laut.de-Kritik

Ein Impfstoff gegen die Dummheit!

Review von

Es nimmt einfach kein Ende mit den Deutschrapper-Comebacks. Curse, Basstard, Ferris, Isar, Denyo ... Rudelweise meldeten sich in den letzten Monaten mit unterschiedlich erfreulichen Resultaten die alten Füchse zurück. Azad fehlt noch, hat sich aber (zuletzt sogar einigermaßen glaubwürdig) ebenfalls in die Startblöcke gestellt.

An Main Concept hab' ich, ehrlich, überhaupt nicht mehr gedacht. Das war nicht weiter schlimm, hatte man David Pe und Crew nach "Equilibrium" doch in allerbester Erinnerung behalten. Doch nichts währt ewig. Noch nicht einmal der Rap-Ruhestand: Kaum dass die einen Münchener ihre Auflösung bekannt gegeben haben, entsteigen die anderen wieder der Versenkung.

"Die Beats entspannt, aber nicht weich", wirbt das Label, "die Samples chillig, jazzig, funky, aber weit entfernt von Rotweinschlürf. David Pe, Freestylergott von Minga, hat immer noch eine Menge zu sagen. Kritisch, selbstbewusst, manchmal mit erhobenem Zeigefinger, aber nie ohne Humor. Natürlich kommt das Album mit vielen Features der lieben Kollegen: Blumentopf, Eizi Eiz, Samy Deluxe, Denyo, FlowinImmo, MC Rene u.a."

Sorry, Buback, aber spätestens beim Blick auf die Gästeliste droht akute Narkolepsie. Wenn das nicht ganz schlimm nach Altherren-Stammtisch riecht ... Spax haben sie noch zu erwähnen vergessen, Wasi, die 58Beats-Schützlinge Boshi San und Vier Zu Eins, außerdem Retrogott und Aphroe. Weckt mich, wenns spannend wird.

Schon klar: Main Concept dient - nach zehn Jahren Funkstille nur normal - keinem der Beteiligten mehr als Hauptstandbein. "Uns gehts nur um guten Sound und Haltung, scheiß auf die Singlecharts." Die Herren, allen voran David Pe, machen Hip Hop aus schierem Spaß an der Freude. Weil sie es können, zweifellos besser als manch anderer im gleichen Geschäft. "Immer noch Bock, Hip Hop im Herzen, Soul in den Hüften und die Lyrics im Kopf": die allerbesten Voraussetzungen.

Auch nachvollziehbar, dass man sein Hobby lieber im Kreise seiner Freunde und guten Kumpels betreibt, als mit Kollegen, zu denen man zunächst vielleicht eine größere Distanz zu überbrücken hätte. Trotzdem: Gefühlt die Klasse von '95 zu exhumieren, das lockt doch höchstens die wirklich auf dem Rapfilm von Vorgestern Hängengebliebenen hinterm Ofen hervor, und selbst die nur mit Mühe. Da kann man sein Album dreimal "Hier Und Jetzt" taufen.

"Wer uns noch kennt, hat mittlerweile Haare, weiß wie der Schnee", wirkt David Pe über seine Zielgruppe durchaus im Bilde. Juckt ihn aber nicht: "Ich denk' in kosmischen Dimensionen, da spielt Zeit keine Rolle." Nostalgie kann zwischendurch ja auch Spaß machen. Ein wenig merkwürdig nur, dass David Pe wiederholt explizit betont, dass es ihm um Rückwärtsgewandtheit gerade nicht geht: "Nur hier und jetzt hat man Chancen, glücklich zu werden."

Die Kluft zwischen Anspruch und Erfüllung tritt noch an einigen anderen Stellen zutage. Etwa wenn David Pe und Wasi in "Eins & Eins" behaupten, "wir treiben den Scheiß voran", dabei aber musikalisch wie inhaltlich lediglich auf der Stelle treten. Ist ja legitim, wenn einem die Stelle gefällt! Als innovativ oder wegbereitend möchte ich eine solche Nummer dann aber bitte nicht angedreht bekommen.

David Pe bricht eine Lanze nach der anderen, für Erkenntnisgewinn und kritisches Denken. Das ist ohne jeden Zweifel aller Ehren wert. "Benutz' dein Hirn und hör' auf den Herz", genau. Der Mann ist helle, gebildet, ein technisch versierter MC, außerdem ein exzellenter Freestyler, und er hat eine Mission: "Gegen Dummheit immunisieren: mein Ziel." Löblich.

Fragt sich nur, ob er diejenigen, die eine solche Vakzine nötig hätten, auch erreicht. "Deutsche Rapper haten Bildung, als wär' sie nichts wert." Schwer vorstellbar allerdings, dass die doch eher wissensresistente Klientel eines ... sagen wir ... Farid Bang oder Majoe sich von David Pe den Unterschied zwischen Revolution und "Evolution" oder zwischen "Idealisten Und Ideologen" erklären lässt, um ihn anschließend in seiner Eigenschaft als "Künstler Und Gelehrter" zu feiern.

