laut.de-Kritik

Hitzig, hoch konzentriert und wütend wie eh und je.

Review von

Bobby Gillespie ist einer der ewigen Cool Dudes aus der großen Zeit des UK-Rave Anfang der 90er. Ein Mann, der schon im Boogie-Game war, als Jesse Hughes noch auf Lehramt studierte. Der mit seiner Band Primal Scream den old fart Rock'n'Roll mit Euphorie und Ekstase aus der Dose vermählte, das Tamburin zu Dancebeats schlug und sein schüchternes Naturell mit verschreibungspflichtigen Helferlein endgültig im Brunnen versenkte. Stattdessen: High Energy-Feierei und Abschießen mit Stil.

Sympathie und Respekt für ihre musikalischen Grenzüberschreitungen täuschten jedoch nicht darüber hinweg, dass in letzter Zeit etwas die Luft raus war aus dem Scream-Tanker. Um so schöner, dass die Schotten nun ihr hitzigstes Werk seit "Evil Heat" vorlegen, was ja auch schon wieder elf Jahre alt ist.

Kids von heute, die die Gruppe aufgrund ihres Alters und der mehrjährigen Aufnahme-Auszeiten gar nicht kennen, dürften sich wundern, dass ein Robert Plant auf eine Kollaborationsanfrage hin extra im Scream-Studio vorbei schaut. Der "Elimination Blues" mit satter Wurlitzer, weiblichem Backgroundchor und einem voll im Saft stehenden Gillespie erklärt die Entscheidung der Led Zep-Legende in knapp sechs Minuten aufschlussreich.

Eine weitere richtige Entscheidung Gillespies dürfte es gewesen sein, erneut gemeinsame Sache mit "XTRMNTR"-Produzent David Holmes zu machen und bei der Gelegenheit auch gleich den damaligen Kollaborateur Kevin Shields anzurufen, dessen markerschütternde Gitarrenarbeit dem sägenden 9-Minuten-Saxophon-Monster "2013" gut zu Gesicht steht.

Textlich kotzt sich Gillespie im alten Sozialistenduktus gründlich über so ziemlich alles aus, was das Jahr 2013 an Missständen zu bieten hat: ein gesättigtes Establishment, verdummende TV-Propaganda, industrielle Ausbeutung und korrupte Mineralölkonzerne. Der Opener allein ist ein Pamphlet für den alten Punkrock-Geist, für ein kollektives Aufbegehren, eine Revolution für die Verteidigung humanistischer Ideale.

Verwunderlicher als die Tatsache, dass die politischen Ansichten des mittlerweile 50-jährigen, rekonvaleszenten Familienvaters seit Anti-Thatcher-Tagen eher aggressiver ausfallen, ist die kreative Energie, die viele Songs auf "More Light" ausstrahlen.

"River Of Pain" ist nach dem anstrengenden Auftakt der nötige Ruhepol, dessen atmosphärische Struktur Holmes' cineastisches Geschick in den Mittelpunkt rückt. "Culturecide" vereint dann alle Scream-Qualitäten in einem Song: Kick Ass-Faktor, rollende Elektrobässe, gehetzte Vocals, weibliche 60s-Backgroundchöre, rhythmische Breaks. In dieser drängenden Intensität gab es Primal Scream lange nicht.

Während das lärmende "Hit Void" und das poppige "Invisible City" die Aufregung wieder etwas runterschrauben, schütteln Primal Scream mit dem narkotischen Blues in "Tenement Kid", dem Space-Reggae"Goodbye Johnny" sowie der erfrischenden Krautrock-Improvisation "Turn Each Other Inside Out" noch mal echte Highlights aus dem Ärmel.

Auch die Songcoda von "Relativity", die nach hartem Synth- und Bass-Stakkato plötzlich in eine hippieesk-mehrstimmige Beach Boys-Utopie umschlägt, hätte man dem Altmänner-Verein nicht mehr zugetraut. Die Entscheidung, das Album mit einer schon vielfach besser gelungenen Stones-Kopie enden zu lassen, wenn man so ein bitteres Wiegenlied wie "Walking With The Beast" in petto hat, das die fragile Melancholie von Velvet Underground wachruft - nun, man muss ja nicht alles verstehen.

Auf "More Light" zeigen sich Primal Scream wieder hoch konzentriert und bereit, für ein aufregendes zweites Karrierekapitel entsprechend zu malochen. Und warum auch nicht? "Nick Cave ist noch dabei und Leonard Cohen fühlt sich mit über 70 auch noch jung genug. Es kümmert mich einen Scheiß, was die Leute denken." Amen, Bobby.

Trackliste

  1. 1. 2013
  2. 2. River Of Pain
  3. 3. Culturecide
  4. 4. Hit Void
  5. 5. Tenement Kid
  6. 6. Invisible City
  7. 7. Goodbye Johnny
  8. 8. Sideman
  9. 9. Elimination Blues
  10. 10. Turn Each Other Inside Out
  11. 11. Relativity
  12. 12. Walking With The Beast
  13. 13. It's Alright, It's OK

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1 Kommentar

  • Vor 10 Jahren

    Find ehrlich gesagt, dass Gillespies Texte in 2013 nicht mehr so funktionieren, wie zu XTRMNTR Zeiten. Fühlt sich an, wie der Versuch, XTRMNTR ins neue Jahrzent zu hiefen. Aber XTRMNTR war nicht nur ein Monster, es war auch ein Dokument seiner Zeit. Und More Light hat einfach nicht die gleiche Aggressivität, um die Welt im Jahr 2013 widerzuspiegeln.