27. Oktober 2011

"Robin Hood ist nicht beknackter als Odin oder Thor"

Interview geführt von

Tobias Sammet, der Quell nie versiegender Worte des Rock'n'Roll, bittet zum Interview und hat einige Anekdoten auf Lager. Mit vielen ironischen Abschweifungen und gleichsam vielen ernsthaften Messages hält der hessische Zampano des Melodie-gepflegten Metal mit seinen Aussagen nicht hinterm Berg.Hallo Yan, ich bin ein wenig spät dran, aber das macht ja nix, sag ich jetzt einfach mal so.

Also mir macht das wenig.

Dann sind wir uns diesbezüglich schon mal einig.

Na dann, herzlich Willkommen zum Edguy-Interview. Wobei es ja manchmal schwierig zu sagen ist, mit welchem Projekt du gerade im Moment unterwegs bist. Im letzten Jahr gab es die große Tour mit Avantasia, jetzt schon wieder das neue Edguy-Album. Wann hast du eigentlich Zeit gefunden, um Ideen zu sammeln und neue Songs zu schreiben.

Die Dinge, die passiert sind, haben natürlich große Wellen geschlagen. Es gab die Scorpions-Tour mit Edguy im Vorprogramm, dann kam die Avantasia-Tour, die zwar nur dreieinhalb Wochen lief, aber dafür einmal um die halbe Welt ging. Diese ganzen Unternehmungen haben auch immer große Wellen geschlagen und relativ viel Presse generiert.

Ich habe zwischendurch eigentlich mehr Freizeit, als man denken mag (lacht). Ja und mit Freizeit meine ich tatsächlich die Zeit, in der ich Songs schreibe, weil ich das eher als Hobby ansehe. Ich gehe das sehr spielerisch an. Ich schreibe jetzt keine Songs, weil ich Songs schreiben muss oder weil ich mich genötigt fühle, weder von der Plattenfirma, von meinen Bandkollegen, noch von einem sich dem Ende neigenden Kühlschrank. Ich mach das weil ich Bock drauf habe und weil ich das gleichermaßen als Spaß und Ausgleich sehe. Im Endeffekt war das Jahr gar nicht so arbeitsreich.

Rein von der Zeit aus gesehen, habe ich sicherlich weniger gearbeitet als ein durchschnittlicher Arbeitnehmer, der fünf Tage in der Woche seinem Job nachgeht und sich den Arsch dafür aufreißt, jeden Morgen um sechs Uhr aufsteht und Abends um sechs Uhr nach Hause kommt. Da bin ich in der glücklichen Situation, dass ich nicht ganz so hart arbeiten muss (lacht). Deshalb war da auch immer genügend Zeit. Und wir haben Avantasia-Platten vom Songwriting her Ende 2009 fertig gestellt und die kam dann im April 2010 und alles, was ich seitdem an Songideen hatte, waren potentielle Ideen für Edguy. Ich habe auch gar keinen Zeitdruck gespürt. Wir haben am 1. April 2011 angefangen aufzunehmen. Nach Adam Riese dürften das so sechzehn, siebzehn Monate gewesen sein.

In der Zeit fällt dann doch einiges ab ...

Wenn man es tatsächlich als Berufung sieht Songs zu schreiben und nicht als Beruf, dann ist diese Zeitspanne lang genug, um Songs wirklich im Detail auszufeilen.

Wie groß ist denn der Input der anderen Bandmitglieder, insbesondere der beiden Gitarristen Jens Ludwig und Dirk Sauer? Bei Gitarristen muss man immer davon ausgehen kann, dass die hin und wieder Ideen in melodischer oder harmonischer Hinsicht haben. Bei euch sind die weiteren Bandmitglieder aber de facto selten in den Credits gelistet. Wie groß ist da der Einfluss von den Jungs?

