Zwischen Schaufelradbaggern, Technogöttern, Indie-Senkrechtstartern und allem dazwischen: Wir sind in Ferropolis! Live!

Gräfenhainichen (hns) - Bereits am Vorabend der offiziellen Eröffnung des Melt!-Festival wummerten die ersten Beats über die kunstvoll beleuchteten Schaufelradbagger des Ferropolis-Geländes. Der traditionelle Parkplatz-Rave des Audiolith-Labels darf seit 2010 ganz offiziell stattfinden – und ist deshalb auch nur einem zahlenden Publikum zugänglich.

Fotos zum Melt Festival

Hier heizten dann neben Mediengruppe Telekommander auch das Duo Infernale Frittenbude und Egotronic dem Publikum gehörig ein. Antifa-Flaggen und Sprechgesang auf Bomber-Beats gehören naturgemäß zur Ausstattung beider Bratz-Kombos. Die Marschrichtung für die kommenden drei Tage voller Musik ist klar vorgegeben.

Am Freitag wurde dann Moderator und DJ Markus Kavka die Ehre zu Teil, den offiziellen Teil des Festivals mit einem dreistündigen DJ-Set zu eröffnen. Eine trendige Mischung aus Soul und Dubstep lieferte Jamie Woon, einem ersten potenziellen Ausrufezeichen des Freitags. Der Mann, der sich aus dem Windschatten James Blakes in die Herzen bass-affiner junger Menschen gesungen hat, wäre jedoch bei einem intimen Studio-Gig besser aufgehoben als an der vorabendlichen Strandbühne.

Allzu farblos wirkte die Performance, vor allem im Hinblick auf das unglaubliche Soundfeuerwerk, das Gold Panda wenige Stunden darauf zündete. Mal filigrane, mal tobende Beats verwöhnten die Zuhörer um Mitternacht, die nach einer Stunde hypnotisiert zurückblieben. Wer danach noch Kraftreserven übrig hatte – und Paul Kalkbrenners wenig beeindruckendes Set überstand – durfte sich von Boys Noize den Sonnenaufgang mit böllernden Breakbeats versüßen lassen.

So war der Samstag

Dass der Samstagabend fest in der Hand von Liam Gallaghers Oasis-Nachfolger Beady Eye sein sollte, war offensichtlich nicht ganz so vielen Besuchern bewusst wie zunächst angenommen. Die Fläche zwischen Soundturm und Bühnenrand wies deutliche Löcher auf. Der Auftritt entsprach dann immerhin den Erwartungen, was vor allem anderen eins bedeutete: episch. Im dunkelgrünen Parka bestritt Liam mit der typischen Mischung aus hoher Nase und Anteilslosigkeit die einstündige Show.

Direkt im Anschluss bevölkerte Mike Skinner a.k.a. The Streets die Hauptbühne. Leider bewies der Engländer, dass die schleichende Entwicklung hin zur Seichtigkeit bei ihm noch kein Ende gefunden hat. Daran können weder seine charismatische Bühnenpräsenz noch die mehrköpfige Band etwas tun.

Ein eigenartiges Duell lieferten sich dann die Editors und Metronomy. Während aus den enormen Boxen der Mainstage der moderne Post-Punk aus Birmingham dröhnte, spielten die Synthie-Popper Metronomy auf der deutlich kleineren Gemini-Zeltbühne sonnige Klänge von der englischen Riviera. Leider behielt der opulente Soundteppich aus der benachbarten Bühne allzu oft die Oberhand.

Die restliche Nacht zeichnete sich vor allem durch Chiptunes und Noise aus. Neben Digitalism und Atari Teenage Riot prägte der Auftritt der Crystal Castles diesen Teil des Abends. Ihre Lichtshow verzichtete zugunsten einer Stroboskop-Orgie auf andere Visuals. Zwar beendete das Duo seine Show zwar eine Viertelstunde zu früh – vor allem hatten sie mittendrin bereits einmal die Bühne verlassen – konnten sich aber mit viel Lärm und Tanzpotenzial mehr als rehabilitieren.

Das war der Sonntag

Aufgrund frühmorgendlicher Tanzaktivitäten zu einem fast dreistündigen Modeselektor-DJ Set, musste die Sendung mit der Maus wohl bei den meisten Festivalgängern ausfallen. Macht nix, auch der Tag des Herrn fängt auf dem Melt! erst am Vorabend an.

Sanft geleitete José González in den Abend, indem er seine Gitarre bediente wie es nur wenige können: technisch versiert und mit Sinn für richtige Akzentuierung. Die Zuhörer schien das scheinbar nicht zu interessieren, waren doch viele vor dem ersten Regen des Festivals in die Gemini-Zeltbühne geflüchtet. Da waren Gesprächspartner und iPhones eben wichtiger, doch wenigstens wurden letztere stark frequentiert, um den Daheimgebliebenen zu zeigen wie Gonzalez "das Lied aus der einen Werbung" (="Heartbeats") performte.

Die Cold War Kids konnten später an der Hauptbühne nicht über den Niederschlag hinwegsingen und auch für Frittenbude, die den krankheitsbedingt fehlenden Plan B vertraten, sollte es nicht Acid, sondern hauptsächlich konventionellen Niederschlag regnen. Freuen konnten sich darüber wohl hauptsächlich die Acts in den zwei Zeltbühnen, allen voran Architecture In Helsinki.

Die Australier lieferten einen knallbunten Auftritt, der ihren Glam-Pop von der besten Seite zeigte. Instrumentelle Vielfältigkeit, eigenartige Charaktere und ein unerwartetes Cover des 90er-Klassikers "I've Been Thinking About You" von London Beat komplettierten den Gig, der – angesichts der Stimmung im Zelt – auch profane Regenflüchtlinge verzaubert haben dürfte.

Und plötzlich: Pulp. Auf dem Höhepunkt des Regens stürmt Jarvis Cocker auf die Mainstage, die von einem gelb-orangen Meer an Regenponchos bereits begierig gesäumt wird. Auch wenn die Menge Evergreens wie "Disco 2000" am frenetischsten feiert – so sind eben die Festivalregeln – darf sich inszenatorisch kein Song benachteiligt fühlen. Beeindruckende Visuals begleiten den Wirbelwind Cocker bei seinem Spiel mit dem Publikum.

Visueller Höhepunkt ist etwa die Nachtsicht-Schlauchkamera, mit der er die erste Reihe Zuschauer live auf die Schirme im Bühnenhinteren überträgt. Es reicht aber auch, sich einfach der Krawatte zu entledigen; Begeisterung erntet Herr Cocker so oder so. Außerdem ist man sowieso der Held des Festivals, wenn wie den Regen wegsingen kann. Nach 33 Jahren Bandgeschichte kann man sogar das Wetter orchestrieren.

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