23. November 2020

"Wir meiden Menschen sowieso"

Interview geführt von

Nachdem Maynard James Keenan binnen eines Jahres seinen Anhänger*innen sowohl mit Tool als auch mit A Perfect Circle neue Studioalben geschenkt hat, ist nun auch seine "andere andere" Band Puscifer wieder da.

"Existential Reckoning" heißt das Werk jenes Projekts, das Maynard James Keenan seit vielen Jahren in verschiedenen Besetzungen zum Leben erweckt. Seine Kollaborateure sind diesmal die Sängerin Carina Round und der Multiinstrumentalist Mat Mitchell. Man bekommt, was man von Puscifer erwartet: eine schräge Storyline mit Außerirdischen und einem Vermissten, Apokalypse, Absurdität, Komik und natürlich genug Textzeilen, die es für die Gefolgschaft des Sängers, dem immer gerne das Adjektiv enigmatisch angehängt wird, zu dechiffrieren gilt. Und: Elektronik, die auf einem ganz speziellen Vintage-Synthesizer basiert. Darüber sprachen wir am Telefon mit Maynard James Keenan und Mat Mitchell.

Wie beginnt die Arbeit an einem Puscifer-Album – mit einer Storyline, mit der Erschaffung von Charakteren oder mit Songfragmenten?

Maynard James Keenan: Die Musik kommt immer zuerst. Seit 2015, 2016 haben wir jede Menge Ideen in Ordnern gesammelt. Irgendwann kam ich dann endlich dazu, mich da durchzuhören. So richtig in Fahrt kamen wir dann Mitte 2019.

Weil Sie eben von Ordnern sprachen: Kommuniziert die Band im Vorfeld vor allem digital, also via Dropbox, E-Mail & Co. – oder arbeiten Sie auch schon gemeinsam an einem Ort?

MJK: Wenn es Zeit wird, sich zu treffen, kommen wir schon zusammen. Wir teilen davor natürlich die Musik und vergleichen Notizen. Danach vereinbaren wir einen Termin, um gemeinsam aufzunehmen.

Und wann entscheiden Sie, dass nun der richtige Zeitpunkt für ein Puscifer-Album gekommen ist?

MJK: Wenn wir genug Zeug haben, das wir aufnehmen können.

Einer der Eckpfeiler der Platte ist ja der Fairlight CMI II, ein digitaler Synthesizer, der Anfang der 80er Jahre auf den Markt kam. Der ist ja das Nachfolgemodell des Fairlight CMI I, der wiederum der erste auf Samples basierende Digital-Synthesizer war. Was macht für Sie den Reiz dieses Instruments aus und welche Rolle spielte er?

Mat Mitchell: Uns reizten sowohl der Sound, den das Instrument kreiert, als auch die Einschränkungen, die einem gesetzt werden. Man wird gezwungen, noch kreativer zu sein. Wenn du nicht so viele Optionen hast, versuchst du, etwas mit wenigen Zutaten zu erschaffen. Was den Klang angeht: Dadurch, dass es sich um sehr frühe digitale Technologie handelt, hat das Gerät natürlich einen ganz eigenen Klang, der eine ganz eigene Umgebung, eine ganz eigene Emotion erschafft. Es war ein schönes Fundament für das Album.

Hatten Sie mit dem Fairlight bereits zuvor gearbeitet oder wie kamen Sie auf das Instrument?

MM: Als wir mit "Money Shot" zu touren begannen, machten wir uns bereits Gedanken, welches Projekt wir als nächstes angehen. Ich dachte darüber nach, was für mich frühe musikalische Inspirationen gewesen waren. Dinge, die mich geprägt haben. Und eines, was all die Bands, die mich damals beeinflusst haben, gemeinsam hatten, war die Nutzung dieses speziellen Instruments. Wir versuchten also, den Fairlight in unseren Sound einzubauen. Es ging nicht darum, etwas zu reproduzieren, was damals gemacht wurde, als das Instrument neu rauskam. Wir wollten sehen, was wir damit anstellen können – und wie wir es uns aneignen können.

Wird das Instrument auch tatsächlich live zum Einsatz kommen – oder arbeiten Sie mit Samples?

MM: Nein, das Instrument bleibt im Studio. Wir nehmen Samples mit auf Tour und arbeiten sozusagen mit Schnappschüssen dieser Sounds. Für eine Live-Situation ist das ganz einfach einheitlicher und verlässlicher.

"Oft funktioniert bereits die erste Idee"

Der Zeitpunkt für ein Album wie "Existential Reckoning" ist ja nicht unbedingt ein unpassender: Das Album mit apokalyptischem Unterton und jeder Menge Hang zum Obskuren erscheint in einer Zeit, die man ja tatsächlich durchaus als apokalyptisch und obskur bezeichnen könnte.

