laut.de-Kritik

Kitsch steht der Melancholie im Weg, und Melancholie dem Kitsch.

Review von

In einem Land vor unserer Zeit war Olli Schulz einmal Musiker. Zusammen mit dem Hund Marie veröffentlichte er 2006 das ziemlich großartige "Warten Auf Den Bumerang". Danach verwandelte er sich allerdings nach und nach in Sideshow-Olli. Heute kennt man ihn eher als den Kerl mit dem Hausboot, Sidekick von Böhmermann im "Fest & Flauschig"-Podcast und er ist immer für Joko & Klaas da, falls Matthias Schweighöfer mal keine Zeit hat.

Das vor sechs Jahren veröffentlichte Album "Scheiß Leben, Gut Erzählt" sorgte auch nicht gerade dafür, dass man Fingernägel knabbernd auf einen neuen Release des Hamburgers wartete. Mittlerweile 50 Jahre alt, fällt sein "Vom Rand Der Zeit" deutlich ruhiger aus als die Vorgänger. Wie immer produziert von Moses Schneider, versucht Schulz sich so sehr als Singer/Songwriter zu positionierten, wie nie zuvor. Bei diesem Unterfangen entstanden elf Lieder über die Nichtigkeit des Seins.

Die Bilder, die Schulz für seine Nichtgeschichten nutzt, könnten kaum abgenutzter sein. Da steht der "Clown in der Manege / Die nur 'ne alte Kneipe war" ("Am Rand Der Zeit"), die Bank hat eingeritzte Namen ("Falsch Erzählt"), der Fußballspieler verschießt den Elfmeter (auch "Falsch Erzählt"), und überhaupt will man "die alte Welt anzünden, und in neuen Farben" anmalen ("Einfach So"). Würde Schulz das alles nicht so nuscheln und schlecht singen, man könnte zeitweise meinen, man hätte sich auf ein Max Giesinger-Album verirrt.

Die ehrliche Melancholie in seiner Musik und den Texten unterscheidet ihn jedoch von all den Popakademie-Student*innen dort draußen. Um diese Allgemeinschauplätze herum schreibt Olli Schulz immer noch aus dem Leben und nicht für das Leben. Nur dadurch kann ein Einstieg wie "Einfach So" entstehen, eines der wenigen herausragenden Stücke auf "Vom Rand Der Zeit". Das Unperfekte und der ungetrübte Optimismus erhalten seine Musik am Leben.

Das mit Ina Müller entstandene "Stadtfest In Bonn" fasst "Vom Rand Der Zeit" wohl am Besten zusammen. Ein Song, wie für "Inas Nacht" geschaffen. Für das vollkommene Erlebnis fehlt im Grunde nur ein gelegentliches "Lustig, lustig! Heute haben wir gelacht, denn wir sind bei Inas Nacht - ha ha ha ha ha, hey.". Dabei passt Müllers raue Stimme deutlich besser zum Text von vernarbter Liebe in einer einst erfolgreichen Band, die ganz leichte Vibes des The Pogues-Klassikers "Fairytale Of New York" versprüht. In all dem steckt ein in die Jahre gekommener Charme des gepflegten Spießer-Suffes.

Zu viel auf "Am Rand Der Zeit" bleibt jedoch gleichförmig, zu wenig sticht heraus. In "Silvester" probiert sich der Hamburger an Weißbrot-Gospel, bleibt aber darunter seinem Grundschema treu. "So Schreibt Man Seinen Song" versucht sich noch einmal an der Leichtfüßigkeit vergangener Zeiten, bleibt aber nur blasses Mittelmaß. Der hier erwähnte große Plattenladen mit der selben "Vorspielstation" wie vor 33 Jahren dürfte wohl auch eher - vorsichtig formuliert - Seltenheitswert haben.

"Jennys Hundefarm" entpuppt sich als formidabler Rohrkrepierer. "Ist Nicht Mehr Richtig Hier" überzeugt zuerst mit treibendem Basslauf und Schlagzeug, verliert sich aber etwas im Refrain. Das von einem schleppenden Klavier dominierte "Hoch Geflogen" nimmt sich für seine Entwicklung alle Zeit der Welt. Sieht man über den platten Text der Hook hinweg, stellt der Song ein wirkliches Highlight dar. Etwas, was auf dem monotonen "Vom Rand Der Zeit" deutlich zu kurz kommt.

So richtig mag Olli Schulz für Erwachsene nicht zünden. Zu viel Kitsch steht der Melancholie im Weg, zu viel Melancholie dem Kitsch. Zu sehr erinnern die Lieder an ausgeblichene Songs von früher. Zu wenig Neues hat er zu erzählen. Zu sehr wirkt all das mittlerweile nach "Jetzt singt er auch noch".

