9. September 2016

"Hip Hop-Medien halten Hip Hop klein"

Interview geführt von

Nach vielen Platten mit der Firma veröffentlicht Tatwaffe zwölf Jahre nach "Volltreffer" nun wieder ein Soloalbum. Er spricht allerdings nicht nur über "Sternenklar", sondern auch über schlechte Berichterstattung, Panikmache, Wirtschaftsinteressen, Integration, über Deutschrap als Jugendbewegung im Wandel der Zeit und kommt zu dem Schluss: Früher war es NICHT besser.

Tatwaffe zählt fraglos zu den ganz alten Hasen auf der Deutschrap-Wiese. Seit Ende der 1980er in verschiedenen Formationen aktiv, kam er vor allem als Mitglied der Firma zu Ehren und gilt als gern gesehener Featuregast. Im Laufe einer derart langen Karriere kann man sich schon einmal in die Haare geraten. So geschehen vor knapp zehn Jahren, als - mir hatte "Wunder" nicht gefallen, Tatwaffe wiederum meine Kritik daran nicht - etliche weniger freundliche Worte hin- und herschwirrten.

Da dieser Vorfall allerdings schon fast so weit zurück liegt wie Tatwaffes letztes Soloalbum "Volltreffer", und er zudem offenbar alles andere als ein nachtragender Typ ist, kann man sich anlässlich seiner aktuellen Platte "Sternenklar" ja mal wieder unterhalten. Ziemlich ausführlich sogar, wie sich zeigen sollte.

Schön, dass du überhaupt mit mir reden willst, obwohl wir damals gar nicht so wahnsinnig freundlich aneinander geraten sind.

Ja, ja. Ich habs mir letztens noch einmal durchgelesen. Ich hab' leider meine Antwortmail nicht mehr gefunden.

Die Mails hab' ich auch nicht mehr, ich erinner' mich aber noch grob. Vielleicht würde ich mich heute ein bisschen diplomatischer ausdrücken.

Ach, ich hab' ja auch wirklich nur geantwortet. Jeder Journalist hat seine Meinung. Die soll er auch kundtun. Damals ... ich bin halt so. Ich dachte mir, dann antworte ich eben darauf. Aber jeder hat das Recht, seine Meinung zu äußern. Dafür steh' ich auch. Also kein böses Blut, auf keinen Fall.

Von meiner Seite eh nicht. Inhaltlich seh' ich es aber noch genauso: Aus mir wird halt einfach kein Fan von "Die Eine" und allen ihren Fortsetzungen mehr. Aber ... meine Güte. Man kann ja nicht alles mögen.

Ja, genau. Das ist es ja.

Würdest du das heute immer noch machen: einem Kritiker schreiben, nachdem du dich über seine Kritik geärgert hast?

Ja. Ich hab' vor ein paar Tagen erst der Juice geschrieben, weil dort weder auf der Homepage noch bei Facebook auch nur einmal erwähnt wurde, dass mein Album kommt. Hätte ich eine Nummer gehabt, hätte ich angerufen. Ich hab' halt nachgefragt, woran das liegt. Dass ich jetzt keinen Riesenbericht bekomme wie Haftbefehl oder Xatar oder Farid, das ist ja klar. Ich bin halt älter, ne? Aber trotz allem: Bei der Featureliste, wer da auf meinem Album alles mitmacht, muss den Leuten doch klar sein: Wenn die ganzen Künstler mich als relevant sehen und gerne bei diesem Projekt dabei sind, ist doch alleine das schon Grund genug. Wenn ich dann noch denke, dass ich das Ding mit angefangen habe und dass ohne mich - und andere auch, inklusive Beginner und Azad und wer sonst noch alles da war am Anfang - das so in der Form gar nicht entstanden wäre, dann blutet mein Herz wirklich für Hip Hop in Deutschland. Muss man einfach so sagen. Das hab' ich denen halt geschrieben - und da hab' ich auch 'ne Antwort bekommen. Aber das ist alles intern.

Bedauerlich. Du ärgerst dich demnach noch mehr über Gar-nicht-Beachtung als über eine schlechte Kritik?

Ja. Muss ich schon so sagen. Bei einer schlechten Kritik hat sich wenigstens jemand die Arbeit gemacht, sich das anzuhören und zu kucken, ob das vielleicht etwas ist, worüber man berichten sollte. Ich hab' in diesem Fall ja einfach nur gesagt: Ihr habt noch nicht mal ERWÄHNT, dass das Album KOMMT. Das hat mich halt einfach traurig gemacht. So. Ob dann ein Interview kommt oder ein Bericht, okay, das bleibt ja jedem selber überlassen. Aber es zu ignorieren ist halt einfach ein schlechtes Zeichen für Deutschrap an sich und dafür, wie er von den eigenen Hip Hop-Medien behandelt wird. Ich seh' mich da eher stellvertretend für ... ja ... vielleicht diesen Geist, der heute nicht mehr da ist, der damals das Ganze überhaupt ins Rollen gebracht hat.

Du betrachtest dich als eine Art Anwalt des Genres?

Ja, das ist jetzt zu plakativ. (lacht) Ich seh' mich als Vertreter gewisser Werte, einer gewissen Geisteshaltung. Die sagt, dass man schon respektvoll umgehen sollte mit den Leuten, die auch was dafür getan haben, und das nicht nur für sich, sondern generell für diese Sache.

Ich höre heraus, dass da mit den Jahren keine Gelassenheit eingezogen ist.

Och ... ja, doch. Klar, ich bin bestimmt gelassener als früher. Aber ich hab' nicht aufgehört, diese Musikrichtung vor allem als Sprachrohr für Veränderung zu sehen. Auf dem Album jetzt sind ein paar Lieder drauf, die sich mehr mit der Welt befassen als ganze Alben von anderen Künstlern insgesamt. Ich finds dann halt schade, wenn das einfach so ignoriert wird. Aber aufregen tu' ich mich nicht darüber. Das ist vorbei. Ich denk' mir aber, meine Meinung muss ich trotzdem sagen. Weil es so viele Leute gibt, die nichts sagen. Oder die einfach sagen: "Ach ... schade." "Och ... es wär' doch so schön gewesen." Dann denk' ich mir, ich sag' lieber was dazu. Vielleicht gibt es unter den Leuten dann einen, der drüber nachdenkt und sagt: "Ja, stimmt."

Noch einmal kurz zurück zu dieser ollen Geschichte: Das eigene Privatleben ins Rampenlicht zu stellen, ist jedermanns eigene Entscheidung. Aber sobald es, wie bei dir ja eigentlich immer, um die Familie geht, hängen ja auch andere mit drin. Macht man sich da als Partner und vor allem auch als Vater Gedanken, ob das für Frau und Kinder auch okay ist?

Ja. Ja, das macht man auf jeden Fall. Ich frag' mich schon, ob es überhaupt okay ist, dass ich erzähle, dass ich Kinder habe. Auf dem Album ist zum Beispiel "Family First", da spreche ich die ganze Zeit von meinen beiden Söhnen und meiner Tochter, außerdem zwei Lieder für meine Frau, für die Eine. Aber ich komm' immer wieder auf den Gedanken zurück, dass das zum echten Leben, zu meinem Leben dazu gehört und eine wichtige Rolle spielt. Wenn ich Hip Hop mache, Rap, und das nicht erzähle, gerade heute, wo über irgendwelche Nutten und Koks gerappt wird, dann finde ich, so wie ich damit groß geworden bin, wie ich diese Musik auch selber gerne höre, muss ich über mein echtes Leben sprechen. Wenn meine Familie so einen hohen Stellenwert hat, dann muss ich das den Hörern auch mitteilen. Aus Erfahrung weiß ich, dass sich sehr viele Leute gerade in diesen Liedern wiederfinden und sagen: "Cool. Da rappt mal jemand über was anderes als Schusswaffen und Kokain. Da erzählt jemand einfach, dass er mit seinen Söhnen Spaß hat." Für manchen ist das mehr Teil des Lebens, als irgendwelchen Rambofantasien hinterherzuhängen.

