laut.de-Kritik

U2 und Meshuggah tauschen innige Küsse aus.

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Der Weltraum. Endliche Weiten, zumindest wenn man ihn in den Grenzen unseres Sonnensystems betrachtet. Dieses stellt das von Bassist Amos Williams entworfene Cover von TesseracTs neuer Platte "Sonder" in Form eines in Grau- und Blautönen gehaltenen Modells dar.

Der Albumtitel hingegen hat im Englischen keine eindeutige Bedeutung. Er bezeichnet die Story, die jeder Mensch besitzt, ob wir ihn nun flüchtig kennen oder unseren Bettnachbarn nennen und zielt auf die Eigenwilligkeit eines jeden ab. Auf den Punkt gebracht bedeutet "Sonder" außergewöhnlich. So außergewöhnlich wie die habitale Zone in der sich unser Himmelskörper bewegt und auf dem wir unserem geschäftsmäßigen Treiben nachgehen zwischen Liebe und Hass, Hoffnung und Verzweiflung.

Einzigartig klingt auch die Musik der englischen Modern-Proggies. Ausgefeilte Gitarren-Arrangements zwischen brachialem Slap-Gehämmer und cleanen Vocals, sphärische Elektroklänge in harmonischer wie chaotischer Setzart sowie der unverschämt eingängige Gesang von Sänger Dan Tompkins sind die Markenzeichen. Zudem operieren Gründer Alec Kahney und Co. erstmals in ihrer Bandhistorie mit einem konstanten Lineup.

Dan Tompkins ist förmlich das Bindeglied zwischen Himmel und Hölle, wobei die Saiten-Fraktion bei aller Brachialität glücklicherweise darauf verzichtet, den Gesang mit Djent-Gehacke zu unterlegen, was beim letzten Werk "Polaris" noch ein Schwachpunkt gewesen ist.

"Luminary" wird von einem harschen, pointierten Riff umklammert und mündet in einen melancholisch poppigen Mittelteil, der vom Rhythmus des Anfangsriffs lebt. Auf gerade mal drei Minuten zeigt die Band hier eine erstaunliche Entwicklung, in dem man zwar auf ein bewährtes Song-Format zurückgreift, die wiederkehrenden Parts jedoch punktuell verändert.

Tompkins bekommt den Raum, den er für seine Vocals benötigt. Klar ist, dass bei allen ausgeschütteten Endorphinen der Prog-Gedanke nicht zu kurz kommt. Die Kurzweil mancher Melodie wird durch die Einbettung in metrisch-schwerelose Arrangements auf Dauer sichergestellt. Ähnlich dem gesteigerten Selbstbewusstsein eines Einar Solberg (Leprous) oder Steven Wilson in Bezug auf den Gesang, kreieren TesseracT Passagen, in denen die Stimme perfekt zum tragen kommt.

Der Song "Juno" präsentiert gleich zwei Refrains. Der erste erklingt in stoisch-doomiger Manier, der zweite in bester Artrock meets Postrock-Tradition. Quasi an der Schnittstelle von Dredg und Long Distance Calling.

Die eruptiven Passagen bleiben meist den Instrumentalisten vorbehalten. Die punktuell gesetzten Shouts in "King" oder "Smile" entfalten dadurch ihre volle Durchschlagskraft. TesseracT spielen mit Kontrasten, wie dem leicht orientalisch angehauchten Hauptriff und dem an Porcupine Tree erinnernden zweiten Teil von "King". Diese können sie andererseits auch wunderbar verschmelzen. Hat der Hörer bei "Smile" noch den harmonischen ersten Refrain im Ohr, zertrümmert die Band diesen mit dem zweiten gnadenlos. U2 und Meshuggah halten nicht nur Händchen, sondern tauschen innige Küsse aus.

TesseracT bündeln ihre Stärken, stellen gleichzeitig ihre Egos hinten an und lassen ihrer Kreativität in einem klar strukturierten Song-Kontext freien Lauf. Die Produktion ist dermaßen gebündelt, dass jedes Detail zum Tragen kommt. Insofern sind die 36 Minuten Spielzeit nur auf den ersten Blick ernüchternd, da sich die Platte mehrfach und unter unterschiedlichen Blickwinkeln genießen lässt.

Allein das Sound-Design, das auf die akribische Arbeit von Engineer Aiden O'Brien zurückgeht, ist fantastisch und mischt Synthie-Sounds mit Alltagsgeräuschen und platziert sie stimmungsverstärkend im Bandsound. "Sonder" präsentiert sich als abgeschlossenes Werk, das nicht wie "Automata" von Between The Buried And Me einen zweiten Teil benötigt. Die einzigen Schwachpunkte findet man im kompositorischen Anhängsel "The Arrow" und dem eher lustlos dahinplätschernden "Mirror Image".

Trackliste

  1. 1. Luminary
  2. 2. King
  3. 3. Orbit
  4. 4. Juno
  5. 5. Beneath My Skin
  6. 6. Mirror Image
  7. 7. Smile
  8. 8. The Arrow

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