laut.de-Kritik

Der Veteran öffnet sich für neue Einflüsse.

Review von

Vermutlich weiß Nas selbst am besten, dass er manchmal Gefahr läuft, sich etwas zu sehr in seinem Status als lebende Legende und vielleicht bester Rapper aller Zeiten zurückzulehnen. Darum erhebt er es auf seinem mittlerweile dreizehnten Album zur großen Sünde, zur titelgebenden "King's Disease", im Erfolg faul und selbstgefällig zu werden. Und dieser Sünde will er sich auf keinen Fall schuldig machen.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich, wie bemerkenswert offen sich der fast 47-jährige Rap-Veteran auf dem Album für neue Einflüsse zeigt und wie sehr er die Nähe von Kolleg*innen sucht, die ihn außerhalb der eigenen Komfortzone pushen. Dass Nas sich nicht darauf beschränkt, alte Stärken aufblitzen zu lassen, sondern eine derart gemischte Truppe an Künstler*innen aller Stile und Altersklassen zusammenstellt, darf man getrost als sein größtes Verdienst auf diesem Album bezeichnen.

In erster Linie ist natürlich Hit-Boy zu nennen, der als Produzent für alle dreizehn Titel des Albums verantwortlich zeichnet, und der sich für Nas als echter Glücksgriff erweist. "King's Disease" kommt in sich absolut stimmig daher und ist beeindruckend abwechslungsreich und vielschichtig produziert. Auf instrumentaler Ebene finden sich zahlreiche spannende Elemente, etwa die dezent eingewobenen Querflöten auf "Til The War Is Won" oder die eleganten Beatwechsel auf "Blue Benz" oder "The Cure".

"King's Disease" ist dankenswerterweise auch bedeutend entspannter als die etwas zum Bombast neigenden vorhergehenden Werke "Nasir" und "Life is Good"; Alben also, die irgendwie als ganz solide in Erinnerung geblieben sind, zu denen man tatsächlich aber doch sehr selten zurückkehrt. Den fokussierten Eindruck, den das neue Album hinterlässt, verstärkt auch die deutlich kürzere Spieldauer der einzelnen Songs, die dieses Mal alle deutlich unter der Vier-Minuten-Grenze liegen, und die oft sogar unter drei oder sogar zwei Minuten bleiben.

Für viel Aufregung (wahlweise auch viel Skepsis) hatte die Tracklist des Albums schon im Vorfeld gesorgt - und sie enttäuscht nicht. Nas' alte Crew The Firm kommt auf dem gut nach vorne schiebenden "Full Circle" erstmals seit 1999 wieder in Originalbesetzung zusammen - und klingt dabei eigentlich fast besser als zu ihrer großen Zeit. Aber auch mit neueren Künstlern wie Don Toliver oder Lil Durk, der dieses Jahr nach Zusammenarbeiten mit Future und Drake wirklich Unterstützung von allen Granden der Szene zu bekommen scheint, funktionieren absolut stimmig und geben dem Album eine interessante Zusatzkomponente. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass Nas mit Dr. Dre sogar eine weitere Legende aus dem Hut zaubert, die auf der ursprünglichen Tracklist gar nicht erwähnt wurde.

Und Nas selbst? Der bleibt ein bisschen ambivalent. Noch immer sind die Flows und Pattern, mit denen er vor fast dreißig die Szene so grundlegend auf den Kopf stellte und neue Standards setzte, raptechnisch erste Liga. In einem derart schnelllebigen Genre wie Hip-Hop ist das durchaus eine beeindruckende Leistung. Bezeichnenderweise ist das bei weitem feature-lastigste Album seiner Karriere allerdings genau im ersten Drittel am schwächsten, wo Nas alleine im Rampenlicht steht.

Die Single "Ultra Black" etwa ist absolut solide, man hat auch das Gefühl, dass Nas intelligent und eloquent wichtige gesellschaftliche Themen anschneidet. Nur wirklich begeistern tut er dabei nicht. Seine Gedanken zur gesellschaftlichen Lage, in denen er sich sehr von der aktuellen Black-Lives-Matter-Bewegung beeinflusst zeigt, werden, wie der Künstler selbst, bedeutend besser in Szene gesetzt, wenn sich ab Mitte des Albums eine größere Verbindlichkeit entwickelt.

