laut.de-Kritik

Eines der gelungensten Projekte im frühlingshaften Lockdown.

Review von

"Leute sagen: 'Mit der Mucke, was soll dir das denn bringen?' Ey, ich glaub' daran, dass manchmal auch Verlierer gewinnen. Und die Geschichte zeigt, dass manchmal auch Gewinner verlieren. Aber was Mels und mich angeht: Wir sind immer noch hier." Zum Einstieg führt er sich erst als Underdog auf, um sich anschließend auf der Erfolgsspur zu verorten. Leicht zu entschlüsseln sind die "Panama Papers" wahrlich nicht. Das verhielt sich bereits bei den titelgebenden Steuer-Dokumenten so. Mit Produzent Mels lässt Young Paul darauf eines der gelungensten Projekte des unruhigen Jahres fußen.

Die Selbstwahrnehmung des lyrischen Ichs alterniert auch im weiteren Verlauf zwischen den Extremen. "Ihr habt lang' genug gewartet, dass ein Album erscheint", stellt sich Paul mit dem obligatorischen Savas-Zitat "Lässig" auf einen Sockel, nur um diesen direkt wieder unter sich wegzutreten: "Man so lang, eigentlich bin ich jetzt zu alt für den Scheiß." Während Mels elegant Gaming-Sounds ins Instrumental tupft, übt sich der nun kleinlaute Rapper in Publikumsverachtung. Wer seine "Anti-Intellektuellen-Musik" feiere, "der hat eigentlich 'ne Schelle verdient."

Unverdächtig, es auf geistige Höchstleistungen anzulegen, bleiben auch die Vertreter der Trap-Spielart. Für "Ford Escort" liefert Mels die fachmännischen Bässe. Dazu steuert Young Paul die bekannten Textbausteine, die er für eine reine Parodie zu konsequent umsetzt. Die Hookline bietet jedoch Stoff für weitere Fragen: "Real Rap, Wort für Wort, es fliegen Schüsse auf dein' Ford Escort. Grüße an die Stiebers und an Torch. Wir seh'n uns an ein' bess'ren Ort." Blickt er mit Bedauern auf die alte Schule zurück oder wünscht er sich die Ewiggestrigen auf den musikalischen Friedhof?

Weniger im Ungefähren verliert sich "Timestretch". Zur nachdenklich bedrückten Atmosphäre des Beats referiert Paul über verpasste Chancen und bemüht sich in Abgrenzung zu seinen Meta-Rap-Songs ganz ernsthaft, eine Aufbruchstimmung zu erzeugen. Während mancher Hörer noch auf den ironischen Bruch wartet, verzieht der Rapper keine Miene: "Zwischen Depression und allerbestem Leben versucht man halt klarzukommen und, Bruder, meistens geht das schon. Doch manchmal sind die Tage so wahnsinnig scheiße und man wagt es sich heimlich, Gottes Plan anzuzweifeln."

Ein christlicher Kern bricht auch in "Liebe" hervor. Young Paul öffnet nicht nur sein Herz für die Familie, Freunde und Fans, sondern empfängt auch seine Feinde mit offenen Armen: "Liebe an jeden, der mir sagt, dass er mich scheiße findet. Dank euch bin ich nur ein kleines bisschen eingebildet." Zur nostalgischen Produktion rappt er Zeilen, die auf dem Papier mitunter unheimlich kitschig rüberkommen. In der Praxis führt er seinen Text jedoch so lässig vor, dass er sich an keiner Stelle allzu ernst zu nehmen scheint. Gleichzeitig lässt er das Thema aber auch nicht ins Ironische kippen.

"Hier fließen Milch und Honig", reflektiert er im POV-Song "Honig" zunächst das Leben in der rundum abgesicherten Gated Community, um dies in der zweiten Strophe mit dem Dasein als Geflüchteter zu kontrastieren: "Hier fließt nichts, außer vielleicht Blut." Zum Abschluss triggert er aus der Position des Kriegsgeplagten die Ängste des Bürgertums, das sich zur Besitzstandswahrung bestmöglich vor der Realität abschottet: "Ich hab' nur eine letzte Chance, ist doch logisch. Ich schwör' bei Gott, ich komm' und hol' mir euren Honig."

So transportiert er verschiedene Meinungen, ohne dass sich das lyrische Ich mit seiner Person decken muss. Dass das Projekt dennoch kein bisschen inkohärent erscheint, liegt an Mels, der die musikalischen Fäden zusammenhält. Im frühlingshaften Lockdown lohnt es sich, einfach mal durch die "Panama Papers" zu stöbern. Wenn sich am Ende in "Moment" die Stimmung aufhellt, gibt Young Paul Zeilen zum Besten, die sich wie eine Prophezeiung der aktuellen Lage lesen: "Wir sind doch eigentlich alle ziemlich gleich gepolt. Und für den Moment sitzen wir alle in einem Boot."

Trackliste

  1. 1. Immernoch
  2. 2. Lässig (mit Stani)
  3. 3. Timestretch
  4. 4. Liebe
  5. 5. Ford Escort
  6. 6. Freunde Der Nacht
  7. 7. Pasch (mit Schote)
  8. 8. Honig
  9. 9. Moment
  10. 10. Fluchtversuch

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Young Paul

"Ich bin schon ein ziemlich alter, hängengebliebener Dude." Young Pauls Hip Hop-Sozialisation vollzieht sich zwischen den US-Küsten von Tupac Shakur …

2 Kommentare mit einer Antwort