Trackliste

  1. 1. Einfach So
  2. 2. Falsch Erzählt
  3. 3. Hamse Nich
  4. 4. So Schreibt Man Seinen Song
  5. 5. Am Rand Der Zeit
  6. 6. Silvester
  7. 7. Stadtfest In Bonn
  8. 8. Jennys Hundefarm
  9. 9. Ist Nicht Mehr Richtig Hier
  10. 10. Hoch Geflogen
  11. 11. Bessere Version

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LAUT.DE-PORTRÄT Olli Schulz

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15 Kommentare mit 28 Antworten

  • Vor 2 Monaten

    Passt für mich auch seit jeher ganz gut in den Nahbarkeitsappeal, der Mann. In jedem erweiterten Freundeskreis gibts so einen Typen mit Gitarre, der solche Lieder schreibt und spielt.

    • Vor 2 Monaten

      "Sehr Vergleichbares habe ich über die Jahre aus zig Proberäumen schallen gehört."

      Variierst du dieses Argument eigentlich nur? :D

    • Vor 2 Monaten

      Machst du selbst doch mit sämtlichen Argumenten zu deutlich wichtigeren Themen...

    • Vor 2 Monaten

      Is' halt kein Argument, Schätzchen.

    • Vor 2 Monaten

      Doch. Damit willst du ja belegen, dass es sich hierbei um beliebige Musik handelt. Zufall, dass es hier mal wieder um deutsche Musik geht?

    • Vor 2 Monaten

      Au weia...

    • Vor 2 Monaten

      Keine weiteren Fragen.

    • Vor 2 Monaten

      Abgesehen davon, dass ich es schön finde, dass du ein Thema gefunden hast*: Ich würde sagen, auf den guten Alben von Olli Schulz (und er hat ein paar) arbeitet diese Nahbarkeit im besten Sinne für ihn. Der Typ war einfach ein menschgewordener Nick Hornby Roman. Lustig ein bisschen deep, mit ein paar Sprüchen, die dir so nicht jeder drückt und noch besser, wenn man schon zwei Bier getrunken hat; abei in Wortwahl und Swagger eigen.
      Die neue Platte hab ich erst einmal beim Kochen gehört. Ich würde aus Sympathie 3/5 geben, sehe aber auch, dass dieser Alterspathos ohne das Skurille nicht mehr ganz so orginell ist.

      Ganz allgemein will ich dir gar nicht widersprechen, finde aber das Problem nicht. Pop Musik lebt doch von einer gewissen Nahbarkeit und es ist ja nicht so, dass komplexe Musik nicht wie von der Stange klingen kann. Micht nervt eher, dass sich textlich immer weniger getraut wird, weil gefühlt alle Acts dieselbe Therapie machen.

      *Witzig, dass du dich davor jahrelang über großkotzig von 100 Songwritern zusammengeschriebenen Megalomaniepop aufgeregt hast.

    • Vor 2 Monaten

      Ich glaube, das musikalische Spektrum ist ähnlich wie das, was wir ungefähr bei Filmen abgesteckt hatten. Einerseits die Franchise-Megaproduktionen mit zig Bezeiligten, aber keinen Verantwortlichen - andererseits die französischen Gute-Laune-Frau-findet-sich-selbst-und-verliebt-sich-in-den-Badminton-Lehrer-beim-Urlaub-in-Marokko-Filmchen, die wohlfühlig sind und nach spätestens einer Stunde komplett vergessen sein werden. Dazwischen finde ich meistens die mir liebsten Schätze, und je weiter es in die Extreme beider Richtungen geht, umso langweiliger finde ich es. Logisch gibt es da noch sehr spezielle Genre- und Untergrundperlen, sowohl beim Film als bei der Musik.

      Olli Schulz war mir schon immer zu sehr in der Richtung "Kulturkino für 50-60jährige Verheiratete". Lieb und nett, und schnell vergessen.

    • Vor 2 Monaten

      c984h und Ragismo...Kampf um die Doofus-Krone. :lol:

    • Vor 2 Monaten

      ..., lachte Haii von seinem Thron herunter ;)

    • Vor 2 Monaten

      Heißt das, dass du deinen Hofnarrenstatus jetzt akzeptiert hast?

    • Vor 2 Monaten

      Ich akzeptiere Haii als Clownkönig - nicht, wie er seinen Hofstaat besetzt. Ich behalte mir Schritte vor, ihn derweil zu stürzen und den Thron zu usurpieren.

  • Vor 2 Monaten

    Irgendwie eignen sich die Lieder weder zum mitsingen, dafür sind die Texte zu unausgegoren, aber auch nicht zum am Lagerfeuer nachspielen, dafür sind die Lieder zu spärlich und auf Platte einfach mit vielen Spuren überzogen. Also nicht dass was man sich bei Songwritern wünscht.