Die ständige Zurschaustellung seiner akademischen Erfolge ermüdet ja schon Zuhörer auf ähnlichem Bildungsstand. "Ich hab' studiert, aber ich bild' mir nichts darauf ein." Was noch lange nicht bedeutet, dass man nicht in zwei von drei Tracks betonen kann, dass man Mediziner ist. Immerhin sorgt das für den einen oder anderen lustigen Moment: "Da wird gecyphert, bis der Arzt kommt, Takt für Takt", sagen die Freunde vom Blumentopf den Rap-Doktor an: "David, zeig' ihnen, wie man rappt, wenn man Praxis hat."

Erfahrung alleine reicht aber halt auch nicht, wie "Vier Asse Im Ärmel" belegt: Zusammen mit Immo, Spax und MC Rene versammeln sich hier "vier Zeitzeugen aus bedeutenden Jahren", und zu erzählen haben sie genau nichts. Die Aussage von "Zack Boom Toppinger" erschließt sich mir auch nach wiederholtem Hören noch nicht. Dabei hieß es eben noch: "Rap hat keinen Sinn, wenn mans nicht auf den Punkt bringt."

In "Von Gestern Bis Heute" mokieren sich David Pe, Eizi Eiz, Samy Deluxe und Denyo wie die verbitterten alten Männer darüber, es gehe heute im Gegensatz zu "damals" im Rap nur mehr um Figur, Frisur, um Klicks und Likes. "Nein, ich will die alten Zeiten nicht zurück", behauptet Denyo, suhlt sich aber genau wie Samy trotzdem in ihrem vermeintlichen Glanz. Jan Delay demonstriert unterdessen im genölten Chorus galoppierende Lindenbergisierung: Beiden geht mit fortschreitendem Alter die Fähigkeit zu halbwegs klarer Artikulation flöten. Ich versteh' Eizi Eiz schon jetzt kaum noch. Wo soll das hinführen?

Ich bin toll, ihr seid kacke: Vor dieser simpel gestrickten, zweigeteilten Weltsicht, die "Wer Seid Ihr?" oder "Wir Leben's Lieber" speist, schützt offenbar auch kein abgeschlossenes Studium. "Euch gehts nur ums Drumherum, mir allein um die Kunst." "Du redest drüber, wir leben's lieber." Selbstironie macht derlei Schwarz-Weiß-Malerei nur bedingt spannender. "Ihr Schreiberlinge, kümmert euch um eure eigenen Dinge, macht selber 'ne Platte", ja, gähn! Das kannste nahezu wörtlich als Kommentar unter wirklich jeder nicht zu einhundert Prozent positiven Kritik finden.

... boah, klingt das alles böse. Dabei bietet "Hier Und Jetzt" tatsächlich auch viel Schönes: zum Beispiel einen Rapper mit Gefühl, Verstand, allen Latten am Zaun (eine Seltenheit in dem Geschäft!), Skills und inhaltlichen Qualitäten. Oder stimmige, elektronisch gefärbte Beats mit Boombap- und Jazz-Vibes und hübsch bratzenden Bläsersounds, in denen immer ein Hauch Bierzelt und eine Prise Brassband mitpumpen. Main Concept ist ja keine Einmannveranstaltung: "... ich weiß selbst, dass ich den coolsten Producer und den besten DJ der Welt hab'."

Darüber darf man natürlich auch wieder geteilter Meinung sein. Ganz sicher weiß David Pe aber Mitstreiter an seiner Seite, auf deren Handwerk er vertraut und in deren Gegenwart er sich hörbar wohl fühlt. "Hier Und Jetzt" hinterlässt trotz aller bekrittelter Punkte den Eindruck, dass hier drei Typen genau das tun, worauf sie Lust haben, statt nach der Pfeife irgendeines Marketingfritzen zu tanzen oder den unergründlichen Wünschen einer potenziellen Käuferschaft hinterherzuhecheln: eigentlich ein gutes Gefühl.

Trackliste

  1. 1. Ich Selbst
  2. 2. Hier Und Jetzt
  3. 3. Wer Seid Ihr?
  4. 4. München Halt feat. Blumentopf
  5. 5. Eins & Eins feat. Wasi
  6. 6. Wir Leben's Lieber feat. Boshi San
  7. 7. Künstler Und Gelehrter
  8. 8. Die Zukunft
  9. 9. Evolution
  10. 10. Idealisten Und Ideologen feat. Retrogott & Aphroe
  11. 11. Vier Asse Im Ärmel feat. FlowinImmo, Spax & MC Rene
  12. 12. Zack Boom Toppinger feat. Vier Zu Eins
  13. 13. Change feat. Get Open
  14. 14. Von Gestern Bis Heute feat. Samy Deluxe, Eizi Eiz & Denyo
  15. 15. Zufriedener Mann

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