Vielen dieser Rambofantasien hört man zudem an, dass sie erstunken und erlogen sind. Ich hab' jetzt eher wenig Ahnung von Koks und Nutten, dafür aber oft das Gefühl, da versuchen mir Leute was darüber zu erzählen, die darüber noch weniger wissen.

Ja, da komm' ich dann auch immer drauf: Die Leute, die ich kenne, die mit solchen Sachen zu tun haben, rappen nicht darüber. Die wollen auf gar keinen Fall, dass irgendwer darüber redet, was sie machen. Aber jeder, wie er will. Ich hör' ja auch Lieder von Haftbefehl oder von Farid. Es gibt immer einzelne Sachen, wo ich sage: Boah, richtig gut gemacht, ein richtig guter Song. Nur manchmal fehlt mir halt das Gegengewicht in der Szene.

Manches ist einfach gute Unterhaltung.

Genau, das darf man ja auch nicht vergessen. Es ist Musik. Klar, Rap soll aus dem echten Leben erzählen. Aber es soll auch unterhalten. Über Lieder, die unterhalten, kann man wieder um die Ecke herum aufmerksam machen auf ein Lied, das dann vielleicht mal was Sinnvolles erzählt. Der Hörer, der da gerade so 'nen Actionfilm gehört hat, der sagt dann vielleicht: "Ey, is' ganz cool, was der Typ aber auch über seine Familie erzählt. Oder über sein Leben, wie es war, dass der wirklich im Knast war ...", so Geschichten. Der denkt vielleicht dann mal drüber nach. Irgendwie muss man die Hörer ja auch an sich heranführen. Deshalb bin ich auch keinem böse, wenn er ein bisschen übertreibt. Nur man muss halt immer kucken, was man mit der Musik erreichen will, wie man die Leute zum Denken bewegt. Wenn das gar nicht passiert und Kinder in so einem Film gefangen sind und denken, das ist alles echt, zwanzig Lamborghinis, zwei Pfund Koks und fünfzig Nutten auf dem Strich, da muss man sich schon fragen: Ist das gut, was ich den Kids gerade erzähle? Mach' ich die Welt damit besser oder nicht? Und wenn man sagt: nein, dann sollte man sich das nochmal überlegen. Aber jeder, wie er will.

Wenn du derart private Tracks veröffentlichst: Klärst du vorher mit den Betroffenen, also zumindest mit deiner Frau, ob das für sie okay ist?

Ja. Es ist nicht so, dass ich mit ihr drüber rede. Sie hört halt die Songs. Wenn da nichts Böses kommt, dann weiß ich: Alles ist gut. Aber es ist jetzt nicht so irgendwie 'ne Absprache, dass meine Frau was gegenhören muss oder so. So ist das nicht.

Aber sie muss es nicht zum ersten Mal aus dem Radio hören?

Nee. Meine Kinder auch nicht. Die hören das ja im Auto. Meine Frau auch. Wenn ich die Sachen, die ich aufgenommen hab', abhöre, kucke, kann ich was verbessern, dann hören sie die Lieder ja. Da kommt das dann tatsächlich ins Spiel: Wenn ich merke, dass meine Kids schnell mitmachen oder sagen: "Papa, das ist aber cool", dann weiß ich: Ah, gut. Wenn Kinder was mitrappen und mitsingen, dann ist man immer auf einem guten Weg.

Vor allem ist das ein gutes Indiz für die Qualität von Beats. Je mehr ein Beat wummst, desto derber gehen gerade kleine Kinder drauf ab.

Ja, nicht nur das. Auch wenn du an die Instrumentalisierung denkst. Streicher, Piano und sowas ... Man merkt schnell, dass Kinder berührt sind von Musik. Die werden dann nachdenklich, oder einer kriegt Gänsehaut. Du merkst, du erreichst die. Es muss nicht immer knallen. Es kann auch mal 'ne nachdenkliche Variante sein, vom Beat her.

Ich glaube, das kommt, wenn sie ein bisschen größer sind.

Meine Jungs sind jetzt zehn und neun. Die sind auf jeden Fall sehr empfindsam dafür, welche Stimmung Musik verursacht. Meine Tochter ist drei, die sagt, wenn etwas traurig klingt, auch sofort: "Ein trauriges Lied."

Machst du dir jetzt schon Gedanken, ob die Jungs diese Songs auch noch cool finden, wenn sie erst fünfzehn, sechzehn sind?

Weniger. Ich mach' die Musik ja nicht, damit meine Kinder mich cool finden. Ich mach' die Musik, weil das mein Leben ist. Ich hab' auch meine Kinder nie dazu angehalten, selber zu rappen oder zu singen. Ich nehm' das alles so, wie es von denen kommt. Mein Junge wollte letztens ein Instrument lernen, das macht er jetzt. Der andere hat da im Moment nicht so Interesse. Ein bisschen freestylen tun die selber, aber das machen auch die Kinder von den Eltern, die nicht rappen. So auf dem Schulhof. Rap ist halt heutzutage über Cro und andere Leute alltäglich geworden. Dass Kinder nicht mehr nur singen und dabei reimen, so wie ich das gemacht hab', als ich klein war. Da gabs ja noch keinen Rap. Sondern die reimen und rappen dann so ein bisschen vor sich hin.

Besteht also Hoffnung für die nächste Kopfnickergeneration?

Och, ma' kucken.

Du siehst aber die Notwendigkeit, deine Privatsphäre zu schützen?

Ja. Das schon, natürlich. Ich geh' nicht so weit, dass ich herumerzähle, wo ich wohne, wie meine Kinder genau heißen, welche Schule sie besuchen und so weiter. Das würde ich niemals machen. Genauso würde ich nie erzählen, was meine Kinder für peinliche Sachen machen. Das gehört da nicht rein. Ich erzähl' einfach, wie ich meine Familie sehe, was mir meine Familie bedeutet. Da ist dann aber auch die Grenze. Ich muss jetzt nicht ein Lied machen, wo ich Details von meinen Kindern erzähle. Oder von meiner Frau.

Du rappst: "Ich weiß, wer ich bin, weiß, wer ich war." Besteht dazwischen ein großer Unterschied? Hat sich viel verändert?

Nee. Nee, nicht wirklich. So ist das auch gemeint: Dadurch, dass ich weiß, wer ich war, weiß ich immer noch, wer ich bin. Weil sich nicht viel verändert hat. Ich bin natürlich älter geworden, das ist klar. Ich bin aber immer noch Kind geblieben. Die meisten Musiker sind das, glaub' ich. Und ich bin mir selbst und meinen Prinzipien relativ treu geblieben. Ja, ich weiß, wer ich bin. Ich weiß, wer ich war. Da ist kein großer Unterschied. Das ist so ein bisschen, was auch Drake momentan auf seinen Alben erzählt. Es ist nicht wichtig, was andere über einen sagen oder wie man von anderen beurteilt wird, solange man mit sich selbst im Reinen ist und sich selber sagen kann: Ich hab' mich nie verkauft, ich hab' immer nur das gemacht, was mein Herz mir diktiert hat. So seh' ich mich als Künstler, eigentlich, und auch privat.

Schön, wenn man von sich sagen kann, seinen Prinzipien treu geblieben zu sein.

Ja. Ich find' es für mich wichtig. Aber ich kenn' auch Leute, die da anders sind. Deren Leben hat sich komplett gedreht, und die sind auch happy mit sich selber. Ich bin halt so ein Mensch. Ich hab' meine Prinzipien, aber ich versuche nicht, mit meiner Musik oder dem, was ich sage, andere Leute dazu zu zwingen, genau so zu sein oder auch immer der zu bleiben, der sie waren. Man verändert sich schon. Aber ich hab' mich halt nicht so viel verändert.

"Wenn jemand heute 'ne CD kauft, ist das ein Respektsbeweis"

Du sagst: Family first. Das Geschäft kommt demnach bestenfalls an zweiter Stelle?

