Im neuen Kinofilm verkörpert Naomi Ackie die R'n'B-Sängerin. Die liebte Klartext, Kontroverse und Konfrontation.

Kino (phk) - "I Wanna Dance With Somebody" ist ein Film über Mental Health, Mut, Courage, Empowerment, (hohe) Erwartungen, Mitleid, Work-Life-Balance, Burn-Out, Bisexualität, Auftrags-Songwriting, Drogensucht, biographische Sackgassen und amerikanischen Nationalstolz. Und es ist weit mehr als 'nur' eine Verfilmung des Lebens einer Sängerin. Die US-Produktion, die gestern in deutschen Kinos anlief, zeichnet die Biographie des R'n'B-Stars Whitney Houston nach und nimmt sich dafür 145 Minuten lang Zeit.

Dabei kommt Whitneys Twen-Jahren viel Spielzeit zu, also dem Anfang einer steilen Karriere und dem Hineinschlittern in eine fragile Ehe mit R'n'B-Kollege Bobby Brown. Damit legt der Streifen die Grundlage, um die Ursachen für die später auftretenden Probleme heraus zu arbeiten, denn man sieht sie beim Zuschauen von Anfang an mit aufkeimen. Die 1990er als zweiter Abschnitt werden stringent abgehandelt, die 2000er in groben Zügen, Whitneys Tod 2012 im Alter von 48 Jahren kurz in den Abspann eingeblendet.

Worum geht's?

Whitney stammt aus einer musikalischen Familie. Ihr Weg ins Business scheint unausweichlich. Ihre Mutter übt viel Druck aus. Auf einem Summercamp lernt Whitney eine für sie selbst jedoch wichtigere Bezugsperson kennen, Robyn Crawford. Die beiden ziehen zusammen, haben eine lesbische Beziehung, die irgendwie auch eine offene ist. Mit Whitneys Einstieg in die Musikindustrie und wachsendem Erfolg wird eine persönliche Assistentin erforderlich. Robyn beginnt also zugleich für die Sängerin zu arbeiten.

Doch auch Männer kreuzen den (privaten) Weg der Künstlerin, die in ihnen allerdings nicht sexuelle Anziehung, sondern die Chance auf ein "Zuhause" im bürgerlich akzeptierten Sinne und schließlich im sechs Jahre jüngeren Nachwuchs-Kollegen Bobby Brown einen anfangs bequemen Samenspender für ein sehnsüchtig gewünschtes Kind sieht. Das Musikgeschäft verlangt Whitney zunehmend mehr ab, als es ihr zurück gibt. Sie hat keine Zeit und - aufgrund verschiedener Probleme in ihrem engeren Umfeld - auch kein Geld. Hohe Erwartungen untergraben jegliche Freiheit und Flexibilität. 1990 setzt sie sich diese Erwartungen noch selbst und versucht sich mit einer Filmkarriere abzulenken.

Ende 1993 ist sie bereits Mama, und es zeigen sich eindeutige Burn-Out-Signale im Beruflichen, die allerdings nur sie selbst und ihr Plattenboss Clive Davis klar identifizieren. Das gesamte Umfeld und der Selbstläufer-Effekt ihrer Karriere sind stärker. Sie schafft es immer seltener, 'nein' zu neuen Herausforderungen zu sagen, bis irgendwann alles in einem Dauerstrom verschwimmt. Zigaretten und Kokain übernehmen nach und nach alle drei Orte, über die ihre Mama einst sagte: "Man singt an drei Stellen: im Kopf, im Herz und im Bauch!" Nebenhandlungen zeichnen das Verhältnis Whitneys zu ihrem Vater und die Probleme mit dem ebenfalls drogenabhängigen und promiskuitiven Ehemann Bobby nach.

Die Phasen von Scheidung, Entzugs- und Comeback-Versuchen werden zügig erzählt, bis gegen Ende die anfangs knapp gefassten Musikpassagen immer länger werden, die Handlung weniger und nur noch eine längere Schlüsselszene folgt - ein Zusammentreffen mit einem Fan, dessen Worte Whitney in ihrem Kopf Revue passieren lässt, die sie längst vergessen hatte. Da ist es allerdings bereits zu spät, die Zeit zurück zu drehen. Ihren Tod in einer Badewanne erspart uns die Verfilmung.

Worum geht's nicht?

