laut.de-Kritik

Hymne auf The Doors: Da ist Johnny Depp nicht weit.

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Wenn eine Filmdoku über die Doors erscheint, stellt sich die Frage: Was kanns da schon Neues zu berichten geben? Wissen wir denn nicht bereits so gut wie alles über den legendären, drogenversumpften Jim Morrison und seine Band aus L.A., die in den 60ern die Musikwelt aufmischte?

Und beim Doku-Soundtrack bleibt die Frage im Prinzip dieselbe. Was könnte diese Platte von den anderen zahllosen Best-Of/Greatest-Hits-Alben unterscheiden, die immer mal wieder auf den Markt kommen? Andererseits: Kann man überhaupt je genug kriegen von einer Band, die andere bis heute inspiriert und eine ganze Generation bewegte? Nein. Kann man nicht.

Was sowohl den Film "When You're Strange" als auch den Soundtrack einmalig machen, ist einerseits unveröffentlichtes Filmmaterial. Andererseits sind es die Live-Mitschnitte, Interviewsegmente und Morrison-Gedichtpassagen - gelesen von Johnny Depp!

"Cinema returns us to anima, religion of matter. Cinema, heir of alchemy, last of an erotic science." Der erste, beschwörend vorgetragene Satz des Albums führt uns hinab in die poetisch visionäre Welt des James Douglas Morrison.

"I slept on the roof. At night, the moon became a woman's face. I met the spirit of music." Dass Morrison sich mit dem "spirit of music" eingelassen haben muss wie Goethes Faust mit dem Teufel, klingt bereits beim frühen "Moonlight Drive" an. Obwohl die Band den Song nie als Single veröffentlichte, gilt er textlich und musikalisch als prägend für Stil der Doors.

Die verqueren Bilder legen den Grundstein für die typisch verspulte Metaphorik, für die Fans die Band liebten: "Let's swim to the moon / Let's climb through the tide." Mit diesen denkwürdigen Sätzen soll Morrison seinen Keyboarder Ray Manzarek bei einem Treffen so tief beeindruckt haben, dass sie prompt Einzug in den Song fanden.

In der klassischen Bluesrock-Nummer tauchen subtil erste Anzeichen für Morrisons spätere Todessehnsucht auf: "Gonna get real close / Get real tight / Baby gonna drown tonight / Goin down, down, down".

"If the doors of perception were cleansed, everything would appear to man as it is, infinite." Diese Zeilen dürfen auf der Scheibe nicht fehlen. Sie stammen aus William Blakes Gedicht "The Marriage Of Heaven And Hell". Aldous Huxley griff die Zeilen auf und veröffentlichte unter dem Titel "The Doors Of Perception" seine Erfahrungen mit Meskalin-Trips. Blake und Huxley inspirierten Jim Morrison, Ray Manzarek, John Densmore und Robby Krieger zu ihrem Bandnamen.

Sachte faden Blakes Zeilen in den Applaus und Jubel, der den phänomenalen Auftritt der Doors auf dem Isle of Wight-Festival 1970 ankündigt. Die Liveaufnahme von "Break On Through (To The Other Side)" entfaltet einen hypnotischen Sog: Den ausgedehnten Keyboard- und Gitarrensoli entzieht sich keiner.

"In that year, we had an intense visitation of energy", haucht Johnny Depp ins Mikrophon. Für die Rezitation von Morrison-Gedichten hätte man wohl kaum einen besseren finden können. Die Energie der Doors, von der hier die Rede ist, entfacht sich in Ray Manzareks psychedelischem Orgelspiel.

Zu "Light My Fire" möchte man tänzeln auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Im Sonnenuntergang, mit einer Flasche Absinth in der Hand. Und wenn man nicht gerade die Flasche an den Lippen hat, stimmt man ein in Morrisons Gesang: "You know that it would be untrue / You know that I would be a liar ...".

Die skandalöse Performance des Songs in der Ed Sullivan Show 1967 sorgte für Kontroversen: Statt der drogenverspielten Zeile "Girl, we couldn't get much higher" sollte Morrison die entschärfte Version "Girl, we couldn't get much better" singen. Obwohl der Änderung zugesagt, blieb Morrison beim Original, nach eigenen Angaben aus Nervosität. Das Publikum war gleichwohl hingerissen.