Ja, richtig. Das hat auch damit zu tun. Wenn man keine Kinder hat, ist das relativ schwer nachzuvollziehen. Wenn man aber Kinder hat, wird einem das schnell klar. Sagen wir mal so, so ein Moment: Die Rechnungen türmen sich, man macht sich Sorgen. Oh Gott, was wird morgen sein? Kann ich in den Urlaub fahren? Dies, das. Und dann ist man mit seinen Kindern draußen, sieht, wie viel Spaß sie haben, und diese ganzen Sorgen und Gedanken, die man sich gemacht hat, sind plötzlich sehr unwichtig. Weil man gerade in dem Moment erlebt, dass Kinder glücklich sind, einfach, weil man da ist, weil man sich die Zeit für sie nimmt. Dadurch können Kinder unbeschwert sein, glücklich sein. Das ist so ein Moment, wo ich mir sage: Family first. Alles andere ist wirklich nicht so wichtig. Wichtig ist, dass man als Familie glücklich ist, miteinander auskommt und jeder so ein bisschen die Chance bekommt, seinen Weg zu gehen. ABER man muss keinen Mercedes fahren oder keinen Lamborghini, um glücklich zu sein. Das ist bei weitem nicht so. So gehts vielleicht Menschen, die keine Familie haben, oder keine Kinder. Dass sie sich das Gefühl woanders holen. Nicht alle, um Gottes Willen! Aber es gibt bestimmt welche. Für mich ist halt wichtig, wenn ich sehe: Meine Tochter lacht und hat Spaß. Ich schmeiß' sie rum, und sie sagt: "Nochmal, nochmal!" Dann bin ich auch happy.

Wobei wirtschaftliche Grundabsicherung auch einen ganz anderen Stellenwert bekommt, wenn man für eine Familie zu sorgen hat.

Ja, natürlich. Das Leben wird ja nicht einfacher durch Kinder. Das Leben wird emotional bereichert, auf jeden Fall. Aber klar: Du musst dich viel mehr anstrengen. Du musst mehr Geld verdienen. Was man vom Staat kriegt, das wissen wir alle, ob man Kinder hat oder nicht, das ... (lacht) ist wirklich nicht der Rede wert. Gerade jetzt, wo die Schule anfängt. Wenn ich überleg', wie viel Geld ich gerade wieder für Bücher und Hefte bezahlen musste, dann ... ja, dann weiß ich, wie die Realität ist. Klar, die Sorgen werden mehr. Aber dafür gibts diese Momente, wo man in die Augen seines Kindes kuckt. Dann sind diese Sorgen zwar noch da, haben aber einfach nicht mehr den Stellenwert den sie gerade noch hatten.

Wie viel Ernst steckt dann in so Zeilen wie "Erstens will ich ein Star sein, zweitens will ich das nötige Kleingeld"?

Ja, ja! (lacht) Ich bin tatsächlich ein bisschen vielschichtiger. Das Lied heißt "S.T.A.R." Es geht darin darum, dass MoTrip und ich Stars sind. Aber Trip seh' ich als jemanden, der eine Tradition fortführt. Das ist halt wirklich ein Rapper, ein MC. Nicht irgendjemand, der rappt, um Geld zu verdienen, sondern jemand, der rappt, weil er rappen muss. Er kann nicht anders, er ist damit groß geworden. Wir beide sind Stars in dem Sinne, dass wir rappen und unser Ding machen, wie wir es immer gemacht haben. Natürlich hab' ich gern das nötige Kleingeld. Das hätte ich aber in erster Linie gerne dafür, dass ich noch mehr Anzeigen schalten kann, die ich jetzt bei meinem kleinen Label nicht schalten kann, dass ich für noch mehr Aufmerksamkeit sorgen kann, um Leute an meine Musik heran zu führen. Es geht nicht darum, dass ich mir dann den Lamborghini kaufe. Sondern es geht darum, dass ich mit dem Geld noch mehr den Leuten zeigen könnte, was ich drauf habe.

Der Lamborghini scheint einfach nicht wichtig zu sein.

Nee. Nee! Meine Kinder, die träumen natürlich von sowas. Wenn ich ein Video drehe ... demnächst kommt eins, was hab' ich im Video? Lamborghini, Ferrari, Corvette ... und genau wie bei den meisten Rappern sind das natürlich nicht meine Autos. Bis auf so ein paar Rapper, die ich an einer Hand abzählen kann, die solche Dinger tatsächlich fahren, hat keiner die. Aber im Video sind sie immer. In dem Lied, das ich mache, gehts allerdings auch um Autos. Das hat dann schon einen Bezug. Aber wenn die Kinder das Video sehen, dann, natürlich: "Woah, Papa!! Warum hast du mich nicht mitgenommen?! Ich will auch mal im Lamborghini sitzen." Und ich so, nachher: "Kuckma', ich sitz' nur da drin, weil das meine Arbeit ist. Nicht, weil ich heiß drauf bin." Ja, klar. Kids wollen immer die schönsten Sachen, die größten Sachen. Wenn sie aber zufrieden sind, wenn sie die nicht haben: Daran sollte man es eher messen.

Ich glaube, die Zeile stammt auch aus "S.T.A.R.": "Ich mach' diesen Zirkus nicht mit. Doch nicht für Geld, Alter." Geht das überhaupt: Sich abgrenzen, und trotzdem mitmischen?

Jaaa ... ja. Bis zu einem gewissen Grad aber nur. Ganz klar. Wenn ich richtig mitmischen wollte, dann, behaupte ich jetzt einfach mal, könnte ich mit meinem Wissen und meiner Erfahrung auch ein paar andere Songs machen, die die Massen noch mehr erreichen, die hipper sind und mit denen ich mehr Geld machen würde. Aber das ist nicht die Musik, die ich mag. Oder Texte schreiben lassen von anderen: Ich könnte auch zu gewissen Leuten hingehen, zu dem Produzenten, zu dem Schreiber, und sagen: Hier, kannste mir mal was genau so wie der machen? Und dann sag' mir doch mal, wer das Video gedreht hat. Dann mach' ich mir alles so, wie der das gemacht hat und versuch' einfach, da mitzugehen, mit der Welle. Aber das würd' ich halt nie machen. Das ist einfach nicht echt. Ich bin so groß geworden, dass Rap echt sein sollte.

Macht es für dich einen großen Unterschied, ob du solo oder als Teil der Firma agierst?

Es macht auf jeden Fall einen Unterschied. Bei Die Firma mussten wir uns immer absprechen. Welche Beats werden gepickt, welche Themen? Wie weit darf man gehen? Was darf man sagen? Dann sagt der: "Das ist nicht poppig genug." Ich sag': "Doch, is' es. Weil es aus dem Bauch kommt." Der andere sagt: "Nein, was DU machst, ist aber gerade zu poppig!" Und ich sag': "Wo ist das poppig?" Dem ist das zu viel, und so weiter. Haben wir das Thema nicht schon mal durchgekaut? Haben wir da wirklich einen neuen Ansatz? Diese Absprachen, die fallen weg. Ich bin halt wirklich mein eigener Chef. Alles, was dann schlecht ist, an dem Album, geht dann natürlich auch komplett auf meine Kappe, klar. Aber dafür kann ich sagen: Das ist genau so, wie es sein sollte. So hab' ich mir das gewünscht. Ich hab' aus über dreißig Songs meine dreiundzwanzig ausgewählt. Mehr geht leider nicht auf 'ne CD. Das ist jetzt mein Album, und dazu kann ich wirklich stehen, von vorne bis hinten. Gerade bei der Musikauswahl komplett freie Hand zu haben und von verschiedenen Leuten Beats zu picken, das macht halt auch Riesenspaß. Auch, wenn fast alles darauf von J-JD produziert ist, hab' ich auch noch ein paar andere Produzenten. Fader hat ja auch eins produziert. Aber es ist mein Baby, woran ich gearbeitet hab' und zu dem ich am Ende stehen muss.

Ich hab' das gefragt, weil ich mir nie merken kann, ob ein Track ein Solo-Track von dir war oder einer von der Firma. Fies verwirrend, dass du jetzt wieder parallel zu seinem Solo-Album an einem neuen Firma-Album arbeitest.

