Porträt

laut.de-Biographie

Violent Femmes

In den Playlisten der Indie-DJs dieses Planeten hält sich seit 1983 hartnäckig ein Song, der immer noch so verdammt frisch und rotzig klingt, als sei seither kein Jahr ins Land gezogen. Die Rede ist von "Blister In The Sun", dem ersten Track des Debüt-Albums der Violent Femmes aus Milwaukee. Der Name leitet sich vom in Milwaukee gängigen Ausdruck 'Femmes' für Weicheier her. Sie nennen sich somit: gewalttätige Weicheier.

Best of 1983: 40 Jahre, 40 Alben
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Ihr minimalistischer, mit Folk-Versatzstücken und Country-Sprengseln versehener Sound hat über die Jahrzehnte nichts von seinem Charme verloren. Nicht nur das erscheint bemerkenswert: Als einzige Band der Welt halten sie den seltsamen Rekord, eine Platinplatte auf der Habenseite zu verbuchen, die niemals in den Top 200-Billboardcharts der USA aufgetaucht ist: "Violent Femmes".

Chrissie Hynde, Frontfrau der Pretenders, fungiert in der Geschichte der Femmes als Geburtshelferin. 1982 hört sie die Band auf der Straße vor einem Kino musizieren und engagiert sie vom Fleck weg als Support Act ihrer eigenen Gruppe für den Gig in Milwaukee. Die Gründungsmitglieder, Sänger/Gitarrist Gordon Gano, Bassist Brian Ritchie und Schlagzeuger/Percussionist Victor De Lorenzo, machen sich Anfang der Achtziger etwas unfreiwillig auf, ihre Musik im Verbund mit ihren erstklassigen und satirischen Texten unters Volk zu bringen. Bald nach der Geschichte mit Hynde leiht sich Victor von seinem Vater 10.000 Dollar, um die Studiokosten zu finanzieren. Das einzige Label, das ihnen einen Deal anbietet, Slash Records, weigert sich nämlich, einen Vorschuss rauszurücken.

Die Single "Gone Daddy Gone", ein ähnlicher Brecher wie "Blister In The Sun", verpasst um Haaresbreite den Einstieg in die Charts ihrer Heimat. Besser ergeht es dem zweiten, von Talking Heads-Keyboarder Jerry Harrison produzierten Album "Hallowed Ground", das im Vereinigten Königreich 1984 bis auf Platz 36 vordringt. Die Violent Femmes wenden sich hier noch stärker traditionellem Folk zu, wohingegen "Blind Leading The Naked" von 1986 ziemlich variabel gestaltet ist und mit einem netten Cover des T.Rex-Songs "Children Of The Revolution" und dem Brüller "Old Mother Reagan" glänzt.

Im Anschluss gehen die Femmes erst einmal getrennte Wege. Gordon Gano nimmt zusammen mit dem Gospel-Projekt The Mercy Seat sein erstes Soloalbum auf, während Brian Ritchie gleich mit deren drei aufwartet, bevor 1989 das Violent Femmes-Album "3" erscheint.

Nach der Compilation "Add It Up (1981-1993)" von 1993 nimmt Schlagzeug-Virtousenminimalist Victor De Lorenzo seinen Hut und wandelt fortan auf Solo-Pfaden, die er bereits zwei Jahre zuvor mit "Peter Corey Sent Me" in Angriff genommen hatte. Guy Hoffmann trommelt daraufhin das erste und gleichzeitig letzte Majorlabel-Album für Elektra ein: "New Times" erscheint 1994.

Ab 2002 schreibt Sänger Gano mit den ehemaligen Musikern von The Bogmen, Billy und Brendan Ryan, regelmäßig Songs. An kommerziellen Anfragen besteht kein Mangel: Gano beliefert zum Beispiel die Film-Soundtracks von "Fever Pitch" und "The Heartbreak Kid". Im Zuge der Veröffentlichung von "Under The Sun" lässt Gano 2009 verlauten: "Das hier ist kein Nebenprojekt von mir, denn die Violent Femmes sind Geschichte. Das ist es, was ich heute mache."

So sind die Hoffnungen auf eine Wiedervereinigung der Violent Femmes nicht allzu groß, bis die Band im März 2015 neue Songs und kurz darauf die "Happy New Year"-EP veröffentlicht. Im Sommer 2015 gehen sie mit Barenaked Ladies auf große US-Tour, Anfang 2016 erscheint mit "Memories" der erste Song von "We Can Do Anything", dem ersten Studioalbum der Violent Femmes seit fünfzehn Jahren.

In der Zwischenzeit ist einiges passiert: Dass Gano "Blister In The Sun" zwecks Untermalung eines Werbespots an eine Burgerbrater-Kette verhökert, stößt Ritchie sauer auf, er zieht vor Gericht. Wenig überraschenderweise erweist sich das als nicht zuträglich fürs Bandgefüge: 2009 gehen die Violent Femmes getrennte Wege. Erst drei Jahre später beendet eine außergerichtliche Einigung den Zwist, 2013 melden sich die Violent Femmes zurück.

Die Harmonie währt jedoch nicht lange: Schon zwei Monate später nimmt Schlagzeuger De Lorenzo seinen Hut. An seiner Stelle haut, wie auf "We Can Do Anything" noch zu hören, Dresden Dolls-Drummer Brian Viglione in die Felle. Auch seine Zeit erweist sich jedoch als kurz: Schon kurz danach bedankt er sich für die Erfahrung und sagt ciao. Ihn ersetzt einer, der weiß, worauf er sich einlässt: John Sparrow spielte, ehe er auf dem Schleudersitz hinter dem Schlagzeug der Violent Femmes Platz nimmt, Cajon in der Backing-Band der Truppe, bei den Horns of Dilemma.

Die musikalische Qualität beeinträchtigt all das nicht: Fans wie Kritiker*innen feiern "We Can Do Anything" in der Hoffnung, auf das nächste Release nicht wieder 15 Jahre warten zu müssen. Die erfüllt sich für Band-Verhältnisse dann auch nahezu prompt: Bis "Hotel Last Resort" erscheint, gehen lediglich drei Jahre ins Land.

Experimentierfreude: ja, allzu drastische Innovation sollte man von den Violent Femmes aber wohl nicht mehr erwarten. Das Grundrezept ihrer Mixtur aus Folk, Punk und einem bisschen von allem anderen bleibt konstant: unbeschwert, überschwänglich und dabei stets ein wenig angepisst.

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