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Pt. 3

Happy (feat. Future)

Wenn Kanye die Trap-Route einschlägt, dann sollte dieser Song doch bitte als Blaupause herhalten. Nicht nur Future, der ihm hier mit einem starken Verse fast den Rang abläuft, lässt sich von einem so großartigen Beat wie diesem in den Arsch treten, auch Kanye dreht mit seinem Part endlich wieder ein bisschen frei.

Wenn er stellenweise über seine eigenen Worte stolpert und seinen verworrenen Gemütszustand mit den Worten "Do I look happy to you?" zusammenfasst, rückt der emotionale Überbau der LP, den man in so vielen Tracks vergeblich sucht, wieder in greifbare Nähe. Es klingt wie ein verzweifelter und peinlich durchschaubarer Rant, in dem er die Löcher in seinem Herzen mit Materiellem und Streicheleinheiten für sein Ego zu stopfen versucht. Dass dieses Unterfangen keine Früchte trägt, daraus macht der Song keinen Hehl.

SCI-FI (feat. Sean Leon)

Es gibt vieles, das man hieran hassen kann. Das eröffnende Sample von Kim Kardashians SNL-Monolog, in dem sie Kanye als als den bester Rapper aller Zeiten bezeichnet, wirkt wie genau die Art von provokativer Egomanie, die er zuvor noch als unnütz entblößte, und die Line "When you lay down and I gave you the semen / I swear I heard God, the voice of Morgan Freeman" ist so unglaublich scheiße, dass man sie nicht einmal ironisch gut finden kann.

Inmitten dieser Fehltritte entfaltet sich "SCI-FI" aber als seriöser und unerwartet berührender Abschiedsbrief an seine vergangene Beziehung. Der mir bis dato nicht bekannte Feature-Rapper Sean Leon überrascht, ähnlich wie Vory auf "Donda", mit einer großartigen Performance, und Kanyes zunehmend von Reue und Trauer durchzogenes Genuschel fühlt sich einen Augenblick lang wie genau der Moment der nüchternen Reflektion an, in dem er erkennt, dass nichts und niemand seine Beziehung mehr retten kann, den er so konsequent versuchte, vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Musikalisch ist das über vier volle Minuten noch etwas dürftig, aber zumindest konzeptuell sticht "SCI-FI" als bislang vielleicht wichtigster Song aus der Tracklist heraus.

Selfish (feat. XXXTentacion)

... und wir sind zurück bei den Songs, die in diesem Zustand höchstens als Interludes taugen. Wie auch schon bei "True Love", erfüllen die aus dem Archiv geholten Vocals von X ihren Zweck als Stimmungsmacher, nur fängt Kanye eben wenig damit an. Sein Verse ist technisch schwach und inhaltlich viel zu vage, um einem überhaupt irgendeine Emotion zu entlocken.

Das fast schon cartoonhaft geschriene "Lewinsky!" setzt dem Ganzen dann die Krone auf und verzerrt den traurigen Ton beinahe ins Lächerliche. Unterm Strich ist "Selfish" nicht furchtbar, nur eben absolut nichts besonderes. Wäre er auf einem posthumen X-Album gelandet, hätte er wohl zum besseren Material gehört, in Kanyes Diskographie ist er nicht einmal eine Fußnote wert.

Lift Me Up (feat. Vory)

Nach drei Interludes, die versuchen, sich als vollwertige Songs zu verkaufen, erreichen wir mit "Lift Me Up" endlich den Punkt, an dem sich Kanye gar nicht mehr bemüht, uns etwas vorzugaukeln. Er lässt Vory einfach zwei Minuten lang eine schöne, waschechte Interlude singen. Das klingt erwartbar gut, schon auf dem ersten "Donda"-Album war der Sänger der insgeheime Star, nur wird man auch genau deshalb einfach das Gefühl nicht los, lediglich ein Überbleibsel der damaligen Recording-Sessions zu hören.

First Time In A Long Time (feat. Soulja Boy)

Meine erste Reaktion, nach dem letztjährigen 'Beef' tatsächlich noch einen Soulja Boy-Verse auf einem Kanye-Song zu hören, war erst einmal ungläubige Begeisterung. Die flachte jedoch relativ schnell wieder ab, als mir bewusst wurde, dass das kein Witz ist. Soulja hat für die Türen, die er mit seinem viralen Marketing öffnete, zwar definitiv seine Lorbeeren verdient, aber trotzdem hat er kein Recht der Welt, auf einem Kanye West-Album aufzutauchen. Es wird auch nicht besser, wenn man nach mehrmaligem Hören realisiert, dass Soulja auf dabei sogar besser abschneidet als Kanye. Das der Song in der Folge, nett gesagt, eher Filler-Material liefert, dürfte niemanden überraschen.

Fazit

Neben einigen spannenden musikalischen Ideen, vereinzelten Volltreffern und wenigen Einblicken in das Gefühlsleben eines völlig verwirrten und gebrochenen Mannes hält "Donda 2" in seinem aktuellen Zustand wenig bereit, das es zu hören lohnt. Mit ein wenig Optimismus findet sich inmitten der Demos und Skizzen durchaus das Potenzial für ein akzeptables bis gutes Album, nur war "gut" in der Vergangenheit fast schon eine Beleidigung für die besten Alben in Kanyes Diskographie. Ein weiterer Meilenstein wie "The Life Of Pablo" oder "Donda", das machen diese dreizehn Songs sehr deutlich, steht uns definitiv nicht bevor.

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