Ja, das ist auch schon fast fertig, das kommt irgendwann nächstes Jahr. Genau kann ich das noch nicht sagen. Das hängt wahrscheinlich auch davon ab, wie mein Album jetzt läuft. Wenn das in einer Woche oder in ein, zwei Monaten durch ist und keiner schreit mehr danach, dann wird es das Firma-Album wahrscheinlich eher geben. Ob das dann so gut ist ... (lacht): Weiß ich nicht. Klar, wenn es mehr Zeit einnimmt, wenn es mehr Auftritte gibt dadurch, wenn es gut läuft, dann wird das Firma-Album wahrscheinlich etwas später kommen. Aber ich arbeite jetzt auch schon am nächsten Solo-Album. Auch in der Zeit, in der man nichts von mir gehört hat, nehm' ich eigentlich immer Sachen auf. Jetzt wirds halt nur etwas konkreter, weil ich das Album als Startschuss nehme für mindestens noch zwei Alben solo. Weils mir einfach Spaß macht.

"Kein Ende In Sicht" war damals ein Firma-Track, und "Alle Im Selben Boot" warst du alleine?

Ja, richtig. Der zweite zusammen mit J-JD und Ayouni. Also ein Rapper-Kollege und ein Sänger, der auch die Beats produziert hat.

Die mag ich beide sehr gern, und den zweiten, obwohl ich eigentlich echt kein Fan von dramatisch gesungenen Hooklines bin. Ich steh' halt eher auf dieses ein bisschen angedüsterte Zeug mit Message, weniger auf die Lovesongs.

Ja, ja, klar. Nicht auf diese "Wunder"-Klimperklimper-Sachen, ich seh' schon.

Deswegen hat mir auf "Sternenklar" auch "Arabische Gärten" am allerbesten gefallen.

Ah, cool, danke. Da drehen wir auch noch ein Video zu. Kurz bevor du angerufen hast, hatte ich gerade noch versucht, Bosca deswegen zu erreichen, der da mitrappt.

Das ist ja auch so ein Treffen der Generationen.

Richtig. Ich erzähl' dir einfach kurz die Geschichte: Ich war bei Born, das ist so ein Kollege aus Frankfurt, so seit drei, vier Jahren richtig aktiv. Der hatte einen Auftritt mit den Jungs in Köln und meinte: "Kommst du vorbei?" Ja, klar! Dann sind wir backstage gegangen, da waren Vega und Bosca. Cool, die Jungs hatte ich noch nie getroffen, aber ich feier' die. Ich komm' ins Gespräch mit Bosca, und da sagt der mir: "Hier, übrigens: 'Kein Ende In Sicht', einer meiner Top-Ten-German-Hip Hop-Songs." Und ich so: "Echt jetzt?" Ich war richtig geschockt, weil ich hätte nie damit gerechnet, und dann sagt Vega im nächsten Moment: "Ja, euer zweites Album war die erste Deutschrap-CD, die ich mir selber gekauft hab', von meinem eigenen Geld." Das war dann wirklich wie so ein Ritterschlag. Beide sind jetzt auch auf meinem Album. Das ist wirklich eine Ehre, weil ich beide selber sehr gut finde. Die haben immer noch was von diesem ... ja ... Anti-Establishment, dieses Anti-Vorgekautes Denken, das ich auch immer hatte. Bosca sagte auch direkt zu mir: "Ich will einen Song mit dir machen. Aber es muss was Nachdenkliches sein, weil das kann keiner so wie du." Also: "Arabische Gärten". Darin hat Bosca mich ja auch noch mal zitiert. Die letzten beiden Zeilen, "Es gibt weder Juden, Moslems noch Christen. Es gibt nur gute Menschen und schlechte Menschen, das wars" aus "Kein Ende In Sicht" hat er noch mit da reingepackt. Das ist die größte Ehre, die einem jemand erweisen kann: dass er dich zitiert, in seinen Raps.

Wenn die Hochachtung auf Gegenseitigkeit beruht, ist das ja doppelt cool. Jetzt gibts auf "Sternenklar" aber auch, mit Verlaub, total oberflächliche Songs wie "Bikini". Wie passt das denn zusammen?

Ja, natürlich! Für mich persönlich hat ein gutes Rap-Album auch immer Momente, wo man hört, dass der Künstler einfach Spaß und gerade Bock auf ein Thema hat. Nach dem ganzen Punchline-Hashtag-Zeug, wo man zuhören muss, bis man es kapiert hat, und nach den ganzen nachdenklichen Sachen einfach Momente des ... ich sag' mal ... Nicht-Denkens. Bei "Bikini" hab' ich den Beat gehört, hatte einfach Riesenbock da drauf und hab' gesagt: Was gibts Schöneres als deine Frau im Bikini? Alles klar: nix!

Da würden mir schon zwei, drei Sachen einfallen ... aber okay.

Nein, nein, nein! Klar, das ist ja nur meine Motivation. Ich bin dann auch so, dass ich sage: wenn schon, denn schon! Dann mach' ich aber auch so einen Sommerhit, der für mich einer wäre. Dass ich damit viele Leute vor den Kopf stoßen würde, war mir vorher klar. Aber wenn ich das nicht machen würde, wenn ich sagen würde, ich hab' Angst, dass dann ein paar Hörer denken: "Jetzt macht der nur noch sowas!", dann wär' ich auch nicht mehr echt. Ich muss den Leuten schon noch sagen, was ich cool finde und worauf ich stehe. Sonst ist das auch wieder alles so berechnend, und da hab' ich einfach keinen Bock drauf. Jetzt werden wieder Leute sagen, "Bikini" zu machen sei aber berechnend. Ja, aber ich hab' Bock da drauf! Ich hab' Bock auf einen Sommerhit. Es gibt sowieso für mich in Deutschland im Rap zu wenige. Mir fällt nicht ein Sommerhit ein. Nicht ein wirkliches Ding, das den Sommer feiert.

"Easy" vielleicht.

Ja, aber das ist auch kein Lied für den Sommer. Das geht zu jeder Zeit.

Hmm. Ich glaube, mich stört auch weniger der Track an sich, den finde ich halt einfach nicht so geil. Mir sind einfach die Themen- und Stimmungswechsel auf dem Album zu krass. Vom Blick aufs wahnsinnig unerfreuliche Weltgeschehen zum Bikini, und dann wieder aufs Flüchtlingsboot ... Ich weiß nicht.

So war ich aber immer. Vom ersten Album mit Die Firma, das ich gemacht habe, bis heute: Das war immer so. Auf dem ersten Firma-Album hast du "Warte Bis Es Dunkel Wird", wo irgendwelche Horrorgestalten Menschen metzeln, aber auch "Die Eine" oder "Ich Lebe Nur Einmal". Das hat sich immer fortgeführt, das ist halt die Art, wie ich Alben mache. Klar, es wird immer Leute geben, die sagen: "Boah, nee, das Hin und Her ist mir zu krass." Aber ich liebe es halt auch. Jetzt kommt wieder Drake, aber das ist eben der, den ich im Moment am meisten höre, auch wenn man das bei meiner Mucke nicht unbedingt hört. Soll man auch nicht. Aber der hat das auf seinem letzten Album auch so gemacht. Der battlet irgendwelche MCs, erzählt irgendwelche Beziehungssachen, und dann kommt "One Dance". Zack, ich mach' einfach 'nen Tanztrack dazwischen. Genau so hab' ich auch immer Alben gemacht. Ich hab' keine Lust auf diesen eintönigen Sound. Klar, es gibt Konzeptalben, da passt das mal, dass man eine Schiene durchzieht. Aber mir wird generell schnell langweilig. Wie bei den letzten Alben von 50 Cent, wo es nur noch düster ist, Moneymoneymoney, Crack und Bitches. Das war mir auch zuviel. Da hör' ich lieber seine ersten Alben, wo es mal witzig war, zwischendurch, oder wo er über den Candy-Shop erzählt hat. Das ist einfach meine Art.

Ja, muss man hinnehmen. Ich kann ja eh nichts dran ändern.

Ach, wenn du die 23 Tracks durchhörst, bist du irgendwann auch ganz froh, wenn mal was Lockeres kommt.

Die Tracklist ist ja sehr ausgeufert. Kannst du schlecht auswählen?

