12. Januar 2010

"Für masturbierende Frauen um die 40"

Interview geführt von

Das Debütalbum "Manners" von Passion Pit aus Boston sahnt Preise reihenweise ab, Kritiker feiern die fröhliche Unbeschwertheit der Songs. Dabei sind die Texte alles andere als fröhlich.Berlin, Friedrichshain. Zwischen O2-Arena und Universal-Gebäude haben sich Passion Pit in einem Hotel einquartiert und chillen in der lässigen Lounge auf Sofas herum. Ayad Al Adhamy (Synthesizer) und Jeff Apruzzese (Bass) bitten zum Gespräch.

Vor allem letzterer scheint müde zu sein, gähnt ständig. Aber ihre gute Laune lassen sie sich trotzdem nicht nehmen, schließlich winkt der nahe Urlaub. Al feixt und plaudert enthusiastisch, da ist die Müdigkeit schnell vergessen.

Wie läuft das Tourleben?

Al: Sehr gut. Das ist unser letzter Tag seit mehr als zwei Monaten touren. Danach können wir für zwei Wochen nach Hause, deshalb sind wir etwas aufgeregt. Berlin ist ein guter Ort zum Tour beenden. Wir sind durch ganz Amerika getourt, das ging ziemlich lange.

Geht ihr euch gegenseitig schon auf die Nerven?

Al: Nein, wir sind Zimmerkollegen (legt den Arm um Jeff).

Jeff: Nein, nicht genervt, aber ich verliere langsam meinen Verstand.

Was habt ihr vor Passion Pit gemacht?

Al: Wir waren College-Kids.

Jeff: Wir waren in der Schule. Wir zwei waren in einer Musikschule, wir waren nicht auf einem richtigen College.

Al: Du hast dich mit Musik-Business beschäftigt, ich mit Filmmusik und Synthesizern. Ich hab im Januar meinen Abschluss gemacht. Also einfach Musik, das ganze Leben.

Und wie hat Frenchkiss Records euch entdeckt?

Jeff: Tatsächlich durchs Internet. Der Blog "Good Weather For Airstrikes" schenkte uns Aufmerksamkeit, der von Derrick Davis betrieben wird, ein Stiefbruder von Syd Butler, dem Frenchkiss gehört und der den Laden am Laufen hält und außerdem bei Les Savy Fav mitspielt. Sie fragten ob wir rüber nach New York kommen, und wir sagten nein. Also flogen sie nach Boston und die Beziehung fing an. Ohne Internet wären wir nicht hier und würden nicht touren. Es gibt uns so viele Kontaktmöglichkeiten und hat unsere Musik derart weit verbreitet, wie wir es vor zwanzig Jahren niemals selber hinbekommen hätten. Es bringt die Leute aus verschiedenen Ländern zu unserer Show.

Al: Man kommt am Internet einfach nicht mehr vorbei. Ich frage mich, wie es in zehn Jahren sein wird?

Jeff: Ich frag mich wie es war, vor 30 Jahren zu touren? Als zum Beispiel Nirvana tourten. Als das Internet noch nicht existierte, als Handys erst langsam üblich wurden.

Al: (macht einen Telefonhörer mit der Hand nach) hast du gehört, dass Nirvana kommen?!

Jeff: Ja genau. Oder wenn man sich irgendwo verliert, ohne GPS. Das ist verrückt.

Wisst ihr, ob ihr mit dem Album Geld verdient? Oder doch nur mit Touren?

Al: Ich glaube, man macht heute kein Geld mehr mit Alben. Man verschuldet sich bei seinem Label, um dann auf der Tour unterstützt zu werden. Man versucht, das Geld da wieder rauszuholen. Um es mal so zu sagen: Man kann kein einfaches Geld mehr in der Musikindustrie verdienen. Aber man kann es einfach ausgeben (lacht).

Vielleicht machen wir eines Tages Geld, aber momentan definitiv nicht. In zehn Jahren oder so. (Ironisch) Wir machen Geld, sobald wir nicht mehr in dieser Band sind. Wenn wir Manager werden.

Jeff: Dafür lernen wir gerade noch.

Al: Wir stellen gerade fest, dass es die schlechteste Position in der Musikindustrie ist, in einer Band zu sein. Du willst alles andere sein, aber nicht in einer Band! Aber irgendwie ist man immer noch der Chef. Zumindest lassen sie dir das Gefühl, als sei es so.
(Gelächter)

Jeff: Du gehörst uns, aber du bist immer noch der Boss. Es ist zwar deine Sache, aber ich sag dir trotzdem, dass es so scheiße ist.