Manche Dinge habe ich direkt mit Sascha Paeth (Produzent von Edguy und Avantasia und Avantasia-Gitarrist) ausgearbeitet, die die restlichen Bandmitglieder zum ersten Mal im Studio gehört haben, als sie es dann eingespielt haben. Sagen wir es mal so: Die Songs auf der neuen Platte habe alle ich geschrieben. Einen Teil habe ich mit Sascha arrangiert, einen Teil haben wir als Band zusammen im Proberaum arrangiert. Was Melodien, Harmonien, die Abfolge und die Arrangements angeht war mein Input schon relativ groß.

Wenn es jetzt rein um die Lead-Gitarren geht oder was der Bass, im Rahmen dessen was das Arrangement vorgibt, dann tatsächlich im Detail macht, dann ist das davon beeinflusst wie der einzelne Instrumentalist sein Instrument bedient und was er für eigene Trademarks mitbringt. Es ist ganz schwierig dafür jetzt eine allgemeingültige Regel aufzustellen oder eine Faustregel zu nennen. Das lief von Song zu Song unterschiedlich. Songs wie zum Beispiel "Behind The Gates Of Midnight World" oder – hm, mal überlegen welche Songs denn noch überhaupt auf der Platte sind – "Rock Of Cashel", sind Songs, die ich zum Beispiel mit Sascha ausgearbeitet habe. Oder hier, wie heißt er denn, jetzt fällt mir der Name von dem Song nicht mehr ein, "Faces In The Darkness" ...

... meine absolute Lieblingsnummer ...

... das sind Sachen, die ich mit Sascha ausgearbeitet habe, während zum Beispiel "Robin Hood" im Proberaum arrangiert wurde. Ich glaube man hört, auch wenn ich die Richtung vorgebe und manchmal diktatorisch auftrete, dass wir definitiv eine organisch gewachsene Band sind und dies viel mehr als andere Bands. Aber mein Input auf der Platte war jetzt doch relativ groß. Aber hilft ja nichts, wenn die Ideen da sind, soll man sie auch benutzen.

"Ich bin doch eigentlich das Beste was unserer Gesellschaft passieren kann"

Und auf der neuen Platte sind die Ideen wirklich sehr abwechslungsreich ausgefallen. Und im Vergleich zu "Tinnitus Sanctus" ist die neue Edguy irgendwie farbenfroher, abwechslungsreicher. Es fällt mir schwer das in Worte zu fassen. Du hattest im Vorfeld ein Statement abgegeben, dass der Produktion der neuen Platte ein erheblicher Stellenwert zukommt. Kannst du genau beschreiben wie du das gemeint hast, was sich an der Aufnahme im Vergleich zu anderen Projekten oder vielleicht auch – Stichwort "Loudness War" – im Vergleich zur Metal Szene im Allgemeinen verändert hat?

Wir wollten die Dynamik der Musik unterstreichen und wollten Dynamik in den Sound kriegen. Wie dies in den Siebzigern und teilweise auch in den Achtzigern, und da meine ich nicht so die Spätachtziger, diese glattpolierten und hochgezüchteten Produktionen der AOR-Bands, sondern bei diesen ursprünglichen, rockigen Produktionen, der Fall war. Das wollten wir in die Musik reinkriegen. Ich beobachte das schon seit längerem: Fast alle Bands, die einen "State Of The Art"-Sound verfolgen und da zähle ich uns in der Vergangenheit auch dazu, haben sich darin verloren, alles zu technisch anzugehen, mehr zusammenzupressen und das ganze zusammengepresste Resultat laut zu machen. Das wirkt erst einmal imposant, wenn du so eine Platte reinlegst, aber es wirkt nicht musikdienlich. Es ermüdet die Ohren und es killt die Details.

Das ist das Gegenteil davon, was für mich jetzt einen charmanten Sound ausmacht und auch ein Hörerlebnis. Ich möchte nicht von einer Macho-Produktion nach dem Motto "Wir sind die lautesten, wir haben den fettesten Sound, höher, weiter, mehr Bass", von dieser Attitüde möchte ich einfach nichts mehr wissen, weil es einfach nur noch nervt. Und jeder möchte, dass seine Songs auf irgendwelchen billigen iPods, Lautsprechern und Mobiltelefonen am lautesten rüberkommt, aber im Endeffekt haben wir dafür nicht angefangen Musik zu machen. Ich habe nicht angefangen Musik zu machen, um mit anderen Produktionen in Punkto Lautstärke zu konkurrieren, sondern eine Produktion soll in erster Linie dazu dienen, das Gefühl der Musik zu unterstützen. Das in einem vernünftigen Rahmen ganz einfach rüberzubringen, geht den heutigen Produktion oftmals einfach ab.

