir ihr zurecht kamen. Mit Matze lief das ähnlich. Die Frage, warum wir keinen finnischen Sänger verwendet haben, hmm ... Vielleicht sollte ich dazu besser nichts sagen, haha.

Ok. "Reflections" steht in den Läden als potentielle Doppel-CD, soll heißen, ihr habt Platz gelassen für eine zweite CD, mit sich die Leute mit einem speziellen Code auf eurer Homepage einloggen und weitere Songs aus dem Netz ziehen können. Was hat es damit auf sich?

Wir haben auf "Reflections" 13 Songs drauf, aber 16 oder 17 geschrieben und aufgenommen. Es war zu wenig Platz, um sie auf ein Album drauf zu packen und ehe wir eine halbherzige Doppel-CD veröffentlicht hätten, die wesentlich teurer geworden wäre, bieten wir den Leuten lieber die Möglichkeit, sich die zusätzlichen Songs kostenfrei zu ziehen.

Kommt da dann auch wieder was mit Gesang?

Wart's doch einfach ab, hihihi. Das ist noch geheim.

Warum ist Max eigentlich ausgestiegen?

Unsere Vorstellungen liefen einfach zu weit auseinander. Die Stimmung innerhalb der Band wurde immer angespannter, als wir zusammen auf Tour waren und letztendlich war klar, dass einer gehen musste. Eicca und ich waren beide kurz davor, aber es stellte sich dann heraus, dass Max das eigentliche Problem innerhalb der Band war. Er ist dann aber von sich aus gegangen und wurde nicht gefeuert oder so was. Ich versteh mich mit ihm nach wie vor sehr gut. Wir gehen gelegentlich zusammen Skifahren oder machen Langlauf. Das war ne traurige Sache mit seinem Ausscheiden, aber so etwas passiert nun mal.

Ihr habt "Reflections" ja zu dritt eingespielt, seid live aber mit Ur-Mitglied Antero wieder zu viert. Wie wird das weiter laufen?

Wir werden das wohl so beibehalten, dass wir fortan zu dritt die Songs schreiben und auch als Trio im Studio die Sachen einspielen. Live werden wir wohl auch in Zukunft einen vierten Mann benötigen und so wie es aussieht, steht uns Antero da gerne zur Verfügung. Er ist mit der Situation so sehr zufrieden. Er kommt mit auf Tour, bekommt seinen entsprechenden Anteil an der Kohle und kann sich sonst um seine anderen Sachen kümmern. Wir haben ihn gefragt, ob er auf dem Album mitspielen wolle, aber er hat abgelehnt. Stop, nein, in "Cortége" hat er sogar mitgespielt. Das war's dann aber auch.

Wie kommt ihr eigentlich auf die Titel für eure Songs?

Oh, das ist ne ziemlich spontane Sache und gelegentlich sehr willkürlich. Die eigentlichen Titel entstanden einen Tag vor der Veröffentlichung, als uns das Label anrief und meinte, sie müssten da noch irgendwas hinten drauf schreiben, haha. "Cokha" ist eine Ausnahme, denn der Titel ist ein Wort aus der Sprache der Sämen und bedeutet so viel wie die Stelle auf einem Berg oder einem Hügel, auf der dich der Wind voll erwischt und du dich nicht verstecken oder verbergen kannst. Es ist auch eine Metapher dafür, dass du dich dort mit dir selbst beschäftigen musst.

Eurer Song "Drive" wurde von Dunlop als Hintergrund-Musik zu einem japanischen Werbespot verwendet. Wie kam es dazu?

Das war eigentlich ganz einfach, denn der Regisseur des Werbespots wollte genau uns für diesen Kurzfilm haben und niemand anderen. Also hat er die Leute so lange bequatscht, bis die uns angerufen haben. Der Spot ist nicht schlecht, ich hätte nur gehofft, dass ich wenigstens auch 'nen Satz Winterreifen bekommen hätte, haha.

Was macht ihr, wenn ihr nicht gerade mit Apocalyptica durch die Gegend zieht?

Unterschiedlich. Ich gebe Cello-Unterricht, mein jüngster Schüler ist acht Jahre alt, und werde demnächst eine junge finnische Dichterin bei ihrer ersten öffentlichen Lesung auf dem Cello begleiten, was sehr interessant werden dürfte. Eicca arbeitet immer wieder für die finnischen Philharmoniker, für die er ja die Bühnenfassung von Fjodor Dostojewskis "Schuld und Sühne" geschrieben hat. Die haben ihn dann gleich gefragt, ob er so was nicht noch mal machen will. Ich habe insgesamt so um die 15 Schüler.

Das Interview führte Michael Edele

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