Whitneys Tochter Bobbi Kristina Houston Brown bleibt im Film eine blasse Randfigur, entwickelte aber bereits als Kind Ambitionen, ebenfalls in die Showbranche zu gehen. Im Film sieht man sie ohne näheren Kommentar mal als Background-Sängerin. Man muss aber wissen, dass sie 2015 ebenfalls eines Kokain-Todes starb, und ebenfalls in einer Badewanne - drei Jahre nach der Mama.

Generell geht es nur in der niedrigsten Dosis um Yellow Press-Aspekte, gerade so viel, wie nötig ist, um dem Lebenslauf folgen zu können. Wie sehr der R'n'B- und Hollywood-Star massenmedialem Druck ausgesetzt war, wird in Andeutungen zwar erkennbar, viele Aspekte werden aber nicht gezeigt: Das Scheidungsdrama mit Bobby Brown beschränkt sich auf eine knappe Szene. Von der (im Raum stehenden) Gewalt in der Ehe erfährt man wenig, gleichwohl die Gegenstand einer Gerichtsverhandlung war. 

"I Wanna Dance With Somebody" ist kein Werbefilm, um Whitneys Plattenverkäufe anzukurbeln. Einschneidende Hits wie "Exhale (Shoop Shoop Song)" und viele weitere fehlen. Auch der zugehörige Soundtrack, der ein paar Tage vorab erschien findet sich nur teilweise im Film wieder. Dort tauchen derweil andere Songs anderer Interpreten auft, die Whitney im Laufe der Filmhandlung hört. Manchem Song, den sie letztlich aufnimmt, stehen anfangs sie selbst, ihr Produzent Clive oder beide kritisch gegenüber. Der Film glorifiziert die Diskographie an keiner Stelle.

Wer hat den Film gedreht, das Drehbuch geschrieben, und wer spielt mit?

Regisseurin Kasi Lemmons, 61, trat ungefähr zeitgleich wie Whitney ins Showgeschäft ein, und zwar als Schauspielerin für kurze Werbefilme (unter anderen für Fastfood und Klamotten). Seit einem Vierteljahrhundert dreht sie Filme. Im Berliner Tagesspiegel sagt sie, sie hätte gerne selbst zwei Filme mit Whitney gedreht, 1994: "Die Projekte kamen (...) nie zustande, wie das in Hollywood ja häufig der Fall ist. Das erste war eines über die Sweethearts of Swine, eine rein weibliche Jazz-Bigband." Kasi hat bereits für das Sklavenhandels-Geschichtsdrama "Harriet" Regie bei der Verfilmung einer 'true story' geführt (besetzt unter anderen mit Janelle Monaé). Einen Teil der Regie und Produktion des Biopics übernahm die relativ junge Filmschaffende Stella Meghie.

Der Autor des Drehbuchs ist der Neuseeländer Anthony McCarten, 61, wiederum aus Houstons Altersgruppe. McCarten hat bereits Drehbücher über Lebensläufe von Prominenten verfasst, und zwar über äußerst unterschiedliche Leute: die Band Queen, Papst Benedikt den XVI., Winston Churchill und den Physiker Stephen Hawking (als dieser noch lebte). Während McCarten diese Art des Storytelling vertraut ist, betraten die Regisseurinnen für sie eher neues Terrain. Während Kasi und Ko-Produzentin Stella 'afroamerikanisch' sind, ist Anthony McCarten 'weiß'. Im Film spiegelt sich ein kluger Umgang mit dem Thema Hautfarbe wieder, der dem Zuschauer das Mitdenken überlässt.

Vor der Kamera agieren Naomi Ackie (als Whitney), britische TV-Seriendarstellerin, die auch bei der Produktion ein Wörtchen mitreden durfte. Stanley Tucci agiert als Clive Davis, Ashton Sanders als Bobby Brown. In den weiteren Rollen finden sich vor allem sehr erprobte Serien-Nebendarsteller*innen aus dem Fernsehbereich, die sporadisch schon mal mit Regisseurin Kasi Lemmons zu tun hatten: John Houston als Whitneys Vater, Tamara Tunie als Whitneys Mama, Nafessa Williams als Robyn Crawford, aber auch No-Names wie Dave Heard als Whitneys musikalischer Berater.