Du merkst das ganz leicht, wenn du ne alte Dio-Platte wie die "Holy Diver" laut machst, dann ist immer noch alles präsent, du hörst die leisen Momente und du hörst die lauten Momente. Diese Dynamik gibt dir das Gefühl, dass du mittendrin stehst und das da wirklich eine Band mit Stimmungswechseln arbeitet, dass sie im richtigen Moment Gas gibt und dann im richtigen Moment auch wieder das Tempo rausnimmt. Mit Tempo meine ich nicht nur Geschwindigkeit, sondern auch wieder mit dem Gefühl nach unten gehen und das ganze wieder leiser werden lassen. Da ist einfach viel Luft zum atmen drin. Und bei neuen Produktionen hast du das nicht. Und wenn du die beiden Platten jetzt nebeneinander oder nacheinander auf einer vernünftigen Anlage hörst und beide Platten so angleichst, dass sie dir subjektiv gleich laut vorkommen, ist klar, dass man die Dio-Platte wahrscheinlich ein ganzes Stück mehr aufreißen muss als irgendeine jüngere Nickelback-Produktion.

Ich sag jetzt mal Nickelback, aber im Heavy Metal gibt es auch ganz viele Bands, die extrem komprimiert produzieren. Wenn du beide Platten auf dasselbe Level bringst, wirst du feststellen, dass die Dio-Platte einen wärmeren, authentischeren Sounds besitzt. Während die Nickelback-Platte an ganz vielen Stellen fern wird, übersteuert sein wird und einfach auch die Lautsprecher viel schneller in die Knie zwingt. Das wollte ich einfach nicht. Ich habe solche Sachen wie "Wir wollen es allen zeigen und mit einer Soundwand alles wegblasen" auch gesagt und vielleicht habe ich das eine Zeitlang auch wirklich geglaubt. Aber ich finde, dass das eine falsche Richtung ist, denn die Stimmung von der Musik – zumindest der Musik, die ich liebe – wird davon rübergebracht, dass es laute und leise Momente gibt, dass die Dynamik, die das Ganze zum Leben erweckt, zwischen beiden Extremen ausgelotet wird. Also wenn du die "Age Of The Joker" einlegst und sie einfach genießt und so laut machst wie du sie hören möchtest, dann klingt die Platte total geil. Aber wenn du sie reinlegst und hörst direkt danach die letzte Metallica, dann wird die Metallica uns natürlich völlig wegblasen von der Lautstärke, aber macht es das wirklich besser?

Das Klangbild war dermaßen übersteuert, dass es teilweise angefangen hat zu knistern und Ohrenschmerzen die Folge waren. Also ich meine Metallica.

Ich möchte jetzt ungern Negativbeispiele nennen. Aber ich möchte mal eine Band nennen, die ich sehr zu schätzen weiß. Wenn du z. B. die letzte Platte von Ratt nimmst und hörst dir im Vergleich die "Invasion Of Your Privacy" an, dann klingt die alte Platte so viel besser, weil die neue Platte so laut ist. Versteh mich nicht falsch, die Songs sind geil und ich will auch nicht über andere Bands herziehen, aber diese Platte kann ich nicht genießen, weil sich das einfach kaputt anhört. Jedes Mal wenn die Bassdrum oder die Snare-Drum kommt, werden die Gitarren weggeschoben, so hart komprimiert ist das schon und in dem Moment fängt die Box einfach an zu zerren, es übersteuert einfach und das zerstört die Hörlust. Ich glaube sogar, dass die von einem super renommierten Produzenten betreut wurden. Aber wenn das das Nonplusultra ist, dann Gute Nacht Musik, dann möchte ich auf keinen Fall das Nonplusultra sein und böse Zungen werden jetzt behaupten, Tobi, keine Angst, ihr werdet nie das Nonplusultra sein (lacht).

