laut.de-Kritik

Die Psych-Prog-Rocker sind auch eine exzellente Folk-Band.

Review von

Ein Album "Yay!" zu nennen, den Opener aber "Cold & Bored", das muss man auch erst mal machen. Der Aufschrei ist das - je nach Zählart - ungefähr 26. Album der Norweger, die nun seit "The Crucible" von 2019 jährlich veröffentlichen. "Yay!" ist diesbezüglich aber eine kleine Mogelpackung, da es bereits im Herbst 2021 aufgenommen wurde: Die Platte ist also das Corona-Werk der motorisierten Psychopathen.

Ganz Pandemie-untypisch schickten sich die Bandmitglieder aber keine Soundfiles hin und her, sondern gingen in Klausur. Nach eigenen Angaben hörte sich das Ergebnis eher nach Demo an, an das die Produzenten und an diversen Instrumenten tätigen Reine Fiske und Lars Fredrik Swahn noch einmal überarbeiteten.

Diese Umstände haben Auswirkungen auf den Sound: "Yay!" ist in seinen gelungensten Teilen ein waschechtes Folk-Album. Das ist ein gewaltiger Unterschied zu beispielsweise "Kingdom Of Oblivion" (2021. Im Backkatalog der Norweger waren gleichwohl schon vor langer Zeit ähnliche Ansätze zu finden, man erinnere sich nur an "Timothy's Monster".

Der angesprochene Opener gerät im Übrigen so gar nicht langweilig oder gar kalt, er nimmt im Gegensatz an die Hand, gibt dem Hörer heiße Schoki und drückt ihn wangenstreichelnd in den Schaukelstuhl und wirft sogar noch eine Decke hinterher. Musikgewordene Hygge. Das liest sich unfassbar unsympathisch, klingt aber nicht so, nicht zuletzt aufgrund der nie aufdringlichen Komplexität des Tracks.

"Sentinels" macht gerade so weiter, steuert von Skandinavien aber Richtung Irland um: Ein Track, den Bert Jansch richtig gut gefunden hätte. Bei der Gelegenheit sollte man erwähnen, dass keines der Lieder auf "Yay!" so klingt, als wären sie Psych-Prog-Rock auf Akustik. Es stellt sich einfach heraus, dass Motorpsycho auch eine hervorragende Folk-Band sind. Zunächst denkt man, "Patterns", ein Psycho-Pop-Stück, könne im Anschluss nicht ganz mithalten. Zum einen scheint der Bruch zum exzellenten Beginn zu groß, zum anderen glaubt man, das das Stück schnell zu durchschauen, was sich in der zweiten Hälfte aber als Trug herausstellt. Der Gesang sitzt schlicht und ergreifend emotional - und schönere, organische Gitarrensoli gab es im hohen Norden wohl selten.

"Dank State" vertreibt textlich den Mief aus den eigenen Gefilden und steht exemplarisch für ein Album, das stets zwischen Melancholie und Optimismus ausbalanciert. Musikalisch ist das Stück etwas zu nahe am schunkelnden Lagerfeuer dran, was "W.C.A." rasch wieder ausbügelt, ein Bastard aus Psych-Folk und akustischem Power-Pop, den MGMT bestimmt nicht von der Bettkante stoßen würden. "Real Again (Norway Shrugs And Stays At Home)" handelt von Corona und ist einer der ausnahmslos (abgesehen von Prezidents "Ab Mit Dir Ins Tierheim, Corona Ist Vorbei") nicht erwähnenswerten Songs über die Pandemie.

"Hotel Daedalus" fällt deutlich epochaler aus als der Rest der Scheibe, gerät aber überlang und kann die Aufmerksamkeit so nicht durchgehend binden. "The Rapture" kommt ideenlos, wenngleich vor allem zur Mitte hin angenehm rüber. Es ist bedauerlich, dass Motorpsycho das hohe Niveau der ersten Hälfte nicht durchhalten und dem Folkansatz untreu werden, der ihnen zahlreiche neue Facetten verleiht. Trotzdem bleibt "Yay!" eine interessante Reise, die gerne fortgesetzt werden darf und deren positive Elemente deutlich überwiegen.

Trackliste

  1. 1. Cold & Bored
  2. 2. Sentinels
  3. 3. Patterns
  4. 4. Dank State
  5. 5. W.C.A.
  6. 6. Real Again (Norway Shrugs And Stays At Home)
  7. 7. Loch Meaninglessness & The Mull Of Dull
  8. 8. Hotel Daedalus
  9. 9. Scaredcrow
  10. 10. The Rapture

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