Nee! Ich hab' aus 35 Tracks ausgewählt. Ich hasse Alben, die nur 40 bis 60 Minuten Spielzeit haben. Viele Rapper bringen nur alle paar Jahre mal ein Album raus und nehmen den Leuten 15 bis 16 Euro ab für 50 Minuten: Ich find' das absolut uncool. Fand ich schon immer. Die Firma-Alben waren ja auch randvoll. Wenn jemand heutzutage noch 'ne CD kauft, ist das schon ein großer Respektsbeweis. Wenn man es sich eben nicht nur runterlädt oder auf AppleMusic hört oder auf Spotify. Ich finde, dann muss man den Leuten auch was für ihr Geld geben. Ich hör' ja fast nur amerikanischen Rap. Wenn ich dann ein Album hole und das ist nach 45 Minuten zu Ende, ärgere ich mich auch und denk' mir: Sag' mal, willst du mich verarschen? Dafür hab' ich jetzt so viel Geld bezahlt?

Echt? Mir geht es manchmal genau umgekehrt. Snoop Dogg ist da mein Paradebeispiel. Wenn der die geilen Tracks nehmen und das ganze Füllmaterial weglassen würde, könnte der eine richtig gute Platte machen.

Ja, ja, ja, das versteh' ich auch. Aber das bin halt ich, ich kann nicht anders. Jedes Mal wenn ich denke: Sollte ich vielleicht weniger machen? Wär' das schlau? Dann könntest du direkt danach noch ein Album und doppelt Geld machen. Dann denk ich mir: Nee! Das bin ich nicht! Du nimmst den Leuten Geld weg und bietest ihnen nur so wenig: Das find' ich nicht fair. Aber klar, es wird auch Leute geben, die das Album gekauft haben, wie auch bei den Firma-Alben, und mir dann sagen: "Warum ist das denn so lang?" Damit muss ich klarkommen.

Jedem kann man es sowieso nicht recht machen. Wenn du so viel Material hattest, woran liegt es, dass so lange keine Solo-Platte kam?

Daran, dass ich ein Label finden musste, dass ich alles alleine gemacht hab', dass ich bestimmte Vorstellungen hatte, wie das Album aussieht, auch von den Features her. Bis ich das alles zusammen hatte, hat das echt lange gedauert. Ich musste alles alleine machen, diesmal. Ich hab' ein kleines Label. Die tun, was sie können. Aber ich hab' immer noch selbst viele Kontakte. Die Features sind ja nicht dadurch entstanden, dass ich irgendjemandem Geld bezahlt habe. Das sind Features, die durch private Kontakte kommen, so wie mit Vega und Bosca: Die lerne ich kennen, man versteht sich ... Das braucht alles Zeit. Jetzt bin ich aber in einem Modus drinne. Egal, wie die Platte läuft, ob es Leute mitkriegen oder nicht: Ich bin schon bei der nächsten. Das macht mir gerade halt auch Spaß.

Das kleine Label heißt Versunkene Fabrik: Dort fühlst du dich gut aufgehoben?

Ja, es geht immer besser, egal, in welcher Situation. Nehmen wir mal an, ich würde charten. Auf Platz 90 oder so, ohne 'ne Plakatkampagne, ohne Anzeigen in der Juice, ohne dass die Juice einmal über mich berichtet hat, ohne eine Videopremiere bei 16Bars, dann wär' das etwas, das man sich wirklich erarbeitet hat. Da kann man dann vielleicht auch wieder anders stolz drauf sein, als wenn man, wie bei Die Firma, 'ne 50- bis 100.000-Euro-Werbekampagne fährt. Alles hat sein Für und Wider.

Dem entnehme ich, dass das Firma-Album nicht über Versunkene Fabrik erscheinen wird?

Nee.

Ist die Frage total blöd? Was ist eigentlich aus La Cosa Mia geworden?

Ist nicht total blöd. La Cosa Mia ... Daniel Sluga, der Fader Gladiator, macht viel Business, auch noch mit anderen Rappern und Kollegen. Er dreht Videos, produziert auch hier und da nochmal was, aber ist insgesamt sehr eingebunden, auch in andere Sachen. Das heißt, seine Labelarbeit ruht im Moment ein bisschen. Aber er produziert das neue Firma-Album. Das ist, wie gesagt, auch fast fertig und wird natürlich über La Cosa Mia rauskommen, in Verbindung mit einem anderen Label. Aber an sich ist sein Labelbetrieb momentan auf Eis gelegt. Er hat auch gesehen: Das Plattenbusiness läuft nicht mehr so gut. Es ist schwer geworden, gerade bei diesen Hip Hop-Medien, unterzukommen, wenn man nicht die gleiche Schiene fährt wie alle im Moment. Dann ist es halt sehr schwer, 'ne Videopremiere bei Aggro oder 16Bars unterzukriegen. Ich glaube, auf diese Musikart gerade hat er auch nicht so groß Lust, so dass er einfach gesagt hat: "Was kann ich jetzt machen? Ich mach' mein Business - und zwar wirklich nur als Business. Ich helfe anderen und kucke, was für mich übrig bleibt, und will ich mich auch bei Videos engagieren." Er will sich halt auch künstlerisch verwirklichen. Deshalb ruht diese Label-Sache. Also, das ist meine Interpretation davon.

"Hass bringt keinen weiter"

Nochmal zurück zu den Tracks mit Aussage: Bei dir geht es immer wieder auch um Politik. Würdest du dich als politisch interessiert bezeichnen?

Ja. Sehr sogar. Aber wenn man mich jetzt fragen würde: Wer ist Kultusminister von NRW? Wer ist Innenminister? (Unterbricht sich) Gut, ja, Innenminister krieg' ich noch hin. Ich bin jetzt nicht so im Detail da drinne. Ich glaub' auch nicht, dass das wirklich hilfreich ist, die Welt so zu sehen. Ich werf' immer eher einen Blick auf das Ganze und kucke für mich, wo die Wahrheit liegt, in dem, was uns von den Medien so vorgesetzt wird. Ich hab' Freunde im Ausland, auch in den USA. Ich kuck': Was wird hier erzählt, was wird da erzählt? Was sind die Ursachen? Dann schau' ich wieder aufs kleine Detail, zum Beispiel beim Thema Integration oder Flüchtlinge.

Ich denke, jeder, der mit seinen Kids draußen ist, weiß genau, wie man das Integrationsproblem beheben könnte: Ganz einfach, indem man alle paar Kilometer einen Fußballplatz aufbaut und Trainer bezahlt. Ich bin selber Fußballtrainer, musst du wissen, ich bekomm' das mit. Das ist alles ehrenamtlich. Keiner bekommt Geld, außer bei den ganz großen Vereinen. Aber die Kinder beim Fußball, da spielen Türken, Syrer, Iraner, Iraker, Deutsche, Afrikaner - damit mein' ich die Wurzeln der Leute, viele davon sind ja auch schon deutsch - alle zusammen. Es ist ganz egal, woher man kommt, woran man glaubt, welche Hautfarbe man hat. Die Kinder reden zwar darüber: "Was glaubst du denn?" "Welche Religion hast du?" Aber darüber reden sie erst, wenn sie sich richtig gut kennen. Da merkt man: Hier könnte man das Problem lösen, indem man einfach die Kinder dazu anstiftet, mit anderen Kindern draußen zu sein und sich auszutauschen. So ein Trainer wie ich und wie Tausende, Zehntausende andere in Deutschland, bekommt keinen Cent. Wenn man da mal sagen würde: Jeder bekommt fünf Euro die Stunde und wir heuern dafür einfach nochmal zehntausend an und bauen ein paar Fußballplätze statt einen neuen Blitzer, dann könnte man das Problem ganz einfach lösen. Und zwar von der jungen Generation an. Das kennen wir ja selber: Mit dem Alter wird man immer steifer in seinen Ansichten, immer unflexibler. Bei der Generation, die schon länger hier ist, kann man sowieso nicht mehr viel machen. Aber bei der Jugend und bei den Kindern kann man anfangen. Es wird aber nicht gemacht. Dann muss ich mich doch fragen: Warum wird das nicht gemacht? Dann kommen wir weiter zu den Wirtschaftsinteressen einzelner Unternehmen, einzelner Staaten, global gesehen auch, und dann weißt du: Es ist für gewisse Leute einfach förderlich, wenn, bei den Kindern angefangen, sich die Menschen auf der Welt nicht vertragen.