Um noch einmal auf den "Loudness War" zurückzukommen. Ich kann das gut nachvollziehen. Wenn man sich die Arbeit beim Rundfunk anschaut, dann hat man da tagtäglich mit Musik zu tun, und da geht es vor allem darum präsent zu sein, lauter zu sein als die anderen, um gehört zu werden und um Gehör zu finden, um am Ende auch in der Gema-Abrechnung häufiger genannt zu werden als andere Bands. Es ist irgendwie ein Teufelskreis. Um so schöner, dass es Bands gibt, die dem widerstreben und nicht die Quittung dafür kriegen, sondern eher in positiver Hinsicht Zuspruch bekommen. Der Charteinstieg auf Platz 3 kommt für euch doch sicherlich überraschend.

Mit Avantasia waren wir ein, zwei Plätze besser, aber es kommt ja auch immer auf die Chartwoche an. Wir haben so ziemlich die schwerste Chart-Woche erwischt, die man erwischen kann. Aber das weißt du vorher nie. In den Top 15 haben sich sieben Neueinsteiger getummelt. Es war auf jeden Fall total viel Verkehr und man musste viele Platten verkaufen, um auf Platz drei zu kommen. Vielleicht wären wir eine Woche später auf Platz 2 gelandet und vielleicht ja auch in einer etwas schwächeren Woche die Nr. 1 geworden. Aber unabhängig davon, das ist scheißegal. Ich glaube nicht, dass wir entschieden weiter vorne gelandet wären, wenn die Platte lauter gewesen wäre.

Aber es spricht ja auch dafür, dass es einen Fanstamm gibt, der abgesehen von manchen Stereotypen, euch die Treue hält. Auf der anderen Seite gibt es viele Leute, die sich aufgrund des Namens, aufgrund des Artworks despektierlich äußern, ohne jemals wirklich ein Ohr riskiert zu haben. Wie positionierst du dich dazu? Verfolgt du teilweise Diskussionen in Internet-Foren über die neueste Kuhfell-Mode oder dass das Cover manchen zu anstößig ausfällt?

Ich versuche dem aus dem Weg zu gehen. Es lässt sich nicht immer vermeiden. Ich lebe ja nicht auf einer einsamen Insel. Und sei es wenn die Plattenfirma mal irgendwo etwas Lustiges gefunden hat oder wenn mir mein Webmaster irgendetwas zuschickt, dann krieg ich das auch mal mit und muss dann schmunzeln. Im Endeffekt kannst du es nicht jedem Recht machen. Das meiste, was anonym im Internet passiert, kann ich eh nicht wahrnehmen, da bin ich innerlich beratungsresistent (lacht). Aber ich möchte schon gerne die Leute einschätzen können, die sagen, dass ich Scheiße gebaut habe. Dann habe ich immer noch die Möglichkeit zu überlegen, ist da was dran oder ist da nichts dran?

Es gibt ein paar Freunde, deren Meinung mir sehr wichtig ist. Du weißt bei den meisten Sachen nicht, wer dahinter steht. Du weißt nicht, warum und aus welchen Motiven das heraus passiert. Es gibt einige Leute in der Szene, von denen ich weiß, dass sie mich nicht mögen, ohne, dass ich ihnen einen Grund dafür gegeben hätte. Ich weiß, dass ich eine Kritik aus diesen Mündern niemals ernst nehmen könnte, weil das meistens an der Sache vorbeigeht. Eigentlich dürfte es mich nicht interessieren, aber es nervt mich halt so wie es einen Fußballer wahrscheinlich nervt, wenn er vom Kicker oder von der Sport-Bild verrissen wird. Aber das muss mir eigentlich scheißegal sein. Ich kann nur das tun, was ich für richtig halte, dabei aufrichtig sein und ehrlich zu mir selbst. Ich bin sehr glücklich mit dem, was ich mache. Ich mache nur das, was ich gerne mache, habe noch nie etwas gegen meinen Willen getan und alles was ich mache, geschieht aus Überzeugung.

