laut.de-Kritik

Wenn Hunde Haare weinen.

Review von

Tränen, das sind Gwen Dolyn und Steffen Israel. Bei ihr kann man kaum glauben, dass vor ihr noch keine Erotikdarstellerin auf dieses feingeistige Wortspiel kam. Die beiden sind in Chemnitz beheimatet und sie machen deutschsprachigen Pop, den sie für ihr Debüt "Haare Eines Hundes" in Leipzig aufnahmen, dass ja eh das bessere Berlin sein soll. Dolyn kann, muss man aber nicht, seit ca. drei Jahren kennen, Israel steht bei Kraftklub an der Gitarre. Bei der Band, deren Umfeld und Soloausflüge so unendlich viel interessanter sind als ihr strunzlangweiliges Hauptwerk.

Dolyn hat ein Händchen für One-Liner ("als ich gesagt hab': einen Kick/ meinte ich nicht: in den Bauch", "Stures Dummes Herz") und die emotionale Distanzlosigkeit ("denk bitte nicht an mich/ wenn du dich anfasst", "Schießen Lernen"), die schon den Kollegen Kummer zu deutlich mehr philosophischen Credentials verholfen hat, als ihm intellektuell objektiv zustünden. Dabei nervt sie nicht, wirkt nicht über die Maßen blasiert und man kommt sich nicht ununterbrochen verarscht oder emotional ausgebeutet vor; eine positive Ausnahmeerscheinung somit im deutschsprachigen Pop, womit sie sich in eine ganz kleine, vorwiegend weibliche deutschsprachige Reihe von Pisse, Blond und Schnipo Schranke oder auch Julian Knoth einreiht, die durchgehend genervt, aber authentisch, übers Leben und Deutschland schimpfen. Das Lakonische ("und natürlich bin ich traurig/ aber das ist ja auch egal" auf "Es Ist Nicht Wie Es Aussieht") steht ihr gut, und Songs wie "Schießen Lernen", "Kapitulation" und "Duell Der Letzten" besitzen genug Edginess, um "Haare Eines Hundes" spannend zu halten, auch wenn die Texte nur altbekannte Themen zwischen Zweifel und Wut auf gewohnte Art und Weise behandeln.

Musikalisch geben sich Tränen durchaus abwechslungsreich und teils synthielastig: "Kapitulation" setzt trotz seines langsamen, in den Strophen allzu bedeutungsschwangeren Gedröhnes, mit einer Ukulele einen interessanten Kontrapunkt. "Zu Alt Geboren" klingt wie ein simpler Synth-Popper, der an den richtigen Stellen innehält und Elemente hinzufügt. "Stures Dummes Herz" tönt sowieso ziemlich gut, die Dynamik und die Refrain-Idee tragen den Song locker alleine. "Duell Der Letzten" wirkt immer noch nicht schlecht, dürfte aber trotzdem der schlechteste Song auf "Haare Eines Hundes" sein, da die Aggro-Parole mit Handbremse nicht funktioniert. Dolyn wirkt authentisch politisch angepisst, der Text bleibt aber zu abstrakt und der Bass macht die Musik auch nur ein My gutturaler, ohne die Wut mittragen zu können.

Noch besser als elektronisch sind Tränen, wenn Gitarrist Israel seine E-Klampfe zückt. Das zeigt schon der Opener "Es Ist Nicht Wie Es Aussieht", der aber von den Gitarrensong wiederum den schwächsten Eindruck macht, da ihm der Drive etwas fehlt, genauso wie dem Closer "Was Bleibt", der seine angenehme Komplexität im Refrain leider verliert. Den Drive hat dafür das Albumhighlight "Schießen Lernen", das 80-Feel und Deutschpunk souverän kombiniert.

Die "Haare Eines Hundes" tauchen übrigens auf "Alte Wunden" auf, das Pop mit einer punkigen Attitüde und einem herausragenden Bass aufbietet. Überhaupt ist das Ende die stärkste Phase der Scheibe. "Mitten Ins Gesicht", der vorletzte Song, zeigt das Schema der Lockerheit mit entweder punkigen oder grungy Elementen exemplarisch. Die Formel von Tränen ist so kompliziert nicht, aber die muss man erst mal hinbekommen, und das gelingt dem Duo auf ihrem Debüt ausgesprochen oft.