Die Armut der Länder, denen es nicht so gut geht, ermöglicht, dass wir so dekadent leben können. Das ist alles ein Riesenbild. Das versuch' ich den Leuten zum Beispiel auch in "Arabische Gärten" klar zu machen: dass man den Blick ein bisschen größer machen muss. Das, was in einem anderen Land passiert, betrifft uns auch. Das hat uns auch schon vor der Flüchtlingskrise betroffen. Wenn die Bundesregierung jetzt rät: Bitte für zehn Tage Wasservorräte und Konserven kaufen, aus heiterem Himmel: Das ist einfach alles Panikmache. Demnächst kommt wieder irgendeine Beschwichtigung, dass wir denken, alles ist in Ordnung. Dann kommt die nächste Panikmache. Davon lebt irgendein Bund von Unternehmen, reiche Unternehmer, dass uns immer vorgegaukelt wird, dass es bergab und bergauf geht. Die wirklichen Probleme werden aber nie wirklich angegangen. Dabei gibt es Leute, die darüber wissenschaftliche Abhandlungen verfasst haben, wie man Probleme lösen kann, in der Dritten Welt, bei uns. Aber darüber wird nicht geredet, auch nicht in den Medien.

Wenn ich dir so zuhöre, schätze ich: In den Rap-Workshops für Jugendliche, die du gibst, geht es nicht nur um die Technik, sondern eher um Inhaltliches?

Darin geht es erst einmal darum, den Jugendlichen ein Angebot zu machen. Jugendliche, die auch Kontakte zur Unterwelt haben. Aber die hatte ich auch, wie eigentlich jeder Jugendliche. Wer nicht komplett behütet aufwächst und von seinen Eltern 24/7 überwacht wird, kriegt auch mal mit: Aha, der kennt den. Der macht das. Der verkauft jetzt Gras. Der hat 'ne Schusswaffe zu Hause, und so weiter. Wenn es aber ein Angebot gibt und Leute, die mit jungen Menschen umgehen können, die auch mal zuhören können und nicht wie so ein Prediger vor denen stehen, da kann man die Leute echt motivieren, was Sinnvolles zu machen. Das ist genau wie mit dem Fußball. Rappen, Fußball, Sport, kreative Sachen, alles, wobei jemand sein kann, wie er ist, und sich auch traut, Gefühle zu zeigen, sei es Musik, sei es, weil er sich mal auf dem Fußballplatz aufregt und da jemanden hat, einen guten Freund, bei der er sein Herz ausschütten kann, das hilft wirklich. Das hilft, dass man ausgeglichener ist.

Ich finde, es ist einfach Schwachsinn, nur für sich zu leben. Wir leben in einer Gesellschaft. Wir sagen, wir sind Menschen, dann sollten wir uns gegenseitig auch wie Menschen behandeln. Und ich glaub' immer noch, dass zum Menschen auch gehört, dass man sein Leben mit anderen Menschen teilt, und dass man hilft. Dass man beim Nachbarn klingeln kann und sagen: "Ich hab' ein Problem, kannst du mal kurz kommen?", und der Nachbar sagt: "Ja, klar." Jeder soll das machen, wie er will. Klar hab' ich auch Pech gehabt und schlimme Sachen erlebt, aber ich hab' das Gefühl, ich habe vor allem viel Glück gehabt im Leben. Wenn ich anderen Menschen ein bisschen Glück vermitteln kann, liegt mir das am Herzen. Wenn ich ihnen einen guten Moment geben kann, dann sollte ich das auch tun, wenn ich die Möglichkeit dazu habe. Das ist eigentlich die Quintessenz meines Lebens. (lacht)

Glaubst du, dieses Bedürfnis, Teil einer Gemeinschaft sein zu wollen, wird stärker, wenn man Kinder hat? Schaut man dann auch anders aufs Zeitgeschehen?

Nicht wirklich. Ich glaube, das verändert schon vieles, aber es macht keinen komplett anderen Menschen aus einem. Die Anlagen müssen schon da sein. Was ich merke: Ich habe dadurch, dass ich Kinder habe, ein anderes Bewusstsein für mein eigenes Älterwerden. Es ist tatsächlich so: An den Kindern sieht man, wie schnell die Zeit auch bei einem selber vergeht. Du lebst in dem Wissen: Dein Kind ist jetzt zehn, oh! Da sind auch schon wieder zehn Jahre deines Lebens um. Der eigene Geburtstag wird immer unwichtiger, aber wenn so ein Kind Geburtstag hat, denkst du dir: Shit! Schon wieder ein Jahr um! Aber das Bedürfnis zu helfen, seinen Teil dazu zu tun, dass die Welt zumindest nicht noch schlimmer wird, das war bei mir eigentlich schon immer so. Deswegen hab' ich auch zu rappen angefangen. Mein erster Text, das war '89, hieß "Stop Racism". Stoppt Rassismus. Weil ich mich damals, schon in der Schule, mit Jugoslawen, Italienern, Türken und so weiter sehr gut verstanden habe. Ich hab' nie verstanden, wie man Kraft daraus ziehen kann, andere Menschen zu hassen. Das ist einfach der größte Schwachsinn, den es gibt. Das ist so eine Vergeudung der eigenen Kraft! Wenn man sich darauf konzentriert, zu sagen: "Die sind alle schuld!", wird einem nie aufgehen: "Ich selber könnte ja auch mal was ändern." Dann bleibt man für ewig in dieser blöden Situation und zeigt mit dem Finger auf andere, statt sich zu sagen: "Ey, komm' mal selber in die Gänge, heb' deinen Arsch hoch und mach' was."

Zumal Hass ja nicht nur wahnsinnig anstrengend, sondern auch irre unproduktiv ist. Es wird ja dadurch nichts besser.

Genau das meine ich: Mit Hass löst man das Problem nicht. Wenn Hass eskaliert, klar, dann geht man aus dieser Situation raus, dass von einem selber nichts passiert ist. Man hat seinen Hass in einer Gewalthandlung oder sonst irgendwas Fiesem an jemand anderem ausgelassen. Da hat man vielleicht einen kurzen Glücksmoment. Den kann man auch anders nicht erfahren, wenn man hasst. Deshalb reden wir im Rap ja auch so gerne über Hater. Das ist ganz witzig: Rap hat schnell erkannt, dass es einen Unterschied gibt zwischen Kritisieren und Haten. Ein Hater ist jemand, der mit sich selber unzufrieden ist, und der macht die ganze Zeit fiese Kommentare auf YouTube. Das Witzige ist: Die meisten Künstler wissen, woran das liegt. Deswegen regen wir uns gar nicht auf, bei solchen Kommentaren. Wir wissen: Okay. Das ist jemand, der ist richtig am Ende, und deshalb muss er es gerade rauslassen. Aber, wie gesagt: Hass bringt keinen weiter.

Nochmal zu diesen Workshops: Bedeuten die auch für eine Möglichkeit, um den Anschluss an die Jugend nicht zu verlieren?

Das ist, was daran Spaß macht: dass man mit jungen Leuten zu tun hat, ich sag' mal zwischen fünfzehn und zwanzig, die diese Jugendkultur gerade komplett leben, zu der Rap noch mehr gehört als früher. Dafür ist es nicht mehr so kulturell, wie es früher war. Aber die nehmen diese ganze Bewegung, die Musik und den Lifestyle mit. Ich profitiere natürlich davon, dass ich dadurch die ganze Zeit weiß, was angesagt ist. Da ich selber über die Musik aus den Staaten, die ich höre, in meiner Musik sehr mit der Zeit gehe, kann ich bei denen immer gut abgleichen: Ist das auch gerade bei euch hier in? Das macht Spaß. Es ist auch cool, wenn dir diese jungen Leute dann manchmal sagen: "Ey, ne, das kannste nicht bringen, Alter. Das klingt, als wärs von Opa." Also, so hat das zwar noch keiner gesagt. Aber ein bisschen in diese Richtung gehts manchmal schon. Das ist jedenfalls ein ganz guter Indikator dafür, wie modern mein Song gerade ist, oder wie weit ab vom Schuss. Ich spiel' da viele Lieder von mir. Die Jungs kommen oft und fragen: "Kannst du uns was vorspielen, vom Album? Hier, den Song mit MoTrip wollen wir hören. Oder spiel' mal den mit Eko. Du machst doch auch so nachdenkliche Sachen, gib ma' einen nachdenklichen Song." Dann spiel' ich denen "Arabische Gärten" vor. Dabei sind Leute, die wohnen hier in Köln in einem Viertel, wo es wirklich nicht einfach ist. Wenn diese Kids dir sagen: "Krass, Alter! Was für ein Text!", und zitieren auch noch Sachen, die ihnen besonders gefallen haben, dann weiß ich für mich: Gut, dass ich das mache. Weil ich nicht nur die Leute, die sowieso schon so ein bisschen denken wie ich, erreiche, sondern auch die Jugendlichen finden sich irgendwie in diesem Text wieder und sagen dann auch zum Teil: "Geil, dass du über solche Sachen sprichst, nicht nur über Koks und Nutten." Das wird tatsächlich manchmal so gesagt.

