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Rap und Geschlecht

Wisst ihr, woran mich das erinnert? An dieses Buch, das ich letzten Monat gelesen habe:

Kollegin Fromm redet ja immer ein bisschen abfällig über das, was sie Soziologen-Gewäsch nennt. Aber eigentlich ist es ganz cool, wenn man es den echten Soziologen überlasst. Oder, wie in diesem Fall, den Psychoanalytikern: Dieser Essayband über "Rap und Geschlecht" beinhaltet nämlich einen Essay-Banger von der Herausgeberin Heidi Süß persönlich. In "Deutschrap zwischen Mutterfixierung und Vaterlosigkeit" gibt sie dem Deutschrap-Game das richtig knallharte Freud-Sofa in den Nacken. Ich zitiere:

"Aus der geschlechtertheoretisch interessierten Rap-Literatur wissen wir, dass sich die Weiblichkeitsvorstellungen männlicher Rapper weitestgehend zwischen dem jahrhundertealten Dualismus von Heiliger und Hure und damit zwischen der Idealisierung und der Abwertung der Frau bewegen." (S. 291)

Daraufhin untersucht sie die Marginalisierungs-Erfahrung vieler Mütter, besonders solcher, die postmigrantische, migrantische oder flüchtende Lebenserfahrungen machten. Oder, um es einfacher zu sagen: Die Rapper wissen, dass ihre Mütter oft ein echt stressiges Leben haben und dass sie mit ihren eigenen Shenanigans nicht gerade zur Besserung dieses Zustandes beigetragen haben. Die Mütter werden so zum einseitigen Ideal links auf dem "Heilige-Hure"-Spektrum und dienen damit gleichzeitig als Erhebung ihrer eigenen Familie, aber gleichzeitig werden sie auch zu einem eindimensionalen Charakter, der im Grunde nur aus Care-Arbeit und dem Aufräumen hinter einem trotteligen Sohn besteht.

Viele Mütter finden die Rapper ja so cool, weil sie (übrigens parallel zum idealen Frauen des Ride-or-Die Engel-unter-Huren-Prototyps) nur Vergebung, Anpassung und - man will es nicht so klar sagen, aber - Unterwerfung für den Sohn/Mann und all seinen Bullshit übrig haben. Das ist ja auch der Tenor vieler dieser Mama-Songs: Guck' mal, ich war ein Leben lang scheiße zu dir, aber weil du mir den Rücken freigehalten und mich nicht in Frage gestellt hast, war es das jetzt alles wert, weil du an meinem materiellen Exzess teilhaben darfst. Geil, oder? Hier, ein Haus von Versace! Aber das sind nur meine Worte. Süß konkludiert folgendermaßen:

"In diesem Licht erscheint die Mutterverehrung und der rap-männliche Wunsch, Mama eines Tages mit Geld und selbstgabuten Schlössern überhäufen zu wollen, nur konsequent." (S. 297)

Danach geht sie über in eine Analyse des Gegenstücks - den selbst in Rap-Texten und Rap-Autobiographien vor allem mit Abwesenheit glänzenden Rapper-Vätern. Aber dafür müsst ihr das Buch schon selbst lesen. Ich habe jetzt genug gespoilert.

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2 Kommentare

  • Vor 2 Jahren

    "Psychoanalytiker" und ähnliche Glaubensgemeinschaften (um "Bourdieu", "postmarxistische Diskurstheorie" u.Ä.) sorgen dafür, dass die europäische Sozialwissenschaft mehr und mehr abgehängt wird.
    Allein der Grundansatz, eine hundert Jahre alte Lehre unhinterfragt zu übernehmen ist genau das Gegenteil dessen, was Freud selber im Sinn hatte. Er war ein sensationeller Denker, aber seine Theorien sind inhaltlich unglaublich falsch. Die Fähigkeit, diese beiden Aspekte gleichzeitig zu akzeptieren ist anscheinend von "echten Soziologen" zuviel verlangt. Das Bedürfnis, "einer Wahrheit" zu folgen und dann irgendwas damit "voll kritisch" zu beleuchten scheint zu groß zu sein.