Im Herbst kommt die "legale Alternative zur Piraterie". Doch ist Phonoline mehr als nur ein Feigenblatt?

Köln (joga) - Die weisen Worte von Wolfgang Clement sind offenbar ungehört verhallt. Auf seiner Eröffnungsrede zur Musikmesse Popkomm hatte der Bundeswirtschaftsminister die Branche vor der Kriminalisierung der eigenen Kundschaft gewarnt und eine brauchbare legale Alternative zum Filesharing gefordert. Doch die von den Labels mit großem Rummel vorgestellte Phonoline ist allem Anschein nach nicht mehr als ein Feigenblatt. Von einer funktionierenden legalen Download-Plattform ist Deutschland nämlich noch weit entfernt.

Zwar scheinen die großen fünf Labels sich geeinigt zu haben, mit vielen kleinen hat man jedoch noch gar nicht gesprochen. Noch während der Popkomm gaben Labelverantwortliche zu, dass der offizielle Launch-Termin im September völlig unrealistisch ist. Denkbar sei, dass man im Winter die Charts-Themen und eine etwas umfassendere Auswahl im Lauf des Jahres 2004 anbieten könne. Allerdings sollen einige Topseller wie Metallica, Linkin Park oder die Red Hot Chili Peppers bereits erklärt haben, dass sie ihr Repertoire nicht zur Verfügung stellen wollen.

Hinzu kommen technische Schwierigkeiten. So hat beispielsweise die mit der technischen Abwicklung beauftragte Telekom-Tochter T-Com Probleme bei der automatisierten Erfassung der Datenbestände. Ausgerechnet die Kopierschutzsysteme der Labels sind es, die den Bit-Transfer von CD auf Festplatte erschweren.

Nur eine einzige Funktion der Phonoline arbeitet schon jetzt fehlerfrei: die moralische Keule. Schon zu Beginn der Popkomm hatte Prof. Dr. Jürgen Becker, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der GEMA, "Musikdiebstahl" in die Nähe von "nazistische(r) Propaganda und Kinderpornographie" gerückt, um die Internet-Provider zur Mitarbeit zu bewegen.

In einem Interview mit dem Handelsblatt kündigte Balthasar Schramm, Geschäftsführer der Sony Music Deutschland, amerikanische Verhältnisse auch in Deutschland an. Man wolle den Druck auf "Anbieter und Konsumenten von illegaler Musik" erhöhen und "die Zügel massiv anziehen". Außerdem gab er den Zusammenhang zwischen Phonoline und Strafverfolgung offen zu: "Wir werden jetzt erheblich aggressiver gegen Musikpiraterie vorgehen. Das konnten wir nicht guten Gewissens machen, solange wir keine legale Alternative angeboten haben. Sie können die Leute nicht einfach kriminalisieren, ohne ihnen zu zeigen, wie es auch anders geht." Wenn es nur ginge ...

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