Ich trete dabei keinem auf die Füße, tue keinem weh und zahle auch unheimlich viele Steuern, von denen dann Straßenlaternen gebaut werden, die vor den Häusern derer stehen, die Abends vor dem Computer sitzen und mich in die Pfanne hauen wollen. Von daher bin ich doch eigentlich das Beste was unserer Gesellschaft passieren kann (lacht). Nein, Nein, da kann man sich natürlich wieder daran aufhängen, der Sammet ist so ein Großkotz usw. Ich glaube, dass alles richtig ist, was ich mache und natürlich was wir auch als Band fabrizieren.

Viele verrennen sich in der Diskussion und meinen, Edguy seien zu viel Spaß. Daher finde ich es interessant, dass die neue Platte in Gewand des Harlekins bzw. des Scharlatans daherkommt, dem man auf den ersten Blick nicht wirklich abnimmt, was er wirklich meint, aber der gerade dadurch Meinungen transportieren kann und möglicherweise auch Stimmungen und Bedürfnisse, die man so nicht erwartet hätte. Da bin ich vielleicht auch ein wenig drauf rein gefallen. Denn als ich die Platte gehört habe, kam dann auf einmal ein Song wie "Faces In The Darkness", bei dem ich dachte, passt das jetzt wirklich? Aber dieser Song hat mich dann auf einer Ebene gepackt, die ich Edguy – wie man sie oberflächlich kennt – gar nicht zugetraut hätte. Das finde ich ein interessantes Konzept.

Die Platte und unsere Karriere zielen in erster Linie darauf ab, dass wir Spaß haben. Ich vermute, dass auch King Diamond Spaß daran hat, was er tut. Es ist ja erst einmal eine gute Sache, dass man mit dem, was man macht, auch Spaß hat. Wir waren früher sicherlich unbekümmerter. Diese Unbekümmertheit besitzen wir nach wie vor, aber wir haben diese früher sicherlich öfters als es manch anderen lieb war, zur Schau gestellt. Als ich Anfang Zwanzig war, da habe ich auf der Bühne auch wenn der Witz schon dreimal in die Hose gegangen ist, ihn halt noch fünfzehn Mal gebracht und gedacht, dass die Leute irgendwann schon anfangen zu lachen. Damit haben wir uns damals natürlich nicht nur Freunde gemacht. Im Endeffekt sind wir eine Band, die einen guten Sinn für Humor hat, aber wir sind nicht die Spaß-Band. Wenn die Leute das so sehen wollen, dann haben sie völlig recht. Hauptsache wir verschaffen den Leuten Spaß beim Hören.

Aber auf der Platte ist jetzt nichts drauf, was in Richtung J.B.O. geht. Edguy, die Spaß-Kapelle oder die fünf lustigen Hessen, das ist ja völlig das Klischee. Klar, du machst ab und zu mal einen dummen Witz und das ist auch ok so. Rein musikalisch sind ein, zwei Nummern drauf, die ein wenig mit Augenzwinkern gedacht sind, was manchmal auch sehr subtil transportiert wird. Denn eigentlich ist die Platte sehr ernst. Der Joker ist halt unser Markenzeichen, unser Maskottchen. Bruce Dickinson hatte auch schon mal einen Jester vorne aufm Cover und deswegen würde ich ihn jetzt nicht als britische Antwort auf J.B.O. bezeichnen. Ich will auch gar nichts gegen J.B.O. sagen. Jetzt fang ich schon wieder an, einen Namen zu missbrauchen. Aber du weißt, was ich meine, wir sind keine Klamauk-Truppe und wir waren das musikalisch auch noch nie. Das war jetzt das neunte Album, das wir gemacht haben und auf allen diesen Alben waren mindestens 95% Ernsthaftigkeit. Nur sind wir uns nicht zu Fein, wenn wir meinen mal mit den Regeln brechen zu müssen, uns auch mal was Doofes einfallen zu lassen und das auch umzusetzen. Das haben Iron Maiden im Übrigen auch gemacht. Wir haben nicht mehr abwegigere Sachen in unserer Karriere gemacht als Iron Maiden. Bei denen ist halt kein Harlekin auf dem Cover, sondern irgendwie ne Karnevalsmaske (lacht).