Würdest du sagen, Rap ist immer noch ein Jugend-Ding?

Ja, das ist es definitiv. Klar hat es sich verändert. Man muss ja nur mal kucken, was sich gerade wirklich gut verkauft oder was zumindest medial richtig gut präsent ist: Xatar und Haftbefehl gerade, Farid Bang ... natürlich: Die Jugendlichen kaufen das. Die Über-25-Jährigen hören das kaum. Ein paar Rap-Liebhaber vielleicht, die Punchlines mögen oder die diesen Film fahren, die auch. Aber es sind vor allem die Jugendlichen, die das hören, und zwar von zwölf an oder sogar etwas jünger. Es ist ein Jugend-Ding. Und da fehlt mir, wie ich schon am Anfang des Gesprächs gesagt habe, manchmal so ein bisschen das Gegengewicht. Das würde ich mir von den Künstlern wünschen. Ich find' es völlig in Ordnung, auf einer Platte zehn Lieder lang Rapper kaputt zu machen oder irgendwelche Feinde abzuknallen, wenn es dann aber auch zwei, drei Lieder gibt, in denen erzählt wird, wie es wirklich ist und wie man das Leben vielleicht in den Griff kriegen kann, wenn man in so einer Situation steckt. Aber Rap bleibt Sprachrohr der Jugend, das ist so. Die Vielfalt ist ja auch wieder da, im Rap. Nur muss man halt wirklich kucken, wo es hingeht und ob alles so berechnend und klischeehaft sein muss, wie es im Moment ist.

Rap ist halt Mainstream geworden - und damit eben auch immer mehr Pop.

Ja, genau. Ich hab' das ja mit angefangen. Unser Wunsch war es immer, im Mainstream stattzufinden, schon als wir ganz Untergrund waren. Mit meiner ersten Rapgruppe Das Duale System, ewig ist es her, das Label, auf dem ich damit war, hieß Sellout Records. Damit bloß keiner über Sellout redet, weil das wird sich eh nicht verkaufen, nennt man das Label direkt Sellout. Aber trotzdem wollten wir Menschen damit erreichen. Irgendwann im Radio zu laufen, das war immer unser Wunsch, aber natürlich auch, dass das, das dann im Radio läuft, auch ein bisschen den Kontext hat, den Inhalt. Wie zum Beispiel Advanced Chemistry damals mit "Fremd Im Eigenen Land", so ein Lied, das heute noch im Radio laufen müsste. In einer perfekten Gesellschaft würde heute alle zwei Monate das Lied laufen. Wisst ihr noch, wie Rap angefangen hat? Heute reden wir über Flüchtlinge, damals war es nicht anders. Eigentlich hat sich nicht verändert. Warum? Oder "Kein Ende In Sicht", das müsste jeden 11. September auf allen Hip Hop-Plattformen stattfinden. Nicht, weil ich selber sage, das ist so ein gutes Lied, sondern weil Tausende von Menschen mir Briefe und E-Mails geschrieben und mir gesagt haben, wie wichtig ihnen dieses Lied war, auch für ihre Entwicklung. Ich denk' jetzt nur an zwei Fans, die damit ihre Nazi-Freunde bekehrt haben, weil sie es geschafft haben, sie mit diesem Lied zum Nachdenken zu kriegen. Aber es passiert nicht.

Dann kommen wir wieder dahin, wo ich vorhin war: Warum passiert das nicht? Warum sind unsere Hip Hop-Medien, die eigentlich jetzt auf eine lange Geschichte zurückgreifen und zeigen könnten, was Rap früher gemacht hat, wie es angefangen, wie weit sich das entwickelt hat, welche Themen wir aufgegriffen haben. Die sind ja immer noch relevant, sie werden ja immer noch angesprochen, zum Beispiel von Eko auf seinen Alben. Aber keiner schlägt diesen historischen Bogen. Die Hip Hop-Medien halten Hip Hop selber klein. Was sozial relevant wäre, wird einfach nicht angesprochen. Es geht nur darum, was gerade angesagt ist. Komm, wir bringen den nächsten Bericht: Schießerei da, suuuper! Fertig, wir haben wieder Klicks.

Tatsächlich finde ich auch, dass gerade die Hip Hop-Medien mit der Entwicklung von Hip Hop nicht Schritt gehalten haben. Super, dass Hip Hop Mainstream geworden ist. Bei diesem "Früher war alles besser"-Geheule möchte ich immer die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Meiner Meinung nach gab es nie größere Vielfalt und eine solche Qualität, eine Bandbreite, in der wirklich jeder seine Nische finden kann. Abgebildet wird in aller Regel aber immer noch nur ein winziger Ausschnitt, und dann ausgerechnet noch der langweiligste.

Da sind wir uns völlig einig. Genau das ist das Problem. Früher war es NICHT besser. Früher mussten wir uns dermaßen anstrengen, damit man uns hört. Wir mussten selber Veranstaltungen machen. Wir wurden nicht gebucht. Wir mussten uns selber kümmern, selber Netzwerke bilden. Es war ein Kampf, überhaupt gehört zu werden! Heute sind so viele Möglichkeiten da, und trotzdem ist die Berichterstattung sowas von begrenzt, dass ich mich echt frage: Woran liegt das wieder? (lacht) Wer ist der Mächtige, dem daran gelegen ist, dass Hip Hop-Medien kein Bewusstsein für sich selbst entwickeln? Dass mal jemand sagt: Kuck' mal, so weit sind wir gekommen. Das haben wir alles im Angebot. In den USA machen Untergrund-Künstler auch mal mit irgendwelchen Riesenkünstlern einen Song. Das darfst du nicht vergessen, so kommerziell das auch geworden ist. The Game zum Beispiel ist jemand, der in jedem zweiten Song Hip Hop Respekt zollt, und wie er dazu gekommen ist. Sowas fehlt bei uns auch total, dass jemand sagt: Das ist die Musik, die ich gehört hab'.

Auch wenn ich heute vielleicht anders rappe, solltet ihr euch das mal anhören, weil: Das hat mich zu Rap gebracht. So ein Bewusstsein fehlt in der Szene. So Sachen, wie dass Bosca auf meinem Album mich zitiert, zeigen natürlich, dass das bei einzelnen Künstlern durchaus vorhanden ist. Es gibt immer noch viele, die gleich ticken. Aber die Medien selber machen irgendwas, das viele von uns nicht nachvollziehen können.

Was findest du denn schlimmer: Im Gestern hängenbleiben oder irgendwelchen angesagten Trends hinterherrennen?

Woah. Das ist aber schwer. Ich find' beides superschlimm. Ich finde schlimmer, im-mer noch so zu rap-pen wie vor zwan-zig Jah-ren. Ich nenn' jetzt keine Namen, aber ich kenn' ja 'n paar Leute von früher, die auch wieder ein Album gemacht haben, bei dem ich mir denke: Boah, das ist sowas von hängengeblieben, das kann nicht wahr sein! Das könnte ich nie. Und dann gibts natürlich auch Momente, wo ich mir denke: Wah, jetzt versucht der auch, Trap zu machen! Ich hab' ja auch trappige Beats. Mir wird sicher auch, wenn die Leute das Album gehört haben, irgendwer sagen: "Wieso hast du denn da diese drei, vier trappigen Beats drauf? Mach doch lieber so Mucke wie früher." Das hör' ich ja sowieso, bei jedem Album. Immer.

