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Chief Keef: Retrospektive

Abschließend möchte ich noch gerne das Versprechen einhalten, das ich vergangenes Jahr im Doubletime-Rückblick gegeben habe: einen kleinen Deep Dive in die chaotische Diskographie des vielleicht unberechenbarsten Rappers der Neuzeit. Mein vergangener Dezember bestand nämlich größtenteils aus genau drei Dingen: Chief Keef, Glühwein und Essen. In absteigender Reihenfolge, was die Intensität angeht.

Angespornt von "4NEM", dem jüngsten, absolut großartigen Release des Rappers aus Chicago, hab' ich mich endlich dem Mammutprojekt gestellt, das seine über 40 Projekte umfassende Diskographie darstellt. Dabei bin ich über vergessene Klassiker sowie den einen oder anderen Rohdiamanten gestolpert und wurde einmal mehr in meiner Annahme bestätigt, dass die Musiklandschaft im Jahr 2022 ohne diesen Mann nicht dieselbe wäre.

Egal, auf welches Jahr man zurückblickt: Keefs Musik war dem Zeitgeist immer mindestens zwölf Monate voraus. Sein Oeuvre ist zu gleichen Teilen wegweisend, wie es unorthodox und unberechenbar ist, und hat es deswegen auch mehr als verdient, im akribischen Detail unter die Lupe genommen zu werden. Da das allerdings heute komplett den Rahmen sprengen würde, will ich euch lediglich einige weniger bekannte Highlights in chronologischer Reihenfolge präsentieren, die mir beim Durchstöbern von Keefs Alben und Mixtapes ins Ohr gesprungen sind.

Bang - In This Bitch (2011)

Hier fing alles an. Bevor er mit dem einem Urknall gleichkommenden Jahrhundertsong "I Don't Like" die Szene einem musikalischen Reset unterzog, hatte ein 15-jähriger Chief Keef der Welt etwas zu beweisen. Sein Debüt-Tape "Bang" ist noch roher, noch kratzbürstiger und teils sogar noch energetischer als das ein Jahr später erschienene "Back From The Dead", das ihm den Durchbruch bescherte. Hunderte Schuss-Soundeffekte und halb so viele DJ- und Producer-Tags beanspruchen einen Großteil der Laufzeit für sich, den Rest füllt Keef mit Adlibs und sich widerholenden Phrasen über Gewalt und Sex.

Das Mixtape ist ebenso ein Produkt seiner Zeit, wie es ihr voraus war. Sieht man über die Soundästhetik der DatPiff-Ära hinweg, die nahezu jedem Song auf "Bang" innewohnt, klingt hier nichts danach, als habe es über zehn Jahre auf dem Buckel. "In This Bitch" könnte genau so heute auf den Markt kommen, niemand würde auch nur mit der Wimper zucken. Es ist beachtlich, dass Keef selbst mit den Deep Cuts seiner Diskographie die Zeitlosigkeit bestätigt, die man in allererster Linie mit seinen größten Hits verbindet. Der Mann hat Drill nicht nur erfunden, er spielt in diesem Genre selbst zehn Jahre später in einer eigenen Liga.

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1 Kommentar

  • Vor 2 Jahren

    Na ja, Bang war relativ schlecht abgemixt. Es hatte dadurch seinen Charme, aber würde man es heutzutage so rausbringen, also jetzt, wo FL-Studio-Tutorials und Plug-Ins in Hülle und Fülle existieren, würde sich das niemand anhören.