Wie spielt ihr eure Lieder live?

Al: Mit Schwierigkeiten. Die Platte zu machen hat zwei Monate im Studio gedauert. Danach hatten wir sechs Wochen Übungszeit. Wie kriegt man dieses ganze Zeug in zwei Keyboardspieler, einen Bass und Drums rein? Wir haben Keyboards, Sampler, wir machen spezielle Tricks. Es ist wie Zauberei, aber jetzt sind wir fast da. Wir müssen noch etwas üben ...

... am Ende der Tour seid ihr fast da?

(Gelächter)

Al: Am Ende der Tour wissen wir, was wir noch üben müssen.

Jeff: Alles was wir machten, mussten wir irgendwann wieder ändern. Wir brauchen einfach mehr Geld für das, was wir machen wollen!

Al: Yeah, motherfuckers! Aber es geht.

Geld ist einfach ausgegeben.

Al: Ja! In der Musikindustrie ist Geld fast wie Monopoly-Geld (schmeißt virtuelles Geld in die Luft). Komm hier, nimm! Das ist ziemlich lustig.

"Drei Lieder in der Woche eingespielt"

Was ist Pop-Musik?

Al: Hooks, Beats, gut aussehende Leute! (Ironisch) Deshalb sind wir keine Pop-Band.

Jeff: Du brauchst eine Hook, ein sehr catchy Melodie und Refrains! Refrains sind alles was zählt in einem guten Pop-Song. Wir haben das Prinzip definitiv seziert. Es gibt Bands, die klingen wir betrunkene Angeber. Man weiß nicht mal was zum Geier die sagen, aber dann kommt der Chorus und dann (schreit): YEAH, THIS IS AWESOME.

Al: Aber Pop ist ziemlich solide. Ich glaube wir machen Pop für sonderbare Leute. Wenn wir älter werden, können wir vielleicht wirkliche Pop-Musiker werden. Plastische Chirurgie, Tänzer ...

Gibt es ein Pop-Revival?

Al: Ich glaube, ja. Als Michael Jackson gestorben ist, haben die Leute erst gemerkt, dass Pop in den 80ern wirklich gut war. Es war nicht nur Britney Spears-Zeug und so Scheiß. Es kommt definitiv zurück, auf eine respektvollere Art und Weise. Naja gut, die Boybands kommen wieder zurück. Backstreet Boys hatten ein Revival, New Kids on The Block.

Jeff: Ja die sind inzwischen erwachsen, fett und außer Form.

Al: Das ist für die vierzigjährigen Frauen, die sich noch mal dran erinnern, wie es war als sie mit 16 Jahren dazu masturbierten. Wir haben die Backstreet Boys neulich im Fernsehen gesehen (äfft die Tanzbewegungen nach, fuchtelt mit den Armen und kreischt in hoher, verzerrter Stimmlage) UUH!

Ja und Take That sind auch wieder zurück.

Al (springt fast auf): Ja, sie sind zurück! Die hatten letzten Monat einen Auftritt, ich hab Videos gesehen. Sie hatten einen Papierelefanten auf der Bühne, das war unglaublich.

Was war denn das Problem mit Pop in den 90ern?

Jeff: Ich glaube es gab kein Problem mit Pop. Es gab einfach andere Sachen, die damals wichtiger waren. Es gab all diese aufregenden Bands aus Nashville, Carolina. Da hab ich sehr viel Aufmerksamkeit drauf verwendet.

Reden wir über euer aktuelles Album "Manners". War es leicht zu machen?

Al: Für uns schon. Ich war auf dem College, ich kam nur drei Mal runter. Michael (Angelakos) hat das Album hauptsächlich geschrieben. Nate (Donmoyer) war die meiste Zeit dabei und hat die Drums gespielt, Ian (Hultquist) kam ein paar Mal dazu. Das spätere Einüben war der schwierige Part.

Jeff: Ich war jede Woche mal unten (in New York) und der Fortschritt war enorm.

Al: Die haben drei Lieder in der Woche eingespielt. Wenn wir dazu kamen, mussten wir PacMan spielen.

Jeff: Es war ziemlich schwierig, wenn wir alle gleichzeitig da waren. Die wenigen Male wurden wir immer nach zehn Minuten aus dem Studio geworfen. Jeder machte nur Scheißdreck, wir schauten verrückte Videos im Internet an.