MJK: Ich denke, alles kommt, wie es kommen soll. Besonders, wenn man dafür offen ist. Wenn du mit deinem Herzen schreibst, von dem Punkt, an dem du gerade stehst, an dem du deine Erfahrungen einfließen lässt und diese Ideen auch wirklich auf eine ehrliche Art und Weise ausdrückst: Dann werden diese Zeilen es auch schaffen, zumindest teilweise, diese Zeit widerzuspiegeln. Wenn du thematisch arbeiten willst, auf eine emotionale Art, dann musst du mit deiner Situation reflexiv umgehen.

Maynard, ich möchte keine Textinterpretation Ihrer eigenen Zeilen verlangen. Aber wundern Sie sich bei Zeilen wie "Go on, moron, ignore the evidence / Skid in to Armageddon / Tango apocalyptical", die Sie ja vor der Covid-19-Pandemie geschrieben haben, nicht auch selbst schon mal, wie sehr sie wenige Monate später tatsächlich zur Situation der Welt passen?

MJK: Mein Malerei-Professor hat mich an der Universität gelehrt, dass man vom Generellen ins Spezifische hinein malt. Und ich schreibe von diesem Punkt aus, "from general to specific". Wenn man das tut, sollten sich die Dinge auf all diese verschiedenen Arten übersetzen lassen. Zu guter Letzt bringt dann der Hörer auch noch seinen eigenen Ballast mit ins Spiel.

Studiomusiker*innen und Künstler*innen sind die Isolation in ihrem Schaffensprozess ja in gewisser Weise durchaus gewohnt – wie war denn 2020 für Sie?

MM: Es fühlte sich zwar irgendwie alltäglich an. Aber beim Arbeiten hatte man eher das Gefühl, man arbeitet gerade frühmorgens oder spät nachts – wenn alle anderen noch schlafen und das Telefon noch nicht klingelt. Die Luft fühlte sich freier an, um kreativ zu sein, es gab weniger Ablenkungen. Natürlich beeinflussen einen die Dinge, die vor sich gehen, unterbewusst. Aber so rein vom alltäglichen Ablauf her war alles eben ein wenig ruhiger. Wir haben unsere eigenen Studios in Arizona und in Los Angeles und wir vermeiden es sowieso, mit vielen anderen Menschen zusammen zu sein.

Beschreiben Sie doch mal den Aufnahmeprozess

MM: Wir saßen etwa ein Jahr an der Platte. Für mich begann die Arbeit, als ich die ersten Gesangsideen zu hören bekam. Entweder kam Maynard nach Los Angeles und wir arbeiteten hier, oder ich und Carina sind zu ihm nach Arizona geflogen. Nachdem wir die ersten Gesangsentwürfe gemeinsam erarbeiteten, konnte dann jeder wieder sein eigenes Ding machen und alleine an den Ideen und an seinen Parts feilen.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit ihrer Gesangspartnerin?

MJK: Zunächst überlege ich mir Gesangslinien, strukturiere sie auf eine Art und Weise, von der ich denke, dass sie funktionieren könnten. Oft funktioniert bereits die erste Idee, manchmal auch nicht. Wir besprechen das anschließend. Schlussendlich habe ich 75 Prozent, oder sagen wir einfach: einen großen Prozentsatz dessen, was die Gesangsmelodie darstellen soll. Und dann beginnt das Tüfteln an den Geschichten. Sobald das einigermaßen steht, kommt Carina ins Spiel und überlegt sich, wie sie etwas dazu beitragen kann. Es ist ein Hin und Her.

Kommt es da auch mal zu kontroversen Diskussionen?

MJK: Ach, wir sprechen einfach darüber, vergleichen unsere Notizen. Es sind eher ganz normale Konversationen.

"Alben sind ein Schnappschuss unserer Psyche"

Hat sich in dem Projekt diesbezüglich die Dynamik verändert?

MJK: Ich würde sagen, es war eigentlich immer schon so, wie es jetzt ist. Ich schreibe Dinge auf, und wer auch immer mit mir zusammenarbeitet, reagiert darauf. Vor allem Mat – er reagiert darauf, und ich reagiere auf das, was er für den nächsten Schritt hält.

MM: Es gibt viel Kommunikation, aber wenn es um den kreativen Prozess geht, vertrauen wir dem anderen darin, wie er oder sie sein Ding macht. Wir müssen nicht ausdiskutieren, ob etwas eine gute oder eine schlechte Idee ist. Die Dinge sprechen ja für sich. Manchmal überraschen wir uns selbst – und manchmal sagen wir auch: "Oh, das war jetzt nicht gut. Schmeißen wir das weg!" Das geht gänzlich ohne Diskussion – wir vertrauen da ganz dem Prozess und schauen, dass wir da organisch durchkommen.

Wenn Sie auf das Projekt Puscifer zurückblicken, gibt es da Dinge, die Sie selbst überraschen?

