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Chief Keef: Retrospektive Pt.2

Chief Back From The Dead 2 - Moral (2014)

Eine Kernkompetenz von Sosas Musik war es schon immer, sich konsequent Erwartungshaltungen zu verwehren. Egal, wie viel Ruhm ihm der Erfolg von "Finally Rich" einbrachte, Keef schien nie besonders bemüht darum, aus diesem Hype Kapital zu schlagen, geschweige denn, vollends im Mainstream anzukommen. Im Gegenteil: Auf der Fortsetzung des Mixtapes, das ihn überhaupt erst berühmt machte, klingt er noch wilder als jemals zuvor, schlägt Haken, die für einen Künstler dieses Kalibers und Genres musikalischen Suizid bedeuten müssten.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass es das erste Projekt war, das er fast komplett in Eigenregie produzierte. Die Instrumentals klingen spärlich, schlecht abgemischt, bestehen oftmals nur aus einer befremdlichen Synth-Melodie und ein paar Drums und sind durchzogen von absurden Samples. Hin und wieder klingt das amateurhaft und befremdlich, in den besten Momenten allerdings erschafft Keef etwas Magisches, das in seinem Chaos bis an die Grenzen dessen geht, wozu das Genre Hip Hop imstande ist.

Auf die meisten Songs in der zweiten Hälfte des Tapes trifft diese Beschreibung zu, jedoch wohl auf keinen mehr, als auf "Moral". Eine Anomalie von einem Hip Hop-Song, der tönt wie der Soundtrack eines Atari Dungeon Crawlers, der in den finstersten Ecken von Chicagos O Block spielt. Keef nuschelt leantrunkenen, repetitiven Nonsens, was nicht weiter ins Gewicht fällt, weil er sich mit andauernder Laufzeit mehr und mehr als eine Art vokales Instrument in den Beat einfügt und zunehmend Hörer*innen in Trance versetzt. Ob das so geplant war, ist fraglich, letzten Endes aber auch irrelevant, denn es funktioniert.

Nobody - Nobody feat. Kanye West (2014)

Seit den Anfängen unter der Oberfläche von Keefs Musik schlummern die Traumata, die er als Teenager in einem von Ganggewalt geprägten Umfeld erfuhr. Die Dinge, über die er mit gerade einmal 15 Jahren rappte, gehörten auf die ein oder andere Art und Weise tatsächlich zu seinem Alltag, was ihn in der Folge emotional völlig abstumpfte und taub machte. Egal, wie lebhaft und aggressiv die Musik war, die ihn zum Star machte, im Subtext schwang seit jeher eine Ohnmacht mit, die er mit seinem zweiten Studio-Album "Nobody" auf schmerzhafte Art und Weise ans Tageslicht beförderte.

Nicht weil er sie zum Thema macht, weil man sie ihm anhört. Da rappt ein Mann, nein, ein Kind, das seine seelischen Wunden in Drogen ertränkt, das sich selbst keine Emotionen zugesteht. Seine Texte sind genauso gewaltverherrlichend und misogyn wie eh und je, seine Stimme klingt jedoch weit weg, als sei seine Seele so verschmutzt, dass er sich selbst von ihr zu distanzieren versucht.

Produzent 12 Million und Kanye West, der hier die Rolle des Co-Produzenten übernahm, schienen das begriffen zu haben. Ihre Instrumentals sind leer, gespenstisch und versuchen auszusprechen, was sich Keef selbst nicht zu bennenen erlaubt: Trauer. Nirgends gelingt ihnen das besser als auf dem Titeltrack.

Auf "Nobody" leiht Kanye den weinenden Background-Vocals seine Stimme, Keef selbst klingt außer Atem, stolpert über seine eigenen Worte, als versuche er ebenfalls zu weinen, sein Körper verwehre es ihm aber. Im Hintergrund fragt eine Stimme wieder und wieder "You really don't understand, do you?" und macht unmissverständlich klar, dass ein Großteil der Konsumenten von Chief Keefs Musik nicht die geringste Ahnung von ihren Hintergründen und tiefergehenden Implikationen haben. Egal, wie weit es Cozart geschafft hat, seine Herkunft, seine Jugend wird er niemals hinter sich lassen können.

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