laut.de-Kritik

Kein neues Album, eher der Soundtrack einer Nacht.

Review von

Tja, Mike Skinner aka The Streets, so treffen wir uns also wieder. Die Haare waren schon mehr, der Bauch war schon straffer und trotzdem muss alles immer weitergehen. Bis zum Ende. "None Of Us Are Getting Out Of This Life Alive" klingt wie das oft bemühte Erich-Kästner-Zitat, "das Leben ist lebensgefährlich". Oder wie eine trocken-humoristische Antwort auf die gegenwärtige Angst vor dem Pandemie-Alltag. Hätte eine nette Story ergeben, aber der Titel zu diesem "Rapduett-Album" stand fest, bevor in China jenes fatale Flattervieh zur falschen Zeit auf dem falschen Teller lag.

Prophetisch wirkt ein Zitat aus dem Klassiker "Has It Come To This": "Yer listening to the streets / Lock down your aerial". Skinners Isolation von der Musikwelt begann schon weit vor dem Lockdown. Fast ein ganzes Jahrzehnt nahm er Abschied von seinem erfolgreichsten Projekt, veröffentlichte nur sporadisch Musik unter anderen Projektnamen und schien bereits vergessen. Harte Zeiten für jemanden, der mal als Bob Dylan seiner Generation galt und die britische Musik maßgeblich mit seinen meisterhaften 00er-Großtaten "Original Pirate Material" und "A Grand Don't Come For Free" beeinflusste. Doch irgendwann nahmen seine Rolle als Vater von zwei Kindern und leider auch seine psychische Gesundheit mehr Zeit in Anspruch. Umso schöner, nach all den Jahren wieder von ihm zu hören.

Der Einstieg "Call My Phone Thinking I’m Doing Nothing Better" klingt erfreulich vertraut. Traurige Synth-Streicher und UK Garage-Beats holen sofort in die Zeit zurück, als man mit Anfang 20 die erste wirklich große Liebe verlor und das Erwachsenenleben den kompletten Angriff auf die bis dahin so behütete Traumvorstellung vom Leben einleitete. Ein kleiner Fan-Pleaser zu Anfang ist nach der langen Pause sicherlich kein schlechter Gedanke, aber bestärkt die Angst, dass sich das ehemalige Troubled Kid nun im selbstmitleidigen Altersmodus suhlt. Seine Gäste, die australischen Psych-Pop-Band Tame Impala, standen jedenfalls schon lange auf der Wunschliste. Die Zusammenarbeit mit den "HipHop-Beatles", wie er sie ehrfürchtig nennt, schlufft angenehm ins Ohr.

Überhaupt steht das Mixtape für gegenseitigen Respekt. Der Nachwuchs weiß genau, wer hier die Türen öffnet, während Skinner nicht auf den Gedanken kommt, dass er nach all den Jahren keinerlei Hilfe für sein Comeback benötigt hätte. So lassen die Wüteriche von den Idles dem alten Mann wieder den Kamm schwellen. In bester Run The Jewels-Manier kotzen sich beide aus und brüllen ihrer mittlerweile so fremd gewordenen Heimat "I don't like my Country" entgegen. Sämtliche Befürchtungen, dass The Streets nur Fan-Pleaser produzieren, planieren der Altmeister und seine jungen Freunde gekonnt aus dem Weg. Der typische Witz kommt aber trotz solcher Grimmigkeit nicht zu kurz. "She talks about her ex so much, I even miss him” aus "You Can't Afford Me" hinterlässt ein breites Grinsen im Gesicht. Diese emotionale Breite von rotziger Punk-Wut hin zu clownesken Lausbuben-Charme war schon immer seine Stärke. Umso trauriger, dass es Rap-Rüpel Slowthai dann doch nicht auf das finale Mixtape schaffte.

Seine Inspiration, so Skinner, holte er sich den letzten Jahren als DJ in den Clubs. So blieb er in Kontakt mit den aktuellen Sounds, die aus dem Londoner Süden gerade nicht nur die Kids in England in Aufregung versetzt. Schon auf "Has It Come To This" flirteten die Streets stark mit Dub/Reagge-Sounds. "Phone Is Always In My Hand" bildet da keine Ausnahme. Gemeinsam mit Underground-Star Dapz finden alle Sounds, die aktuell in der britischen Hauptstadt brodeln, auf diesem Groove-Monster zusammen.

Solche basslastigen und räudigen Electro-Sounds scheinen bei seiner Beschäftigung als DJ häufiger aufzutauchen. Gerade Birmingham tritt auf diesem Mixtape verstärkt in den Fokus. Die zweitgrößte Stadt Englands, die man eher mit gefälligem Rock wie der Ocean Colour Scene verbindet, hat von allen europäischen Metropolen den jüngsten Altersdurchschnitt. Die elektronischen Fachblätter preisen schon länger die vitale Underground-Szene als schlafenden Riesen, der kurz vor seinem ganz großen Durchbruch steht. Mike Skinner, selber ein Sohn dieser nordenglischen Stadt, dürfte diesen Trend mit vielen Features aus der lokalen Szene verstärken. Er hätte sicherlich auf Nummer Sicher noch weitere Star-Gäste wie Tame Impala gewinnen können, aber stellt lieber junge Musiker aus seiner Homebase in den Vordergrund.

So gesehen bleibt auch "None Of Us Are Getting Out Of This Life Alive" nicht das erhoffte neue Streets-Album, eher ein "Mike Skinner präsentiert..."-Feature-Reigen mit unterschiedlichen Künstlern. Der Soundtrack einer Nacht, gut kompiliert und ein guter Eindruck dessen, was in den englischen Clubs abging, bevor diese beschissene Situation uns alle in die eigenen vier Wände einschloss. Die Rückkehr von Deutschrap-Urgestein Dendemann zeigte, wie öde ein Comeback als müder Mitt-Vierziger aussieht, wenn fast nur Verachtung für die Gegenwart und Lob für das eigene Schaffen im Vordergrund stehen. The Streets hingegen wissen eh, wie sehr sie der Nachwuchs respektiert und lassen sich von den neuen Wilden lieber ein paar neue Tricks zeigen.

Trackliste

  1. 1. Call My Phone Thinking I’m Doing Nothing Better (ft. Tame Impala)
  2. 2. None Of Us Are Getting Out Of This Life Alive (ft. Idles)
  3. 3. I Wish You Loved You As Much As You Love Him (ft. Donae’O)
  4. 4. You Can’t Afford Me (ft. Ms Banks)
  5. 5. I Know Something You Did (ft. Jesse James)
  6. 6. Eskimo Ice (ft. Kasien)
  7. 7. Phone Is Always In My Hand (ft. Dapz)
  8. 8. The Poison I Take Hoping You Will Suffer (ft. Ragz)
  9. 9. Same Direction (ft. Jimothy Lacoste)
  10. 10. Falling Down (ft. Hak Baker)
  11. 11. Conspiracy Theory Freestyle (ft. Rob Harvey)
  12. 12. Take Me As I Am (with Chris Lorenzo)

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