laut.de-Kritik

Flow und Frakturen bilden ein formvollendetes Konzept.

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Das Gerüst für ihr sechstes Album entwarfen The Kills in einer Kirche: Man merkt den meisten Tracks den Einfluss der einschüchternden sakralen Bauwerke auch an. So pflegen das zittrige "My Girls My Girls" oder der angestrengt pulsierende Vorabsong "103" etwas Suchendes und eine demütige Grundhaltung - trotz all der verzerrten Stromstöße aus der Lead Guitar.

Geradezu andachtsartig groovt das atmosphärische Stück "LA Hex" durch die Nachtseite des Lebens, voller Gospel-Aura und in Electro-Design. Es passt in eine Playlist mit John Cales "Mercy" und Daniel Lanois' Album "Heavy Sun". Andererseits kommen Ikara Colt in den Sinn, die in der Anfangszeit von The Kills ähnlich dekonstruierende Post-Punk-Akzente in ihren Gitarrenrock einfügten.

Das neue Album hat nun seine Stärken auf ganz verschiedenen Ebenen: Neben den griffigen Riffs und einer widerspenstigen Schönheit sind starke Stimmungen, gebrochene Rhythmik, Detailreichtum, intelligent eingesetzte Elektronik, eine tiefe Grundgelassenheit sowie eingängige Vocals die großen Pluspunkte. Die Texte zeugen von einer gewissen Allgemeingültigkeit und Deutungsoffenheit, die das Komplizierte in zwischenmenschlichen Beziehungen behandeln.

Da Alisons Mossharts Stimme zu klar und schön für die Düsternis der Sünden wäre, für die man in Kirchengemäuern Abbitte leistet, verfremdet das Duo die Vocals in "Wasterpiece" eindrucksvoll. Der Track ist offenbar vom Golfspielen inspiriert, werden im dazugehörigen Video doch einige Wutausbrüche auf dem Rasen gezeigt und mit stoischer Coolness zur Kenntnis genommen.

Mossharts Vocals durchlaufen eine Reise der experimentierfreudigen Modulation: zwischen frech-salopp in der Echokammer, gegen scharfe Riffs und das Ticken der Drum-Machine gelehnt ("Kingdom Come") und verwaschen unter dunkle Synths gemischt wie im Titellied "God Games". Die Gesangsspuren erscheinen mal skizzenhaft (in "Bullet Sound"), mal befreit tanzend ("Blank"). Kirchlichen Gospel-Soul trifft die 44-Jährige in der Hook des majestätischen und schwer stampfenden "Bullet Sound". Auch dem Closer "Better Days" kann man Soul inmitten der Amplifier-gesteuerten Riff-Ruinen attestieren.

"God Games" klingt insgesamt kaputt. Wie eine Kreuzung von Dystopie und Glaube, eigentlich ein Oxymoron, so als sei jeglicher höherer Macht das irdische Geschehen entglitten und gebe es nur noch fragmentarische und porös gewordene Teile der Schöpfung. Trotz der stimmigen Kulisse kamen The Kills hier ganz profan auf ihr lyrisches Motiv, wie Alison im Interview erläutert: "Jamie (...) meint, 'God Games' bedeute, in Computerspielen Welten zu bauen und Teile herumzuschieben. Ich habe das persönlich nie getan, aber dieses Konzept, Gott zu spielen, klingt für mich absolut beängstigend. (...) Das Wort Spiel in diesem Zusammenhang allein ist so dunkel."

Der rumpelnde und gleichzeitig klare Charme des Eröffnungstracks "New York" profitiert von einer Intonation, die vor Passion und Sehnsucht nur so strotzt. Das stark reduzierte "Going To Heaven" verbindet elektronische Schnippsel mit einem pushy schiebenden Sequencer. In der zweiten Hälfte legt sich eine dezente Industrial-Schicht mit Sounds wie aus dem Sägewerk über die Klicks, Cuts und Beats. Ein verstimmter und verträumt bratzelnder Sequencer mit Vintage-Ästhetik beendet den Song.

Unter der Oberfläche der manchmal monoton wirkenden Tracks gibt es in Wahrheit viel zu entdecken. Und so dürfte die Platte einen langen Nachbrenn-Effekt haben. Eingängigkeit und Dekonstruktion, Flow und Frakturen bilden hier ein formvollendetes Konzept.

Trackliste

  1. 1. New York
  2. 2. Going To Heaven
  3. 3. LA Hex
  4. 4. Love And Tenderness
  5. 5. 103
  6. 6. My Girls My Girls
  7. 7. Wasterpiece
  8. 8. Kingdom Come
  9. 9. God Games
  10. 10. Blank
  11. 11. Bullet Sound
  12. 12. Better Days

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3 Kommentare

  • Vor 5 Monaten

    Ziemlich ernüchternd. Ash & Ice war da um einiges hörenswerter.

  • Vor 5 Monaten

    Mir gefällt das Album. Vielleicht war die Ash & Ice noch besser, aber ich finde es gut, dass die neue Scheibe ihren eigenen Sound hat. Sie klingt irgendwie intimer, zurückgenommener und dabei abwechslungsreicher. Alisson Mossharts Stimme ist ohnehin über alles erhaben. New York, My Girls und Wasterpiece sind meine Highlights. LA Hex und den Titeltrack hätte es nicht gebraucht.

  • Vor 5 Monaten

    Ich hatte mich sehr gefreut, aber so richtig funkt es nicht. Live bestimmt was machbar, aber so richtig findet das nicht zusammen. Keine Skipper, aber auch keine Zurückschalter. Läuft eher bei der Arbeit.