Auf dem sommerlich-poppigen "All Bad" mit treibender Percussion und schönem Anderson .Paak-Part entfaltet Nas ebenso eine erfreuliche Präsenz wie auf dem hochpolitischen "The Definition", in dem er treffende Skizzen zur aktuellen Lage vorstellt: "Antarctica is 65 degrees / Global warming, they don't wanna believe / And they're hanging people on trees".

Ähnlich offensiv wie für die Rechte von Schwarzen in den USA, tritt Nas auf seinem dreizehnten Album als Fürsprecher und Unterstützer von Frauen in der Gesellschaft auf. Seine Aufrufe zu Solidarität mit und sein Engagement für besonders schwarze Frauen, wie sie sich nicht nur im zentralen Song "Til The War Is Won" finden, scheinen Nas ein wirkliches Anliegen zu sein und sind im Prinzip natürlich begrüßenswert. Trotzdem stellt sich die Sache ein wenig kompliziert dar.

Wenn wir Nas' eigenen Hintergrund beleuchten, stehen wir recht bald vor einem Dilemma. Angesichts der hässlichen Vorwürfe, die seine Ex-Frau Kelis gegen ihn erhebt, wirkt sein Versuch, sich mit einem Adlib von den Vorwürfen häuslicher Gewalt frei zu sprechen, ein bisschen billig. "Single mothers, my heart’s bleeding for you / These coward men, that were beating on you (never me)".

Auch weil der Rapper die eigene ambivalente Rolle überhaupt nicht thematisiert, bleibt in seinen Aussagen ein etwas bitterer Beigeschmack. Es bleibt jedem frei überlassen, wie er Nas plötzliches Eintreten für alle "great queens" bewertet, ich kann mich nicht ganz von dem Verdacht frei machen, dass dahinter durchaus ein Eigeninteresse steht. Dass Nas mit solchen Aussagen gemocht werden will und gleichzeitig versucht, sich von den Vorwürfen gegen ihn freizumachen.

Eindeutiger ist der Kritikpunkt an einem weiteren vorherrschenden Element des Albums. Denn die von Nas zur zentralen Metapher des Albums erhobene Thematik der "King's Disease" ist eine, die nicht so richtig zünden will. Das mag daran liegen, dass das Durchexerzieren dessen, was es bedeutet heutzutage ein König zu sein, für jeden, der nicht Nas ist, einfach nicht so spannend ist. Es kann aber auch der Tatsache geschuldet sein, dass eine andere Krankheit derzeit sehr viel präsenter und dringlicher im öffentlichen Bewusstsein ist.

Letztlich wird Nas sich immer an Nas selbst messen müssen. Es stellt sich daher mit jedem neuen Album die Frage, wie dieses in ein paar Jahren bewertet wird und wie es sich in den gesamten Katalog einfügt. Was wird von "King's Disease" bleiben – neben einem weiteren absolut scheußlichen Albumcover?

"King's Disease" wird vermutlich vor allem für seine überraschend mutige Konzeption und sein starkes musikalisches Fundament in Erinnerung bleiben. Nas selbst präsentiert sich darauf durchgehend sehr solide, ohne dabei zu begeistern. Er wirkt in der Wahl seiner thematischen Schwerpunkte allerdings weniger treffsicher als in der seiner Gäste.

Trackliste

  1. 1. King's Disease
  2. 2. Blue Benz
  3. 3. Car #85 (feat. Charlie Wilson)
  4. 4. Ultra Black
  5. 5. 27 Summers
  6. 6. Replace Me (feat. Big Sean & Don Toliver)
  7. 7. Til The War Is Won (feat. Lil Durk)
  8. 8. All Bad (feat. Anderson .Paak)
  9. 9. The Definition (feat. Brucie B)
  10. 10. Full Circle (feat. AZ, Cormega, The Firm & Foxy Brown)
  11. 11. 10 Points
  12. 12. The Cure
  13. 13. Spicy (feat. A$AP Ferg & Fivio Foreign)

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13 Kommentare mit 26 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Ich warte lieber erstmal Feedback hier ab. Die letzten 20 Jahre hatte Nas nur 2 gute Beats pro Album, the so called Eminem-Syndrom...

    • Vor 3 Jahren

      Du bist auch so ein kleiner Dummschwätzer.

    • Vor 3 Jahren

      sehr gehaltreich, danke sehr, aber vllt auch ein unfreiwilliger Ritterschlag. Dann erkläre mir doch bitte, wo man Alben von Nas oder Em seit 2000 durchhören konnte, thematisch oder soundästhetisch?

