18. April 2005

"Wir haben den Sarg gebraucht gekauft"

Interview geführt von

"The Funeral Album" ist ein verdammt starkes, abwechslungsreiches Stück Musik, das einen würdigen Schlusspunkt unter die Karriere von Sentenced setzt. Anstatt zum Abschluss noch auf irgendwelche Veränderungen zu setzen, haben die Finnen sich auf das konzentriert, was sie wirklich können: Fantastische, eingängige Melodien mit einem guten Drive oder purer Melancholie. Wir fragten Sänger Ville Laihiala, ob der Abschied wirklich sein muss.

Dass es mit Sentenced nach dem gerade erschienenem Album definitiv vorbei ist, habt ihr auf eurer Homepage ja schon drastisch klar gemacht. Was dabei aber fehlt, ist eine anständig Begründung.

Was soll ich sagen, der Entschluss kam ja nicht von heute auf morgen, sondern wir haben uns schon länger mit dem Gedanken herumgetragen. Fakt ist nun mal, dass wir mit jeden Album gewachsen sind, und folglich sind auch die Touren immer größer und ausgedehnter geworden. Es ist aber immer schwerer für uns, lange von zu Hause und unseren Familien wegzubleiben. Außerdem wurde das Gefühl immer stärker, dass es einfach an der Zeit ist, mit dem Kapitel Sentenced abzuschließen, und es hat wohl am meisten Stil, auf dem Gipfel abzutreten.

Versteh' mich jetzt nicht falsch, ich liebe das Album, aber denkt ihr nicht, dass noch genügend Potenzial in euch steckt, um das noch zu toppen?

Doch, klar, aber darum geht es gar nicht. Wir haben diese Entscheidung einfach für uns gefällt, und auch wenn es irgendwie ein komisches Gefühl ist, sind wir darüber auch glücklich. Nachdem wir uns erst dazu durchgerungen hatten, sind wir mit einer ganz anderen Einstellung daran gegangen, die Songs zu komponieren. Immerhin werden dieses Sachen das Letzte sein, was man von Sentenced hört, und entsprechend motiviert und strukturiert sind wir an die Sache rangegangen.

Was passiert, wenn das Album jetzt megaerfolgreich wird, und ihr auf einmal Angebote aus aller Welt bekommt. Immerhin sind auf der Scheibe einige potenzielle Hits.

Auch das würde nichts an unserer Entscheidung ändern. Nichts bei Sentenced wurde je aus kommerziellen oder finanziellen Gründen getan. Außerdem würden wir uns damit doch nur selber jegliche Ernsthaftigkeit absprechen und den Respekt vor uns selbst verlieren.

Kann ich verstehen. Neben einigen sehr eingängigen Songs habt ihr aber auch eine heftige Nummer wie "When Water Falls Frozen" mit dabei ...

Ja, das war eine spontane Sache von den anderen vier Jungs, als sie auf mich im Proberaum gewartet haben. Ich bin aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht aufgetaucht, und irgendwann waren sie so sauer, dass sie mal wieder eine waschechte Death Metal-Nummer geschrieben haben. Wir waren uns dann aber einig, dass die Nummer auf die Scheibe muss, weil es einfach ein cooler Schocker zwischen "Her Last 5 Minutes" und "Despair-Ridden Hearts" ist. Außerdem ist es so etwas wie ein kurzer Zeitsprung in die alten Tage von Sentenced.

Um den Break noch größer zu machen, startet der nächste Track auch noch mit einem Mundharmonika-Intro.

Ja, cool, oder? Das ist auch so eine Sache, über die wir schon seit Jahren gesprochen haben, aber bisher hatte sich nicht der richtige Song gefunden, das Instrument auch wirklich zu verwenden. Ich finde, dadurch ließ sich eine großartige Atmosphäre erzeugen, die perfekt zu dem Song passt. Eingespielt hat die Parts ein Kerl, der in Finnland richtig bekannt für seine Harmonika-Sachen ist, mit fällt der Name aber gerade nicht ein.

Auf "The Funeral Album" meine ich auch beinahe so etwas wie ein Novum entdeckt zu haben. Bei einem Song wie "Ever-Frost" geht es gar nicht darum, wie man sich am effektivsten die Lichter ausknipst.

Jahaha, stimmt. Aber "Ever-Frost" hat einen ähnlich unangenehmen Hintergrund. Wir haben für das Hockey-Team in unserer Heimatstadt Oulo ein Stück geschrieben, den das Team und seine Fans sehr mochte. Sami schrieb den Text dazu in Finnisch, und ein pseudo-religiöser Politiker griff die Worte Blut und Ehre willkürlich aus dem Zusammenhang, übersetzte sie ins Deutsche und versuchte uns auf diesem Wege als Rechtsradikale hinzustellen. Abgesehen davon, dass das vollkommen absurd ist, tauchen die Worte an total unterschiedlichen Stellen auf und stehen nicht mal in Bezug zu einander. Das ging natürlich kräftig durch die Presse, und "Ever-Frost" ist unser großes 'Fuck You' an die verantwortlichen Stellen. Das Geile daran war aber, dass unser Hockey-Team den Titel geholt hat, da lief der Song im Stadion, in den Umkleidekabinen und überall haben sie das Teil gesungen. Als sie dann den Titel gefeiert haben, spielten wir daheim mit dem Team vor 30.000 Leuten und natürlich auch diesen Song, hahaha. "Vengeance Is Mine" geht übrigens in die selbe Richtung und hat auch den gleichen Hintergrund.

