laut.de-Kritik

Rage Runner 2049.

Review von

Scheint so, als würde dieses neue Yeat-Album das neue kanonische Trap/Rage-Projekt werden. Nachdem Drake den Portland-Sonderling für "IDGAF" für seinen kommerziell bisher größten Moment rekrutiert hat, wurde es für ein halbes Jahr trügerisch still. Die Zeit hat er aber produktiv genutzt, um sein bisher klanglich kohärentestes und ambitioniertestes Album auszutüfteln. "2093" nimmt den Playboi Carti-typischen Rage-Sound, wirft aber viele Trap-Elemente aus diesem Subgenre wieder heraus, und ersetzt sie mit futuristischem Elektro- und Industrial-Geballer.

Nachdem Trap in den letzten Jahren zunehmend langsam weitermutiert ist, sehnte die Fandom sich definitiv nach einem Album wie diesem, wie die Wüste nach Regenwetter. Ein junger, neuer Artist, der ein richtiges Statement-Album rausbringt? Doppelt in die Venen, bitte! Aber ob es sich lohnt, die "Rodeo", "DS2" oder gar "Yeezus"-Vergleiche zu übernehmen, da bin ich mir nicht so sicher. Ich hab's schonmal gesagt, aber nicht jedes nicht komplett vorhersehbare Album von irgendwem muss dessen "Yeezus" sein. "Die Minions 3" ist auch nicht das "Yeezus" der Minions. "2093" bringt definitiv typische Yeat-Alben-Schwächen mit.

Es ist allen voran ein langes und in vielerlei Hinsicht auch ein etwas grobmotorisches Album. Wer mit dem Anspruch auf Feinsinn oder Komposition rein geht, der wird erstmal von der reinen Lautstärke und dem Dröhnen dieses Tapes übermannt. Es behält auch Yeats Hang zum Monochromatischen: Ich würde nicht sagen, dass es ein monotones Album ist, aber es ist definitiv eines mit einer sehr begrenzten Farbpalette. Gewisse Sounds und Stimmungen werden definitiv wieder und wieder aufgeschnappt und nicht gerade in verschiedene emotionale Richtungen gelenkt. Trotzdem passiert musikalisch eine ganze Menge, für das man Yeat seine Lorbeeren geben muss.

"2093" verdient die Blade Runner-Referenz. Dieses Album klingt und fühlt sich an, wie ein gigantischer Science Fiction-Blockbuster. Keiner von der "stiller Shot von einer Düne und dann Cyberslums, guck mal Gesellschaftskritik"-Art, eher einer von der "KABUM! KABLÄM! PIUPIUPIUPIU"-Art. Um diesen Effekt zu finden, haben die Produzenten und Yeat die Hausaufgaben aber durchaus gemacht. Der fast Death Grips-eske Bass-Build-Up auf "2093", das Crystal Castles-Sample auf "ILUV" oder die Synth-Arps am Anfang von "Keep Pushin": Letzteres hätte man auch locker in den Einstieg von deutscher Sci-Fi-Experimentierung in den Siebzigern hören können. "2093" kündigt Zukunft an und klingt dann auch so.

Musikalisch exorzieren die zimperlichen 808-Snares und Hats aus dem Rage-Sound. Achtet man mal darauf, dann hat der klassische Atlanta-Trap-Sound immer diese total filigranen, hohen, zischenden Snare-Sounds. Die tänzeln oben im Mix und klingen nach Stripclub. Und weil Rage von den Atlanta-Weirdos von Opium hochgezogen wurde, war das bisher die musikalische Norm. Yeat wirft diese Trap-Tendenzen hier erfrischend rabiat aus dem Fenster. Fast jede Snare auf diesem Album klingt fett, sitzt mitten im Mix und holt dadurch fast eine BoomBap-Festigkeit zurück. Insgesamt bekommt man aber eher das Gefühl von Electronic Body Music und Industrial mit.

Highlights sind "Power Trip", wo er federleichte Space-Synths gegen einen bretternden Rage-Boden ausspielt. "Breathe" erhebt sich zum massiven Hit des Albums, und das zurecht. Dieser Track klingt wie eine John Wick-Schießerei neben einer Formel 1-Strecke. Samt einem Bass, um Berge zu versetzen und einer von Yeats lebendigsten Performances. Zusammen mit dem Techno-Slowburn "If We Being Real" am Ende des Projekts reihen sich diese beiden Nummern in die Tradition seines bisher besten Songs "Nun Id Change". Ein Experiment auf seinem "Afterlyfe"-Album, das sich als für seine Karriere wegweisend herausstellt. Auch das Ausbleiben vieler Features und dem Verlassen auf die Legenden Lil Wayne und Future wirkt wie ein geglücktes Risiko.

Ob "2093" in der Reihe der definitiven modernen Rap-Alben stehen wird, muss sich noch zeigen. Es ist ein sehr monolithisches Album und beinhaltet mehr cineastisches Flair und mehr Visionen als seine bisherigen Alben, dafür bietet es aber auch ein bisschen weniger stimmliche Ausgefallenheit. Interessanterweise scheint es gerade dadurch ein Crowdpleaser zu sein, dass es nicht ganz den erwarteten Weg geht, und das mit einer beeindruckenden Konsequenz! Man kann hier verdammt viel mögen. Es bestärkt auch die These, dass Trap sich zu Hip Hop verhalten wird wie Metal zur Rockmusik. Und wenn Trap der Metal ist, dann sind diese Rage-Weirdos mit ihren abgerockten, gigantischen Alben der Speed-Thrash oder Black-Metal, von dem man sich in vielen Jahren mal fragen wird, wie jetzt etwas so Klobiges und Unpoppiges mal im Mainstream landete. Die Antwort wird sein: Ja. War ziemlich cool, dabei gewesen zu sein.

Trackliste

  1. 1. Psycho CEO
  2. 2. Power Trip
  3. 3. Breathe
  4. 4. More
  5. 5. Bought The Earth
  6. 6. Nothing Change
  7. 7. U Should Know
  8. 8. Lyfestyle (feat. Lil Wayne)
  9. 9. ILUV
  10. 10. Tell Me
  11. 11. Shade
  12. 12. Keep Pushin
  13. 13. Riot & Set It Off
  14. 14. Team CEO
  15. 15. 2093
  16. 16. Stand On It (feat. Future)
  17. 17. Familia
  18. 18. Mr. Inbetweenit
  19. 19. Psychocaine
  20. 20. Run They Mouth
  21. 21. If We Being Real
  22. 22. 1093

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Yeat

Dass 2015 oder 2016 in den großen Soundcloud-Weiten ein Typ mit dem Namen Lil Yeat auftaucht, entspricht ungefähr einem Moskito in einem Bombenhagel.

6 Kommentare mit 11 Antworten