    Man merkt schon eine Melancholie, eine Trauer und auch etwas Optimismus. Erstere kommt im stimmlichen Vortrag besonders zur Geltung.
    Aber die Plattitüden in den Texten und Mangel an eleganten Bildern hindern die Verbindung zum Erzählten.

  • Vor 2 Monaten

    Mir fällt grad auf, dass ich den immer mit Olli Dietrichs verwechselt habe und wundere mich, dass ich mich nie gewundert habe, warum in seinen Rezensionen nie "die doofen" erwähnt werden.

    Ps: was macht eigentlich wigald boning?

  • Vor 2 Monaten

    Guten Morgen allerseits. Erst einmal danke, dass mich ein paar von euch auf meinen Fehler bezüglich dem Hund Marie aufmerksam gemacht haben. Bzw wollte ich einfach nur etwas flapsig darauf hinweisen, dass der Hund Marie eben aus dem Namen verschwunden ist und eine Weile ja auch nicht dabei war. Ging wohl schief, deswegen kommt es jetzt weg.
    Ich kann allerdings nicht bewerten, wie Livekonzerte von ihm sind oder wer da an seiner Seite steht. Einerseits meint Olli - wie viele andere auch - nicht in meine Nähe kommen zu müssen. Anderseits ist es auch nicht meine Aufgabe, in diesem Text Livekonzerte zu bewerten. Ich bewerte dieses Album.
    Leider habe ich vor dem Release auch nur die Songs im Stream zu Verfügung. Bei diesem steht nicht dabei, wer da die Instrumente übernimmt. Hätte ich das in dem Fall gehabt, hätte ich das wohl nicht geschrieben. Dabei hatte ich mich vorher noch extra umgeschaut, aber wie gesagt: Fehler passieren. Also, sorry. My fault.
    Der Satz kommt nun also weg. Meine Meinung zu dem Album bleibt. Wer aber denkt, ich wäre Olli gegenüber voreingenommen, sollte vielleicht auch schauen, dass ich in dem Text "Warten Auf Den Bumerang" ziemlich großartig nenne und "Feelings Aus Der Asche" damals 4/5 Punkte gegeben habe. In der Bewertung geht es mir alleine um "Vom Rand Der Zeit".

    • Vor 2 Monaten

      Danke für die Bezugnahme. Du musst das auch nur ändern oder löschen, wenns dich selber juckt. Warum bei mir der Eindruck entsteht, dass die Review bisschen biased ist: Der erste Satz "In einem Land vor unserer Zeit war Olli Schulz Musiker." ist schon ziemlich abwertend, vor allem, weil dir ja in dem Moment ein Album von ihm vorliegt, er also offensichtlich nicht aufgehört hat, Musiker zu sein. Dass du damit darauf anspielst, dass er früher vielleicht besser war, oder dir besser gefallen hat, - geschenkt aber es beweist ja, dass du sehr wohl das neue Album in den Kontext der alten Alben stellst (was ja völlig ok ist) - gerade bei einer Figur wie Olli ist es auch ein bisschen schwieriger, sich nur auf seine Musik zu konzentrieren. Aber auch bei der Aufzählung dessen, wofür man ihn sonst noch kennt, kam er mMn nicht besonders gut weg. Aber alles cool. Wie gesagt...versuch ihn mal live zu sehen wenn du kannst.

    • Vor 2 Monaten

      Der erste Satz bezieht sich eigentlich nur darauf, dass er seit sechs Jahren kein Album veröffentlicht hat und bei all den anderen Aktivitäten fast schon in Vergessenheit gerät, dass er mal eben als Musiker bekannt wurde. Wie gesagt ist das mit den Livekonzerten im Raum Konstanz so ein Ding.

    • Vor 2 Monaten

      Es ist also wie bei Finch. Obwohl der Namenszusatz weg ist, ist er eigentlich noch da.

    • Vor 2 Monaten

      Eure konstantinische Lage hält nicht nur Künstler vom Auftreten ab, sondern auch Redaktionspraktikantinnen vom Praktizieren...

      Ah, so kann man das natürlich auch sehen. Aber ich weiß auch, dass es schwer ist, beim Gedanken an Olli nicht auch gleichzeitig auch an Dinos zu denken.

  • Vor 2 Monaten

    1/5 so überflüssig wie die Ohrenschmerzen die man von ihm bekommt.

  • Vor 2 Monaten

    Die einen sagen so, die anderen so. Großartiges Album, grandiose Tour, stabiler Typ. Der Verriss oben ist unangebracht.