Al: Für Mike war es wahrscheinlich nicht so einfach. Es dauert nur zwei Monate lang, so gut wie jeden Tag harte Arbeit, es war sehr intensiv.

Ich hab auch gelesen, dass es Geldprobleme gab?

Al: Wer hat denn keine Geldprobleme? Aber du spielst bestimmt auf den Taxivorfall an, oder?

Ja, scheinbar konnte Michael sein Taxi nicht bezahlen und wurde eingebuchtet, bis ihn der Produzent rauskaufte.

Jeff: Wir haben immer noch Geldprobleme. Aber die Taxen können wir bezahlen. (Gelächter)

Hinter der Nettigkeit sagt man sich: "fuck"

Bei den Liedern gibt es offenbar einen ziemlich Unterschied zwischen Musik und den Lyrics.

Jeff: Richtig. Nach außen hin ist alles sehr Bubblegum-artig, lustig und glücklich, aber wenn man ein bisschen dahinter schaut, dann passen die Texte nicht mehr zu diesem glücklichen Image. Es gibt da sehr unterschiedliche Schichten.

Al: Es ist wie bei den Manieren ("Manners", Albumtitel). Jeder muss Manieren haben und höflich sein, aber innen drin kann man ziemlich genervt sein. Man hat die Vorderseite, die Nettigkeit und dahinter sagt man sich: "fuck"!

Jeff: Das ist das, was wir jeden Tag machen müssen. Jeden Tag Shows spielen, manchmal will man nicht mehr. Ich hab mich auch mal richtig betrunken vor der Show und sagte: Screw you guys, I must get drunk, fuck this all up! Aber ich hab dann besser gespielt als sonst, keine Ahnung wie ich das hinbekommen habe. (Gelächter)

Bemerken die Leute immer den Unterschied zwischen Musik und Texten?

Al: Manche, ja. Es ist immer lustig, wenn sie es nicht merken. Wenn sie sagen: Eure Musik ist so fröhlich, ich fühl mich immer total gut dabei, die Lyrics sind so toll! Dann klärt man sie auf und sie sind ganz erstaunt. Wirklich, aber sie sind doch fröhlich. Das ist das, was du hörst! Ich bin auch einer dieser Leute. Ich achte nie auf die Lyrics, deshalb kann ich das verstehen und nachvollziehen.

Jeff: Es ist lustig. Wenn die Leute die Texte mitsingen, die so düster sind, und dabei ein Lächeln auf dem Gesicht haben.

Al: Es gibt eben auch Leute, denen das wichtiger ist, und es gibt andere.

Jeff: Es ist ja kein großes Missverständnis, die Lieder sind eben tiefer und komplexer als der erste Anschein hergibt. Es ist, als ob man die Songs öffnen und ausdifferenzieren kann.

Al: Es ist fröhliche Musik mit einer depressiven Seele.

Was sind eure nächsten Pläne?

Al: Nach diesem Urlaub touren wir weiter, fast das gesamte nächste Jahr. Ein, zwei Singles kommen raus, und in ein, zwei Jahren kommt hoffentlich ein neues Album.

Wird Michael wieder die Lieder schreiben?

Al: Wahrscheinlich, warum nicht. Wir machen alle noch andere Dinge nebenher. Während er das Album macht, machen wir anderes Zeug.

Jeff: Mal schauen was passiert, die nächsten Jahre.

Al: Wir eröffnen ein Label. Wir veröffentlichen EPs und Alben.

Jeff: Wir kennen so viele Band in Boston, die sehr talentiert sind. Wir wollen, dass andere Leute das auch hören. Wir wollen diese Verbindung herstellen.

Ach, im Ernst jetzt?

A: Ja, das ist Ernst.

Jeff: Es funktionierte auch schon. Ich habe eine e-Mail bekommen von ein paar Freunden, die wir immer in Interviews erwähnen ...

Al: ... Dirty Dishes, Pretty & Nice.

Jeff: Ja genau. Das Interesse an ihnen ist gestiegen, weil aus irgendeinem seltsamen Grund die Leute etwas von unserer Meinung halten.

Al: Wir werden außerdem einen Podcast starten.

Jeff: Ja, stimmt! Wir haben also viel zu tun.

Al: Ein paar Alben, Remixe, wer weiß…

Musik

Al: Genau!

Jeff fängt an zu singen.

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