27. März 2015

"Ich spielte fünf Abende pro Woche"

Interview geführt von

Wer sich dieser Tage mit den unzähligen Artists-to-watch-Listen beschäftigt, die da durch die Medien geistern, der stolpert früher oder später auch über den Namen James Bay.

James Bay ist derzeit in aller Munde, wenn es um emotional aufwühlendes Singer/Songwriter-Liedgut geht. Nach drei veröffentlichten EPs bringt der 24-jährige englische Brit-Award-Preisträger nun endlich sein Debütalbum "Chaos And The Calm" an den Start. Wir verabredeten uns mit James Bay in Berlin und sprachen mit ihm über den Unterschied zwischen Selbstbewusstsein und Arroganz und Momente für die Ewigkeit.

Hi James, in zwei Wochen erscheint dein Debütalbum "Chaos And The Calm"; ein Album, das viele Experten und Insider bereits jetzt als eines der besten des noch jungen Jahres abfeiern. Zu Recht?

James Bay: (lacht) Keine Ahnung. Ich hoffe, dass sich zumindest der eine oder andere im Dezember noch an das Album erinnern wird.

Davon kannst du mal ausgehen.

Dein Wort in Gottes Ohr (lacht). Nein, im Ernst: Ich bin natürlich auch sehr zufrieden mit dem Album. Und wenn ich ehrlich bin, hätte ich auch nichts dagegen, wenn die Scheibe ordentlich chartet. Ich meine, da steckt schließlich eine Menge Arbeit drin.

Du wärst demnach enttäuscht, sollte dein Album in den kommenden Wochen nicht in den oberen Chartsregionen zu finden sein?

Naja, was heißt enttäuscht? Es wäre schon schöner, wenn sich meine Erwartungen mit der Realität decken würden. Klingt das arrogant?

Nein, absolut nicht. Ich finde es zur Abwechslung sehr erfrischend, dass sich ein Musiker auch mal bedingungslos hinter seine Arbeit stellt und sich nicht hinter Der-kommerzielle-Erfolg-ist-zweitrangig-Floskeln versteckt. Sehr selbstbewusst.

Für mich sind das ganz normale Gedanken. Ich habe Monate an dem Album gearbeitet. Sicher, selbst wenn es keiner kaufen würde, wäre ich stolz drauf. Letztlich mache ich Musik ja aber nicht ausschließlich nur zum Zeitvertreib und zur eigenen Befriedigung. Das ist auch mein Job. Damit verdiene ich mein Geld. Und je mehr Leute meine Alben kaufen, desto entspannter und authentischer kann ich arbeiten. Wenn du einen Text schreibst, willst du doch auch, dass ihn so viele Leute wie möglich lesen und gut finden, oder? Warum sollte das bei Musikern anders sein? Ich verstehe dieses ganze Kleingerede von Kollegen manchmal nicht. Wer mit seiner Arbeit glücklich und zufrieden ist, der sollte es auch kundtun.

Was glaubst du denn, woran das liegt, dass sich so viele Musiker vor einer Veröffentlichung eher klein als groß machen?

Ich kann nicht für andere Leute sprechen. Ich weiß nur, was in meinem Kopf vor sich geht, wenn ich eine Aufnahme beendet habe. Dann will ich die Sachen mit den Menschen da draußen teilen, und dann hoffe ich natürlich, dass ich auf viele Menschen stoße, denen meine Songs genauso gut gefallen wie mir. Ich würde mir mein Album nämlich kaufen (lacht).

"Die Musik war eher ein Hobby"

Warum würdest du dir dein Album kaufen? Was macht es so besonders?

Gegenfrage: Würdest du dir denn mein Album kaufen?

Unbedingt.

Das freut mich (lacht). Dann verrate du mir doch, was es so besonders macht.

Für mich ist es eines der emotionalsten und fesselndsten Singer/Songwriter-Debütalben der jüngeren Vergangenheit. Meiner Meinung nach besticht es vor allem durch seine musikalische Tiefe. Ich höre Blues, Pop und Rock. Und alles auf höchstem Niveau. Dazu kommt natürlich noch deine markante Stimme, die klingt, als wärst du schon seit Jahrzehnten am Start.

Klingt gut (lacht).

Absolut. Es wäre wahrlich traurig, wenn es zu einem Album wie diesem nie gekommen wäre. Mir kam nämlich zu Ohren, dass du eigentlich Maler werden wolltest. Stimmt das?

Ja, das ist richtig. Ich male und zeichne für mein Leben gern. Letztlich habe ich mich aber für die Musik entschieden.

Warum?

Ich habe damals aus dem Bauch heraus entschieden. Eigentlich wollte ich ein Kunststudium beginnen. Die Musik war eher ein Hobby. Irgendwas sagte mir aber, dass da mehr dahinter steckt. Also entschied ich mich im letzten Moment um und schrieb ich mich für ein Musikstudium ein. Ich konnte die Finger einfach nicht von der Gitarre lassen. Da war eine größere Anziehungskraft vorhanden. Heute bin ich natürlich heilfroh, dass ich mich damals noch mal umentschieden habe.

Du hast zu der Zeit aber auch schon in Bands gespielt, oder?

Ja, kurz vor dem Studium habe ich noch zusammen mit meinem Bruder in einer Band gespielt. Danach habe ich es dann allein probiert.

Mit Erfolg.

Naja, es war ein langer Weg. Zunächst bin ich von meinem Heimatort Hitchin nach Brighton gezogen. Dort habe ich mich dann als Straßenmusiker versucht. Ich spielte fünf Abende pro Woche in verschiedenen Open-Mic-Bars und verdiente mir so meinen Lebensunterhalt. Danach ging es weiter nach London. Dort kam dann glücklicherweise eins zum anderen.