MJK: Sie meinen, ob wir einen Masterplan haben? Nein, den haben wir nicht. Wenn man schreibt, kann man nicht wirklich viele Pläne im Kopf haben. Das Leben passiert eben, ob man es will oder nicht. Man muss offen bleiben, im Moment sein und darauf reagieren, was man hört. Damit erschafft man bessere Alben als mit festgefahrenen Plänen. Man muss erkennen, was passiert. Jedes Album ist eine Reaktion darauf, wo wir zu dem Zeitpunkt gerade waren, körperlich wie auch mental. All diese Dinge spielen zusammen und sind ein Schnappschuss unserer Psyche zu jener Zeit.

Das mag jetzt meine eigene Interpretation sein – aber egal wie apokalyptisch es bei Ihnen auch zugeht, die Perspektive hat immer auch etwas Ruhiges, Humorvolles, natürlich stets mit Freude am Absurden. Lassen Sie es mich mal etwas überspitzt fragen: Wie bewahrt man in der Apokalypse einen kühlen, beobachtenden Kopf?

MJK: Ich habe keine Ahnung. Wir machen einfach das, was wir eben machen. Ich habe Freunde, die fantastische Profi-Athleten sind und die in ihren Disziplinen über sich selbst hinausgewachsen sind. Oder auch Weltklasse-Maler, Weltklasse-Cellisten. Sie sind aber nicht unbedingt Menschen, die einem all das auch wirklich beibringen können. Sie sind keine Lehrer. Sie sind eher Macher, die gar nicht sagen können, was genau es ist, das sie tun. Sie tun es einfach. Und dann gibt es Leute, die auch lehren können, die einem ihr Schaffen übersetzen. Ich kann das nicht wirklich. Wir tun es einfach – und hoffentlich klappt es auch. Ich weiß nicht, wie wir es machen – wir hören zu und reagieren.

Vor wenigen Wochen haben Sie eine Online-Show in einer Experimentalstadt in der Wüste namens Arcosanti gespielt – ein sehr atmosphärischer, fast surrealer Ort. Wie kam es dazu?

MM: Wir haben uns verschiedene Locations angeschaut und in Arizona schon viel gemacht. Es gibt dort viele spektakuläre Landschaften und tolle, kreative Umgebungen. Als wir Arcosanti zum ersten Mal sahen, kamen uns gleich mehrere coole Orte zum Drehen in den Sinn. Es gibt dort tolle Architektur, tolle Kunst, die es so noch nicht gab. Es schien uns wie eine tolle Art, dieses Album zu präsentieren. Es bedurfte viel Planungsarbeit, wir mussten uns überlegen, was wir genau machen wollen. Es ist ja eine recht harsche Umgebung, man möchte mit so viel Planung wie möglich in die Sache reingehen. Wir haben in drei Nächten aufgenommen.

Gibt es Pläne, die Show auch als regulären Release zu veröffentlichen?

MJK: Wir hatten es ja eine Woche lang als Pay-per-View. Derzeit wägen wir gerade die nächsten Schritte ab. Ob wir es auf einem Streaming-Service wie Hulu oder Netflix veröffentlichen oder auf einer Plattform wie iTunes rausbringen. Wir wollen es auf keinen Fall in irgendeiner Schublade liegen lassen. Irgendwas müssen wir damit machen.

Was sind die nächsten Schritte für Puscifer?

MJK: Wir haben etliche Shows in Europa gebucht, darunter das Hellfest und viele Festivals. Wenn es überhaupt Festivals gibt. Wir wollen bereit sein, sobald die Welt wieder weitergeht, aber auch einen Backup-Plan in der Tasche haben. Wir werden uns etwas überlegen. Irgendwie müssen die Leute ja überleben, flexibel bleiben und sich ihrer Umwelt anpassen. Wir wissen nicht, was passiert, aber wir hoffen, dass wir für alles bereit sind, was kommen mag. Ob das jetzt Pay-per-View-Events oder richtige Tourneen sind: Wir werden es machen.

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2 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 3 Jahren

    Nur mal so als Hinweis: der Fairlight CMI II war natürlich genauso ein digitaler Synthesizer wie der CMI I.

  • Vor 3 Jahren

    Etwas spät aber nun gut:

    "Aber wundern Sie sich bei Zeilen wie "Go on, moron, ignore the evidence / Skid in to Armageddon / Tango apocalyptical", die Sie ja vor der Covid-19-Pandemie geschrieben haben, nicht auch selbst schon mal, wie sehr sie wenige Monate später tatsächlich zur Situation der Welt passen?"

    Finde diesen Dreh, dass das irgendwie ein komischer, fast prophetischer Zufall gewesen sein soll, immer sehr albern. Hätte es Covid nicht gegeben, hätte es immernoch 1:1 auf den Klimawandel gepasst. Ist jetzt also nicht so, dass es da irgendeine Voraussicht für gebraucht hätte.