"Robin Hood ist viel näher an uns dran als diese ganzen nordischen Kasperköpfe"

Bezüglich der ernsten Seite: Wie kamst du eigentlich auf die Idee einen Song über Robin Hood zu schreiben und dann halt auch noch mit dem entsprechenden Video daher zu kommen, obwohl man den Text auch sozialkritisch lesen könnte, wenn mich das nicht ganz täuscht?

Hmm, jaa, so richtig weiß ich gar nicht, was ich mit diesem Text aussagen wollte. Ich finde im Metal gibt es so viele historische Persönlichkeiten, die ungestraft besungen wurden. Ok, Odin ist eher Mythologie, aber Alexander der Große, um mal bei Iron Maiden zu bleiben, oder Attila der Hunnenkönig, um mal bei Saxon zu sein, sind dafür gute Beispiele. Wahrscheinlich gab es auch 25.000 Piraten-Kapitäne, die auch besungen wurden und 25.000 verschiedene Krieger und Götter. Ich finde es keinen Deut komischer, einen Song über Odin, Thor oder irgendwelche Pappnasen zu machen als über Robin Hood. Ich war mir auch dessen bewusst. In dem Moment in dem ein Song "Robin Hood" heißt, dann ist das schon wieder Spinal Tap. Ich war mir dessen bewusst, dass sich die Leute bei diesem Titel zumindest mal am Kopf kratzen werden.

Ich wusste ganz genau, dass ich von manchen Leuten ein verwundertes Feedback kriegen würde. Sobald die Setlist im Internet rumgeisterte, habe ich sofort eine SMS von Mille (Kreator) bekommen, der meinte, ich hätte einen Dachschaden. Er hat mir gerade vor ein paar Tagen wieder geschrieben und gesagt, er möchte auch mal auf Platz drei der Charts und hat bereits einen Song namens "Sindbad". Wir verstehen uns sehr gut und sind befreundet und Mille hat auch einen sehr guten Sinn für Humor. Mal abgesehen davon. Trotzdem habe ich noch nirgends gelesen, dass Mille der lustige Essener mit seiner Spaßtruppe ist.

Ich dachte "Robin Hood" klingt beknackt und im Endeffekt ist es keinen Deut beknackter als ein Song über Odin oder Thor. Zu Robin Hood hat zumindest noch jedes Kind einen Bezug, weil jeder mal als Kind Robin Hood spielen wollte und jeder diese Figur kennt. Bei Odin denkt man höchstens an den Hund von Garfield. Ich glaube Robin Hood ist viel näher an uns dran als Odin, Thor und diese ganzen nordischen Kasperköpfe. Von daher habe ich einfach diesen Song so genannt und habe einen entsprechenden Text drum gebastelt, weil auch der Song musikalisch mit Klischees spielt. Das haben wir dann auch ein wenig ausgereizt und eine Iron Maiden-Hommage eingebaut.

Das darf man auch nicht falsch verstehen. Ich steh total auf Maiden. Maiden hat natürlich auch was Komisches. Das ist keine Angelegenheit von Leben und Tod. Maiden ist auch komisch. Die meisten Maiden-Fans wurden im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren Anhänger. Genauso wie ich auch, mit elf Jahren sogar. Ergo Maiden ist Musik für 12- bis 13-Jährige. Die meisten fanden es nur so geil, dass sie nie wieder davon los gekommen sind (lacht). Aber wenn du einem 25-Jährigen zum ersten Mal in seinem Leben Maiden vorspielst, dann wird der wahrscheinlich erst einmal denken, dass das verdammt komische Musik ist, mit 45 Tempowechseln in 15 Minuten. Ein klein wenig Parodie ist alles, was wir machen. Es hat alles eine komische Seite. Ich bin ein riesen W.A.S.P.-Fan, aber natürlich ist das auch komisch. Wenn 50-jährige Männer auf die Bühne gehen und die Muskeln zeigen und mit halbnackten Frauen posen, damit irgendwelche Leute in der zweiten Reihe sagen "Boa, das sind aber ganz schöne Typen, die haben richtig Muckis", dann ist das auch komisch. Da kann mir keiner erzählen, dass man da nicht drüber lachen darf. Ich habe letztendlich mit Robin Hood unserer Szene, der ich mich sehr gerne zugehörig fühle, den Spiegel vorgehalten.