Plötzlich standen Bands und Künstler wie Kodaline, Tom Odell und sogar die großen Rolling Stones bei dir auf der Matte. Wie hast du dich da gefühlt?

Ich konnte es nicht fassen. Ich hatte zwar bemerkt, dass meine ersten echten Live-Shows beim Publikum gut ankamen. Aber das war's auch schon. Als dann die Anfrage der Stones kam, wäre ich fast vom Hocker gefallen. Ich meine, ich stand im riesigen Londoner Hyde Park zusammen mit einer der wohl größten Bands aller Zeiten auf ein und derselben Bühne. Das war gigantisch.

"Dein Wort in Gottes Ohr"

Kurz darauf kamen dann die Leute von Republic Records auf dich zu. Auch wieder so eine verrückte Geschichte. Die wurden über ein Youtube-Video auf dich aufmerksam. Erzähl doch mal.

Ja, das war ziemlich crazy. Da war dieser Zuschauer, der mich in einem kleinen Pub filmte und das Material dann bei Youtube hoch lud. Die Songs landeten dann irgendwie bei einem Verantwortlichen von Republic Records auf dem Tisch. Und der Typ war total begeistert. Kurz darauf wurde ich vom Label nach New York geflogen. Dort habe ich dann den Vertrag unterzeichnet. Ich bin eigentlich keiner, der auf Märchen steht. Aber das hatte schon irgendwie alles etwas Magisches und Märchenhaftes. Das war der Startschuss. Von da an wusste ich, dass ich mittendrin bin. Mir wurde bewusst, dass ich endlich das machen konnte, was ich schon immer machen wollte; nämlich Gitarre spielen und singen.

Und nebenbei ein bisschen zeichnen.

Genau. Die perfekte Kombination.

Seitdem ist viel passiert. Dein Debütalbum steht in den Startlöchern und von überall her prasseln Lobpreisungen auf dich ein. Im Februar wurdest du sogar mit einem Brit-Award ausgezeichnet. Wie kommst du dieser Tage ein bisschen runter? Was sorgt dafür, dass du nicht komplett durchdrehst?

Das ist eigentlich ganz einfach. Ich bin ja nicht der Typ, der sich permanent in der Öffentlichkeit präsentieren muss. Ich bin kein großer Party-Gänger. Das meiste an Eindrücken erreicht mich demnach via Mail und Internet. Ich habe zwei gesunde Hände. Wenn mir das Gerede und Geschreibe also zu viel wird, schalte ich einfach alles aus; ganz einfach. Dann nehme ich meine Gitarre, setz mich irgendwo hin und lass mich treiben. Da legt sich dann ein Schalter um. Die Welt da draußen spielt dann keine Rolle mehr. Das hilft mir. Und wenn ich mal wieder Lust habe, etwas über mich und meine Musik zu lesen, dann mach ich halt einfach alles wieder an. Ich habe also die totale Kontrolle (lacht).

Hattest du die auch noch, als du im vergangenen Jahr im fernen Nashville plötzlich mit dem Produzenten Jacquire King im Studio standst? Wir reden hier schließlich von einem Grammy prämierten Top-Mann, der bereits mit den Kings Of Leon und Tom Waits zusammengearbeitet hat.

Nun, um ehrlich zu sein, da wurde ich dann doch etwas kleinlauter (lacht). Ich kann mich noch gut an den Tag erinnern, an dem ich das erste Mal mit ihm über Skype kommuniziert habe. Das war so surreal. Ich saß in meiner kleinen Bude und redete mit Jacquire King! Das kann man eigentlich alles gar nicht in Worte fassen.

Wie war's dann in Nashville?

Nashville war großartig. Diese Stadt, dieser Flair, das ganze Drumherum. Der helle Wahnsinn.

Und selbst auf den Parkplätzen ging es hoch her. Stichwort: Willie Nelson.

Oh ja, das war auch ziemlich abgefahren. Ich meine, ich habe Willie Nelson gesehen! Unglaublich, oder?

Hast du mit ihm gesprochen?

Nein, ich habe ihn nur von weitem gesehen. Das war aber schon krass genug. Man muss sich dafür Folgendes vor Augen führen: Ich hatte da gerade eine Woche Nashville hinter mir. Ich arbeitete in einem Studio der gehobensten Klasse. Da war alles größer und besser als alles, was ich je zuvor zu Gesicht bekam. Das alleine hat mich schon total umgehauen. Nach einer Woche musste ich also unbedingt mal raus aus dieser Traumwelt. Ich ging also nach draußen, stellte mich auf den Parkplatz vor dem Studio hin, blickte in den Himmel und atmete tief durch. Plötzlich parkt da dieser riesige Bus ein paar Meter vor mir. Und wer steigt aus?

Willie Nelson?

Wille Nelson! Ich war so perplex, dass ich regelrecht erstarrte. Das sind Momente, die man erleben muss. Ich kann nicht ansatzweise in Worte fassen, was für unglaubliche Gedanken und Gefühle in diesem Augenblick durch meinen Kopf schossen. Es war unbeschreiblich.

Ich kann dich beruhigen; denn ich denke, dass du noch viele ähnliche Momente erleben wirst. Ich freue mich auf jeden Fall schon auf unser nächstes Gespräch. Da wirst du garantiert noch mehr an Unglaublichem preisgeben.

Wie gesagt, dein Wort in Gottes Ohr (lacht).

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