Trackliste

  1. 1. Es Ist Nicht Wie Es Aussieht
  2. 2. Stures Dummes Herz
  3. 3. Kapitulation
  4. 4. Interlude - Neumond
  5. 5. Duell Der Letzten
  6. 6. Zu Alt Geboren
  7. 7. Schießen Lernen
  8. 8. Interlude - Vollmond
  9. 9. Alte Wunden
  10. 10. Sturer Dummer Schmerz
  11. 11. Was Bleibt

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5 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 5 Monaten

    Hört sich reinhörenswert an. Aber ich verstehe den Satz nicht:
    "Dabei nervt sie [die Sängerin] nicht, wirkt nicht über die Maßen blasiert und man kommt sich nicht ununterbrochen verarscht oder emotional ausgebeutet vor, womit sie sich in eine ganz kleine, vorwiegend weibliche deutschsprachige Reihe von Pisse, Blond und Schnipo Schranke oder auch Julian Knoth einreiht, die durchgehend genervt übers Leben und Deutschland schimpfen."
    Wer ist denn mit "man" gemeint, derjenige, der die Musik hört? Oder die Sängerin? Und die Sängerin nervt nicht, wie auch die anderen benannten Künstler nicht nerven, die durchgehend genervt übers Leben und Deutschland schimpfen?

  • Vor 5 Monaten

    Gerade "Duell Der Letzten", im Original von Chaos-Z, passt gut ins Album. Wieso bleibt der Text zu abstrakt?
    Aber egal. Insgesamt schönes Album.
    Live machen Tränen auch Spaß.

  • Vor 5 Monaten

    Macht drei Songs lang wahnsinnig Spaß, dann fragt man sich, ob man auf der Repeat-Taste ausgerutscht ist.

    Und schon wieder ein 29 Minuten langes Album.

  • Vor 5 Monaten

    "Bei der Band [Kraftklub], deren Umfeld und Soloausflüge so unendlich viel interessanter sind als ihr strunzlangweiliges Hauptwerk."

    Das Kraftklub einem musikalisch nicht zusagt ist ja vollkommen legitim, aber wo ist denn bitte Kummer - bei dem selbst ich als Laie merke, dass er kein begnadeter Rapper ist - unendlich viel interessanter?

    • Vor 5 Monaten

      Bin ja ebenfalls genrefremd, aber das was Kummer zu sagen hat finde ich wesentlich interessanter und relevanter als die zum 100. mal aufgewärmte Geschichte von irgendeinem Vollasi der mal wieder von ganz unten nach ganz oben will. Von diesen neuen Rappern wie der Trottel mit der Skimaske will ich gar nicht erst anfangen.

    • Vor 5 Monaten

      Also ich habe heute morgen einem pubertierenden Familienmitglied, welches sich lautstark über Quanti- und Qualität des Inhalts des eigenen Kleiderschranks beschwerte, als Erwiderung von Kummer "Wieviel ist dein Outfit wert" - ebenfalls angemessen lautstark - vorgespielt. Pädagogisch wahrscheinlich bestenfalls wirkungslos, ich fand das aber lustig (womit ich alleine war). Will sagen: die Platte von Kummer ist sicherlich nicht überragend im Rap-Sinne (wobei ich mich selbst im Vergleich zu anderen hier als genrefremd bezeichnen würde, sodass ich mir da keine große Expertise zuschreibe), ich fand und finde das Album aber insgesamt ziemlich okay.

    • Vor 5 Monaten

      "Bin ja ebenfalls genrefremd, aber das was Kummer zu sagen hat finde ich wesentlich interessanter und relevanter als die zum 100. mal aufgewärmte Geschichte von irgendeinem Vollasi der mal wieder von ganz unten nach ganz oben will."

      Fairer Punkt.

    • Vor 5 Monaten

      Naja, ich würde sagen, dass kommt darauf an, ob der Vollasi auf dem Weg nach oben auch den Takt trifft und wie gut sein Beatgeschmack ist.
      Mir gehts andersrum so, dass ich 90 % der Inhalte von Kummer zwar richtig und wichtig finde, aber auch nicht weiß, warum ich mir ein Album anhören soll, dass mich in meinen Linksliberalen Ansichtenbestätigt, sonst aber textlich und sprachlich nicht so viel anzubieten hat.
      Der Song über den Chemnitz-Hool war groß und es ist bestimmt ein nettes Mainstream-Rap-Album, aber irgendwie halt auch Erstsemester Musik.

      Da mag ich die Hauptband mehr, vielleicht auch, weil die vor allem zu meinen Erstsemester Zeiten relevant war :D

  • Vor 5 Monaten

    "Zu alt geboren" schon ein mieser Hit. Insgesamt sind die Songs aber noch recht unausgegoren.