Die 'Message'

Die schauspielerische und handwerkliche Leistung ist auf allen Ebenen enorm, und der Film ist spitze synchronisiert. Durch diese perfekten Basics gibt es keine Störelemente, und so kann man sich komplett in die Handlung fallen lassen. Die hat mich zweieinhalb Stunden lang in Bann gezogen. Der Film weckt viel Empathie mit Whitney Houston, zugleich aber auch mit Clive Davis von Arista und mit Whitneys Freundin Robyn. Sie alle wirken wie Gefangene in einem Strudel. Sie haben bei vielen Entscheidungen Bedenken. Es gibt immer Wieder 'Neins' und kurz darauf doch 'Jas'. Dieses Schwanken und die Unsicherheit über den richtigen Kurs zwischen öffentlichen und privaten Interessen, Gesundheit und Geld, mentaler und materieller Freiheit, homo-, hetero- und bisexuell, monogam und promiskuitiv, sich schützen oder ein Risiko eingehen, ist zutiefst nachempfindbar. Man erlebt, wie die Sängerin zwischen ihrer Weiterentwicklung als Schauspielerin und dem Machtspiel im Firmengeflecht ihres Vaters unter dem Unternehmensnamen 'Nippy' hin und her gerissen wird und ins Taumeln gerät.

Die Spielzeit wird gut genutzt, um das rassistische Konstrukt "Black Music" zu entlarven und Rassismus unter P.O.C. zu thematisieren, um die schwierige Balance zwischen (faktisch) alleinerziehender Mutter und den Anforderungen des Showgeschäfts heraus zu arbeiten und darzustellen, wie Whitney auf ihre Stimme reduziert wird. Zum anfangs thematisierten Versuch, selbst mal Songs zu schreiben, kommt es in der Sturzflut der Entwicklungen nie mehr, die Idee geht einfach unter. Ihre Stimme wird wie ein mechanisches Gerät gesehen, mit dem man Geld drucken kann. Naomi Ackie gelingt es aber vortrefflich, 'Nippy' (wie der Vater und dessen uneheliche Freundin den Weltstar nennen) als äußerst sympathisch abzubilden.

Viele Artists haben niemanden zum Reden, keine Instanz, zumal sie ihr Privatleben aufgegeben haben, die Personen dort selbst ins Showbiz verstrickt sind oder externe Freunde zu wenig von den Schwierigkeiten des Berufs verstehen und Sorgen nicht nachvollziehen können. Bei Whitney waren alle um sie herum selber Teil des Entertainment-Zirkus. Das legendäre Gespräch, in dem Lena Meyer-Landrut bei Markus Lanz erklärte, sie habe sich nach dem ersten ESC-Erfolg und während der zweiten Teilnahme wie eine Erdbeere gefühlt, die in einem Mixer zu einem Shake püriert werde, kommt einem in den Sinn. Wer Hilfeschreie als Marketing-Gags und Wichtigtuerei fehlinterpretiert, tut dies garantiert nie wieder nach einem Kinobesuch in "I Wanna Dance With Somebody".

Zu schockierend zeigt der Film, wie selbst die mutige und nie auf den Mund gefallene Whitney Houston als Liebhaberin von Klartext, Kontroverse und Konfrontation keinen Ausweg aus ihrer Einsamkeit findet. Es wird nur allzu verständlich, dass Chaka Khan lieber weiter leben wollte, statt im Getriebe zu 'funktionieren' und sich dafür von falschen Freunden und allerlei Substanzen abhängig zu machen. Es wird verständlich, was Whitneys ebenbürtigste Kollegin Anita Baker meinte, als sie das Handtuch warf, Tourneen als unverkraftbar abtat und sich lieber für ein Familienleben entschied.

Was auch gut rüber kommt, ist das Arbeitsprinzip der 1980er/90er im Pop und R'n'B: Songwriter schickten fertiges Material mit Demos ein, Produzenten und Label-Manager veranstalteten Abhör-Sessions mit Kassetten-Tapes, später CDs, um ihren Artists Vorschläge zu unterbreiten. Dass das heute bei Teyana Taylor, John Legend oder Halsey anders herum abzulaufen scheint und Unzählige an einem Stückwerk mit schnippseln, Credits-Listen aussehen wie Telefonbücher - da hat sich sicher einiges gewandelt. Insofern ist der Film auch eine Zeitreise. Denn Stars vermarkten sich heute, indem sie viral gehen, und das Tournee-Geschäft ist seit drei Jahren am Zerbröseln - damit haben sich die Koordinaten gegenüber Whitneys Geschichte während der langen Dreharbeiten gewaltig verändert.

I Wanna Dance With Somebody, USA 2022, Regie: Kasi Lemmons, 145 Minuten, ab 12 Jahren.

Fotos

Whitney Houston

Whitney Houston,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Whitney Houston,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Whitney Houston,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Whitney Houston,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Whitney Houston,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Whitney Houston,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig) Whitney Houston,  | © laut.de (Fotograf: Peter Wafzig)

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