Das Ende des Song ist ja auch ein wenig ungewöhnlich mit der Melodie von "Frère Jaques".

Ach das meinst du, ja das ist so ein französisches Kinderlied und hat für uns eine ganz bestimmte Bedeutung, die sich nicht so leicht erklären lässt. Sozusagen ein Insiderjoke.

Wenn wir gerade bei Religion und Politik sind - wir haben einen neuen Papst, hast du das ein wenig verfolgt in den Nachrichten?

Machst du Witze? Was interessiert mich so ein Kerl in Rom. Das ist mir nun wirklich scheißegal. Nächste Frage bitte.

Ok, Themenwechsel. Ihr habt auf "The Funeral Album" bei zwei Songs einen Kinderchor verwendet. Wie kam es denn dazu?

Das war eine Idee, die uns schon im Proberaum zu den Songs vorschwebte. Es war aber eine komische Erfahrung, als wir dann ins Studio gelatscht kamen, da liefen Dutzende von kleinen Mädchen durch die Gegend und haben irgendwelche Fragen gestellt, versuchten an allen möglichen Knöpfen zu drehen, und irgendwann hat mir richtig der Kopf geschwirrt. Das war schon eine witzige Erfahrung. Vesa, unser Drummer kennt den Chorleiter, so kam der Kontakt zustande.

Inzwischen geht es bei euch ja auch nicht mehr ausschließlich darum, sich selbst zu töten, sondern ihr lasst euch auch nach Anweisung über den Jordan befördern, wie in "Consider Us Dead"

Den Song hab ich geschrieben, und das ist so ne Art Zwiegespräch mit mir selber. Es geht darum, die eine unangenehme Person in mir zu töten, um in Zukunft nur noch mit der anderen leben zu müssen. Ich habe eine leicht schizophrene Veranlagung, und die habe ich in dem Song ausgelebt, hahaha. Dieses Selbstgespräch hab ich übrigens in meiner Sauna geführt.

In der Sauna, ah ja. Was genau hast du dabei den auf die Steine gegossen? Na wie auch immer, es geht das Gerücht um, dass ihr eine erste und letzte DVD veröffentlichen wollt.

Das ist richtig. Wir werden sie bei unserem allerletzten Gig im September in Oulo aufnehmen. Es soll ein größeres Konzert werden, zu dem aber vor allem unsere Freunde und Familien kommen können. Der eigentliche Grund, warum wir die DVD aufnehmen, ist aber, dass uns bewusst ist, dass unzählige Leute nicht zu einer unserer Abschiedsshows kommen können, und sie sollen immerhin die Möglichkeit haben, uns auf DVD zu sehen. Das ist dann nicht nur für uns was Besonderes, sondern auch ein spezielles Geschenk für unsere Fans. Neben dem Konzert werden all unsere Videos und einige anderes Sachen darauf zu finden sein.

Wie geht es nach Sentenced weiter? Ich nehme mal an, dass du uns mit Poisonblack erhalten bleibst.

Ja, es wird zumindest noch ein weiteres Album von Poisonblack geben. Aber wenn diese Tour vorüber und das zweite Album auf dem Markt ist, werde ich erst einmal eine lange, lange Pause vom Musicbiz nehmen. Was dann kommt, weiß ich noch nicht, da momentan die Beerdigung von Sentenced absoluten Vorrang hat und meine Gedanken weitestgehend beschäftigt. Mir schwebt aber eher was in der Art als Produzent oder andere Arbeiten im Studio vor. Es wird auf jeden Fall irgendetwas mit Musik zu tun haben, denn das ist bei uns allen einfach ein zu großer Teil unseres Lebens, als dass wir damit aufhören könnten. Konkrete Pläne hat aber bisher kaum einer von uns.

Ihr habt euch für die Promofotos stilecht mit einem Sarg ablichten lassen.

Ja, davon haben wir jede Menge Bilder gemacht. Den Sarg haben wir sogar gekauft. Das ist so was wie ein Gebrauchtsarg, hahaha. Irgend ein Finne ist mal in Belgien verstorben, und er wurde in diesem Sarg nach Finnland gebracht. Wir waren dann in so einer Art Second Hand-Laden, weil man in einem richtigen Beerdigungsinstitut nicht allzu viel Humor hat, was so was angeht. Wir haben den Sarg also gebraucht gekauft, und Sami und Vesa haben versucht, den Geruch noch etwas heraus zu bekommen, aber es riecht immer noch sehr komisch darin.

Das kann ich mir vorstellen. War es nicht ein komisches Gefühl, sich da rein zu legen?

Das kannst du allerdings laut sagen.

Anlässlich der letzten Scheibe führte ich ein Interview mit Sami Lopakka, und ich fragt ihn damals schon nach der Zeile "I'm the warrior of life, I know the reaper by name" vom "Down"-Album. Er wollte mir den Namen aber nicht verraten, deswegen muss ich jetzt dich fragen.

Ville gibt irgendwas von sich, das in etwa wie Ompa Yominnnen klingt.

Hä? Ist das 'n Gemüse?

Das ist ein finnischer Name.

Der Reaper ist also Finne?

Für mich schon, hahaha.

Na klasse, dann grüß' ihn von mir, und danke für das Interview.

Werde ich machen, wir sehen uns auf den Festivals.

Das Interview führte Michael Edele

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