Kennen wir. "Früher wart ihr besser" heißt das bei uns.

Ja! das erste Album ist übrigens auch immer das beste. Bei so vielen Alben, wie wir sie inzwischen gemacht haben, manchmal auch das zweite. (lacht) Ich finde beides schlimm, aber schlimmer ist, stehen zu bleiben. Wenn man versucht, mit einem Trend mitzugehen, dann wird man schnell gestoppt. Man merkt selber schnell, ob man sich zum Affen macht oder nicht. Wenn man aber hängen bleibt, dann sagt es einem keiner. Dann wird man einfach ignoriert. So würde ich es zusammenfassen.

Ist doch ein gutes Konzept: schlechte Musik in die Bedeutungslosigkeit wegignorieren.

Ja, das ist das Schlimmste, das dir passieren kann! Ich glaube, man denkt sich dann als Künstler: "Die anderen kapieren das einfach nicht! Das sind die Dummen. Keiner versteht mich und die Kunst, die ich hier mache."

Dahinter steckt vermutlich derselbe Mechanismus, der uns unter einer Kritik, die von der herrschenden Meinung abweicht, regelmäßig lesen lässt: "Du hast das Album gar nicht richtig gehört."

Das ist aber zum Beispiel eine Sache, die ich an den sozialen Medien mag: Da gibts nämlich auch die Leute, die sagen: "Tu mir einen Gefallen, hör' dir nochmal den Track und den an, ganz in Ruhe, und überleg' dann noch mal, ob das stimmt, was du gesagt hast." Dann seh' ich wieder: Ah, da ist noch jemand, der denkt noch nach. Der hat vielleicht auch wirklich die Tracks geskippt, da kann man versuchen, den konstruktiv noch einmal an die Sache heranzuführen. So, dass der dann möglicherweise sagt: "Vielleicht hat der Recht. Ich hör' mir das Lied nochmal an." Generell mag ich das an Facebook. Auch bei "Bikini", zum Beispiel, da haben jetzt ja auch viele geschrieben: "Boah, wieso machst'n du jetzt sowas?" "Oh, nein! Nicht du auch mit so einem cheesy Song!" Dann hab' ich einem davon geschrieben: "Das ist ein Song von 23, bei 80 Minuten Spielzeit." Da kam dann direkt zurück: "Öh, so hab' ich das noch nicht gesehen. Sorry." Da bekomme ich direkt mit, wie meine Fans das auffassen, was sie gut finden und was nicht. Gleichzeitig gibt es mir die Chance zu relativieren. Klar, bei manchen Sachen wird man sich trotzdem nicht einig. Um Gottes Willen, so ist Rap ja auch nicht gedacht. Es muss nicht jeder meiner Fans jeden Song und jedes Album von mir gut finden. Ich bin happy, wenn die Leute bei 23 Songs sagen: Der Großteil war wirklich gut. Dann bin ich schon happy. "Bikini" muss zum Beispiel nicht jedem gefallen.

Dann kann ich dir ja jetzt schon sagen, dass ich den grottenscheiße finde.

(lacht) Ja, nicht nur du! Du bist nicht allein.

Is' ja nur einer von 23. Ein anderer heißt "Echter Rap". Was macht den für dich aus?

Echten Rap macht für mich aus, dass man nicht vergessen hat, dass man rappt. Deswegen rapp' ich in dem Song auch: "... keine Ahnung, dass wir Respekt mit Füßen treten, so dass alle denken, Rap ist Sex, Beef, Tracks und Tütendrehen. Aber nicht mit mir, ich hab' nicht vergessen, wie das Ding anfing. Jeder nutzt sein Potenzial und verändert was - Good Will Hunting." Echter Rap bedeutet für mich, dass man weiß, dass Rap eine Geschichte hat, und damit auch eine Verantwortung, 'ne Motivation und einen Struggle. Dass es diesen Kampf, überhaupt gehört zu werden, gab, dass es nicht so einfach war, früher, das sollte einem bewusst sein. Und echter Rap ist für mich immer noch, dass man auch über Missstände redet - und vor allem über sich selbst. "Echter Rap", der Song selber, der ist natürlich einfach nur so ein Rap-Representer-Song, in dem ich ein paar Zeilen drin hab', wie die, die ich gerade zitiert habe, mit denen ich darauf hinweisen will, dass ich Rap mit einer anderen Motivation mache. Nicht damit die Kids, die das hören, denken: "Boah, is' der geil! Ist der cool! Der schlägt auch den und den Rapper in die Fresse." Wobei das ja auch alle erzählen, und dann passiert es doch nicht. Einmal im Jahr vielleicht, oder einmal alle zwei Jahre. Echter Rap ist für mich, wenn man sich treu bleibt. Cro ist für mich noch echter Rap! Weil er einfach seine Schiene komplett durchzieht, von Anfang an. Der hat für mich seine Berechtigung. Der hat nie so getan, als wär' er ein Gangster. Er hat auch nie so getan, als wär' er Multimillionär. Der hat einfach gesagt: "Ich mach' Rap, der poppig ist, der in die Ohren geht und der gute Laune macht." Zum größten Teil, er hat ja auch ein paar andere Songs auf seinen Alben. Aber das ist einfach sein Ding, und das ist für mich auch echter Rap. Völlig in Ordnung, so lange man nicht versucht, etwas zu sein, das man nicht ist. Die Beginner haben ja auch politisch angefangen, mit ihrer EP ... Ob du die kennst? Ich weiß ja nicht, wie alt du bist ...

Alt genug dafür, leider.

Die meisten Leute heutzutage wissen gar nicht, dass es 'ne EP gab, bevor die Beginner so groß wurden, auf der sie über die Gesellschaft, die Polizei und so weiter geredet haben, über den Staat, in dem wir leben. Den Schritt hin zu diesem ... hmm, ich sag' mal ... lustigen Rap, ohne dass das jetzt cheesy ist, den haben die dann aber eigentlich trotzdem gut gemacht. Ich hab' das denen damals abgenommen. Ich hab' gemerkt: Das sind die gleichen Typen, die haben sich aber dahin entwickelt, dass sie sagen: "Wir haben jetzt viel über Missstände geredet, wir wollen jetzt einfach mal so Rap machen, der Bock macht, mit dem wir live auftreten können, wo die Köpfe abfallen beim Nicken." Da war ich denen auch nie böse. Diese Entwicklung war für mich nachvollziehbar. Aber manche Leute sind heute so, morgen so. Oder von Anfang an so, dass man denkt: Das sind die doch nicht echt!

Auch völlig legitim, wenn jemand einfach mal einen funktionierenden Clubtrack oder sowas machen will. Das soll er mir dann aber halt bitte nicht als musikalisch tiefgehenden Next-level-shit anzudrehen versuchen. Da werd' ich sehr schnell sehr patzig.

Ja, da fühlt man sich halt ein bisschen verarscht.

Ich ja hier redaktionsweit der einzige bekennende Scooter-Fan, eben genau, weil die niemals behauptet haben, irgendwas anderes zu machen als das, was sie machen.

Da hast du Recht. Hast du die mal kennengelernt?

Ja, beim Interview. Das hat so Spaß gemacht.

Die sind supernett. So gesehen sind das echt die Coolsten. Ich hab' die auch ein paar Mal getroffen, und da kam immer direkt: "Ey, wenn ihr nachher noch Bock habt: Wir holen noch ein Fässchen", oder so. So Leute sind mir dann so viel lieber als irgendwelche Rapper, die vor mir stehen und einen ankucken, mit testenden Blicken, wer ist hier der Härteste und so ... Da häng' ich doch lieber mit der anderen Sorte ab.

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1 Kommentar

  • Vor 7 Jahren

    "tatwaffe hurensohn!" bass sultan hengzt 2006/7 in seiner unvergessenen liebeserklärung an monika griefhahn. großartig.
    ohne jetzt das interview gelesen zu haben, aber wenn "hiphop medien" leute wie tatwaffe klein halten, ist noch alles in ordnung :)