laut.de-Kritik

Angepisst, sarkastisch und stylish - ein würdiges Comeback.

Review von

Nach dem 2017er Tiefpunkt "Hell Yeah" schienen die Industrial-Rock und Elektrometal-Pioniere KMFDM kreativ ausgebrannt und seltsam beliebig. Wer jedoch glaubte, man brauche keinen Pfifferling mehr auf die hanseatische Widerstandsinstitution zu setzen, wird mit "Paradise" endlich eines besseren belehrt. Angepisst, sarkastisch und stylish klingt ihr kreatives Comeback und fegt alle Zweifel vom Tisch.

Dieses mittlerweile 21. Studioalbum gehört zweifellos zu den Highlights ihres durchaus wechselhaften Katalogs. Man darf es getrost dort verorten, wo ihr Meilenstein "Angst" oder das sehr gute "Symbols" vor mehr als zwei Jahrzehnten ihre Spuren hinterließen. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die aktuelle Besetzung im Wesentlichen dieselbe ist wie auf der letzten Platte.

Schon der Einstieg gelingt mit "K-M-F" herrlich fies. Hip Hop trifft auf Autoscooter-Steckdose und Metal-Stakkato. Dazu ein schonungsloser Text, der alles aufs Korn nimmt, was man an der 'Recht des Stärkeren'-Doktrin der Vereinigten Staaten momentan als abstoßend empfindet. Deutlich hört man die Verwandtschaft zum Szeneklassiker der Holy Gang - "Free Tyson Free" - heraus. Schicke Ouvertüre!

Alle Freunde der knallharten Gangart Marke Ministry werden an ungewohnt dreckig inszenierten Bomben wie "No Regret" oder dem Titelstück Gefallen finden. Bei letzterem kombinieren KMFDM alle Derbheit gekonnt mit Dub-Elementen und lassen Lucia Cifarelli von der Leine. Die Italoamerikanierin legt so rotzig, animalisch und roh los wie noch nie.

Ohnehin verdient die Gattin Sascha Konietzkos diesmal den meisten Lorbeeren. Ungeahnt wandelbar gibt sie zum Kontrast in "Oh My Goth" die laszive Gruftnymphe und zieht allen Eskapismus der Schwarzen Szene ironisch durch den Kakao. Auch als Produzentin und Soundhexe liefert sie ihre bislang mit Abstand beste Vorstellung ab.

Endlich bekommt man jene Vielseitigkeit von KMFDM serviert, von der man stets ahnte, dass sie es doch eigentlich drauf haben müssten. "WDTWB" etwa mischt unterhaltend Hi-NRG-Disco und allen Ernstes ein Dreamhouse-Piano in den groovy Gitarrensalat. Wenn dann noch in "Piggy" der schicke funky Bass Doug Wimbishs (u.a. Living Colour) zu hören ist, verzeiht man bereitwillig die letzten 20 Jahre mittelmäßiger Scheiben.

Thematisch stehen KMFDM ohnehin zuverlässig auf der sympathischen Seite. Als gewohnt deutliche Brachialethiker wettern sie gegen Nationalismus. Rassismus, Totalitarismus, Faschismus und wirtschaftlichen Kolonialismus. Sogar der über viele Jahre lieb gewonnene Wahlspruch "Rip the system!" taucht als Running Gag einmal mehr auf. Nebenbei exerzieren sie damit vor, wie einfach es im Grunde ist, strukturelle Kritik so zu formulieren, dass ihre Slogans nicht von neurechten Trieben des politischen Spektrums gekapert werden können. Endlich ist die Kogge des Käptn K. wieder auf Beutefahrt und in jener Hochform, die sie unverzichtbar macht.

Trackliste

  1. 1. K-M-F
  2. 2. No Regret
  3. 3. Oh My Goth
  4. 4. Paradise
  5. 5. WDTWB
  6. 6. Piggy
  7. 7. Disturb The Peace
  8. 8. Automation
  9. 9. Binge, Boil, & Blow
  10. 10. Magalo
  11. 11. No God

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