Spannung baut sich auf, wenn das epische "When The Music's Over" fast ins Off gleitet. Nur Manzareks rhythmische Bassline lässt erahnen, dass noch etwas auf uns wartet. Etwas Wichtiges: "We want the world and we want it ... now", fordert Morrison, in Flüsterton abdriftend, in der Aufnahme von 1968. "Save us! Jesus! Save us!"

Leichtfüßig buhlt der Frontmann in "Hello, I Love You" um die Aufmerksamkeit der schönen Unerreichbaren. Repetitive Orgelmotive und ein exzessives Gitarrensolo dominieren das fast schon funkige "Soul Kitchen". Und wenn Morrison "Now touch me, baby" fordert ("Touch Me"), kann selbst die Unerreichbare nicht widerstehen.

"I've noticed that when people are joking, they're usually dead serious. And when they're dead serious, it's usually pretty funny." Morrison bringt die täglichen Absurditäten treffend auf den Punkt.

Dieser Widersinn beschäftigt ihn auch in "People Are Strange": "People are strange when you're a stranger / Faces look ugly when you're alone." Barrelhouse Piano und Staccato-Akkorde geben dem Song die passende schiefe Note, die ihn wie eine Nummer aus dem Pariser Cabaret des späten 19. Jahrhunderts klingen lässt. Die Hymne auf die Andersartigkeit.

In einem Interview wurde Ray Manzarek einmal gebeten, in wenigen Worten zu beschreiben, was die Doors für ihn ausmachen. "Darkness, dread, passion, musical expertise, poetry", war die Antwort. All das vereint der Original Soundtrack der Doku harmonisch miteinander.

Die Gedichtpassagen aus Morrisons Werken geben der Platte eine weitere düstere Note. Im Klassiker "The End" findet diese Atmosphäre ihren Höhepunkt. Morrison traf genau den Nerv der apokalyptischen Stimmung einer Generation, die sich vor dem Abgrund wähnte.

Prophetisch singt er vom Ende. Dem Ende der Freundschaft zu seinem "only friend"? Dem Ende seiner eigenen Existenz? Dem Ende aller Zeiten? Morrison spielt virtuos, statt darauf eindeutige Antworten zu geben.

Selbst, wenn man den Song schon zigmal rauf und runter gehört hat: "The End" verursacht auch nach der hundertsten Wiederholung noch Gänsehaut. Repeat, bitte. Am besten die ganze Platte. Bis zum 1. Juli muss man sich nämlich noch gedulden. Dann läuft die Doku "When You're Strange" auch in deutschen Kinos.

Trackliste

  1. 1. Poem: Cinema
  2. 2. Poem: The Spirit Of Music
  3. 3. Moonlight Drive
  4. 4. Poem: The Doors Of Perception
  5. 5. Break On Through [To The Other Side]
  6. 6. Poem: A Visitation Of Energy
  7. 7. Light My Fire
  8. 8. To Be A Real Superstar [Interview Segment]
  9. 9. Five To One
  10. 10. Poem: Wasting The Dawn
  11. 11. When The Music's Over
  12. 12. The Four Of Us Are Musicians / I'd Like Them To Listen / Rock & Roll And Jazz / Our Music Is Symbolic [Interview Segment]
  13. 13. Hello, I Love You
  14. 14. Dead Serious [Interview Segment]
  15. 15. People Are Strange
  16. 16. Poem: Inside The Dream
  17. 17. Soul Kitchen
  18. 18. Poem: We Have Been Metamorphosized
  19. 19. Poem: Touch Scares
  20. 20. Touch Me
  21. 21. Poem: Naked We Come
  22. 22. Poem: O Great Creator Of Being
  23. 23. The End
  24. 24. Poem: The Girl Of The Ghetto
  25. 25. L.A. Woman
  26. 26. Poem: Crossroads
  27. 27. Roadhouse Blues
  28. 28. Poem: Ensenada
  29. 29. Riders On The Storm
  30. 30. Poem: As I Look Back
  31. 31. The Crystal Ship
  32. 32. Poem: Goodbye America

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1 Kommentar

  • Vor 12 Jahren

    Liebe Frau Nußbaum,
    bis auf die anfängliche etwas oberflächliche Bemerkung über einen angeblich "drogenversumpften" Morrison kann ich Ihnen nur zupflichten. Schönes Review zu einer schönen Veröffentlichung von einer schönen Frau!? ;)