laut.de-Kritik

Beißend, ätzend und erstaunlich relevant.

Review von

Es gibt nicht viele Bands, die die Grunge-Ära halbwegs unbeschadet überstanden haben. Während andere durch die Decke gingen und später wieder hart auf dem Boden aufprallten, standen Mudhoney aus Seattle staunend daneben. Vielleicht lag es daran, dass Mark Arm und seine Kollegen vom Mainstream eher vergessen, vom Hype-Wirbelsturm, den Nirvana und Pearl Jam auslösten, nicht mitgerissen wurden. Dabei standen Mudhoney für diese Bands Pate mit ihrem rohen Sound und schlecht gelaunten Texten.

Im Jahre 2023 nun erscheint mit "Plastic Eternity" die 17. (in Worten siebzehnte!) Veröffentlichung der Grunge-Daddys. Musikalisch wirkt die Scheibe schon beim ersten Anspielen etwas aus der Zeit gefallen. Nicht der über-energetische Sound der 90s-Grunge-Heroes überwiegt. Eher hört man die späten 80er raus, als noch der seltsame Krach von Sonic Youth oder den Pixies den Alternative-Rock beeinflusste. Der Opener "Souvenir Of My Trip" macht sofort klar, dass es nicht um Ohrenschmeichelei geht. Mark Arm bellt sein "What's left for me?" im Chor der Kollegen in Richtung Mikro. "Almost Everything" rollt mit seiner Percussion-Unterstützung unheilvoll vor sich hin.

Generell machen Mudhoney wenig Experimente. Das musikalische Erfolgsrezept liegt irgendwo zwischen Grunge, Punk, Noise und klassischem Rock und dient eher als Vehikel für Arms beißend-sarkastische Texte denn als akustisches Experimentierfeld. Ob als Komsumkritik in "Cascades Of Crap" oder deutliche Positionierung im sperrigen Noise-Rock-Gewand auf "Flush The Fascists" - die alten Männer verleihen ihrer Haltung nach wie vor deutlich Ausdruck.

Auch wenn das Quartett musikalisch keine Revolutionen startet, Sinn für Abwechslung ist definitiv vorhanden. Ob klassischen Rock mit 70s-Anleihen wie auf "Move Under" und "Tom Herman's Hermits" oder ruhigere Töne mit Blues-Einfluss wie auf "Severed Dreams In The Sleeper Cell" oder "One Or Two", Gitarrist Steve Turner, Bassist Guy Maddison und Drummer Dan Peters bewegen sich stilsicher zwischen den Welten. 35 Jahre Erfahrung hört man halt auch.

Am wohlsten fühlt sich der Vierer definitiv im Punk-beeinflussten Grunge. "Here Comes The Flood" oder "Human Stock Capital" bieten die nötige, aggressive Eindringlichkeit für Mark Arms Abrechnung mit Politik und Wirtschaft. An Relevanz haben Mudhoney in über drei Jahrzehnten nie eingebüßt. Egal, ob Klimawandel auf "Cry Me An Atmospheric River" oder die Künstlichkeit des modernen Lebens im Warenkreislauf und der Außendarstellung auf "Plasticity", kaum ein gesellschaftliches Thema bleibt hier von einem ätzenden Kommentar verschont.

"Plastic Eternity" mag kein großes Highlight beinhalten, glänzt aber dennoch als aus der Zeit gefallenes und erstaunlich relevantes Manifest einer Band, die alles gesehen hat.

Trackliste

  1. 1. Souvenir Of My Trip
  2. 2. Almost Everything
  3. 3. Cascades Of Crap
  4. 4. Flush The Fascists
  5. 5. Move Under
  6. 6. Severed Dreams In The Sleeper Cell
  7. 7. Here Comes The Flood
  8. 8. Human Stock Capital
  9. 9. Tom Herman's Hermits
  10. 10. One Or Two
  11. 11. Cry Me An Atmospheric River
  12. 12. Plasticity
  13. 13. Little Dogs

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