    • Vor 3 Jahren

      Stillmatic und God's Son kannst du also nicht durchhören? Wenn du keine Ahnung hast, einfach mal die Fresse halten.

    • Vor 3 Jahren

      Nein, kann ich nicht. Vllt sollten Stans mal aus der Adoleszenz aufwachen und weniger stutenbissig reagieren, dann kann man sie auch diskursiv eher für voll nehmen ;) Auch dialektisch betrachtet ist Nas mir oft zu plump scheuklappig, um jede Zeile gottgleich zu verehren. Paar coole Tracks, viel Skippmaterial, mehr nicht.

    • Vor 3 Jahren

      Gilt aber vor allem für alles nach den von dir genannten Alben. Dann sind es 18 statt 20 Jahre, uuh, mea culpa, klarer Grund mich so anzukacken... :D

    • Vor 3 Jahren

      Sehr geehrte Frau 777,

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      Das Management von SirPsycho777

    • Vor 3 Jahren

      Ich kack dich an, weil du so verbissen versuchst dich hier überall anzubiedern und Teil der Community zu werden. Das ist ziemlich erbärmlich.
      Daher umgehend löschung einleiten.

    • Vor 3 Jahren

      Mh aha. Man darf sich also nicht neu anmelden und dann die Beiträge kommentieren, die einen interessieren und auch mal reaktiv sein? Was genau befähigt dich als Community Polizei?

    • Vor 3 Jahren

      Und wo stellst du eine Anbiederung fest? Hab ich irgendwen elogiert?

    • Vor 3 Jahren

      HipHop Is Dead hab ich damals noch ziemlich oft gehört, aber okay, das is jetzt auch schon 14 Jahre her...

    • Vor 3 Jahren

      Ich vermute ja, wir haben hier ein "energetisches" Problem seit einigen Tagen vorliegen.
      MannIN ist offensichtlich im Urlaub (oder an Corona erkrankt) und somit versuchen andere, die vorher sich stets hinter ihm zu verstecken wussten, die Lücke zu füllen. Vermutlich passiert dies ganz automatisch - sie können gar nichts dafür und werden hinein gesogen.

      [Die Möglichkeit, dass MannIN ebenfalls hinter diesen Vertreter-Projekten steht, inklusive Gleep Glorp, habe ich jetzt mal ausgeklammert]

      Schöne Grüße aus Hessen und stets bereit zur Entwicklung neuer Theorien, euer,

      Verschwöri

    • Vor 3 Jahren

      Ich für meinen Teil hab einfach temporär mehr Zeit, ebenso wie die 15 Jahre davor werde ich auch in ein paar Monaten dieses Forum nicht mehr nutzen. Wie überall gibt es Trolle, Gehaltvolles, Moderate, infantile Streitsüchtige und Forensheriffs. Querschnitt der Gesellschaft halt. Und über die Jahre entstandene inklusive Seilschaften. Kann man finden, wie man will. Aber soll ich mir jetzt diktieren lassen, wie intensiv ich mich momentan hier einbringe? Lächerlich... Es ist nur ne Internetseite, Leute...

    • Vor 3 Jahren

      Ich für meinen Teil hab seit Corona temporär mehr Tempo in der Hosentasche.

    • Vor 3 Jahren

      einfach nicht triggern lassen. Wenn die Zeit da ist, das Album mal anspielen und mit jedem Song entscheiden ob du dem Werk noch 3min mehr widmen willst.

    • Vor 3 Jahren

      @Verschwöri: also derzeit nicht temporar? hatte schon Sorge, dass wieder mehr gebunkert wird.

    • Vor 3 Jahren

      Fand die Beats auf "Nasir" eigentlich ganz gut :D

  • Vor 3 Jahren

    Nicht das Überalbum, was ich 100x auf Repeat höre aber durchaus gelungen. Hatte bisher wenig Nas-Berührungspunkte, dementsprechend fällt hier der Vergleich zur Vergangenheit weg. Die Produktion ist sehr gelungen, wenige Ausfälle. Man hört die Konsistenz heraus, die sich aus der Arbeit eines einzigen Produzenten ergibt. Das Album funktioniert alles stimmiges Ganze. Nicht jedes Feature hätte sein müssen, ist bei der Masse der Mitstreiter aber verzeihbar. Die Kritik am Cover verstehe ich gar nicht. Passt zum Thema des Albums und ist auch stilistisch ansprechend. 4/5

  • Vor 3 Jahren

    Moritz sieht Mike Singer und Nas also auf Augenhöhe? :D