Heavy Metal wird auch immer etwas Komisches haben. Das ist genauso komisch, wie wenn irgendwelche Männer auf der Bühne stehen und behaupten sie würde für den Heavy Metal sterben und dann ihre Muskeln zeigen und dann Bier aus einer Dose sich über den Kopf schütten. Das ist Macho-Gehabe, das einfach komisch ist. Das ist ja auch nicht schlimm. Ich steh dann auch unten und denk mir, geil irgendwie, das finden jetzt 14-Jährige geil und meinen sie müssten auch so sein. Ein gesunder 33-Jähriger sagt dann, dass er das irgendwie komisch findet. Aber Unterhaltungsmusik ist halt manchmal komisch (lacht). Für dieses Interview werde ich so dermaßen auf die Fresse kriegen.

Wie habt ihr es denn geschafft, Deutschland begehrteste Braut in die Rolle von Maid Marion zu kriegen?

Wir hatten eine Casting-Agentur, die die Frauen gecastet hat und die sahen uns alle zu männlich aus. Bernhard Hoecker war der am weiblichsten aussehende Kandidat, der übrig blieb. Nein, Spaß beiseite. Ich habe ihn einfach angerufen bzw. seinen Agenten und nachgefragt und der meinte Bernhard würde das gerne machen, da er auf Heavy Metal steht und auch schon Avantasia auf dem Schirm hatte. Ich weiß nicht, ob er Edguy auch kannte. Jedenfalls haben wir ihm den Song geschickte und er stimmte direkt zu.

Was kann man von Edguy denn noch erwarten? Die Tour steht bereits fest und dann?

Kurzfristig gesehen kommt erst mal die Tour, mittelfristig noch ein paar Alben und langfristig die Übernahme der Weltherrschaft, spätestens bei der zweiten Farewell-Tour.

Ich hatte ja in ZDF-Kultur die Avantasia-Übertragung vom Wacken-Festival verfolgt, übrigens zur Prime-Time. Was ist das für ein Gefühl, mittlerweile fast schon angekommen zu sein im Mainstream?

Das weiß ich nicht. Man macht sich ja keine Gedanken, wenn man morgens wach wird "Oh was ist das jetzt für ein Gefühl, jetzt bist du Mainstream". Da mache ich mir gar keine Gedanken drüber. Ich mache einfach Musik. Meine Freundin und ich lagen halt irgendwann nachts im Bett und haben grad den Fernseher angemacht und da lief das halt. Sie meinte nur "Oh, das bist ja du". Und ich meinte nur "Komm macht das aus, ich habe Feierabend" (lacht). Es war der einzige Moment in dem mir für kurze Zeit bewusst war, dass jetzt vielleicht auch andere Nicht-Heavy-Metal-Fans mich im Fernsehen sehen könnten. Ich fühle mich jetzt nicht so wie wenn ich Mainstream wäre. Dafür ist unsere Musik viel zu beknackt, viel zu Nische. Ich finde es schön, dass wir einen Haufen Platten verkaufen und viele Fans haben. Aber ganz ehrlich: Mainstream ist DJ Bobo und Dieter Bohlen. Iron Maiden verkaufen sauviele Platten, aber Iron Maiden werden nie Mainstream sein und wir werden auch nie Mainstream sein und das ist auch gut so.

Das finde ich ein schönes Schlusswort. Bevor das Interview noch länger dauert und du das Gefühl bekommst noch mehr von dir preis zu geben und noch mehr über Bands abzulästern, würde ich sagen, es hat mich sehr gefreut mit dir gesprochen zu haben.

Vielen Dank, machs gut, vielleicht sehen wir uns auf der kommenden Tour. Dann können wir uns ne Dose Bier über den Kopf kippen.

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